Maria-Elisabeth Booms
 

30. Januar (!) 2025              Warum ich wählen gehe

Als junge Frau lebte ich in einer Stadt, in der es zu einer Stichwahl gekommen war.
Da der Kandidat der Mitte sein Amt schon jahrelang innehatte, sagten alle: „Das schafft er doch ganz klar.“ Ich dachte das auch und fuhr in Urlaub, ohne noch einmal zu wählen.
Gewonnen hat dann der Kandidat der extremen Partei. Er gewann nicht, weil er mehr Anhänger hatte, sondern weil seine Anhänger ihn ALLE – mit nahezu 100% - gewählt hatten.
Wir anderen hatten es einfach „schleifen lassen“.
Damals begriff ich, dass es auf meine Stimme sehr wohl ankommt! So wie auf jede einzelne andere Stimme auch.
Ich gehe auch wählen, weil ich Politiker:innen abstoßend finde, die ihre Verachtung anderer Menschen in die Welt hinausschreien und so versuchen, unsere Gemeinschaft mit Hass zu zerstören. Ich will nicht, dass sie Macht bekommen.
Und ich gehe wählen, weil ich auch in Zukunft meine Freiheit im Recht, im Reden, im Reisen, in der Religion und in allen anderen Bereichen behalten möchte.
Demokratie ist – trotz mancher Schwächen – etwa Wunderbares!


4. Februar 2024                     Sonst noch was?

Ich saß im Büro einer Behörde, um einen Antrag zu stellen. Vor mir tippt eine freundliche junge Frau jede Menge dafür scheinbar notwendige Angaben fleißig in den PC. Sie scheint das ziemlich oft zu machen und befindet sich gemütsmäßig zwischen Routine und gähnender Langeweile. In dieser Stimmungslage fragt sie mich ab: "Sind Sie verheiratet?" Ich antworte. Sie fragt weiter: " Seit wann?" Auch darüber kann ich problemlos Auskunft geben. Ihre nächste Frage - ernst, routiniert und entsprechend abwesend gestellt - bringt mich dann hoffnungslos zum Lachen: "Haben Sie Kinder oder sowas?"


27. Januar 2024                            Basiswissen in Kurzform

Vor einigen Tagen bekam ich eine mail zugesandt, in der eine Bekannte, die jahrelang in Israel gearbeitet hatte, einer jungen Frau auf einen Diskussionsbeitrag antwortete. Die junge Frau hatte sich sinngemäß dahingehend geäußert, "dass die Israelis auch nicht besser seien als die Palästinenser."                                                    Abgesehen von der gebotenen, unerlässlichen Unterscheidung zwischen der bekannten Terrorgruppe und "den Palästinensern":  Ich möchte diese schnörkellos klar und zugleich emphatisch geschriebene mail hier einstellen. Auch wenn die problematische Siedlungspolitik in diesem Geschichtsabriss nicht thematisiert wird, so bietet die mail doch viel notwendige bzw. erinnerungswerte Info:

" ... Du bist bald 18, Anna, - in Israel bedeutet das für Mädchen wie für Jungen: Die nächsten 3 Jahre Deines Lebens wirst Du beim Militär verbringen und Dein Land verteidigen, damit es nicht von der Landkarte ausradiert wird. Deine Familien schützen, damit sie nicht von Deinem Nachbarn beim Frühstück überfallen, massakriert, erschossen, geköpft, lebendig verbrannt oder abgeführt werden ...

Als ich in Bethlehem lebte, haben die Palästinenser mit Blick auf die 8 Meter hohe Mauer oft vorwurfsvoll zu mir gesagt: 'Schau, was sie
(die Israelis) mit uns machen! Sperren uns ein wie Tiere!‘ Hat mich natürlich auch schockiert, aber mir lag immer die Gegenfrage auf der Zunge: 'Fragt Ihr (Palästinenser) Euch eigentlich nie, WARUM Menschen so eine riesige Mauer zu euch hin errichten?                          Macht doch kein Mensch aus Jux und Dollerei. Wie groß muss die Bedrohung sein!‘                                                                                  Und jetzt? Jetzt ist selbst die ‚Absperrung‘ buchstäblich untergraben worden und die jungen israelischen Soldaten und Soldatinnen waren katastrophalerweise zur rechten Zeit NICHT am rechten Ort, um Schlimmstes zu verhindern.

Wem ‚gehört‘ denn eigentlich dieses blutig umkämpfte und verteidigte Land?
Jahrhundertelang war es nur noch eine Provinz verschiedener Großreiche – die Juden waren ja im Römischen Reich schon in alle Welt vertrieben worden. Als Ende des 1. Weltkriegs auch das türkisch-osmanische Reich kaputtging, nahmen die Briten die Provinz Palästina unter ihre ‚Obhut‘ und erlaubten vielen Juden, die damals vor 100 Jahren aus aller Welt in ihre ‚uralte Heimat‘ zurückziehen wollten, den Palästinensern dort Land abzukaufen und sich niederzulassen.                                                                         

Nach dem 2. Weltkrieg mit der Ermordung von 6 Millionen Juden und der Vertreibung / Flucht aller, die dieses von Deutschen angerichtete Massaker überlebten, war der Drang in den Nahen Osten und der Wunsch, dort einen eigenen Staat Israel zu errichten, natürlich besonders groß. Schließlich sollte die UNO (also die Vertretung aller Länder der Erde) 1947 das Dilemma zwischen der dort nun lebenden palästinensischen und jüdischen Bevölkerung lösen: Sie entschied, die ehemalige Provinz Palästina (die vorher ja auch mal Israel gewesen war ... ) gerecht an beide aufzuteilen, so dass beide Völker in ihrem Teil einen selbständigen Staat errichten KÖNNTEN.                  Die Juden haben diesen Plan angenommen und 1948 in ihrem Teil ihren Staat ausgerufen. Die Palästinenser haben den ihnen zugesagten Staat abgelehnt und den neuen Staat Israel mithilfe ihrer arabischen Nachbarländer sofort überfallen. Zack. Diesen ersten Angriffskrieg und auch alle folgenden in den vergangenen 70 Jahren haben die Palästinenser immer wieder verloren, aber sie halten weiterhin an dem Ziel fest, das ganze Land in Besitz zu nehmen und Israel auf der Landkarte verschwinden zu lassen – koste es, was es wolle.                       Ja, nicht alle Palästinenser sperren sich gegen die Zweistaatenlösung, aber viele, und vor allem die Hamas, die im Gazastreifen das Sagen hat - und Waffen über Waffen über und unter der Erde anhäuft.

Eines ist sicher, Anna: Es ist und bleibt unfassbar, wie vor 80 Jahren 6 Millionen Menschen sich haben abführen lassen, in Viehwaggons einsperren, erschiessen, erhängen und zuletzt in Gaskammern führen lassen, ohne jede Gegenwehr - was für friedliche Menschen müssen sie gewesen sein! Ihre Kinder, ihre Enkelkinder und Urenkelkinder haben sich mit der Faust in der Tasche geschworen: NIE WIEDER!      Und das werden sie: sie werden sich nie wieder abschlachten lassen.                                                                                                              Die Hamas wird diesen letzten Überfall auf friedliche Menschen nicht überleben.   

Sind die Israelis also wirklich genau so schlimm wie ihre Feinde? Die auf der Strasse mit Honigkuchen triumphieren über ihre Greueltaten. So etwas habe ich in Israel nicht erlebt.                                                                                                                                                          Ja, die Israelis wissen, dass ihnen Gegenwehr und Töten aufgezwungen wird, aber sie freuen sich nicht darüber.                                            Und sie waren bereit, das Land mit ihren Nachbarn zu teilen ..."

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20. Januar 2024                               21. 915 Tage

Ich rüste mich zur Chorprobe. Viele mir (noch)  unbekannte Kinder haben sich zu einem Kinderchorprojekt angesagt. Auch ich bin für die Kinder (noch) "eine Neue".                                                                                                                                                                                                 Als ich den Probenraum betrete, begleitet mich ein kleines Mädchen, höchstens 6 Jahre, eher 5.                                                                        Auf dem Weg zum Flügel betrachtet sie mich sehr interessiert und stellt dann fest: "Du bist alt." Ich bleibe stehen, schaue sie an und frage: "Meinst Du, dass das schlimm ist?" Darauf antwortet sie umgehend und sehr treuherzig: "Nein. Das ist nicht schlimm. Du weisst viel."  Chapeau! Und an die Eltern der Kleinen: Alle Achtung für gelungene Erziehung zum Respekt!

Nachtrag!:                                                                                                                                                                                                                               Als ich die Episode am nächsten Tag verschiedenen Menschen erzähle, zucken ausnahmslos alle - unabhängig voneinander! - zusammen, als sie die schnörkellose Feststellung des Kindes hören: Du bist alt.                                                                                                                              Was ist los mit uns? Wir haben 60 Jahre (das sind 21.915 Tage!)  gelebt, erlebt, gelacht, erlitten, geweint, ertragen, getragen, gefeiert, gelernt, gefaulenzt, gearbeitet, uns vergnügt, ach, was nicht noch alles! Satte einundzwanzigtausendneunhundertfünfzehn Tage.               Und es schmerzt uns, wenn jemand zu uns sagt: Du bist alt. ? Wahrhaftig: Mir scheint, wir müssen da was neu denken lernen.                   Keine Frage: Die wunderbarste Einstellung zum Alter hatte ganz eindeutig die kleine Sängern.

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13. Januar 2024                          Schöne Momente

Also vorab: ich bin jedem von Herzen dankbar, der mir Gutes und Schönes wünscht! Wirklich! 

Nun haben mir aber auffällig viele Menschen zum Jahreswechsel mündlich oder schriftlich viele "schöne Momente" gewünscht. Ich muss sagen: es irritiert mich. Warum nur Momente? Warum nur so kurze Lichtblicke, so kleine flashs, flüchtige Augenblicke, die in Nullkommanix - eh man sich rumdreht - schon wieder vorbeigeflutscht sind? Warum keine seligen, schönen, langen, ergiebigen, nachhaltigen Stunden um Stunden der Freude, des Vergnügens oder der Ruhe?

Ich habe nachgedacht, woran diese in Mode gekommene Formulierungsweise liegen könnte.                                                                     Vielleicht daran, dass heute unser ganzes Leben sehr "kurzkettig" geworden ist? Wir schreiben sms mit soundsoviel Zeichen oder tickern -zig mal am Tag in rasender Schnelligkeit kurze Whats-App-Nachrichten. Wir schauen Filme oder Filmchen, die oft pausenlos von Werbung unterbrochen werden. Unsere Lebensläufe bei Bewerbungen müssen kurzatmig tabellarisch aufgeführt werden. Ein Arztbesuch soll nur 7 Minuten dauern. Der Kurzstreckensprint an der Supermarktkasse ist ebenfalls atemberaubend geworden. Wir werden bei unserem Tun oder in einem Gespräch erschütternd oft unterbrochen von irgendwelchen piepsenden Apparaten.

Da bleiben dann am Ende vielleicht tatsächlich nur noch Momente übrig - die uns vergessen machen, wie wunderbar herrlich "Zeit am Stück" ist, wie z. B. eine ganze, unzerbrochene, volle und gefüllte Stunde!

Allein schon wegen dieses Gefühls der Ruhe und des ganz-bei-sich-Seins wünsche ich Ihnen viele schöne Stunden, Vor- und Nachmittage und ganze Tage voller Freude oder Nachdenklichkeit oder (gemeinsamer) Gemütlichkeit oder voll des Staunens!

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7. Januar 2024                                   Ergiebig?

Das Wort "ergiebig" ist ein sehr schönes altes Wort, das laut Nachschlagewerk soviel bedeutet wie "ertragreich, in großer Fülle, gewinnbringend, günstig". Ich hab's auch immer gern gehört und Schönes damit verbunden. 

Und nun das: In den Wetternachrichten ist unentwegt zu hören: "Ergiebiger Dauerregen". Inzwischen auch eingepackt in Unwetterwarnungen vor nahezu unbeherrschbaren Wassermassen. Ich glaube, wenn ich als Wassergeschädigter an der Helme im Süden Sachsen-Anhalts oder in Niedersachsen oder Menzelen-Ost wohnte, würde ich irgendwann bei einer solchen Formulierung vor Wut platzen.                                                                                                                                                                                                                                 Es gibt Begriffe und Redewendungen, deren angemessene Verwendung dringend neu durchdacht werden muss.

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Jahreswechsel 2023 / 24               Der Rutsch verliert an Fahrt

Ich muss gestehen: ich gehe in den Tagen nach Weihnachten jetzt allmählich wirklich nicht mehr gerne unter die Leute. Irgendwer da draußen scheint ihnen gesagt zu haben, dass der Wunsch zum Jahreswechsel "Guten Rutsch!" uncool ist. Mehr und mehr sagen (und schreiben!) mir die Menschen: "Einen guten Übergang." Oder sie wünschen gar "einen guten Hinübergang."   Für mich hört sich das an, als wenn ich kurz vor dem Sterben stünde. "Hinübergang" hört sich bedenklich nahe nach "Heimgang" an. Da hat doch so ein fideler "Rutsch" ganz entschieden mehr Dynamik und Fröhlichkeit.

Obwohl er natürlich - ja, ich weiß - sprachlich total unsinnig ist. "Guten Rutsch" zu wünschen ist ein Sprachirrtum. Der "Rutsch" stammt ursprünglich aus dem jiddischen (bzw.) hebräischen "Rosch". Und Rosch ist ein Teilbegriff von "Rosch ha Schana", was bedeutet: Kopf, Haupt, Anfang. Ha Schana = das Jahr. Der Jahresanfang heißt im Hebräischen also "Haupt, Kopf" des Jahres, (was ja sehr logisch ist, da der Kopf auch der Anfang eines Menschen ist - längenmäßig betrachtet.) Und der ganze Begriff ist im Hebräischen Teil eines frommen Neujahrswunsches.                                                                                                                                                                                                           Aus "Rosch" wurde also "Rutsch". So wie aus den ebenfalls hebräischen Segensworten "lehazliach" (gelingen lassen) und "lewarech" (segnen) im Deutschen der "Hals- und Beinbruch" wurde, der dem Rutsch nun wieder bedenklich nahe kommt und leider tatsächlich im schlimmsten Fall zum Heimgang führen kann.

Also erstmal finde ich es den Juden gegenüber gemein, wenn man ihre Segens- und Grußformen im Deutschen bis zur Unkenntlichkeit verballhornt. Wer segnet einen schließlich heute noch, außer in der Kirche? Ich finde, man könnte sich wirklich ein wenig mehr Mühe geben, um so schöne Wünsche ordentlich aus der hebräischen Sprache zu übersetzen und dann weiterzugeben.

Oder man lässt den Rutsch einfach ersatzlos weg - dann bleiben mir "gute Übergänge" und "gute Hinübergänge" erspart, was sehr erfreulich wäre.    

So, das ist jetzt mal geklärt. Und in den nächsten Tagen gehe ich auf die zur Zeit sehr oft strapazierten "vielen schönen Momente" los.

Für heute wünsche ich meinen Leserinnen und Lesern ein gesundes, frohes und gesegnetes Neues Jahr!                                                          Sollten Sie zu Silvester nachtaktiv (unterwegs) sein: rutschen Sie nicht aus, brechen Sie sich weder Hals noch Beine und auch sonst nach Möglichkeit nix - landen Sie einfach wohlbehalten im Neuen Jahr!

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Weihnachten 2023                   Nichts für Hei-tei-tei - und unkaputtbar!

Ist es Ihnen auch so gegangen? Mir haben alle möglichen Leute im Laufe der letzten 14 Tage gesagt, "so richtig sei die ganze Weltlage ja nicht zum Weihnachten feiern", "die ganzen Kriege verderben einem Weihnachten total", oder: "Bei all den Krisen kommt man ja gar nicht in Weihnachtslaune", oder gar: "Man traut sich gar nicht so richtig, frohe Weihnachten zu wünschen - wie soll man bei so düsteren Prognosen froh sein?"

Schön langsam war ich selbst drauf und dran, schlechte Laune zu kriegen ob dieser Reden.                                                                                  Ich glaube, solchen Äußerungen liegt ein fundamentaler Irrtum zugrunde. Also nur mal zur Wiederholung, Auffrischung und Erinnerung: Als Jesus in Bethlehem geboren wurde - Anlass und Ausgangspunkt des Weihnachtsfestes! - war das Land der Israeliten besetzt, und zwar von den Römern. Nun ist es schon grundsätzlich hässlich, nicht in Freiheit und selbstbestimmt leben zu dürfen. Aber diese Besatzer waren - wie das die meisten Besatzer so an sich haben - brutal und führten ein hartes Regiment, sprich: der Alltag der Juden in ihrer Heimat war gefährlich und blutig. Pro Tag fanden bis zu 500 Hinrichtungen (!) statt! Öffentlich.                                                                                                 Es herrschte ein Zwang zu harten Abgaben; Armut und elendes Sterben, die daraus resultierten, waren an der Tagesordnung. Dazu kamen furchtbare Krankheiten, die die Menschen damals quälten und zu sozialer Ausgrenzung und entsetzlichem Dahinsiechen führten. Irgendwelche Sozialorganisationen, die da zu Hilfe eilten, gab es weit und breit nicht.                                                                                              Das freie Reden über die politischen Verhältnisse war lebensgefährlich und Aufstände , bzw. deren Niederschlagung durch die Besatzer sorgten für zusätzliches Blutvergießen. Und das alles alles gleich 5 Meter nebenan so ungefähr in jede Richtung.                                                 Kurzum: die Verhältnisse waren wirklich dazu angetan, einem die gute Grille gründlich zu verderben.             

Das war Weihnachten im Jahre 0; in diese Verhältnisse wurde Jesus geboren! Und predigte, als Er groß genug war, um freibestimmt zu reden, die Gebote Gottes und die (Nächsten) - Liebe. Er bot einen göttlichen Weg an mitten in blutiger Besatzung, unter Leprakranken, zwischen hunderten von Hinrichtungen täglich, angesichts verheerender Armut, harten Existenzbedingungen und kriegerischen Auseinandersetzungen.

Weihnachten geschah im Elend! Und dass Jesus in der Fremde und in einem Stall geboren wurde, war bei weitem wirklich nicht das größte Elend - siehe oben!

Und dann sagen mir Menschen in unserem Land 2000 Jahre später, die weltpolitische Situation verderbe ihnen die Weihnachtslaune!      Mit Verlaub: ich habe nichts gegen anheimelnde Weihnachtsatmosphäre. Aber Jesus kam nun wirklich nicht in unsere Welt, um Weihnachtsgefühligkeit zu erzeugen oder sicherzustellen. Das Kind in der Krippe ist kein Wohlfühlfaktor, sondern Gottes riesengroßes und grundernstes Angebot an uns.                                                                                                                                                                                        Jesu Geburt stellt nicht auf Knopfdruck diese furchtbaren Verhältnisse ab, aber sie zeigt den einzigen Weg für den Einzelnen und für eine ganze Gesellschaft heraus: die tatkräftige Liebe zum Anderen - zum Hilfsbedürftigen, zum Kranken, ja, auch zum Gewalttätigen ... - ermöglicht ein Stück Himmel in so mancher Hölle.                                                                                                                                                     Und Jesu Verheißung, dass Er für uns eine Wohnung bei Gott vorbereitet, schafft Hoffnung, die kein Mensch zu geben vermag. 

Lichterketten, Spekulatius, Geschenke, Weihnachtsbraten, Weihnachtslaune, Weihnachtsfeeling - alles nett, aber entbehrlich. 

Aber das andere - siehe oben: DAS ist wichtig. Gott muss groß gedacht werden, nicht als Stimmungsaufheller; nicht zuständig für heiteitei und Firlefanz. Weihnachten kann von gar nichts und auch von niemandem verdorben werden! Es ist in seiner Ernsthaftigkeit, Tiefe und Dramatik - und in seinem Segen! - unkaputtbar.

"Frohe Weihnachten" kann ich da nur sagen! Von ganzem Herzen: "Frohe und gesegnete Weihnachten!"                                                                                                                                                                                                 

siehe auch: Eintrag Kirche Silvester 2023
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siehe auch: Geistliches




13. Dezember 2023                  Vom Marzipanschweinchen-Schießen

Um mich über den politischen und gesellschaftlichen Tag einigermaßen auf dem Laufenden zu halten und nach Möglichkeit solide zu informieren, lese ich auf der Seite "Tagesschau.de".

Da steht heute (13.12.23) u.a.:                                                                                                                                                                                         "Dennoch erreiche man durch mehr Treffsicherheit bei Sozialleistungen eine Einsparung von 1,5 Milliarden Euro. Als ein Beispiel nannte er (Anm der Verf.: Finanzminister Lindner) den Arbeitsmarkt."                                                                                                                                          Im Bild stehen die drei bekannten Herren, die in letzter Zeit gefühlt immer dastehen ...

Das heißt: bis jetzt hat der Finanzminister billigend in Kauf genommen, dass 1,5 Millarden Euro(!!!) durch mangelnde Treffsicherheit (Gründlichkeit???) geschlabbert und versenkt werden???!!!  Das hört sich ein bisschen nach Losbude auf dem Rummel an - Sie wissen schon: diese Stände, an denen man mit einem Gewehr auf Marzipanschweinchen schießen darf. Bei genauer Treffsicherheit (!) kann man am Ende einen riesigen Riesenteddy über den Rummelplatz nachhause schleifen.

Mit so einer Einstellung wird das nix in diesem Land! Nicht mit Politikern, die eher mit nur zwei mickrigen Marzipanschweinchen vom Rummelplatz schleichen statt "lieber gar nicht zu regieren"! Außerdem frage ich mich ehrlich und ziemlich erschrocken, wo diese Politiker mitsamt ihren Ressortangestellten jetzt so schnell ihre Treffsicherheit herbekommen wollen!?                                                                        Auch exaktes Marzipanschweinchen-Schießen will schließlich gekonnt sein! Guter Vorsatz allein reicht da nicht.                                          Und warum fangen sie jetzt erst an zu üben? Sie haben doch schon vor 2 Jahren geschworen, "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden".  1,5, Milliarden bisher unnütz verpulverte Marzipanschweinchen - äh - Euro sind auch ein Schaden, meine Herren!                                

Was ich aber am allerbeunruhigsten finde: die Herren trötern landesweit in Mikrofone, jetzt (nach 2 Jahren erst???) die Treffsicherheit zu erhöhen, um 1,5, Milliarden ein-zu-spa-ren (!!!)  - ohne dabei zu erröten oder vor Scham im Boden zu versinken.                                          Das - und das ist mir jetzt bitterernst! - offenbart eine wirklich schlimme moralische Einstellung der Verantwortlichen. Als Inhaber solch unterirdischer Standards sollte man dann vielleicht doch besser nicht  regieren.

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11. November 2023                         Kostbare Erinnerung

Wie oft muss ich in den vergangenen Wochen mit all den unseligen Diskussionen und so vielen antisemitischen Ausfällen an meine Reise nach Israel denken! Sie geschah wirklich ganz spontan und ohne große Vorbereitung im Jahr 2000. Ich besuchte auch einen 19jährigen Bekannten aus Deutschland, der dort in einem Pflegeheim für Holocaust-Überlebende seinen Zivildienst leistete. Als ich ankam, lief er mir entgegen und sagte: "Schön, dass Du da bist! Alle im Haus freuen sich schon auf Dich." Ich schaute ihn völlig verdattert an: "Wie - alle im Haus?" "Naja, ich habe unseren Bewohnern erzählt, dass Du kommst und wer Du bist. Und nun freuen sie sich darauf, Dich kennenzulernen."                                                                                                                                                                                                                     Und ich, die ich jahrelang in der Schule und auch in späteren Diskussionen  gesagt hatte, ich hätte mit dem Holocaust nichts zu tun, er sei nicht meine Schuld gewesen und ich wolle nicht ständig an das Elend erinnert werden ... usw. - ich stand plötzlich da und sagte: "Ich kann doch da nicht reingehen. Ich bin eine Deutsche!" Mein Bekannter sagte: "Ich bin doch auch Deutscher. Ich bin jeden Tag bei den Menschen. Nun komm schon." Ich konnte es nicht. Ich konnte in das Land fahren und es beim Anschauen und Erleben genießen. Aber dort, so unmittelbar vor diesen Menschen, die "in meinem Land" so Unsägliches hatten durchleiden müssen - da spürte ich mit unfassbarer emotionaler Wucht, dass es mich eben doch erheblich "etwas anging", was in der Generation vor mir geschehen war.  

Das alles ließ sich nicht erklären. Ich stand einfach heulend da (!) und fühlte mich komplett außerstande, diesen Menschen entgegenzutreten.                    

Und dann geschah das Unfassbare:  Eine alte Frau kam aus dem Haus heraus auf uns zu, sprach mich bei meinem Namen an und sagte: "Wir freuen uns schon, mit Dir Kaffee zu trinken. Unser netter Pfleger hier hat soviel von Dir erzählt. Komm." Ich sagte, ich könne mich doch nicht zu ihnen an den Tisch setzen, ich sei doch aus dem Volk, das ihnen ..."  "Aber Dich trifft doch keine Schuld! Ihr jungen Leute habt das doch nicht getan. Das denken wir alle hier. Mach Dir keine Sorgen und komm einfach zu uns hinein."

Dann führte sie mich in das Haus und stellte mir jeden einzelnen Bewohner vor - und mich stellte sie bei allen mit solcher Wärme und Herzlichkeit vor, als seien wir schon ein Leben lang befreundet gewesen, im schönsten Sinne.

Dieser Nachmittag hatte viel Schweres an sich: es waren alte Menschen darunter, die ihren Verstand verloren hatten und jede Nacht in ihren Albträumen voll grausamer Erinnerungen schrien, ich saß mit Menschen zusammen, deren Kinder man vor ihren Augen verbrannt hatte, ich trank mit Menschen Kaffee, die buchstäblich keine Verwandtschaft mehr hatten - das alles haben sie nicht erzählt, weil es ja ein fröhlicher Besuchskaffee sein sollte. Ich erfuhr es in ein paar leisen Worten nebenbei von meinem Bekannten ... 

Dieser Nachmittag hatte viel Schweres an sich - und gehört zu meinen kostbarsten Lebenserinnerungen!

PS:                                                                                                                                                                                                                                          Man hatte uns in der Schule ausgiebig und x-mal beigebracht, was die Deutschen in der Nazizeit verbrochen hatten. Aber keiner hatte mir die Frage beantworten können oder wollen, was ich als 17-Jährige damit zu tun hatte: dass es eine gesellschaftliche (!) Verantwortung gab. Nicht für das, was geschehen war, sondern Verantwortung für die auf Generationen hinaus geschädigten Menschen und deren Zukunft! Und dass es keine Last sein musste, diese Verantwortung zu übernehmen, sondern einfach ein Erfordernis.                     Vielleicht hätte das den Antisemitismus, der jetzt überall hervorbricht, ein wenig kleiner gehalten. Weil es sinnvoller und wertvoller ist, Menschen eine Aufgabe für die Zukunft erkennen zu lassen, als sie sich immer wieder für das schuldig fühlen zu lassen, was ihre Vorfahren in der Vergangenheit angerichtet haben.

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2. November 2023                   WEITERSAGEN und WEITERGEBEN!

Brandrede von Robert Habeck gegen den wachsenden Antisemitismus in unserem Land:                                                                                    Im link-Artikel weiter runtersrollen, da kann man die Rede dann anklicken. 


22. Oktober 2023                Teil 2:    Auge um Auge - eben!

Wie oft - bis zur Ermüdung - habe ich das in den vergangenen zwei Wochen gehört: "Ja, so sind die Juden eben: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das Zurückschlagen gehört ja schon zu deren Religion."                                                                                                                                   Was möglicherweise nicht so viele Menschen wissen: Dieser Grundsatz "Auge um Auge und Zahn um Zahn" ist auch die Basis unserer Rechtsprechung. Jetzt bitte nicht gleich aufheulen, sondern erst weiterlesen.                                                                                                     

Dieses (Talions-)Gesetz der Juden besagt nämlich, dass, wenn sich Streit und Fehde schon nicht vermeiden lassen, die Vergeltung wenigstens nicht maßlos sein darf. Die Vergeltung darf auf keinen Fall größer sein als der Schaden, der angerichtet wurde!                       Eben "Auge für Auge und Zahn für Zahn."  Und nicht "Zwei Augen für ein Auge und fünf Zähne für einen Zahn."

Die biblische Grundlage dieses sog. Talionsgesetzes ist folgender Schrifttext:
"Wenn Männer miteinander raufen und eine schwangere Frau stoßen, so dass ihre Leibesfrucht abgeht, es aber kein tödlicher Unfall ist, wird eine Zahlung auferlegt in der Höhe, die der Ehemann ihm auferlegt, und er bezahlt vor Zeugen.
Wenn es ein tödlicher Unfall ist, gibst du Leben für Leben, Auge für Auge, Zahn für Zahn, Hand für Hand, Fuß für Fuß, Brandmal für Brandmal, Wunde für Wunde, Striemen für Striemen."

                                                                                                                                                                                                            (Buch Exodus Kapitel 21, Verse 22-25)

Rache und Strafe müssen in einem "ausgewogenen" Verhältnis zum vorher angerichteten Schaden stehen. Dieses Gesetz des Alten Testamentes war ein enormer Fortschritt: es gebot Mäßigung in einer Zeit, in der Sippenhaft und Rachefeldzüge maßlos und von blinder Wut diktiert wurden.

Auch unsere Rechtsprechung basiert auf einer Verhältnismäßigkeit: Auch bei uns darf eine Strafe nicht maßlos sein, sondern muss im angemessenen Verhältnis stehen zum angerichteten Schaden.                                                                                                                                       Die Juden waren mit diesem Rechtsgrundsatz damals in Sachen Gerechtigkeit und Maß sehr human. Ihnen ausgerechnet aufgrund dieses Gebotes nun Rachsucht zu unterstellen und zudem mit dem erwähnten Zitat "beweisen" zu wollen, zeugt von großer Unkenntnis und ist - ich hoffe unbeabsichtigtes! -  Unrecht.  

Sie können dieses Gebot in seiner Bedeutung unter dem Begriff "Talionsregel" nachlesen.                                                                                        In Zeiten wie diesen ist jede sachliche Information Gold wert und bitter notwendig.                                                                                                                                                                                                                                        

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11. Oktober 2023        Teil 1:   Süßigkeiten mit heftiger Aussage

Das Verteilen von aufwendigen Süßigkeiten auf Demonstrationen gehört nicht zum Brauch in unserem Land. Umso auffälliger ist, dass es die jubelnden pro-palästinensischen Demonstranten in diesen Tagen tun und damit den Überfall der Hamas auf die Israelis feiern.             Das ist nicht ohne Bedeutung.
Israel wurde überfallen, als es das „Fest der Tora“ feierte – ein Fest über die Freude an der Heiligen Schrift, an den Geboten Gottes. Es ist Brauch, an diesem Festtag die Kinder reichlich mit Süßigkeiten zu beschenken. Sie sollen die Freude der Erwachsenen an der Heiligen Schrift ganz konkret in ihrem Leben erfahren.

Dass die (pro-palästinensischen) Sympathisanten auf unseren Straßen neben Tanz und Jubel über einen Massenmord an Juden auch  diesen jüdischen (!) Festbrauch(!) des Beschenkens mit Süßigkeiten praktizieren, ist eine zusätzliche Verhöhnung der Opfer, vor allem der unschuldigen Kinder!
Israel wird dieses Fest, bei dem nicht nur die Tora, sondern auch die Kinder als Erben der Tora im Mittelpunkt stehen, nie mehr unbeschwert feiern können.

Wir dürfen eine solche Perfidität bei der Diskussion um den Umgang mit den Jubeldemonstranten nicht außer Acht lassen. Und wir müssen die furchtbaren Aussagen solcher Handlungen verstehen, dürfen sie nicht als „beliebige Begleiterscheinung“ betrachten.                 

Das Begreifen solcher Handlungen kann uns helfen bei der Entscheidung darüber, was wir in unserem Land, auf unseren Straßen dulden wollen und wo wir Grenzen ziehen (müssen).                                                                                                                                                                  Dabei sollte uns aber nicht nur die Einhaltung wichtiger Gesetze für die Freiheit leiten, sondern auch das Bestehen auf Anstand und Menschenwürde! Tanz und Jubel über ermordete Menschen grundsätzlich zu verbieten kann ja nicht so schwer bzw. langwierig sein.

PS:  Wo waren übrigens die Aufschreie all derer, die ständig anklagen, dass irgendwer sich mal wieder der "kulturellen Aneignung" schuldig mache. DAS, was wir in diesen Tagen auf unseren Straßen zuhauf erleben, ist "kulturelle Aneignung" in allerübelster Form - und keiner von all denen, die sonst immer Flöhe husten hören und lächerliche Anklagen aussprechen, äußert sich dazu!                                    Nur dröhnendes, schändliches Schweigen ...

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4. Oktober 2023                      Eine sehr berechtigte Frage!

Die "Kieler Nachrichten" vom 1. Oktober berichteten darüber, dass ein Bandkonzert nicht stattfinden darf, weil einer der Solisten ein Digderidoo, das Instrument der Ureinwohner Australiens, spielt. Laut Veranstalter darf er das aber nicht, weil das "kulturelle Aneignung" sei.                                                                                                                                                                                                                                       Natürlich eignet sich ein Musiker, der ein Instrument erlernt, kulturell etwas an - und das ist doch sehr schön. Man kann gar nicht genug Kultur (kennen-)lernen und pflegen. Was der Veranstalter meinte, ist die "Aneignung von Fremdkultur" - naja, es ist nicht jedem gegeben, sich exakt auszudrücken. Ich liege sicher bei meiner Schreiberei auch manchmal daneben.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Nun hätte ich an den Veranstalter allerdings eine Frage: Arbeitet er noch mit Brieftaube und berittenem Boten? Oder benutzt er etwa einen Computer und das Internet, wo es ja vor englischsprachigen Ausdrücken und englischer Sprache nur so wimmelt!? Das wäre eine kaum verzeihliche "(fremd-)kulturelle Aneignung": die Sprache eines anderen Volkes zu benutzen! Geht gar nicht! Man sollte dem Veranstalter schleunigst verbieten, diesen Kommunikationsweg, ja überhaupt den Computer an sich zu benutzen. Und der Fremdsprachenunterricht an den Schulen gehört abgeschafft. Ebenso der Verkauf fremdsprachiger Literatur! Und Bilder! Und natürlich auch Musik!                                    Bei der Gelegenheit frage ich mich z. B. ernsthaft, wie man all die Gospelchöre hier im Land entschuldigen soll, die doch bisher mit Hingabe die Musik der afrikanischen Menschen gesungen und damit - nach Ansicht solcher Menschen wie des norddeutschen Veranstalters (s.o.) - "(fremd-)kulturelle Aneignung" am Fließband betrieben haben. Wie soll man das je wiedergutmachen? Wenn das jetzt mal nur nicht in ein dramatisches Chorsterben ausartet ...    

Auch im gestrigen Festakt zum "Tag der deutschen Einheit"  in der Hamburger Elbphilharmonie haben die Veranstalter in ihrer Programmgestaltung  möglicherweise furchtbar danebengegriffen: es wurde HipHop - Tanz aufgeführt! Afroamerikanische Wurzeln!!!                                                                                                                                                                                                                                                 In dem Hollywoodfilm "Tincup" fragt der Golflehrer seine talentlose Schülerin, der man für sehr teuer Geld jede Menge Golfausrüstungsunsinn angedreht hat, damit sie besser trifft, "ob sie eigentlich merkt, wenn sie verarscht wird".                                              Ich glaube, diese kurze Frage darf man heute ruhig mal öfter stellen.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Sensibilisierung für Übergriffigkeiten anderen Menschen und Nationen gegenüber ist dringend notwendig; immer und jederzeit. Sie dient dem Frieden. Aber Nachdenken und Abwägen ist dabei nicht verboten. Reflexartige maßlose Übertreibung hingegen sollte sich schon verbieten. Ebenso sollte es sich verbieten, mit schrägen "Moral"forderungen den Menschen die Luft zum Leben förmlich abzuwürgen.

Apropos Afrika: Als große Freude kann ich nur jedem ans Herz legen, den Film "Kinshasa Symphony" anzuschauen! In diesem Film wird erzählt und gezeigt, wie Menschen sich, zum Teil mitten in Slums, Instrumente bauen und spielen üben, andere sich mit viel Mühe die deutsche Sprache aneigenen, um Beethovens 9. Symphonie und andere Werke zu musizieren! Begeisterung pur! Selten löst "(fremd-)kulturelle Aneignung" (in diesem Fall mal andersherum!) eine solche Freude und immense Bewunderung aus und dient natürlich der Völkerverständigung!                                                                                                                                                                                                   So, wie jeder kulturelle Austausch dem Frieden unter den Menschen dient, weil das "angstmachende Fremde" überwunden wird und gegenseitiges Kennenlernen und gemeinsame Freude ermöglicht.

Trailer deutsch:  "Kinshasa Symphony"

Trailer englisch: "Kinshasa Symphony"

Wikipedia-Artikel zum Film: "Kinshasa Symphony"                                                                                                            

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1. September 2023              Nicht unbedingt eine Frage der Wahrnehmung

Der eine sagt: "Da fällt über dem ganzen Sportplatz Wasser aus der Luft - bis auf die Erde."                                                                               Der Zweite konstatiert: "Da kann ich nix zu sagen. Ich war ja nicht dabei."                                                                                                              Der Dritte unkt: "Boh, wetten, wenn ich jetzt ohne Schirm über den Sportplatz gehe, bin ich nass bis auf die Knochen."                               Der Vierte gibt zu Protokoll: "Kann man so sehen, muss man aber nicht."                                                                                                                Der Fünfte befindet: "Das muss jeder selber wissen."                                                                                                                                                        Der Sechste denkt: "Das sieht jeder anders."

Früher haben sich fünf Menschen angeschaut und gesagt: "Na sowas aber auch - es regnet, und das nicht zu knapp!"                                Aber das war eben früher. Heute weiß man: Das kann man nicht einfach so sagen.

Oder könnte man am Ende - nach genauerem Überlegen - etwa - im Prinzip - heimlich - ohne dass es jemand hört - unter Umgehung sämtlicher antrainierten Kommunikationslehrsätze - vielleicht - doch? ......                                                                                                    Einfach und unkompliziert ist eben manchmal verlockend schön ...

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28. August 2023                      Elender Schwachsinn!

Er ist Arzt. Und er ordnet - ohne Eilzwang -  im Schnellverfahren eine sehr schmerzhafte medizinische Maßnahme an. Das erst kurz ordentlich zu besprechen und zwei Fragen der Patientin auch nur anzuhören, geschweige denn zu beantworten, hat er im Kommunikationstraining anscheinend nicht gelernt. Und ein Minimum an beruflicher Herzensbildung sagt es ihm wohl auch nicht. Die medizinische Gehilfin (das Wort "Schwester" bleibt der Patientin augenblicklich im Halse stecken), also die Gehilfin ist auf Zack und vollstreckt augenblicklich – und es werden minutenlange, richtig peinvolle Augenblicke. Die Pein ihrer Patientin kommentiert sie "kraft ihrer Wassersuppe" mit ruppigen und wirklich  ungerechten  Vorwürfen.
Die solchermaßen Gepeinigte hört sich das alles an, während ihr tränenverschleierter Blick sinnig an der frei herumliegenden Schere in greifbarer Nähe hängenbleibt …
                                                                                                                                                                                                                                                 Da hört sie, wie der völlig unbeteiligte Arzt sagt: „Gleich ist es vorbei. Es dauert nicht mehr lange. Sie machen das sehr gut!“                         Keine Frage - er redet tatsächlich mit der Patientin! Die fragt sich nun unweigerlich, was sie sehr gut macht. Ob sie überhaupt gerade irgendetwas macht, und nicht viel mehr nur eine Menge erduldet. Oder meint er etwa ihre Selbstbeherrschung, mit der sie es beim bloßen Blick auf die frei herumliegende Schere belässt, statt mal zu einer Tat zu schreiten?
                                                                                                                                                                                                                                           Wieder dringen die Worte des (wahrscheinlich sich langweilenden) Arztes an ihr Ohr: „Sie machen das sehr gut.“ "Als wolle er einen kläffenden Streuner beruhigen", denkt sie, immer noch gepeinigt. „So ein elender Schwachsinn; wer bringt Leuten eigentlich bei, so einen Müll zu reden, statt einfach nur die Klappe zu halten?!"                                                                                                                                               Sie findet, der Arzt sollte besser sagen: „Sehr rücksichtsvoll von Ihnen, dass sie bei diesen Schmerzen keinen Herzkasper kriegen.“ Oder: „Ich bin Ihnen wirklich sehr verbunden, dass Sie hier nicht gerade zusammenklappen“, oder: „Entschuldigen Sie, dass ich nicht den Mumm habe, der unentwegt keifenden Gehilfin zu sagen, sie solle ihr lasterhaftes Gerede einstellen.“                                                               
                                                                                                                                                                                                                                                Als die Patientin hinauswankt, denkt sie: „Dass ich mich darüber aufregen kann, ist irgendwie auch ein ganz gutes Zeichen. Da ist noch Leben in mir …“

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27. Juli 2023                                      Gefunden!

Ich krame einen Ordner hervor, um Noten herauszuholen: 12 Seiten Klavierbegleitung mit 2 Singstimmen und Text, alles handgeschrieben. Meine Erinnerungen gehen über 40 Lebensjahre zurück: nie wieder bin ich auf so verrückte Art an ein Stück kostbare Musik gekommen. Damals erzählte mir ein 9-jähriges Kind, das in "meinem" (alters)-gemischten Projektchor mitsang, einige Wochen vor einem Konzert mit leuchtenden Augen, es habe im Radio "eine ganz tolle Musik gehört, es klang wie Engelsgesang. Das müssen wir in unserem Konzert singen! Sowas Schönes habe ich noch nie gehört!" Da steht so ein Kind vor mir mit einer Erfahrung, die es völlig verzaubert hat und der einzige Anhaltspunkt, den ich habe, ist, "dass es klang, wie wenn Engel singen." Das ist ein bisschen wenig. Ich fragte also nach, ob das Kind sich daran erinnern könne, worüber die Engel denn da so gesungen hätten. "Es kamen Berge vor und die Erde, und man soll hinknien," antwortete der kleine Sänger.                                                                                                                                                                                            Es gab damals kein Internet - heute hätte man so ein Musikstück mit fünf Klicks im Netz ausfindig gemacht.                                                       Der Junge wusste auch nicht, wann und auf welchem Sender er die Musik gehört hatte; wir konnten also auch nicht gezielt nachfragen.                  

Ich vergrub mich damals mit den ziemlich mageren Angaben in der Hochschulbibliothek, wälzte tagelang Lexika und Musikgeschichtswerke "querbeet", hörte Schallplatten - gestützt auf meiner einzigen Vermutung, dass es sich um einen Psalm handelte, motiviert von der ungewöhnlichen Begeisterung eines sehr musikalischen Neunjährigen, dessen großer Wunsch es war, solche "tolle Musik" zu singen. Ich hangelte mich von Stichwort zu Stichwort, folgte Ideen und Anregungen, auf die mich die Bücher brachten, hörte in eine Unmenge von Schallplatten hinein ...                                                                                                                                                                    Und das Unglaubliche geschah: ich wurde fündig: der "Engelsgesang" gehörte zum 95. Psalm, vertont von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Als ich dem kleinen Sänger aus meinem Fund vorspielte und -sang, war er hin und weg. "Ja, genau, das ist es! Ist das nicht toll? Können wir das nicht auch in unserem Konzert singen?!"                                                                                                                                                                  Ich vergrub mich wieder - diesmal am Schreibtisch. Das Stück was zu hoch für normale Laiensänger, ich musste es umschreiben. Damals gab es noch keine Technik, die einem so etwas abnahm. Und es musste ja schnell geschehen, weil wir noch echt Zeit zum Üben brauchten.                                                                                                                                                                                                                         Wir haben den "Engelsgesang" damals im Konzert gesungen und ich habe selten ein 9-jähriges Kind mit solcher Hingabe singen sehen (und hören!).

Für mich wurde diese scheinbar kleine Episode eine Begegnung für's Leben: ich entdeckte die Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy! Ich war damals 18 Jahre jung, ich wusste, dass es Schütz, Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms ... gab; aber Mendelssohn kannte ich nicht. Und ich kann nicht in Worte fassen, welchen Einfluss und welche Wirkung seine innigen und klangprächtigen Vertonungen  biblischer Texte auf mein Leben hatten und immer noch haben.                                                                             

Fast mit Andacht blättere ich die handgeschriebenen Notenseiten durch, höre innerlich die wunderbaren Klänge - und erinnere mich auch nach über 40 Jahren voller Freude an die erste Begegnung mit dieser himmlischen Musik, die mein Leben so reich gemacht hat.                    Welche Lebensräume einem die Begeisterung eines Kindes erschließen kann, wenn man ihr einfach nur folgt!

Wir werden den "Engelsgesang" im November wieder in einem Konzert singen ...

Und nun: Zeit für eine gute Tasse Kaffee oder Tee und Musik.                                                                                                                                   Felix Mendelssohn-Bartholdy:  "Denn in Seiner Hand ist, was die Erde bringt, und die Höhen der Berge sind auch Sein.                                                                                             Kommt, lasst uns anbeten und knien vor dem Herrn."

Und wenn Sie noch etwas Zeit haben, schieben Sie den daran folgenden Chorsatz gleich hinterher. Er lässt, ganz harmlos beginnend und sich immer mehr auftürmend, in prachtvoller Weise das Meer erklingen:   "Denn Sein ist das Meer"

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10. Juli 2023                            Gute Nachrichten

Heute bei einem Telefonat: mein Gesprächspartner erzählt mir von einer Studie über Ordensfrauen in den USA.                               Wissenschaftler haben festgestellt, dass etliche dieser Frauen, die alle ein regelmäßiges Leben geführt hatten und immer geistig aktiv waren, am Ende ihres Lebens wohl die medizinischen Befunde für eine Alzheimer-Erkrankung im Gehirn hatten - aber bei ihnen war keine Demenz zutagegetreten. In ihren Gehirnen hatten sich im Laufe der Zeit so viele Vernetzungen gebildet, dass die Zerstörungen durch Alzheimer verursachende Ablagerungsschäden ausgeglichen werden konnten. Außerdem hatte sich das Leben in einer Gemeinschaft positiv ausgewirkt: auch das ist schützend.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                            Was sagt uns das? Nein, wir brauchen nicht umgehend ins Kloster einzutreten. Aber die Beschäftigung mit dem Grips ist heilsam (übrigens in vielerlei Hinsicht!). Also: Lesen Sie gute Bücher, lernen Sie eine neue Sprache, üben Sie ein neues Instrument (oder frischen Sie das aus Ihrer Jugend? möglicherweise auf), tüfteln Sie an schwierigen Rätseln - und gehen Sie unter Leute, singen Sie in einem Chor (oder auch mehreren.)!                                                                                                                                                                                                                   

Die Beschäftigung mit dem Gehirn ist manchmal mühsam, aber immer lohnenswert!

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26. Juni 2023              Am Ende ist es wieder keiner gewesen!

Tatsächlich hat ein Mensch von der AfD eine Landratswahl gewonnen - während Politiker, Journalisten und andere Redner in Talkshows noch debattierten und mantramäßig wiederholten, dass Umfragewerte meistens schlechter ausfallen, als die Wirklichkeit ist, hat dieweil ein Mitglied dieser unsäglichen Partei den Marsch durch ein paar Institutionen einfach gemacht und besagte Umfragewerte in eine Sch...-Wirklichkeit einzementiert. Wundern darf einen das ja irgendwie nicht, da sich gerade viele Länder in Europa  nach rechts bewegen. Wer im Geschichtsunterricht ein wenig  aufgepasst hat, weiß auch, wohin das führt. Und so, wie ich den Laden kenne, ist es am Ende dann wieder keiner gewesen ...                                                                                                                                                              Ich bin mittlerweile ein modern sozialisierter Mensch. Ich höre schon meine innere Stimme mahnen: "So darfst Du doch nicht schreiben. Schön sachlich und ruhig bleiben. Du kannst doch nicht einfach so drauflosreden! " Warum eigentlich nicht? Pfeif auf die innere Stimme. Ich werde ein Schild an meine Haustür hängen:               "Wer rechtsextrem wählt, bleibt draussen." Sie finden das undemokratisch? Ich nicht.                                                                                                               Copyright: M.E.Booms                                                                                                                                                                                                                                                               Irgendwer hat einmal gesagt: "Wer everybodys darling sein möchte, ist am Ende everybodys Depp." Übertragen heißt das: Auch Demokratie kennt Grenzen; nämlich die, die eine extreme Partei durch ihre Politik in Theorie und Praxis selber zieht.                                      Marlene Dietrich hat auf die Frage, wie sie der Ideologie der Nazis widerstanden habe, mit einem Wort geantwortet: "ANSTAND!"             Genau dort liegt die Grenze!

Ach ja, ich habe vergessen zu sagen: Ich bin ziemlich wütend.

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6. Juni 2023                     Erheiternder Sprung aus dem Fenster

In der vergangenen Woche berichteten verschiedene Medien von einer Schule im Sauerland, die mit überraschend viel Erfolg die Smartphones der Kinder aus dem Unterricht verbannt hat: morgens werden die Dinger von den Lehrern eingesammelt und erst nach Schulschluss wieder an ihre Besitzer ausgeteilt.
Für diese Maßnahme gab es gute Gründe: z. B. die mangelnde Aufmerksamkeit (beziehungsweise ständige Abgelenktheit) der Kinder im Unterricht sowie die Verrohung in den Pausen auf dem Schulhof (z. B. wurden Schlägereien von Kindern gefilmt und ins Netz gestellt!).

Da man Kindern ihr Smartphone heutzutage nicht einfach mittels Vorschrift wegnehmen darf, musste die Schulleitung zuerst Eltern und Schüler auf freiwilliger Basis für diese Maßnahme gewinnen. Das ist ihr erstaunlich gut gelungen. Die Eltern waren möglicherweise ganz froh, dass die den Kampf mit ihren medial herumkurvenden Kindern nicht täglich daheim vor der Schule ausfechten mussten.
Aber auch bei der Überzeugung der Schüler waren die Lehrer verblüffenderweise erfolgreich: 95% der Kinder erklärten sich bereit, ihr Smartphone morgens in der Schule abzugeben – damit sie sich nicht ablenken können und im Sozialbereich nicht verrohen (s.o.!)!

Und das erinnert mich nun an die Dressur-Geschichte mit dem Welpen:
Ein Hundebesitzer will seinem jungen Hund beibringen, dass er nicht „auf den kostbaren Teppich machen darf“. Also wirft der Besitzer den kleinen Hund jedes Mal, wenn er sich danebenbenommen hat, kurzerhand aus dem Fenster (was ich persönlich abscheulich finde!). Das kleine Tier ist gelehrig und versteht schon nach kurzer Zeit, was sein Herrchen will: der Welpe "macht auf den Teppich" und springt anschließend entgegenkommend von allein aus dem Fenster.


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26. Mai 2023                         Es ist das Bewusstsein ...

Ich stehe auf einem Parkplatz und unterhalte mich mit einem netten Menschen. Neben mir fährt mit Rasanz ein schnittiger Wagen auf den Platz und parkt ebenfalls. Dem edlen Gefährt entsteigt ein eleganter, älterer Herr und grüßt jovial herüber. Mein Gesprächspartner grüßt zurück und sagt zu mir: „Ein ehemaliger Fahrlehrer.“ Aha, das erklärt einiges.

Wenig später sehe ich den schnittigen Herrn mit dem schnittigen Wagen ein paar Meter weiter und bekomme mit, wie er mit einer älteren Frau spricht. „Hallo, na, auch unterwegs?“ klingen seine Worte kraftvoll und gut hörbar über den Platz. „Ja, noch geht es ja,“ antwortet die ältere Dame. Unverblümte Frage des Mannes: „Wie alt sind Sie denn nun?“ „Ich werde 90 - und ich fahre noch Auto,“ informiert die solcherart Gefragte nicht ohne Stolz in der Stimme, aber auch mit dem Unterton: „Uff, war eine ganz schön lange Strecke, hätte ich gar nicht gedacht.“ Woraufhin der flotte Autofahrer mit Siegerstimme kurz und knapp seine Messdaten in den Ring wirft: „92 Jahre!“ Die Frau antwortet etwas realistisch: „Solange es mit dem Autofahren noch geht, ist es ja gut ...“ „Na klar geht das. Nun werden Sie mal nicht pessimistisch! Warum sollte es nicht gehen?“ antwortet der Ex-Fahrlehrer kernig und verabschiedet sich: „Schönen Tag noch.“

Beim Weitergehen denke ich so: Auch keine schlechte Einstellung, sich einfach öfter mal zu sagen: „Na klar, warum sollte es nicht gehen?!“

Ich nehme mir vor, wenn ich mal verzagt bin, an den rasanten Ex-Fahrlehrer zu denken, der mit seinen 92 Jahren diesen perfekten Dreiklang hinbekam zwischen Einparken in einem Zug, Aufmuntern einer Skeptikerin und unerschütterlichem Vertrauen in die Zukunft.

„It is your mind, that creates this world“ – „Es ist dein Bewusstsein, das diese Welt erschafft.“
Eine Weisheit Buddhas, durchaus des Nachdenkens wert – übrigens in vielerlei Hinsicht!


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28. April 2023                      In Brand gesetzt

Vor ein paar Wochen in der Kindersingstunde: ich könnte mit den Kindern erstmal ein paar Frühlingslieder singen. „Alle Vögel sind schon da“ – Fehlanzeige. „Im Märzen der Bauer“ – Fehlanzeige. „Grüß Gott, du schöner Maien“ – Fehlanzeige.
Ich stellte fest: die Kinder kennen keine Frühlingslieder. Entgegenkommend schlagen sie mir vor, gerne „Atemlos durch die Nacht“ mit mir zu singen. Das war mir dann allein vom Titel her schon zu ungesund. Aber ich habe es mir bereitwillig von den Kleinen vorsingen lassen. Die Melodie musste ich erahnen, der Text verebbte nach den ersten drei Zeilen. Nein, nein, es geht mir nicht um Leistung, wohl aber um reihenweise brachliegende Begabungen! Kinder können wunderbar singen! Aber nur, wenn sie es an anderen sehen, fühlen und hören. Radio reicht nicht.

Ich bin innerlich ein wenig widerständig: warum lernen die Kinder keine (Frühlings-) Lieder mehr?  Jeder, der mit Kindern zu tun hat, weiß, wie rasend schnell sie lernen. Das hat die Natur fantastisch eingerichtet! Warum nutzt man diese unfassbaren Ressourcen nicht?! Und lehrt die Kleinen u. a. komplette Lieder richtig singen?!!! Und Gedichte - alte und neue - spannend rezitieren! Theaterstücke mit richtig tollen, ausgiebigen, starken Rollen ausdrucksstark spielen?! Man sollte Kinder nicht lediglich atemlos durch die Nacht juchtern lassen - mit 3 Textzeilen, viereinhalb Melodiefetzen und einem Soundtrack im Hintergund, der alles eigene Können und Tun unnütz erscheinen und verkümmern lässt.                                                                                                                                                                                                           Was sollen die Kinder 80 Jahre später singen, wenn ihr Verstand vielleicht von Krankheit zerstört wird und sie zum besseren Lebensgefühl wenigstens noch mal ein paar alte Lieder singen könnten – und dann ist die dafür zuständige geistige Vorratskammer im Oberstübchen leer! Da wären Lieder und Gedichte abrufbare Erinnerung an ihre Lebensgeschichte und Teil derselben - wenn sie schon lange niemanden aus ihrem Leben mehr erkennen können.                                                                                                                                                                         Naja, wenn sie Glück haben, gibt es in 80 Jahren ein Medikament gegen den Totalausfall im Gehirn.

Ich beschließe, mit den Kindern ein paar Frühlingslieder zu lernen. Einmal 5 Minuten anständig durchgeübt und es sitzt (auch 8 Tage später noch!).  Also übe ich „Im Märzen der Bauer“, 1. Strophe: Singe vor, lasse nachsingen, erzähle mit den kleinen Sängern vom Leben auf dem Bauernhof – nochmal singen, fertig. Möchte jemand mal vorsingen? Na klar, die meisten wollen vorsingen, das ist ganz nebenherlaufend ein sehr guter Wiederholungsdurchgang für alle.                                                                                                                                                       Eines der Kinder stellt sich hin und schmettert los: „Im Märzen der Bauer die Rösslein einspannt. Er setzt seine Felder und Wiesen in Brand!“ Ich muss mich vor Lachen schnellstens umdrehen, öffne das große Fenster. „Frau Booms, warum öffnen Sie das Fenster, es regnet.“ „Stimmt, ihr habt recht. Ich mach das Fenster wieder zu.“ Noch einmal Zeit, um mich zusammenzureißen. So, und jetzt kann ich mich in Ruhe mit den Kindern darüber unterhalten, was „instandsetzen“ heißt. Kein Kind kennt so ein Wort - also singt es einfach nach, oder biegt sich den Text so zurecht, dass das Lied aus Worten besteht, die es kennt. Dabei geht der Sinn dann schonmal über die Klippe …

Ich habe den Kindern den Vorgang des Instandsetzens offenbar so gründlich erklärt (mit Wortfeldern, tolle Methode!), dass eine Mutter mir wenig später mitteilte, ihr Kind räume sein Zimmer neuerdings nicht mehr auf, sondern „setze es instand“.

Tja, Singen bildet und macht eloquent!

PS: Das Argument mit dem "alten Text" bei alten Volksliedern stimmt auch nur bedingt: in der Presse und im Rundfunk ist mir heute mindestens 4 mal das Wort "Wonnemonat" begegnet. Ohne " ". Und ich dachte, solche Vokabeln wären out. Und die alten Lieder mit den wirklich blöden Texten kann man ja weglassen (die gibt es auch).



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Ostern 2023                                   Mittendrin!

Vor Jahrzehnten erlebt – und immer wieder Ostern muss ich daran denken:

Es war bei einer befreundeten Familie. Nach dem österlichen Kaffeetrinken ging es draußen an’s Osternest suchen. Für jeden war ein ganzes Osternest versteckt. Und da das immer die Jungen der Familie übernahmen, waren die Verstecke anspruchsvoll bis abenteuerlich. Da musste man schonmal auf Dächer von kleinen Gartenlauben oder auf Bäume klettern, auch schon mal ins Unterholz kriechen oder die Uferböschung vom Gartenteich hinunter. Es waren immer Ereignisse mit viel Vergnügen, Gelächter und Kletterei.

Die gute Laune aller Beteiligten und die Erfolgsmeldungen beim Ausheben eines Nestes muss auch die Jüngste bemerkt haben: sie saß dieweil im Sandkasten, der mitten im Garten stand und bekam zusehends schlechtere Laune. Für sie hatte keiner ein Nest versteckt! Dabei wollte sie doch auch so gerne Ostereier, wie sie allen lautstark mitteilte! Mitten im Sandkasten thronend verfolgte sie aufmerksam das Geschehen um sich herum und quengelte.
Leider vergaß sie dabei völlig, einmal im Sandkasten um sich zu schauen. Da sie zum Klettern viel zu klein war, hatten die Jungen ihr nämlich den Sandkasten liebevoll mit Ostereiern geradezu ausgelegt – in Eimerchen, auf Schüppchen, in kleinen Pöttchen, im Sand verbuddelt oder auch einfach nur auf dem Sand drappiert. Sie saß förmlich mittendrin in einem Riesen-Ostereier-Nest! Und quengelte!
Alles Reden half nichts; auch, dass wir ihr die Ostereier um sie herum zeigten, nützte nichts! Sie war so sicher, dass alle anderen es besser hatten als sie, dass sie den Segen um sich herum einfach nicht sehen konnte und wollte.

Wie oft denke ich, dass sich da auf heitere Weise ein zutiefst menschliches Problem offenbarte:
wir schielen auf die anderen, quengeln, sind traurig, fühlen uns vom Leben benachteiligt, von Menschen vernachlässigt … und sind geradezu blind für den Segen, mit dem wir selbst reich beschenkt sind.                                                                                                                       Vielleicht war die Kleine im Sandkasten aber auch einfach nur sauer, weil sie fand, dass sie es zu leicht hatte?

Suchen Sie das Gute nicht zuerst auf Dächern, Bäumen, an Uferböschungen und  bei allen anderen … Sie könnten das Schönste verpassen! Und genießen Sie es, wenn es Ihnen gerade gutgeht. Anstrengende Zeiten kommen irgendwann von ganz allein. Man sollte sich vielleicht nicht jederzeit und um jeden Preis danach drängen.

FROHE  OSTERN!


 

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28. März 2023                           Kultur-Schock

Tatsächlich – auch das Internet kann einem sehr unerwartet erholsame, entspannende und wohltuende Momente bescheren. Nach Stunden anstrengender Schreibtischarbeit, bei der abschließenden Suche nach einer guten Interpretation eines Musikwerkes fällt mein Auge wohlwollend auf den Titel zu einem Video – nicht das, was ich suche, aber meine Neugier weckend.

Da hatte doch ein Schweizer Musiker die Idee, im Schweizer Nationalrat einen Flashmob zu veranstalten. Ein richtig gutes Ding mit einem tollen Chor. Letzteren hat er nur mit Wissen des Nationalratspräsidenten und der Sicherheitskräfte ins Hohe Haus geschleust, getarnt als Journalisten und Touristenführer. Der Nationalratspräsident ließ sich in seiner Rede zum Abschluss der Legislaturperiode tatsächlich von einer Sängerin unterbrechen, deren erste Liedzeile von einem anderen Sänger beantwortet wurde, woraufhin dann zur Verblüffung aller Politiker der Nationalrat plötzlich umringt war von einem echt klasse singenden Chor.
Man sieht es den Gesichtern an: keiner wusste etwas. Man sieht es auch daran, dass etliche gleich smartphone-aktiv wurden.
Schön demokratisch sang der Chor gleich mehrere Lieder in den verschiedenen Landessprachen.
Warum das alles? In einem Interview erklärte sich der Organisator: er wollte die Politiker nur mal an die Kultur erinnern, deren Erhalt sie ja mit ihren Entscheidungen auch beeinflussen – so oder so.
Da wollte er das Kulturgut wahrscheinlich sicherheitshalber zur Erinnerung gleich mal hintragen.

Und jetzt stelle ich mir das Ganze in unserem Bundestag vor. Wie weit wären die Sänger auf ihrem Weg in den Bundestag gekommen? Naja, das ist auch keine leichte Entscheidung, einfach mal Menschen, die sich als Chor deklarieren, durchzulassen – und das meine ich ernst. Wenn ich allerdings an die 1000 Formulare für den Vorgang denke, die erst erfunden, entwickelt, angefertigt, ausgefüllt, eingereicht, geprüft, gegen-geprüft, digitalisiert, weitergeleitet, diskutiert, auf Wiedervorlage gebracht, variiert, erweitert, beantwortet und bestätigt werden müssen, wird mir schon wieder ganz schwummerig. Bis dahin wäre der Chor möglicherweise schon mumifiziert ...

Und wenn die Sänger dann - wider Erwarten - nach allen Formularen und Sicherheitshürden drin gewesen wären: im Vergleich zu den Schweizer Politikern (siehe Video unten): was hätten die Gesichter unserer Politiker mitgeteilt? Hätten unsere Volksvertreter 6 Minuten lang Zeit, Ruhe, Muße, Aufmerksamkeit und Freude gehabt? Auch wenn das vielleicht nicht ihre Musik gewesen wäre …
Ich gestehe: die Gesichter mancher Leute hätten mich echt interessiert.

Ach ja, eh ich’s vergesse: für den Chor gab es palarmentarische Standing Ovations.

So, und jetzt ist für alle, die gerade Lust und Zeit haben, wieder tea-time:  "Flashmob im Nationalratssaal"     (auf YouTube)


 

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20. März 2023                           Hammerhai-Babys

In der Kindersingstunde: ich ermuntere eine kleine Sängerin, den Mund beim Singen weit aufzutun und immer tief Luft zu holen, damit der Ton, den sie singt, auch leben kann. Und wenn das mit den Liedworten noch nicht so gut gehe, sei das nicht schlimm – das würde schon mit der Zeit. Hinter ihr säßen ja die älteren Sängerinnen und unterstützten sie kräftig. Die Kleine schaut mich treuherzig an und meint: „Ich kann viel besser singen, wenn Katharina neben mir sitzt. Ehrlich.“                                                                                                                  Während ich noch Luft hole, sitzt einen Lidschlag später schon die Große neben ihr; sie ist sehr kinderlieb.
Und nun erlebe ich, dass die Kleine beim Singen unentwegt zur Großen aufschaut – und perfekt alles nachmacht, was sie hört und sieht. Ich bin da nur die absolut nebensächliche Klavierbegleitung.

Das erinnert mich an eine Reise nach Stralsund vor 30 Jahren, bei der ich auch das Meeresmuseum dort besichtigte: es war damals in einer entwidmeten Kirche untergebracht – was schonmal an sich sehr beeindruckend war. In einem riesigen Wasserbecken sah ich einen Hammerhai schwimmen - mal Runden, mal Zickzack, mal Schlangenlinien. Ca. 40 cm unter Mama Hai schwamm Baby Hai exakt kongruent zu seiner Mutter. Jede Regung, jede Wendung, jede Linie schwamm das kleine Tier perfekt ohne irgendeine Verzögerung und ohne jeden Irrtum mit. Wenn Mama Zick-Zack schwamm, dann zackte der Kleine mit, als wenn nichts weiter wäre. Ich hätte zu gerne gewusst, ob sie sich verständigen und wenn sie es tun, auf welchem Weg. Die Natur ist echt hinreißend.

Und als ich nun sah, wie die kleine Sängerin unentwegt die große Sängerin anschaute und alles mitmachte, wie diese es tat, dachte ich: „Wie beim Hammerhai-Baby. Und am Ende können sie schwimmen, äh singen."                                                                                                  Schon die Große hatte vor 10 Jahren auf diese Weise wunderschön singen gelernt.

Ich musste aber auch an die vielen Eindrücke denken, die ich im Alltag wahrnehme: Mütter, die einen Kinderwagen schieben und währenddessen unentwegt auf ihrem Handy herumdaddeln; so, als schöben sie Leergut vor sich her und nicht ein kostbares Menschenkind, mit dem sie reden, lachen oder singen und es anlächeln können.
Und ich denke an die vielen Kinder, die vor Computern und Fernsehern „abgeparkt“ werden. Wie viele Entwicklungsmöglichkeiten gehen da verloren oder komplett in eine falsche, gefährliche Richtung.

Man kann doch von so einer Hammer-Hai Familie einiges lernen.


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7. März 2023                          Es ist schwer, ein Volk zu verstehen

Weil Russland einen z.Z. ja doch ziemlich beschäftigt und weil ich in dem Bereich nicht so viel „auf dem Schirm habe“, las ich ein Buch über die letzten ca. 100 Jahre der russischen Geschichte.
Also, das ist schon erschütternd. Ich meine, ich wusste, dass die Oktoberrevolution blutig war, dass die Deutschen mit ihrem Feldzug grauenvoll entsetzliches Leid über die (nicht nur) russischen Menschen gebracht haben, dass Stalin ein Massenmörder war, nach dessen Gewaltherrschaft jede Familie im Land Opfer zu beklagen hatte … und über all die Jahre, heute wieder mehr denn je, wurde und wird Stalin auch nach seinem Tod im Volk verehrt. Obwohl man in Millionenzahl willkürlich auf Jahrzehnte in Arbeitslager verschleppt wurde, enteignet oder einfach standrechtlich erschossen wurde … Ganz, wie der Diktator Lust und Laune hatte …

Betrachtet man in Summe all diese 100 Jahre „am Stück“, wird mir relativ sachlich bewusst, dass dieses Volk seine besten Jahre hatte, als Gorbatschow an der Macht war: keine politisch gewollte Hungerkatastrophe, sich entwickelnde Meinungsfreiheit, keine Galgen auf den Straßen, kein Krieg, leidlich genug zu essen ...                                                                                                                                                              Wie kann ein Volk, das gnadenlos ausgehungert wurde, weil ein Diktator Stalin  in seiner Schreckensherrschaft die Wirtschaft umstrukturieren wollte, daran scheitern, dass mit Gorbatschows Macht die Wirtschaft einbrach? Mit Gorbatschow wäre Verzicht und Verlust, aber kein Verhungern gewesen. Und irgendwann hätte die Wirtschaft sich erholt.                                                                                       Wie kann ein Volk, dessen Menschen in Mengen unter der Terrorherrschaft eines Stalin wahllos sogar für gar nicht gesprochene Worte exekutiert wurden, gegen einen Präsidenten Gorbatschow murren, der die freie Meinungsäußerung fördert?
Und wie kann es eine so hohe Anzahl von Stalin-Verehrern geben; trotz offizieller Veröffentlichung der zahllosen Verbrechen Stalins?     Kann denn ein ganzes Volk das für Propagandalüge halten?                                                                                                                                  Merkt man denn gar nicht, wenn mit dem Tod eines Diktators weit weniger Menschen verschwinden und keine Menschen mehr standrechtlich auf der Straße erschossen oder aufgehängt werden?

Gibt es eine kollektive Veranlagung zum Unglücklichsein? Sehnt ein Volk sich nach 100 Jahren Ausbluten, Angst und Schrecken nicht einfach mal nur nach Freiheit, Frieden, Wärme, genug Essen und Angstlosigkeit?
Und dann meckern diese Menschen über Gorbatschow. Wer kann mir so etwas erklären?

Und ich denke an die vielen wunderbaren Musiker, Dichter, Maler und Architekten Russlands –  es ist schwer, ein Volk zu verstehen.


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5. März 2023                                  Kinder lieben Mozart

Da sitze ich in einer Singstunde mit Kindern – ein Teil meiner Arbeit, den ich sehr liebe! – und mir wird zunehmend schlecht und schlechter. Es liegt an dem entzückenden 7-jährigen Mädchen, das neu in den Chor gekommen ist. Die überaus temperamentvolle Kleine kann noch nicht schnell genug lesen, um die Strophen eines Liedes sofort fließend abzulesen; der Refrain geht, aber dazwischen liegen eben langweilige Strophen …                                                                                                                                                                                          Um diese Langeweile zu überbrücken, macht die Siebenjährige Bewegungsprogramm: auf dem Stuhl mit dem ganzen Körper pausenlos weit ausholend schwingt sie hin und her und gleichzeitig rauf und runter (Kinder können so etwas) – sie schaukelt sich sozusagen von Refrain zu Refrain. Wie soll (bzw. warum sollte) ich soviel Elan bremsen? Trotzdem: ich komme mir vor wie bei einer Hochseefahrt.

Um der kleinen Sängerin ein wenig entgegenzukommen, schwenke ich spontan und ohne Ansage auf Mozart's „Halleluja“ um; „Halleluja“ ist kein langer Text, Halleluja geht immer. Und da passiert’s: die Kleine, als hätte sie Sprungfedern in den Füßen, ist, schneller als ich gucken kann, mit zwei riesigen Sprüngen in der Mitte des Saales und tanzt zu den einleitenden Klängen des Mozartstückes – mit leuchtenden Augen und strahlendem Lachen. Und tanzt und tanzt und tanzt ... und singt mit, obwohl sie das Stück gerade erst zum ersten Mal hört. Sie singt einfach mit den anderen Kindern, die das Mozart–Halleluja bereits in ihrem Repertoire haben. Na bitte, geht doch!
Auch mir geht es schnell besser, weil die Eierei vor meinen Augen aufgehört hat. Und glückliche Kinder machen sowas von happy.

Auch wenn diese Erfahrung wirklich erstaunlich ausgeprägt war, so habe ich sie in ähnlicher Form in 40 Berufsjahren immer wieder gemacht: Kinder lieben Mozart! Möglicherweise tragen sie irgendein Gen in sich, das ihnen – zumindest in Kinderjahren – einen Zugang zum Gen-ius Mozart öffnet. Und in den Adern der Kinder fließen wahrscheinlich Mozarts Musikwellen.
Die Kinder sitzen ermüdet in der Schule oder in einem Kurs oder im Chor? Singen oder spielen Sie Mozart.
Die Kinder sind gereizt oder ungeduldig? Mozart!
Die Kinder sind antriebslos oder traurig? Versuchen Sie es mit Mozart.

Kinder lieben Mozart. Denn sie wissen noch nicht, dass Mozarts Musik schon über 200 Jahre alt ist. Und sie wissen auch noch nicht, dass Mozart gerade gar nicht angesagt ist. Sie wissen auch noch nicht, dass Mozart nicht zu Pop, Rap oder Hip-Hop gehört. Kinder hören einfach Mozarts Musik und singen und tanzen ganz ohne Vor-Urteil einfach los.
Bis ihnen jemand (oft genug) sagt: „Mozart ist blöd / uncool.“ Dann schaltet sich das Verbindungsgen zu Mozart ab und die Mozartschen Musikwellen in den Adern der Kinder verebben.

Manche können Mozarts Musik  aufgrund sehr glücklicher Umstände in ihr Erwachsenenalter retten.  Diese Menschen haben einen Schatz gefunden und sind als unendlich reich zu betrachten.

Übrigens: Gönnen Sie sich doch einfach gerade zwischendurch etwas Gutes - eine Tasse Kaffee oder Tee und 3 Minuten Zeit:



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10. Februar 2023                           Ich schlage dich!

Das Leben ist gefährlich; es können einen unvermittelt jede Menge Schläge treffen, z.B. Ratschläge. Wie oft habe ich das in den letzten Wochen wieder lesen oder hören müssen! Diese – oft mit Grabesstimme vorgetragene – Erläuterung: „Auch Ratschläge sind Schläge.“ Oder gar die Aufforderung: „Hör mal in das Wort Rat-schläge hinein!“

Ich höre nicht nur in das Wort hinein, sondern ich durchforste sogar mein Gehirn intensiv nach bisher unentdeckten Schädigungen im Sektor für logisches Denken, um diese Leute zu verstehen: An sich, so ganz für sich genommen, ist ein Ratschlag zunächst mal positiv. Ich mache jemanden auf eine Lösung oder Alternative aufmerksam. Wenn man nun diese Menschenfreundlichkeit besitzt, so etwas zu tun, warum sollte man zugleich so sadistisch sein, jemanden mit eben dieser Lösung oder Alternative zu schlagen??? Das ist doch ein totaler Widerspruch – der aber -zig Leute nicht davon abhält, mir oder anderen oder gleich der gesamten Menschheit mit aufreizend wichtiger Stimme und Betonung mitzuteilen, dass Ratschläge "eben auch Schläge sind".

Nachdem ich mir also mein Gehirn über diesen offensichtlichen Widerspruch zermartert habe, hat es mir Folgendes rückgemeldet:
„Der Fehler sitzt nicht bei mir. Schlag (!!!) mal bei Wikipedia nach, woher das Wort Rat-schlag überhaupt kommt. Es hat rein gar nichts mit schlagen im Sinne von hauen und prügeln zu tun.“ Ich habe diesen Rat(schlag) meines Gehirns befolgt und mal bei Wikipedia nachgelesen. Und ich kann das nur jedem dringends weiterempfehlen! Der alte Begriff kommt von Menschen, die "einen Kreis geschlagen", also sich im Kreis zusammengesetzt haben - allerdings nicht, um sich gegenseitig abzuschwalben, sondern um über ein Thema zu beraten und sich auf diese Weise geistig zu bevorraten.

Ich persönlich mag es ja, wenn man mir Ratschläge gibt. Ich komme mir da keineswegs dumm vor: Ratschläge bereichern mein Leben, regen mich zum Nachdenken an und bringen mich auf Dinge, an die ich noch gar nicht gedacht habe. Das empfinde ich alles als sehr positiv! Aber wie so oft im Leben macht es wahrscheinlich auch hier die Dosis: wenn man zu viele Ratschläge bekommt, kann einen das schon mal anstrengen.

Nun habe ich allerdings an die Ratschlag-Bedenkenträger noch die geringfügige Frage, wie sie mit anderen bedrohlichen Worten dieser Art umgehen:
-  Darf man ihnen z. B. überhaupt einen Vor-schlag machen?
-  Wie fühlen sie sich, wenn sie etwas nach-schlagen müssen?                                                                                                                                 -  Schlagen solche Menschen auch mal ein Buch oder ein neues Kapitel in ihrem Leben auf, ohne sich gleich selbst zu verletzen?
-  Und wie bedroht fühlen sie sich gar von Kindern, wenn sie sehen, wie diese ein Rad schlagen?                                                                          -  Was empfinden sie, wenn ihnen z.B. ein in Redewendungen beschlagener Mensch gegenübersteht?                                                                 - Wohin fliehen sie, wenn Ereignisse sich überschlagen?                                                                                                                                                 -  Wie haben sie in der Schule das Erlernen des Überschlagrechnens durchgestanden?                                                                                            - Wie stehen sie zu ihrer Hauptschlagader und wie ertragen sie überhaupt ihren Herzschlag?                                                                           

Tja, wer weiß, womöglich ist pausenlos Gefahr im Verzug, dass man unversehens eine runtergehauen bekommt ...

So, und jetzt bitte ich mal darum, diesen Blog-Eintrag vielfältigst weiterzuleiten, damit der Blödsinn von rücksichtslos um sich schlagenden Ratgebern endlich einmal aufhört!


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19. Januar 2023                         Auf zu neuen Ufern!

Es scheint am neuen Jahr zu liegen: mich hat ein Anfall von Aufräum- und Wegwerfwut heimgesucht. Ein solcher Anfall kündigt sich derart an, dass man eines Morgens aufsteht, eigentlich gar nichts Besonderes vorhat und zu seinem eigenen Erstaunen feststellt, dass man einen großen, leeren Karton ins Zimmer stellt. Und dann geht es los: Schublade für Schublade, Schrankfach für Schrankfach wird durchforstet. Unfassbar, was man alles nicht mehr braucht! Von Minute zu Minute werde ich mutiger. Manches ringe ich mir ab, manches „lege ich erst mal zur Seite“ – muss ich später nochmal drüber nachdenken, - ach, eigentlich kann es weg! Zack. Ein Blick in den fast vollen Wegwerfkarton spornt an. Und der Blick in die halbleeren Schrankfächer und Schubladen auch.                                                                      Auf ins nächste Zimmer.

Ich vermute, dass Frauen zu solchen Unternehmungen mehr neigen als Männer. Ich glaube, für Frauen hat eine solche Aufräumaktion dieselbe Wirkung wie ein Friseurbesuch mit weithin sichtbarem, neuen Haarschnitt: „Auf zu neuen Ufern!“ Ich vermute auch, dass mein Unterbewusstsein schon seit zwei Monaten wusste, dass eine solche Wegwerfaktion größeren Ausmaßes mal ansteht. Aber es hat rücksichtsvoll abgewartet, um den weihnachtlichen Frieden und die Festtagsruhe nicht zu gefährden.

Als ich nach drei durchgeräumten Zimmern mit Wonne über meine Notenschränke und Bücherregale herfalle, wird mir klar, dass es ein besonders gründlicher Anfall von Wegwerfwut ist. Noten und Bücher ausmisten – das geht ans Eingemachte und kam bisher noch nie vor.
Aber meine Energie und Entschlossenheit sind ungebrochen …

Nach einer Woche atmet das Haus auf, es fühlt sich erheblich leichter. Wo man hinschaut, nur noch halbvolle Schränke, keine quer obenauf liegenden Bücher in überfüllten Regalen mehr - und so ein Luftloch im Regal sieht auch nicht schlecht aus. Mein Mann atmet übrigens auch auf. Und ich setze mich mit einer Tasse Tee in einen der Räume, betrachte mein Werk und denke: „Hätte ich schon viel eher machen sollen!“ Ich fühle mich wie neugeboren und hochmotiviert zu neuen Projekten aller Art.

Dem bangen Blick meines verunsicherten Mannes begegne ich mit einem strahlend-triumphierenden Blick: „Toll, ne? Und das war erst der Anfang!“ 


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15. Januar 2023                     KEINE ZEIT!!! ?

Ich kann nur sagen: Autofahren bildet – wenn man die richtigen Sender im Autoradio einschaltet.

In der einen Sendung hörte ich vom Zeitforscher Karl-Heiz Geißler, der jahrzehntelang ohne Uhr lebte. Zum Beispiel wusste er auch ohne Uhr, wann die Vorlesung, die er hielt, zuende war: wenn die Studenten unruhig wurden. So etwas schärft die Wahrnehmung.

In einer anderen Sendung hörte ich ein Interview mit einem Syrer: ein Hochschullehrer, der 2015 nach Deutschland geflüchtet war. Er erzählte, dass von seinem Wohnort alle halbe Stunde ein Zug nach Hannover fährt. Wenn er dorthin muss – und das muss er oft – schaut er nicht auf die Uhr, sondern geht einfach zum Bahnhof und wartet, bis so ein Zug kommt; er wartet gerne. Warten ist für ihn „geschenkte Zeit“! Und er bestaunt die Deutschen aufrichtig für das, was sie an Terminen alles in EINEN EINZIGEN Tag reinpacken.

Mir fiel eine alte Frau ein, die mich die Dämmerstunde lehrte: jene halbe Stunde Innehalten, wenn der Tag in den Abend übergeht, wenn die Dunkelheit sich über das Land legt. Und ich habe dabei eine wunderbare Erfahrung gemacht: wenn man eine halbe Stunde lang ohne elektrisches Licht einfach NICHTS tut, hört oder redet, nur hinausschaut und eine Tasse Tee trinkt, ist man danach erfrischt und munter für den ganzen Abend. Eine ganz andere Lebensqualität, die ich da erfahre.

Ich denke an Menschen, die sich bei mir beschweren, weil ich im Gottesdienst „so viele Strophen singe“ (macht ihn 5 Minuten länger!) – und die in null,komma,nix satte 15 Minuten an ihrem Smartphone mit Filmchen verdaddeln.

Und dann fällt mir noch dieser riesengroße Unterschied ein zwischen Kairos und Chronos:
Beides hat mit dem Augenblick, mit der Zeit zu tun. Und doch liegen Welten dazwischen. Als Kairos bezeichnen wir den „schicksalhaft günstigen“ Augenblick. Chronos ist der geplante, abgemessene  Zeitpunkt / Augenblick – egal, ob günstig oder nicht.                                    Kairos – das ist der Augenblick, in dem die Dinge ganz ungeplant toll laufen, wie es besser nicht geht und ich anschließend sage: „Perfekt! Das hat so sein sollen.“
Chronos ist der Augenblick, von dem ich sage: „Die Uhrzeit hat gestimmt, der Rest nicht. Noch fünf SOLCHE Augenblicke, pünktlich und geplant, und ich beende den Tag auf der Stelle!“

Vielleicht sollten wir die Zeit nicht ständig sparen, nicht einteilen (TAKTEN!!!), nicht verlieren, nicht vertreiben!, nicht totschlagen!!!  – sondern sie einfach neu entdecken. Als etwas, das sowieso immer um uns ist. Und das wir mit echtem Leben füllen können, aus dem dann schöne Erinnerungen werden.

Ach ja, übrigens: Mir hat mal jemand gesagt "Zeit ist eine Sache des Herzens". Das hört sich als Sentenz ja ganz schön an - kann einen anderen Menschen aber richtig unter Druck setzen. Viele Menschen haben wirklich viel Arbeit und Verpflichtungen, aus denen sie gerade nicht herauskönnen. Ihnen wünsche ich erst recht ein wenig kostbar gefüllte Zeit für sich selbst!



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Neujahr 2023                             Mitten im größten Chaos                                               

Ich gehöre zu den Menschen, die sich über einen liebevoll und festlich gedeckten Tisch immer sehr freuen. Deshalb habe ich mir wahrscheinlich auch eine Spielszene gemerkt, die ich vor Jahren mal in einem Theaterstück sah. (Bitte klicken Sie nicht gleich weiter, wenn Sie merken, dass Jesus einmal in dem Stück vorkommt).

Eine Frau kommt müde von der Arbeit nachhause und findet einen Brief vor, in dem steht, dass Jesus sie heute besuchen kommen möchte. Ach du liebes bisschen! Und wie sieht das hier aus!!! Sie lässt die Tasche fallen, und legt, noch in Hut und Mantel, hektisch mit dem Aufräumen los: Bücher weg, Zeitungen zusammenlegen, Handarbeitssachen in den Korb, den Pullover auffalten … benutzte Gläser in die Küche bringen …                                                                                                                                                                                                              Plötzlich klingelt es: der fliegende Händler mit dem Bäckerei-Auto steht vor der Tür. Sie will ihn gleich wieder wegschicken, als ihr einfällt, dass sie Jesus ja etwas zu essen anbieten muss. Also schnell ein wenig Kuchen gekauft. Weitermachen! Wie sieht denn der Teppich im Wohnzimmer aus! Während sie den Staubsauger ins Wohnzimmer zerrt, klingelt es schon wieder. Schnell öffnet sie die Tür und denkt gleichzeitig: Ach ja, der Mann von den Wasserwerken wollte ja den Zählerstand ablesen… „Ich habe keine Zeit“, ruft sie in die geöffnete Tür. „Bringen Sie Blumen für den Kaffeetisch mit, oder kommen Sie morgen wieder, ich habe keine Zeit, ich habe gerade erfahren, dass ich wichtigen Besuch bekomme.“ Der Mann verschwindet – und steht wenig später wieder mit Blumen im Wohnzimmer, wo sie inzwischen gesaugt hat. „Wo haben Sie die denn her?“ fragt sie entgeistert. „Na, unten an der Ecke steht doch immer der Blumenmann. Ich habe noch ein wenig Zeit. Was muss denn noch getan werden?“ „Das Klavier und die Anrichte abstauben. Ich richte inzwischen die Gästetoilette her,“ antwortet die Frau und verschwindet. Im Laufen kickt sie mit dem rechten Fuß noch eben die Wohnungstür zu.                                           Nur schnell weitermachen, vielleicht schafft sie es noch. Was soll denn Jesus von ihr denken, wenn die Wohnung so aussieht!
Sie hört, wie der Mann in der Küche das Geschirr in die Spülmaschine räumt. Die Frau angelt noch schnell frische Handtücher aus dem kleinen Hochschrank und hängt sie auf – so, fertig. Sie läuft in die Küche – auch dort sieht jetzt alles ziemlich ordentlich aus.                        Sie dankt dem Mann, gibt ihm das Geld für die Blumen und entschuldigt sich: „Es ist immer so schwer, alles unter einen Hut zu kriegen: Haushalt, Job, die Betreuung meiner alten Eltern, mein Vater liegt liegt schon seit 6 Wochen im Krankenhaus, diese Sorge, meine eigenen Arztbesuche und alle anderen Termine, ständig ist irgendetwas, heute musste ich das Auto aus der Werkstatt holen … Vielen Dank für Ihre Hilfe. Jetzt vergessen Sie nur nicht, den Zählerstand abzulesen, sonst sind Sie ja völlig umsonst gekommen.“ „Nein, nein, keine Sorge,“ antwortet der Mann freundlich.                                                                                                                                                                                     Aber die Frau läuft schon total abgekämpft und geistesabwesend zum Fenster, um hinauszusehen. „Jetzt kann er von mir aus kommen, dieser Jesus.“
„Ich bin doch schon da,“ antwortet der Mann, der immer noch in der Diele steht.

Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein gutes neues Jahr 2023 mit der vielfältigen Erfahrung, dass die Hilfe manchmal ganz nah ist - auch, wenn wir meinen, wir stecken noch im tiefsten Chaos.


Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine gesegnete Weihnacht 2022!



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10. Dezember 2022                            Achtlos            

Gestern im Gespräch: "Nein, also ich weiß so schon nicht, wie ich Weihnachten alles unterbringen soll; da schaff ich wirklich nicht auch noch einen Gottesdienst! Ich wüsste echt nicht, wo der noch zwischenpassen sollte."                                                                                                                                                                                                                                                                                           Das erinnert mich an eine Geschichte von einer großen Taufe.                                                                                                                                     Als der Gottesdienst vorüber war, legte die Mutter den Täufling daheim in einen Korbwagen und begab sich geschäftig in die Küche, um das große Festmahl aufzutragen. Nach und nach kamen fröhlich, gutgelaunt und lebhaft plaudernd auch die Gäste ins Haus. Da die Garderobe schnell vollgehängt war, legte einer der Gäste seinen Mantel achtlos auf den Korbwagen. Und wo ein Mantel liegt, liegen schnell auch fünf. Naja, recht bald hatte alles einen Platz gefunden und alles hatte seine schöne Ordnung.                                                    Man setzte sich zu Tisch und genoss ausgiebig ein herrliches Festessen - die Hausfrau hatte an nichts gespart und sich alle Mühe gegeben.  Nach dem Essen, beim Kaffee, wollten die Gäste noch einmal die Hauptperson bewundern. Schließlich waren sie ja ihretwegen alle zusammengekommen. Aber leider war die Hauptperson mittlerweile erstickt.

Dabei war sie doch der Grund für das Fest gewesen ...


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7. Dezember 2022           Was kommt eigentlich „über dem Gewicht“?

Also, jetzt war es einmal zu viel, dass ich dieses unsägliche Wort hören musste:
In einer Reportage wurde eine Gruppe „übergewichtiger“ Männer vorgestellt, die sich regelmäßig zum Fußballspiel treffen. So.

Was ist das eigentlich für ein Wort, ach, Quatsch, eigentlich müsste man sagen, was für ein „Un-Wort“, wenn nicht der Begriff „Un-Wort“ auch schon wieder ausgemachter Blödsinn an sich wäre. Was sind das für Vokabeln, mit denen wir da so 24 Stunden am Tag um uns werfen?!
Was heißt eigentlich über-gewichtig? Und wenn die starken Männer vom Fußball noch so viel Gewicht hätten, müsste es heißen: Sie sind mehr-gewichtig. Denn das Wort „Über-Gewicht“ besagt: Man ist schon längst übers Gewicht raus.  Nur: was kommt dann, nach dem Gewicht?                                                                                                                                                                                                                            Wer denkt sich eigentlich solche blödsinnigen Begriffe aus? Und warum benutzt man sie landauf, landab, ohne vor Gebrauch erstmal nachzudenken?
Es ist derselbe Blödsinn wie mit dem Wort „Unkosten“. Es gibt keine Un-Kosten. Entweder es gibt Kosten oder keine Kosten; aber es gibt wirklich keine Un-Kosten.
Die Krönung ist der Begriff „Unwort des Jahres“. Ich persönlich wäre ja dafür, das Wort „Unwort“ mal zum Unwort des Jahres zu machen. Was ist denn das für ein sinnentleertes Geklingel: „Un-Wort“! Entweder es gibt „ein Wort“ oder es gibt „kein Wort“.

Nun, man soll nicht einfach nur destruktiv herummeckern, sondern Verbesserungsvorschläge machen. Also hier meine Vorschläge:       statt „Unwort des Jahres“ könnte man treffender sagen: „Wortschrott des Jahres“ (für die zarteren Gemüter: "Wortmüll des Jahres"); statt „Übergewicht“ passt natürlich viel besser „Mehrgewicht". Und bei „Unkosten“ rate ich dringend, die Vokabel gänzlich aus dem Wortschatz zu streichen und anfallende Kosten einfach zu bezahlen. Alles andere gibt nur Ärger.


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2. Dezember 2022                             Engel im Alltag

In der vergangenen Woche habe ich drei alte Menschen - also wirklich alte Menschen - besucht, denen das Gehen richtig mühsam ist und die nicht mehr selbständig aus ihrer Wohnung hinausgehen können. Wir sitzen behaglich beieinander und erzählen uns so aus dem Alltag. Und alle drei erzählen mir unabhängig voneinander, dass ihnen ihre Taxifahrer die Treppe herunterhelfen (auch mit Rollstuhl), sie am Zielort bis in die Arzt- und / oder Physiotherapiepraxis begleiten und sie auch pünktlich wieder abholen und mit allen Mühen wieder in die sichere Wohnung bringen. Ich finde das mittlerweile richtig bewundernswert; weiß ich doch, wieviel Zeit das Ganze oft kostet und „Zeit ist Geld“, nicht wahr? Aber egal, hier wird selbstverständlich geholfen!

Ich habe den Eindruck, dass Taxifahrer leise und unauffällig zu einer nicht zu unterschätzenden Säule in der Versorgung unserer alten Menschen geworden sind. Mit Sicherheit sind sie auch ein „Beruhigungsfaktor“, denn für alte Menschen ist jeder Auswärtsgang mit vielen Hindernissen und Hemmnissen und Aufregungen verbunden. Alles will bedacht und geplant und eingetaktet werden, weil alles so mühsam und beschwerlich und zeitraubend ist. Das macht Angst. Und dann steht da der Taxifahrer hilfreich, geduldig, freundlich und zuverlässig an der Seite und macht das Ganze oft überhaupt erst möglich. Und bei wievielen alten Menschen an jedem Tag?                Müsste er nicht ... Arbeitszeit, in der er nichts verdient.

Ich widme diesen Blog-Eintrag mit großem Respekt all diesen Engeln im mühevollen Alltag unserer vielen alten Menschen!


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30. November 2022                         Frag doch einfach!

Ich stand mit einem mir unbekannten Menschen vor einem Geschäft, das in Bälde zu öffnen versprach; wir bildeten sozusagen ein Mini-Wartekollektiv und füllten unsere Zeit mit einem tagespolitischen Gespräch.
Am Ende fragte der Mann mich, ob er rein interessehalber fragen dürfe, wo ich herkäme – mein Vokabular ließe verschiedene Gegenden erkennen. Es hat überhaupt nicht wehgetan – also, ich meine die Frage, wo ich herkäme.

Ich versuche immer noch zu ergründen, warum man das in unserer Gesellschaft den anderen nicht mehr fragen darf oder soll. Klar, man soll jemanden nicht ausfragen, und ab der 3. Frage hintereinander wird aus einem Gespräch ein Verhör - aber das sind doch ganz normale Gesprächsregeln, die in jeder Situation gelten.

Neulich lernte ich eine junge Frau kennen - ihre Sprache ließ eine Heimat in einem fernen Land erkennen. Die Frage, aus welchem Land sie käme, stand wie ein Elefant im Raum, wurde aber von mir tunlichst gemieden, weil ich ja niemanden verletzen möchte. Aber wieviel Interessantes blieb ungesagt und wieviel Neues konnte ich nicht lernen - weil ich ja ständig, sozusagen auf einem gleichzeitigen 2. Gleis, mit Überlegen beschäftigt bin: Was darf ich neuerdings noch sagen, was nicht? Was darf ich heute noch fragen, was besser nicht? Was muss ich wie ausdrücken oder besser anders oder gar nicht? Worüber sollte ich besser schweigen? Aber wieviel hätte die junge Frau vielleicht gerne aus ihrer Heimat erzählt – und konnte doch annehmen, dass ich mich dafür gar nicht interessiere, weil ich sie ja nicht einmal frage, wo ihre Wiege stand und das Thema ihrer Herkunft ausgiebig, gründlich und sorgsam umschiffte.

Ich könnte natürlich ein Schild anfertigen: „Ich interessiere mich sehr für Ihre Heimat, traue mich aber nicht, danach zu fragen, weil das von verschiedenen Leuten als übergriffig und verletzend eingestuft wird. Sie können also gerne erzählen, ich bin nicht gelangweilt oder desinteressiert, im Gegenteil: ich höre Ihnen sehr gerne und sehr interessiert zu!“ Und dieses Schild könnte ich dann in solchen Situationen hervorkramen und mir um den Hals hängen; sozusagen als Gesprächskatalysator.

Meine Freundin aus Osteuropa liebt es jedenfalls, aus ihrer Heimat zu erzählen, mir Lieder aus ihrer Heimat vorzusingen und andere Menschen mit Gerichten aus ihrem Land zu verköstigen. Und sie ist ziemlich fassungslos darüber, dass ich „über solche Sachen ernsthaft nachdenke“. 

Ihre Empfehlung: "Frag doch einfach."                                                                                                                                                                  

Wahrscheinlich eine gute Empfehlung - von einer Frau, die es aus praktischer Erfahrung jetzt möglicherweise einfach mal besser weiß als wir "Einheimischen". Und vielleicht auch besser als jene, die mit ihren theoretischen Vorschriften offene, interessierte und gutartige Menschen zu Skrupulanten machen.                                                                                                                                                                           

Ich beschließe meine heutigen Ausführungen jetzt mal mit einem Tip: "Wer die Regeln kennt, darf sie brechen."                                                                                                                                                       

      

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20. November 2022           Textfundstücke vom AufräumenIch nenne es die „Flatsch-Krankheit“

Flatsch-Krankheit 1

Ich sitze als Gast an einer schön gedeckten Tafel und das Essen ist wunderbar.

 „Möchten Sie noch etwas? Bitte greifen Sie doch ruhig zu!“ ermuntert mich die Gastgeberin. Ich lehne ab: das Mahl hat mir sehr gemundet, aber was ich gegessen habe, war wirklich genug. „Schön, dass es Ihnen geschmeckt hat! Dann greifen Sie doch noch zu! Hier, für so ein wenig Gemüse ist doch immer noch Platz.“ Und – flatsch – landet auf meinem Teller, ehe ich mich versehe, eine Kelle von den diät-ignoranten, in freundlicher Butter schwimmenden Speckbohnen. „Ach, mit Kartöffelchen schmeckt das ja viel besser! Hier sind noch so ein paar kleine …  Ach, Sie sind immer so bescheiden.“ Flatsch ...

 

Flatsch-Krankheit 2

„Mögen Sie Hefeknödel?“ „Ja, sehr gerne; Hefeknödel sind eine schöne Erinnerung an die Mensa in der Musikhochschule Wien.“ „Na, das freut mich. Dann habe ich ja das Richtige für Sie.“ Die Hefeknödel schmecken wirklich ausgezeichnet – ich sitze da und genieße das Essen, ohne die Gefahr von schräg rechts hinter mir wahrzunehmen: „Ach, ich gebe Ihnen mal noch drei Stück, die Knödel sind ja so klein.“ Flatsch, flatsch, flatsch!

 

Flatsch-Krankheit 3

„Gucken Sie mal, hier ist noch so ein kleiner Rest von der Nachspeise, den mögen Sie doch sicher noch, oder?“ „Nein, danke, der Nachtisch war wirklich sehr gut, aber …“ Flatsch!

Flatsch-Krankheit 4

 Es ist ein sehr heißer Tag, wir sind auf der Autoreise in den Sommer-Urlaub gen Süden, bei 32° Außenbord-Temperaturen. Wir sind total kaputt und unsere Klima-Anlage auch. Sie war schon viel früher erledigt als wir, um das mal der Form halber zu erwähnen. Mein lieber Mann schaut mich hin und wieder vorsichtig von der Seite an – scheinbar will er herauskriegen, was er an Späßen noch machen kann und was er lieber nicht mehr sagen sollte. Denn wenn ich sein Auto kritisiere, kann er das überhaupt nicht gut haben. Ich kann ihn beleidigen, ich kann schlecht reden über die Welt im Allgemeinen und die Automobilbranche im Besonderen; aber wenn ich auf sein Auto losgehe, löst das bei ihm reflexartig Streichelbewegungen über das Lenkrad und das Armaturenbrett aus mit den tröstenden Worten: „Sie meint es nicht so.“ Was mich dann brüllen lässt. „DOCH!!! GENAUSO MEINT SIE DAS!!!“ Woraufhin er dann seinem Auto den Hinweis gibt: „Sie ist verzweifelt. Das geht vorbei. Fahr einfach ruhig weiter!“ Erneute Streicheleinheiten – natürlich für das Auto, nicht etwa für die bei 38° verdampfende Ehegefährtin an seiner Fahrerseite.

 Tankstelle: Der verunsicherte Ehemann fragt mit einem schiefen Lächeln beim Aussteigen rüber: „Willste ‘n Eis?“ (..und ergänzt in Gedanken wahrscheinlich: "... damit Du mich nicht den Löwen zum Fraß vorwirfst.")  „Nein danke, ich möchte kein Eis.“

 5 Minuten später: die Fahrertür öffnet sich und ein Arm mit einem Eis landet vor meinem Gesicht, bevor der Rest des Mannes einsteigt und strahlend verkündet: „Da, ich hab Dir was mitgebracht.“   Flatsch!



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7. November 2022           Am Rand der Hölle – mit Blick in den Himmel

Auch wenn man Heinrich Schütz vielleicht bisher nicht kannte, oder seine Musik nicht so prickelnd fand oder findet; auch, wenn einen das 17. Jahrhundert und seine tragische Geschichte bisher vielleicht nicht vom Hocker riss – all das verblasst vor dem unwahrscheinlich beeindruckenden Leben eines Menschen, der mitten in der Hölle von Pest, Krieg, Hunger, Inflation, grausamer Kinder- und Müttersterblichkeit und zig anderen Nöten eine Musik komponierte und aufführte, die den Menschen eine Ahnung vom Himmel zu schenken vermochte.

Legen Sie einfach mal Ihre Arbeit nieder, kochen Sie sich eine gute Tasse Kaffee, eine heiße Schokolade oder einen sanft duftenden Tee, gönnen Sie sich ein paar Plätzchen und 50 Minuten, in denen der Film mit vielen Bildern und viel Musik über Heinrich Schütz erzählt. Sie werden mit einer wunderbar gefüllten Zeit beschenkt und schauen die Welt und Ihr Leben nach diesen 50 Minuten wahrscheinlich anders an – um gestärkt und bereichert in Ihren Alltag zurückzukehren.                                                                                                                                     

Film:  "Heinrich Schütz - Der Begründer der deutschen Barockmusik"    (Arte-Mediathek)
                                                                                                                                                                                                                                          Nein, nein, ich werde nicht bezahlt, um für diesen Film Werbung zu machen, keineswegs. Ich habe ihn zufällig entdeckt und mich echt begeistern lassen – und wovon das Herz überfließt, davon spricht der Mund, bzw. schreiben die Hände, nicht wahr?                                                                                                                                                                                                               (frei nach: Lukas-Evangelium, Kap. 6, Vers 44):

Und hier noch eine kurze, nicht unheitere 7-minütige Ergänzung zum Thema: Musik von Heinrich Schütz  (auf YouTube)                        


 

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5. Oktober 2022                              Die guten Seiten!                

Seine Hilfsbereitschaft war legendär. Seine absolute Vertrauenswürdigkeit auch. Und seine Art, das Leben wohltuend undramatisch zu nehmen, war sehr empfehlenswert. Für die meisten Schwierigkeiten hatte er eine Lösung oder er sah einen Weg, unaufgeregt mit ihnen umzugehen. Er war ein absoluter Menschenfreund, jedem Menschen spürbar zugetan. Laute, plumpe  "Verbrüderung" oder "Fraktionsbildungen" waren nie sein Ding.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Bei einem Besuch Anfang der 1990er Jahre stellte er einen grauen, quadratischen Kasten auf meinen Tisch und meinte: "Hier, statt Blumen. Buchdruck 2000." Ich schaute ihn an wie jemand, der nur "Bahnhof und Kofferklauen" versteht. Dann legte er ein kleineres graues Kästchen daneben: "Und hiermit nimmst Du ab jetzt Kontakt mit Deiner Umwelt auf, kannst mir jeden Tag ganz ohne Telefon und Post einen guten Morgen wünschen."  Ich schaute immer noch wie "Bahnhof und Zugverspätung". Dann erklärte er mir den Gebrauch eines Laptops und eines Modems. Einfach so und ohne Diskussionen hatte er mich ins Internetzeitalter befördert - bevor ich überhaupt ahnte, dass sich zu der Zeit da draußen so etwas wie Internet entwickelte.

Er war begabt mit einer besonderen, sehr feinen Art von Humor: liebevoll, nie laut, nie beschämend, nie (grenz-)verletzend - immer äußerst wohlwollend und erheiternd. Hatte ich Kummer, Ärger oder Wut, erkannte ich an seinen Worten und Ausführungen: er konnte das emotional sehr gut nachempfinden und verstehen - und dann kam irgendein Kommentar von ihm zu diesem Thema, der mich zum Lachen brachte, und mir immer wieder einfiel und mich immer wieder zum Lachen brachte. Die Krankenkassen hätten seinen Humor in ihren Katalog von Heilmaßnahmen aufnehmen sollen ...

Ob er schlechte Seiten hatte? Natürlich hatte er die - aber warum sollte ich mich damit aufhalten?

Nun ist er völlig überraschend gestorben.

Wir waren ein Leben lang auf zwei total verschiedenen Planeten unterwegs - für mich auf meinem Planeten war er ein Gottesgeschenk!      Was bleibt? Schöne, gute Erinnerungen und mein Glaube, dass kein Gran seiner Güte verloren geht, dass seine ganze Lebensgeschichte bei Gott aufgehoben ist, dass weiterhin eine lebendige Verbindung zwischen uns besteht und es einst ein Wiedersehen in der Freude des Himmels geben wird.                                                                                                                                                                                                             Und es bleibt die Option, die Ereignisse im Alltag nach Möglichkeit mit Humor zu betrachten (was ständig zu üben wäre).

J. Brahms: Ein deutsches Requiem:  "Wie lieblich sind Deine Wohnungen"  (auf YouTube)
                   Ein deutsches Requiem:  "Ihr habt nun Traurigkeit"  (auf YouTube)


 

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23. September 2022               Die Kunst der Unterscheidung ...

… wird auch immer diffiziler. Schon vor einiger Zeit ging die Meldung durch die Presse, dass eine Musikerin von einer Veranstaltung ausgeladen wurde, weil sie als Weiße Dreadlocks trug. Man warf ihr „kulturelle Aneignung“ vor. Dass ich jetzt erst darüber schreibe, liegt daran, dass ich nach dieser Meldung tatsächlich erst einmal in tiefes Nachdenken versunken bin. Nachdenken an sich ist ja eine sehr gute Sache, aber irgendwie bin ich beim Nachdenken über dieses Thema heißgelaufen, es geht nicht mehr weiter.

Als Musikerin erinnere ich mich natürlich an all meine japanischen Studienkollegen, die schon vor 40 Jahren in Scharen an unseren Musikhochschulen Bach, Mozart, Beethoven, Schumann, Liszt etc. studierten und das auch heute noch tun und übrigens wahnsinnig gut spielen. Wohingegen ich sinnigerweise mit der Flöte japanische moderne Musik studierte, weil sie einfach klasse ist. War das jetzt schon gegenseitige „kulturelle Aneignung“ und damit verwerflich?                                                         
Und wenn ich an die überirdisch schöne sechzehnstimmige Musik für vier Chöre von Heinrich Schütz denke! Er hatte diese Art der Musik auf einer Italienreise kennen- und liebengelernt und sie, wieder zurück in Sachsen-Anhalt, fortan in sein kompositorisches Schaffen einfließen lassen und damit die ganze Musikszene seiner Zeit sehr beeinflusst. Ist das (verwerfliche) "kulturelle Aneignung" italienischer Kompositionskunst? Oder stellt sich die Frage vielleicht gar nicht, weil diejenigen, die die Musikerin wegen ihrer Frisur  ausgeladen haben, Heinrich Schütz gar nicht kennen? Egal, ich kenne ihn und muss mich also dazu positionieren.
                                                                                                                                                                                                                                              Ich erinnere mich an das begeisterte Erzählen eines Kollegen, der einen Workshop über Haikus (japanische Gedichte) erlebt hatte – war das gar keine Weiterbildung, sondern glattweg „kulturelle Aneignung“ japanischer Sprachkunst?
                                                                                                                                                                                                                                              Vor einigen Tagen telefonierte ich mit einer Freundin wegen der Gestaltung eines Plakates, bei dem ich die Farben grün und blau verwenden sollte. Geht grün und blau zusammen? Und völlig arglos sagte die Frau: „Na klar geht grün und blau zusammen, denk doch mal an mein Schottenkostüm, dass ich früher immer getragen habe. Das war auch grün und blau und sah sehr schön aus.“ Ich bekam gar nicht alles mit, weil ich schon bei dem Begriff „Schottenkostüm getragen“ hängenblieb: darf man überhaupt „Schottenkostüm“ oder „Schottenkaro“ sagen? Und wenn man es nicht nur sagt, sondern auch noch trägt: ist das „kulturelle Aneignung“? Was würden die Schotten dazu sagen und wie fühlen sie sich in dieser Angelegenheit? Sollte ich meine Freundin besser sanft ermahnen und wichtige Grundsatzdebatten führen – statt mit ihr über so einen Kram wie Farbkombinationen auf Plakaten zu diskutieren?
                                                                                                                                                                                                                                           Darf ich demnächst in den Harz fahren und die Holzstabkirchen dort anschauen und vor allem: mich an ihnen erfreuen? Oder fröne ich damit „kultureller Aneignung“, weil diese Art des Kirchenbauens aus Nordeuropa stammt?
                                                                                                                                                                                                                                         Meine Kollegin kocht sehr gerne asiatische Gerichte, natürlich mit asiatischen Gewürzen. Sie kauft sie auf einem asiatischen Markt. Und ich genieße die Mahlzeiten, die sie mir kocht. Ist das jetzt …? Sie wissen schon.
                                                                                                                                                                                                                                                Oder betrifft „kulturelle Aneignung“ nur Mode und Aussehen? Aber besteht der Mensch nur aus Mode und Aussehen? Besteht er nicht auch aus dem, was er sieht, liest und hört, riecht und schmeckt? Oder betrifft "kulturelle Aneignung" als Tatbestand, der nach Sanktionierung verlangt, nur ehemals unterdrückte Länder? Betrifft "kulturelle Aneignung" nur das Tragen von Frisuren und Mode? oder wird auch hemmungsloser Massentourismus in ehemals ausgebeutete und heute bitter arme Länder kontrolliert und sanktioniert durch diejenigen, die auch die Musikerin ausgeladen haben? Oder hätte das dann doch zu viele Konsequenzen?                                                                                       
Geht's noch oder sind wir schon komplett am Übertreiben und Durchdrehen? Sehr schwierige Fragen.

 


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 3. September 2022                                 Fliegen

Ich sitze am Schreibtisch und versuche, mich zu konzentrieren – ein fast unmögliches Unterfangen, weil eine kleine Fliege ihre Starts und Landungen an der Fensterscheibe vor meiner Nase trainiert. Wenn ihr die Fensterscheibe zu langweilig wird, was ziemlich oft der Fall zu sein scheint, verlegt sie ihre Starts und Landungen auf meine Arme und Beine, auf meinen Hals und das Gesicht. Zwischendurch macht sie ein paar Probeaus“flüge“ (!) durch’s Zimmer und zum Abschluss einige Loopings unmittelbar vor meinen Augen.                                             Wie soll man bei einem solchen Unterhaltungsprogramm einen zusammenhängenden Konzerttext schreiben?Seit ich in meinem engeren Bekanntenkreis eine junge Frau habe, die schon als Vorschulkind keiner Fliege etwas zuleide tun konnte und deren meditative Erholung auf Wanderungen darin bestand, ertrinkende Fliegen aus Pfützen und Swimmingpools zu retten, tue ich mich mit dem Töten von Fliegen auch sehr schwer, also schon 20 Jahre lang. Zumal besagte junge Frau als Jugendliche meinen erfolgreichen Mordanschlag auf eine Fliege mit den sehr anklagenden Worten kommentierte: "Du hast gerade ein ganzes Universum vernichtet!!!"  So etwas prägt sich ein!                     Was tun mit dem Quälgeist im Flugraum um meinen Schreibtisch? Ich will ja nicht schon wieder ein ganzes Universum vernichten; außerdem stören solche Gedanken die erforderliche Treffsicherheit ganz enorm. Ein Blick auf die Fliege und ihre ungebremste Unternehmungslust zeigen mir, dass es sich offenbar um ein sehr junges Tier handelt, wahrscheinlich eine Fliege in der Pubertät.               Der Form halber habe ich zwischen meinen Schreibversuchen zu einem dünnen Auszug aus der aktuellen Tageszeitung gegriffen, um dem übermütigen Tierchen als Warnung eine Lokalanästhesie zu verpassen. Keine Chance, sie ist schneller als ich. Klar, das ist auch nicht schwer, sieht sie doch immer schon in der spiegelnden Fensterscheibe, wenn ich zum Angriff aushole. Vielleicht passt ihr auch die Zeitung nicht und sie möchte mit anderer Lektüre anästhesiert werden; elegant und blitzschnell haut sie vorzeitig ab.

Und jetzt kommt’s: meinen ersten Angriffversuch hat sie möglicherweise für ein Versehen gehalten oder nicht auf sich bezogen. Den zweiten Versuch hat sie begriffen: sofort wechselt sie den Flugraum und lässt mich in Ruhe! Sollten Fliegen lernfähig sein?

Das macht mich nun neugierig. Ich gebe mal „Fliegen“ im Netz ein. Mir werden jede Menge Flugschulen angeboten. (Meine für pubertierende Jungfliegen ist nicht mit aufgelistet.)
Zweiter Versuch: „Sind Fliegen lernfähig?“ Schnelle Antwort: „Unter Umständen …“ na, da hatte meine hier wohl optimale Lernumstände. Aber ich will das Thema jetzt nicht weiter vertiefen und öffne keine wissenschaftlichen Abhandlungen. Schließlich will ich weiterarbeiten. 

 Was mich zum guten Schluß nun allerdings noch echt erheitert, sind die Fragen in der Rubrik „Ähnliche Fragen“, die bei einem Suchbegriff immer mit aufploppen:
- Haben Fliegen ADHS? (Diese hier vielleicht)
- Können Fliegen traurig sein? (Eine Frage, die bestimmt von meiner fliegenliebenden Bekannten kommt!)
- Hat eine Fliege ein Herz? 
- Hat eine Fliege Verwandte? 
- Wie sieht eine Fliege die Welt?

Nach dieser kurzen Gemütserfrischung und einem schnellen Blogeintrag wende ich mich jetzt also wieder hochkonzentriert meinem Konzerttext zu ...                                                                                                                                                                                                                Und in Zeiten, in denen Insekten beängstigend schnell immer mehr verschwinden, behalte ich dieses muntere Tierchen doch irgendwie in fröhlicher und dankbarer Erinnerung.


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27. August 2022             Auf die lange (Fenster-) Bank geschoben

Aktuelle Zeitungen, neue Bücher – all das landet bei mir auf der Fensterbank in der gemütlichen Lese-Ecke. Und mit der Zeit häuft es sich. Neue Bücher warten darauf, gründlich gelesen, teilweise regelrecht studiert zu werden, bevor sie ins Regal wandern. Und aktuelle Wochenzeitungen sollen auch nicht zu unaktuell werden.                                                                                                                                         Naja, hin und wieder geschieht es eben doch, dass ich Wochen keine Zeit finde zum regelmäßigen Lesen ...
Mein erster Gedanke:  Zeitungen abbestellen, keine neuen Bücher kaufen.
Mein zweiter Gedanke: So ein Blödsinn, du verkaufst ja auch nicht gleich dein Auto, wenn du dich verfahren hast.
                                                                                                                                                                                                                                             Nein, für die eigene Lesezeit muss man kämpfen, immer wieder Korrekturen im Alltag vornehmen, andere Schwerpunkte setzen, unnötige Verzettelungen abstellen.
Nur nicht aufhören zu lesen; nicht aufhören, seinen Geist mit neuen, guten, aufrüttelnden Gedanken und anderen Standpunkten zu füttern! Und sein Gemüt mit so manchem Buch für Wochen zu erheitern und zu erfreuen.


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20. August 2022        Vielleicht doch mal auf die „dumme Gans“ hören

Kennen Sie das? Sie sehen ein Plakat oder einen Bilderwitz und müssen Tage später darüber noch lachen, wenn das Bild wieder vor Ihrem inneren Auge auftaucht?
Mir ist das kürzlich so ergangen mit einem Foto, das mir ein lieber Mensch aus dem Urlaub zusandte; es zeigt ein Plakat am Starnberger See. Darauf sind viele Tiere zu sehen, die auf den Wellen des Meeres schwimmen – mit Rettungsring! Tiere, die eigentlich gar nicht ins Wasser gehören. Jedes der Tiere kommt zweimal in seiner Art vor: je zwei planschen ziemlich ratlos nebeneinander. Spätestens jetzt weiß der (bibel-)informierte Betrachter: „Oje, die Arche Noah ist gekentert.“
Weiter draußen auf dem Meer sitzen zwei Gänse in ihren Rettungsringen. Eine mit Sprechblase: „Und ich sag noch: Noah, keine Biber!“ 

Daraus lässt sich dreierlei ableiten:
1.  Auf die vermeintlich „dumme Gans“ zu hören, kann einem eine Menge Ärger ersparen
2. Ist es nicht schön, wenn ein Mensch im Süden der Republik etwas Heiteres sieht und sofort an einen Menschen im Norden der                      Republik denkt und mit einem einfachen Spontanfoto dann dort tagelang Gelächter auslöst? (Mal ganz abgesehen vom Schöpfer                   dieses   Bildes!)                                                                                                                                                                                                                 3. Menschen, die die Bibel nicht kennen, können gleich weiterspazieren - sie verstehen das Bild nicht   
                                                               


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19. August 2022                      … und kommen weiter von dem Ziel

Zum Ende einer Chorprobe haben wir einige Abendlieder gesungen, u.a. für eine erkrankte Sängerin in der Rehaklinik. Und während wir so singen, denke ich: Was ist es mit diesen Liedern, dass die meisten Menschen sie nicht mehr kennen, geschweige denn singen? Sind die Texte so verkehrt, nur weil sie "alt"  sind?                                                                                                                                                                                                                                                                     3. Seht ihr den Mond dort stehen, er ist nur halb zu sehen und ist doch rund und schön.
                  So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsre Augen sie nicht sehn.
              4. Wir stolzen Menschenkinder sind eitel arme Sünder und wissen gar nicht viel.
                  Wir spinnen Luftgespinste und üben viele Künste und kommen weiter von dem Ziel.

                                                                                                                          (Matthias Claudius: „Der Mond ist aufgegangen“, Strophe 3 + 4)

Wie wohltuend ist ein Tag zu Ende gebracht, der nicht vor dem Fernseher endet, oder an dem nicht bis tief in die Nacht hinein mails beantwortet werden, bevor man todmüde ins Bett fällt; ein Abend, an dem nicht bis zur letzten Minute auf dem Handy herumgedaddelt wird, sondern an dem die letzte halbe Stunde ein ruhiges, ordnendes Vorbereiten für den nächsten Tag ist, das einen zur Ruhe kommen lässt und sicherstellt, dass der nächste Morgen nicht gleich mit Hektik losgeht; eine letzte Stunde am Abend, in der das Smartphone optisch und akustisch schweigt und sich eigene Gedanken über das Erlebte vom Tag ausbreiten können.                                                            


Abendlieder können ein wunderbarer Weg sein, seinen Blick von der Enge des Alltags auf die Weite des ganzen Lebens zu richten. Sie helfen, das Wesentliche vom Alltagskram zu unterscheiden und im Auge zu behalten.                                                                                    Apropos Abendlieder: Gibt es eigentlich moderne / neue / aktuelle dieser Art? Mir fällt absolut keines ein. Sind sie schon abgeschafft?

 

 Abendlied:  "Der Mond ist aufgegangen (auf YouTube)


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27. Juli 2022                          Die Sache mit der Menschenwürde

Immer wieder flammt die Diskussion auf, verschwindet wieder und taucht im Zusammenhang mit anderen Kirchen erneut auf: die Debatte um sehr judenfeindliche Darstellungen an und in Kirchen. Ich mag das oft verwendete brutale Wort dafür hier absolut nicht erwähnen. Juden werden auf solchen Reliefs oder Bildern auf zutiefst beschämende Weise im Zusammenhang mit Schweinen dargestellt: im Mittelalter wollte man jüdische Bürger damit erniedrigen, bloßstellen und gegen sie hetzen. Zuletzt wurde um solche Figuren an der Kirche in Wittenberg und im Xantener Dom gestritten bzw. diskutiert. Auch Gerichte befassen sich vereinzelt mit dem Thema.
Manche Leute schlugen vor, man solle diese Figuren natürlich nicht entfernen (sie sind ja historisch!), sondern man könne eine erläuternde Tafel danebenstellen oder aufhängen. Und dann könnten Menschen ins Gespräch kommen über Diskriminierung und Antisemitismus. So werde aus dem Schandmal ein Mahnmal.

Ich habe im Laufe meines Berufslebens etliche Stadt- und Kirchenführungen mit Gruppen gemacht und stand auch vor solchen Darstellungen, habe erklärt und kam mit den Menschen ins Gespräch über Diskriminierung und Antisemitismus, leider eben auch in der Kirche. Ich habe also alles das gründlich abgearbeitet, ganz im Sinne der Pädagogen, Soziologen und Historiker.

Bis eines Tages eine Frau, die dabeistand und das alles anhörte (sie gehörte nicht zur Gruppe), mit Tränen in den Augen sagte: „Sie können hier reden, was und soviel sie wollen. Aber Sie haben keine Ahnung davon, wie furchtbar weh es tut, als Jüdin ohnmächtig vor einem solchen Bild zu stehen und zu wissen: Sie werden es nie verhüllen, weil ihre Gebäude ihnen wertvoller sind als wir jüdischen Menschen, die mit solchen „Kunstwerken“ auch heute täglich neu beschämt und verletzt werden!“

Da wusste ich: die Darstellungen müssen aus dem permanenten Blickfeld der Menschen verschwinden. Sie gehören – Kunst hin oder her – verhüllt, z.B. mit einer kunstvoll verzierten oder mit Erklärungen beschrifteten Tafel oder sonstwie. Man kann auch vor einem verhüllten, thematisch schäbigen Kunstwerk trefflich über Diskriminierung und Antisemitismus debattieren. Und mit verhüllter Kunst brauchen wir ja - dank Christo - mittlerweile auch nicht mehr zu fremdeln.
Ich weiß, ich weiß: Kunst ist frei und die Zensur der Kunst ein Sakrileg. Das stimmt! Wir verbrennen ja - zurecht - auch nicht die judenfeindlichen Texte des Mittelalters. Aber wir bringen sie eben auch nicht jeden Tag öffentlich an -zig Stellen in unserem Land 24 Stunden lang zu Gehör!
Man braucht die beschämenden Bilder nicht zu entfernen, aber man muss sie nicht täglich Scharen von Menschen präsentieren - in einer Zeit, in der zudem der Hass auf Juden wieder wächst und wächst. Und wir wissen alle: nichts prägt sich dem Menschen mehr ein als Bilder. Ich bin davon überzeugt, dass man Antisemitismus nicht mit Zensur bekämpfen darf, aber man braucht ihn in seiner latenten Form auch nicht passiv zu unterstützen. 

Mich wundert es wirklich: kein Mensch darf heute mehr das berühmte „N-Wort“ sagen (zurecht, obwohl ich den Begriff "N-Wort" reineweg lächerlich finde!) und die Sache mit dem "Schaumkuss", der früher auch mal anders hieß, ist ebenso längst durch. Aber Massen von Besuchern werden immer noch solche unsäglichen, jüdische Mitmenschen beleidigende Darstellungen präsentiert, 24 Stunden, 7 Tage.
Kunst steht nicht höher als die Würde des jüdischen oder eines anderen Volkes!

Wahrscheinlich werden jetzt Kunsthistoriker aufheulen und Allgemeinhistoriker argumentativ-verbal auf mich losgehen.                           Aber ich kann es nicht ändern: die betroffene Jüdin am Rande meiner Gruppe hat mich komplett Unbetroffene überzeugt und mein Denken gewandelt. Stellen Sie sich vor, alle betreffenden Kirchengemeinden in Deutschland würden in einer gemeinsamen Aktion die Schandmale  - nein, nicht entfernen! - aber auf eine einheitliche Art und Weise dem permanenten Blick der Öffentlichkeit entziehen. Das wäre doch ein Statement. Und aus Schandmalen würden tatsächlich Mahnmale.

 

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15. Juli 2022                                  Kennen Sie Dieulefit?

Man sagt: „Lesen bildet.“
Ach, Lesen macht so viel mehr! Es bildet nicht nur; manche Bücher verbinden Zeit, Vergangenheit, Ereignisse und Menschen miteinander. Es gibt Bücher, denen begegnet man: sie kommen zu einem, man trifft auf sie wie man auf einen Menschen trifft, der einen erfreut, informiert, Spannendes und Schönes erzählt, manchmal aus längst vergangenen Zeiten, die aber das eigene Leben doch irgendwie noch betreffen …
So erging es mir mit dem wunderschön erzählten Buch „Von der Wiederherstellung des Glücks“ von Anna Tüne. Wie man ein so schwieriges Thema mit einer solchen sommerlichen Leichtigkeit, jedoch ohne die geringste Oberflächlichkeit, und mit so vielem fast beiläufigem Wissenswertem schreiben kann – das zeigt schon eine große (Sprach-) Begabung und sehr viel Einfühlungsvermögen der Autorin.

Ein solches Buch zu lesen ist ein Geschenk an sich selbst. Lesen kann sehr glücklich und reich machen!

Ach ja: Dieulefit also ist ein Ort in Frankreich, dessen 3000 Einwohner in einer wohl kontinentweit einmaligen Gemeinschaftsaktion 1500 Geflüchtete u.a. vor dem NS-Regime versteckten, ihnen im Ort unter den Heimischen „offizielle“ Existenzen gaben. Kein Helfer, kein Verantwortlicher und kein Geflüchteter wurde verraten. Wie das alles geschah, beschreibt Anna Tüne in ihrem Buch - und noch vieles mehr.

Schön, zu wissen, dass auch solche Wunder mitten in schwersten Zeiten getan werden. Und wie ermutigend, einmal mehr zu erfahren, was der bedingungslose Zusammenhalt von Menschen über alle politischen Überzeugungen und Grenzen hinweg bewirkt. Wir sollten uns gegenseitig mehr solche wahren Begebenheiten erzählen. Das macht zuversichtlich und befähigt uns vielleicht, doch das Unmögliche zu wagen, besonders in schwierigen Zeiten, vor denen wir stehen.

 


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26. Juni 2022         Zerstört durch Smartphones    oder   Von der Einzigartigkeit des Augenblicks

Da gibt es diesen eine Stunde lang währenden Augenblick, in dem Menschen für sich und andere musizieren und in dem sich eine Atmosphäre ausbreitet, in der alles stimmt: Worte, Lieder, Erinnerungen, Freude am gegenwärtigen Zusammensein, Aufatmen in belastenden Zeiten. Eine Stunde gemeinsamen Erlebens und Empfindens, die das unsichtbare Band zwischen Menschen nach langer Zeit erneuert, in der Gegenwart festigt und für die Zukunft verstärkt. Kostbare Gegenwart, aus der schöne gemeinsame Erinnerung werden kann.                                                                                                                                                                                                                                            Und dann kommt der Tag danach, an dem ich aus sämtlichen Wolken falle: es werden mir von Akteuren und Zuhörern kleine Musikfilmchen in Ton und / oder Bild zugeschickt. Wieso gibt es überhaupt Aufnahmen? Wer hat mich darüber vorher informiert? Wer hat mich und den Solisten gefragt, ob wir das möchten? Wer hat mich um Erlaubnis gebeten? Nichts Böses ahnend öffnet man so eine Datei und hört die ersten blechernen Geräusche. „Klänge“ kann man ja zu so etwas nicht sagen. So schrottreif haben wir gesungen? So dumpf klang das blöde e-Piano? So quäkig stach die Stimme von Sänger Y und Sängerin X hervor? So unsauber, inhomogen und dahergelaufen „klang“ das alles? So wenig hat man den Text beim Solisten verstanden? Habe ich denn keine Ohren? Wieso habe ich das nicht gestern schon gehört?
Weil die singende "Aufnahmeleitung" erstens mitten im Chor stand und zweitens über das billige, minderwertige Mikro eines Smartphones aufgenommen hat. Das kann natürlich nur diesen eklig-detaillierten Akustikschrott ergeben - etwas, was ein menschliches Gehör so nie wahrnehmen würde! Ein Akustikschrott, den man übrigens selbst als minimalst musikliebender Mensch sofort entsorgen sollte. Aber nein, dieser Akustikschrott wird, natürlich in wohlmeinender Absicht, über das Netz weitergereicht.

Alle schöne Erinnerung an den Abend wird innerhalb von Sekunden von dem Akustikmüll geschreddert und überlagert.
Es ist, – Vorsicht! POLEMIK! – als ob man ein mit Freude genossenes gemeinsames Mahl ausgespuckt am nächsten Tag wieder vorgesetzt bekommt, zum erneuten Essen.

Wie deprimierend, dass man auf dieser Welt nichts mehr tun kann, ohne dass es (oft auf sehr minderwertige Weise) nicht nur in Ton und Bild für alle Ewigkeiten dokumentiert, sondern auch noch unkontrollierbar über die ganze Welt verteilt wird. Nicht mehr nur die Kostbarkeit des einzigartigen Augenblicks bleibt als Erinnerung im Herzen; sondern ihr blecherner, billiger, entwertender Abklatsch ist ärgerlicherweise jederzeit und allerorten auf Knopfdruck zu haben – ohne auch nur den Hauch dessen zu vermitteln, was wirklich wesentlich war bei der Zusammenkunft der Menschen. Und ich werde dabei zum gänzlich unfreiwilligen! Hauptakteur degradiert.

In Zeiten solcher akustischen und optischen Drohkulissen und Hetzjagden werden die eigenen vier Wände zum einzigen Refugium und die Totalverweigerung die einzige Handlungsoption. Schade, einfach nur schade!


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5. Juni 2022                            Mein Land?

Heute sah ich zwei junge Männer aus Nigeria zusammenstehen, sie schauten immer wieder auf einen Stadtplan und unterhielten sich sehr lebhaft und fröhlich und schienen – aus ihren Gesten zu schließen – verschiedene Wegmöglichkeiten zu erörtern.

Das erinnerte mich an eine kurze eindrückliche Begegnung, die ich vor Jahren in München hatte. Abends, ich war nach einem Konzert auf dem Weg zum Hotel, sprach mich ein Mann an, der nach Sprache und Aussehen eher von weit her kam. Er fragte mich nach einem Weg, den ich aber auch nicht kannte. Ich antwortete ihm ziemlich spontan, leider könne ich ihm nicht helfen, ich sei fremd hier.

Da lächelt der Mann sehr freundlich und sagt: „Nein, dies ist Ihr Land. Ich bin hier ein Fremder.“


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20. Mai 2022                           Abends im Baumarkt

Als ich gestern zur Arbeit fuhr, drückte mein Mann mir einen Zettel in die Hand: „Kannst Du auf dem Heimweg im Baumarkt vorbeifahren und das mitbringen, für den Garten?“ Ich steckte den Zettel ein, ohne draufzuschauen.

Gut gelaunt betrete ich nach getaner Arbeit eine Viertelstunde vor Ladenschluss den Baumarkt und weiß inzwischen auch, was ich kaufen soll: Sand. Naja, das muss ja zu schaffen sein. „Gang 43“ sagt mir die freundliche Angestellte, die ich befrage. Sorgfältig schreite ich also Gang 43 ab – und bin nicht sonderlich erstaunt, dass dort trotz gründlicher Inspektion kein Sandkorn zu entdecken ist. Mit 60 Jahren hat man schon so viele diesbezügliche Irrläufe(r) erlebt, dass man sie beim Gang in den Baumarkt sozusagen mit einpreist.
Ich trabe wieder in den Mittelgang und entdecke dort einen telefonierenden Baumarkt-Angestellten. Optimale Voraussetzungen: telefonierende Angestellte sind verlangsamt, weil abgelenkt, und rennen nicht so schnell vor Kunden weg. Ich stelle mich also geduldig neben den Mann und warte, bis er – telefonierenderweise – eine Augenbraue hebt. Das heißt auf telefonistisch: „Was wollen Sie?“ Ich strecke ihm meinen Zettel entgegen. Er schaut – telefonierenderweise – darauf, deutet mit dem Arm in die Tiefe des Baumarkt-Raumes und erläutert zwischen zwei Telefonhalbsätzen: „Nach ganz da hinten und dann links.“ Ich schaue „nach ganz da hinten“ und laufe los wie ein aufgezogenes Spielzeugauto. Vor Ort merke ich: es gibt „ganz da hinten“ viele Möglichkeiten, nach links abzubiegen. Ich brauche exaktere Koordinaten, wenn ich nicht wie ein Mäh-Roboter jede Ecke extra abgrasen will.                                                                                     

Als ich wieder vor dem – immer noch telefonierenden – Mann stehe, wird mir klar, dass ich für ihn so 3 Minuten vor Ladenschluss und immer noch ohne Sand echt kein erfreulicher Anblick bin. Genervt bewegt er seinen Körper jetzt selbst „nach ganz da hinten“ und fragt mich übellaunig und geringschätzig mitten in sein eigenes Telefonat hinein: „Rechts und links können Sie aber noch unterscheiden, oder?“ „Nur bedingt, da ich eine Frau bin – und Sie wissen ja, was das bedeutet,“ antworte ich, weil ich nun auch keine Lust mehr habe, nett zu sein. Urplötzlich biegt der – immer noch telefonierende – Mann scharf links ab und da sehe sogar ich in der Tiefe des Ganges Sandsäcke liegen. Na, da braucht er sich mal nicht aufregen, weder mit noch ohne Telefon: so einen Sandsack hätte ich sowieso nicht allein in den Einkaufswagen hieven können.

Zwei Minuten später stehe ich allein auf weiter Flur auf dem leeren Kundenparkplatz – mit einem Sandsack, den ich auch nicht aus dem Einkaufswagen in mein Auto hieven kann.
Ich setze mich auf die Kofferraum-Rampe und denke nach: über das Leben im allgemeinen und im besonderen; über Ehemänner, die keine Ahnung davon haben, was ihre Frauen schleppen können und was nicht; über die Möglichkeit, Einkaufszettel vor der Entgegennahme zu inspizieren; über Zeiten, in denen Kunden freundlich bedient wurden; über die Erfahrung, einen kompletten Kaufvorgang abzuwickeln mit einem durchgängig telefonierenden Verkäufer; über einen Baumarkt-Angestellten, von dem ich mir als Frau solche gemeinen Bemerkungen anhören muss, nur weil der Mann intellektuell oder willensmäßig nicht in der Lage ist, eine ordentliche Standortbestimmung durchzugeben …

Ich könnte mir langsam mal eine Lösung ausdenken. Ein Blick in die Handtasche zeigt mir:  Zwischen mir und meinem Handy liegen Welten. Anrufen fällt also aus. Ich könnte den Sand liegen lassen und heimfahren. Dann würde mein Mann auf eindrucksvolle Weise merken, dass man mit Frauen nicht alles machen kann. Aber ich weiß: er hat mich nicht mit liebloser Absicht in diese Sandlage gebracht.
Ich könnte aber auch einfach sitzen bleiben und abwarten, was passiert. Der Mond ist an diesen Abenden wunderschön.
So sitze ich also erstmal still und versonnen auf meiner Kofferraum-Rampe …

„Ist Ihnen schlecht? Kann ich irgendwie helfen?“ dringt es plötzlich an mein Ohr. Ich bin geschockt: was sind denn das für freundliche Sätze – mitten auf einem Baumarktparkplatz und weit nach 20 Uhr?! Neben mir steht ein Mensch – ein joggender Mann. Ich antworte ihm wahrheitsgemäß, dass es mir im Grunde eigentlich ganz gut gehe; ich hätte nur gerade keine passende Lösung für das Gesetz der Schwerkraft und dächte noch ein wenig so vor mich hin.
Ehe ich ein zweites Mal Luft holen kann, liegt der Sandsack in meinem Kofferraum!
Auf dem Heimweg denke ich, dass bei der Erschaffung von Mann und Frau doch irgendetwas gründlich schiefgelaufen sein muss.

Ich widme diesen Blogeintrag mit Respekt und Dank allen Menschen, die im normalen Alltag hinsehen, wenn jemand Hilfe braucht und ganz freundlich und unkompliziert helfen.
Und natürlich den vielen Verkäuferinnen und Verkäufern, die auch nach einem langen Arbeitstag noch freundlich sind zu ihren Kunden!

 

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3. Mai 2022                              Sag mir, wo die MÄNNER sind!

Schon wieder so ein Artikel in der Zeitung, langsam fällt es auf: Chöre haben es nach der Pandemie besonders schwer beim Neustart, das Chorsterben hat gar zugenommen und - o Wunder! - jetzt kommt die größte aller Horrormeldungen: es fehlen MÄNNERSTIMMEN!!!! Also, nicht nur MännerSTIMMEN, sondern gleich die ganzen MÄNNER!!! Nein, so was aber auch! Dass MÄNNERSTIMMEN fehlen, ist nichts wirklich Neues, aber jetzt fehlen sie wahrscheinlich NOCH MEHR als vor der Pandemie schon.                                                                              Da ich beruflich Chorleiterin bin, hat mir, was MÄNNERSTIMMEN in Chören betraf, schon seit 30 Jahren das Herz geblutet. Ich habe schon immer zu phantasievollen, relativ grenzwertigen Methoden greifen müssen, um MÄNNER für "meine" Chöre zu gewinnen, oft sogar mit Erfolg. Aber nach 30 Jahren MÄNNERmangel in Chören und einem immer lauter um sich greifenden diesbezüglichen Lamento bin ich zu dem Schluß gekommen: Alles Lamentieren, Betteln, Flehen, Tenöre unter Chor-Teilnahmeauflagen heiraten und ähnlichem Volleinsatz nützt nichts mehr, wenn MÄNNER im Krieg sind. Ja, sie sind im Krieg. Also, ich sage mir das jetzt immer als Erklärung, denn das war auch in meiner Kindheit oft die durchaus schlüssige Erklärung: "Warum habe ich drei unverheiratete Tanten?" "Weil die MÄNNER im Krieg geblieben sind." "Warum gibt es so viele Lehrerinnen?" "Weil die MÄNNER im Krieg geblieben sind." "Warum hat die Frau keine Kinder?" "Weil ihre SÖHNE im Krieg geblieben sind". "Warum trägt die Nachbarin immer schwarz?" "Weil ihr MANN im Krieg geblieben ist."  Wann immer MÄNNER fehlten, lag es am Krieg. Warum sollte das jetzt anders sein?! Es werden ja wohl nicht alle MÄNNER unserer Republik gleichzeitig dauer-heiser sein, nicht wahr? Wäre eigentlich ein nettes Thema für eine Masterarbeit in Soziologie, Musik oder Pädagogik: "Die Aversion der MÄNNER gegen das Chorsingen." Denn auch MÄNNERchöre sterben leise erst vor sich hin und dann weg ...

In dem Zeitungsartikel, es war ein Interview, mutmaßte der Fragensteller: Die MÄNNER müssen arbeiten, daran liegt's.                  
Tja, das ist nun wirklich allerliebst. Man höre und staune: die MÄNNER müssen arbeiten! Da drängt sich dem geneigten Leser doch gleich die Frage auf: Und was haben MÄNNER früher gemacht, als sie noch in Massen in Chören sangen? Daneben brüllt lauthals die Frage: Und was machen FRAUEN so den ganzen Tag, neben Kindererziehung, Haushalt, Oma pflegen, joggen und singen?????!!                                        An der Arbeit kann es einfach nicht liegen: Mozart war auch ein MANN und hat in 36 Jahren so viele Noten komponiert und VON HAND geschrieben, wie es ein Mensch heute in 36 Jahren VON HAND NICHT nachschreiben könnte - und dann hat er auch noch fast alles dirigiert oder gespielt, natürlich in Städten über den ganzen Kontinent verteilt. Gefühlt hat er sein Leben wahrscheinlich in einer Kutsche verbracht. Also, Mozart hat schonmal bestimmt soviel gearbeitet wie die MÄNNER heute. Und Johann Sebastian Bach wird auch nicht gerade träge gewesen sein: er hat jede Woche eine ganze Kantate komponiert, VON HAND aufgeschrieben, unterrichtet, einstudiert, musste ständig zu Fuß durch halb Deutschland latschen, um wohin zu kommen, sich mit uneinsichtigen Ratsherren und -zig Kindern rumschlagen und letztere auch noch ernähren. Außerdem gab ständig irgendwer eine Suite oder ein Konzert bei ihm in Auftrag.                   An Händel und Beethoven darf ich gar nicht denken ... Nein, an der täglichen Arbeit kann der MÄNNERmangel in den Chören nun wirklich nicht liegen. Der Gedanke ist geradezu albern.

Was den Neustart von Chören nach der Pandemie betrifft, so ist er eigentlich ganz einfach: von jeder Rakete weiß man, dass der Start die meiste Energie braucht. Wenn das Ding erst einmal in der Umlaufbahn schwebt, läuft es auch mit weniger Energie. Mein Tipp an die Sängerinnen und den Sänger: ganz einfach wieder hingehen. Man gewöhnt sich daran und am Ende hat man eine Menge Freude! 

Beim Umgang mit MÄNNERmangel in Chören empfehle ich: nicht lange rumheulen, keine Interviews in guter Hoffnung geben, sondern ganz tapfer und realistisch nach vorne schauen und die Noten von Händel, Bach, Mozart, Schubert und Konsorten in die Tonne kloppen. Seit 40 Jahren kommen fast keine MÄNNER mehr in die Chöre. Da können Sie täglich den europaweiten, jahrzehntealten Chorleitergruß sagen: "Uns fehlen MÄNNER!", es wird sich nichts ändern. Da können Sie zum 1783. Mal in einen Pfarrbrief (und neuerdings in die Lokalzeitungen) schreiben: "MÄNNERSTIMMEN herzlich willkommen!", es wird sich nichts ändern. Da können Sie ganze Hauswände plakatieren und täglich auf sämtlichen Smartphones die Vorteile bewerben, die das gemeinsame Singen hat; es wird sich nichts ändern. Da können Sie becircen, bestechen, verhandeln, diskutieren - es wird sich nichts ändern. Trösten Sie sich: Konstanten im heutigen mobil-lastigen Leben sind doch auch was Nettes.
SÄNGER sind schließlich nicht die einzigen Lebewesen in der Erdgeschichte, die aussterben. Es gibt wissenschaftliche Gruppen, die regelmäßig darüber informieren, wieviele und welche Arten vom Aussterben bedroht sind oder schon dahingerafft wurden.                                                                                                                                                                                                                               Der pfiffige Mozart hätte das Dilemma mit den nicht (mehr) vorhandenen MÄNNERN in den Chören ganz schnell kapiert und einfach auf Frauenpower gesetzt. Aber der hatte ja auch mit 36 Jahren Gesamtlebensdauer nun nicht die Zeit zum Jammern, Zähneknirschen und Interviews geben.

Dass die geniale Musik all der arbeitenden und komponierenden MÄNNER zwar nur noch wenig gesungen wird, dafür aber jetzt auf ewig in einer Raumkapsel als Hinweis für irgendwelche Außerirdischen durchs All rast, ist doch ein auch ein schöner, wenn auch ein wenig irrer Gedanke, oder?                                                                                                                                                                                                              Wenn ich mal MÄNNER singen hören möchte, schaue ich im Fernsehen, wenn Bayern München, Mönchengladbach oder sonstwer bolzt. Und dann denke ich: "Guck mal an, da sind ja welche ..."  

Mein letzter Satz heute lautet jedoch ganz ehrlichen Herzens: ich freue mich und bin dankbar über jeden einzelnen Sänger, der mit seinem Gesang einen Chor unterstützt und dazu beiträgt, dass weiterhin wunderbare Musik hier auf der Erde für uns erklingt - und nicht nur tonlos durch's All rast.

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18. April 2022                    Der Grund, auf dem ein Mensch steht  

In diesen Tagen muss ich immer wieder an eine Reise denken, die ich als junge Frau nach der Wende unternahm:  ich fuhr in einem traumhaften Sommer mit dem Fahrrad durch eines der Länder der ehemaligen Ostblockstaaten. Es war heiß - die Mittagsglut überlebte ich in kühlen Dorfkirchen, machte auf den Kirchenbänken einen ausgiebigen Mittagsschlaf, spielte bei schöner Akustik Blockflöte (ein sehr handliches Reiseinstrument!) und las in anregenden Büchern, bevor meine Reise am späteren Nachmittag weiterging ...                             

Ich begegnete einer Studentin, die mich fragte, ob sie für einige Tage mit mir radeln dürfte; was sollte ich dagegen haben? Sie war eine ziemlich schweigsame junge Frau, mir fiel auf, dass sie an den Armen zwei schlimme Narben hatte. Ihr Englisch war zwar holprig, aber das fand ich sehr erklärlich, da sie ja aus einem Land kam, in dem die jungen Menschen eher russisch gelernt hatten statt die Sprache des Klassenfeindes. Meine Begeisterung über die Weite der Landschaft, über die urigen Dörfer mit den gastfreundlichen Menschen und den heimeligen Dorfkirchen erzählte ich ihr in meinem - wie ich fand - auch etwas holprigen Englisch.                                                                       
Nach ein paar Tagen kamen wir an einen kleinen See, in dem wir natürlich sofort schwimmen wollten. Nur sehr zögerlich kleidete meine Reisegefährtin sich um und ich sah: ihr Körper war voller schlimmer Narben. Ich versuchte, mein Entsetzen zu verbergen und sagte nur: "Komm - lass uns schwimmen! Heute geht es uns gut!"
Später, am Abend, erzählte sie ein wenig: man hatte sie im Gefängnis geschlagen, sie war jahrelang inhaftiert. Als sie nach der Wende freikam, habe sie sich geschworen, noch einmal eine Reise durch "ihr Land" zu machen - und wenn sie nur einen guten Grund finden könnte, aus dem dazubleiben sich lohnen würde, dann bliebe sie dort. Aber eigentlich habe sie schon ihre paar Habseligkeiten gepackt, um auszuwandern. Und wir begegnen uns und ich schwärme ihr vollkommen ahnungslos von den Schönheiten ihrer Heimat vor!                                                                                                                                                                                                                                           
Ich weiß nicht, ob sie geblieben ist. Wir haben auch keine Adressen ausgetauscht. Wir haben uns einfach verabschiedet, nachdem unsere Lebenswege sich kurz gekreuzt hatten. Manchesmal fragte ich mich, was wohl aus ihr geworden ist.

Aber das habe ich gelernt auf der Reise und mein Leben lang zu beherzigen versucht:                                                                                        wenn ich das Tun anderer Menschen sinnvoll fand, wenn mir etwas an Menschen gefiel oder mich beeindruckte, das auch auszusprechen. Es könnte der Grund sein, auf dem sie stehen und der ihr fester Boden ist und sie ermutigt, weiterzumachen.



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2. April 2022                                  Fundsachen

"Ich ging im Walde so für mich hin und nichts zu suchen, das war mein Sinn ..." Diese poetischen Zeilen von Herrn Goethe geben meine Grundstimmung wieder, mit der ich so durch die Welt laufe, wenn ich irgendwohin gehen und / oder etwas erledigen muss. Und doch: bei aller Absichtslosigkeit geschieht es doch immer wieder einmal, dass ich etwas finde, das mein Herz erfreut oder mir wirklich weiterhilft.                                                                                                                                                                                                                                Einmal zum Beispiel, vor 30 Jahren, sah ich bei einem Gang durch strömenden Regen ein weißes Blatt Papier in einer Pfütze liegen. Da ich auf Papier immer sehr wissbegierig reagiere, hob ich das Blatt auf und betrachtete mir die Rückseite. Zu sehen war die Abbildung eines Mannes, der einen erhängten Menschen auf seinen Schultern trägt. Keine Frage: das war Jesus mit dem erhängten Judas, denn die Figur stand auf dem Säulenabschluss in einer Kirche. Sensationell - galt doch Judas als der vom Himmel Verstoßene schlechthin. Und hier trägt Jesus den Judas persönlich, damit der nicht bis in alle Ewigkeit an diesem blöden Baum hängen muss! Wie einen Schatz trug ich dieses Bild heim, trocknete es und hängte es unter Glas an meine Wohnzimmerwand.                                                                                                                 Dann begann die Suche nach dem Ort, wo das Original stand. In den folgenden Jahren fragte ich gefühlt jeden Menschen, ob er "rein zu-fäl-lig" eine Ahnung davon habe, wo die Kirche mit diesem Kapitell stehen könn-te. Natürlich wusste das keiner. Das Internet war damals irgendwie auch noch nicht so weit, Ich dümpelte also in dieser für mich so wichtigen Frage erkenntnismäßig ziemlich unergiebig vor mich hin. Bis - eben Jahre später - der Mann von schräg gegenüber starb und die Erben mir seine Bücher anboten. Ich nahm sie und hatte erst im darauffolgenden Winter Zeit, mir vor allem die Bildbände genauer anzusehen. Und nun ahnen Sie wahrscheinlich schon, dass der unvergessliche Abend kam, an dem ich "mein Bild" im Bildband über die Kathedrale von Vézelay wiederfand! Und dieses Bild des "Judas von Vézelay" hat damals mein theologisches Weltbild mit einer solchen Nachhaltigkeit verändert, wie wenn sich die Erdachse verschoben hätte. Ein unbekannter Steinmetz hat mir mit seiner revolutionären, mittlerweile fast 900 Jahre alten Aussage eine der schönsten Einsichten in die Güte Gottes vermittelt, während die "offizielle" Kirche in dieser Judas-Frage gerade erst anfing zu humpeln. (Das Bild des "Judas von Vézelay" finden Sie übrigens auf dieser homepage auf der Seite "Geistliches" unter "Weihnachtszeit 2021 / 22 "In Stein gemeißelt ...")                                                                                                                                                                                                                 Gestern fand ich auf dem Weg zu einer Orgel eine Art vollgekritzeltes Konzeptpapier. Auf der einen Seite standen handgeschriebene Liednummern, auf der anderen Seite stand gedruckt:                                                                                                                                               "Und wenn ich verzweifle, dann erinnere ich mich, dass durch alle Zeiten in der Geschichte der Menschheit die Wahrheit und die Liebe immer gewonnen haben. Es gab Tyrannen und Mörder und eine Zeit lang schienen sie unbesiegbar, doch am Ende scheiterten sie immer. Denke daran - immer!"                                                                                                                                                                                                      Da über diesem Text ein Bild von Mahatma Gandhi, dem großen, gewaltlosen Befreiungskämpfer aus Indien, abgebildet war, nehme ich an, dass dieser "Trost  auf der Treppe" von ihm stammt.

Ich gebe diese tröstenden Worte in dieser politischen Situation mal an alle Leserinnen und Leser weiter.                                                              Und schauen Sie aufmerksam auf Pfützen, Treppen und sonstige unwichtige Stellen, an denen Sie nichts vermuten würden: Sie können dort die schönsten Dinge finden!                                                         



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21. März 2022                               Keine Kleinigkeit

Manchmal regen andere Menschen sich darüber auf, dass wir Wert legen auf etwas, das ihnen selbst wie eine Kleinigkeit anmutet. Bei mir persönlich ist es z. B. das Komma. Ich ärgere mich, wenn Kommata fehlen oder an falschen Stellen gesetzt werden. Das ist für mich so, wie wenn ein Architekt ein hohes Gebäude plant und bei den Berechnungen mal etwas großzügig mit dem kleinen Kommazeichen umgeht. Das geht schief, buchstäblich – und man kann froh sein, wenn es nur bei der Schieflage bleibt und kein großes Unglück geschieht.
Auch ein Text gerät durch falsche oder fehlende Kommata in eine Schieflage. So ein kleines Komma hilft nicht nur bei der Satz- und Sinngliederung oder bei der Satzmelodie, nein, es eröffnet an der richtigen Stelle ganz neue Welten. Und manchmal wird ein Komma an der falschen Stelle geradezu gefährlich, z. B. für den Großvater im folgenden, ziemlich bekannten Beispielsatz:                                                            Entweder:   Komm, wir essen, Opa!    Oder:     Komm, wir essen Opa!
Genau, beim ersten Satz bekommt der Opa etwas zu essen, beim zweiten Satz wird er selbst gegessen; ein Unterschied, der nur durch das Setzen oder Weglassen eines Kommas entsteht! Ich finde, so etwas kann nur der eine Kleinigkeit nennen, der noch nie gegessen wurde.

Um sich den Wert eines kleinen Kommas immer vor Augen halten zu können, hier noch eine kleine Geschichte:                                                Ein Gefangener, der schon jahrelang unschuldig im Kerker saß, schrieb in seiner Verzweiflung seinen Fall für den Fürsten noch einmal nieder, um erneut um Freilassung zu bitten. Die Wache übergab dem Fürsten das Gnadengesuch des Gefangenen. Nachdem der Fürst es aufmerksam gelesen hatte, schrieb er darunter: „Gnade, unmöglich im Gefängnis zu belassen.“
Stellen Sie sich einmal vor, der Fürst hätte es mit dem Komma nicht so genau genommen und hätte geschrieben: „Gnade unmöglich, im Gefängnis zu belassen.“

PS: Sollten Sie in meinen Texten irgendwo Kommafehler finden, schreiben Sie mir! Ich gehöre zu den Menschen, die darüber nicht beleidigt sind. Ich finde so etwas wichtig. Ich habe übrigens festgestellt, dass man beim dauernden Lesen von Texten mit Kommafehlern selbst irgendwann anfängt, in schwierigen Fällen nachzudenken, ob das verflixte Ding tatsächlich da hingehört, wo es gerade steht. Klar, man lernt ja auch in jungen Jahren nur an fehlerlosen Texten fehlerfrei schreiben und lesen.


 

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4. März 2022                  Aber nicht in diesem Ton!


Neulich ist es geschehen: ich erlebte als Zuschauer und Zuhörer, wie jemand richtig zornig wurde. Tatsächlich: es gibt ihn noch, den echten, guten, alten Wutanfall. Ich dachte schon, er sei ausgestorben – allen Menschen abdressiert von all jenen, die immer wohltemperiert in gleichlautenden Sentenzen vor sich hinreden.                                                                                                                              Ich war hingerissen und verzaubert vom Auftritt des Zornentbrannten: diese Wortschöpfungen und Metaphern, diese exzellente Gestik und Mimik, die Höchstleistung an Rhetorik, der ununterbrochene Wortfluss, diese wahnsinnige Amplitude zwischen laut und leise mit sämtlichen Schattierungen! Satz für Satz in Stein gemeißelt, keine einzige Floskel in Sicht, keine billigen Stehsätze in Hörweite, keine Ähm-Pausen! Es war der reinste Genuss und das sage ich ohne jegliche Ironie!
Da der Adressat sich diese Wutrede schön erarbeitet hatte, wurde mein Erlebnis durch keinerlei Mitleid eingetrübt. Auch sah ich mich nicht veranlasst, den Ausbruch zu unterbrechen. Kinder waren nicht dabei und entlassen oder geschieden wurde anschließend auch keiner. Ebenso war danach kein medizinischer Notfall zu beklagen, im Gegenteil: der Zorn war raus und das ist natürlich viel gesünder als wochenlanges In-sich-hineinfressen – alles in allem also ein uneingeschränktes Vergnügen.

Ja, ja, ich weiß: der Wutanfall sollte der absolute Betriebsunfall bleiben. Ich bin auch nicht versessen auf Wutanfälle. Aber als großer Sprachfan und temperamentvolle Musikerin kriege ich halt Temperatur, wenn ich überall und jederzeit dieselben Floskeln, Wortdrehungen und Worthülsen höre. Bis heute konnte mir z. B. noch niemand den Unterschied erklären zwischen „etwas zeigen“ und dem seit Jahren ständig klingelnden „etwas aufzeigen“. Warum sagen plötzlich so viele „abklären“, statt klar bei „klären“ zu bleiben? Und was soll die inflationär gebrauchte Wortkonstruktion in diesem Beispielsatz: „Das Denken gehört zum Sprechen dazu.“?

Jahrzehntelang lernten Menschen in gleichgekämmten Kommunikations-Seminaren, wie man etwas ruhig und sachlich und bis zur Unkenntlichkeit neutral mitteilt, egal, wie die innere Verfasstheit gerade so ist. Landauf, landab glichen die Äußerungen vieler Menschen bald der geraden Linie einer Herzüberwachungsmaschine nach Todeseintritt: keine Ausschläge mehr, weder nach unten, noch nach oben. Einfach nur geradeaus und – tja, irgendwie furchtbar eingeebnet, eben leblos. Gefühlt jeder dritte Satz beginnt mit „Ich empfinde das als …“- übrigens eine Floskel, die sich bei einem Wutanfall binnen Sekunden erledigt: da kriegt auch der Begriffsstutzigste blitzschnell ohne Worte mit, wie es Ihnen gerade geht. Und wenn die Argumente ausgehen, kommen nicht selten die Universal-Hammer: „Das kann man auch ruhig sagen,“ oder „Bitte nicht in diesem Ton!“

Übrigens: in unserer derzeitigen Situation, in der wir tatsächlich dringend Ruhe, Sachlichkeit und De-Eskalation bräuchten, erlebe ich bei Politikern und vielen Menschen in der Gesellschaft, dass sie alle antrainierten Kommunikationsregeln über Bord werfen und einfach drauflosreden. Da sagt eine Politikerin frei heraus: „Wir sind eiskalt belogen worden.“ (Sind wir ja auch, aber das muss man schön sachlich ausdrücken: „Verschiedene russische Politiker definieren Wahrheit sehr niedrigtemperiert und persönlich eigenwillig.“)
Wir wissen doch alle, dass Narzissten sich bei Kritik in ihrer Eitelkeit extrem verletzt fühlen und noch gefährlicher reagieren. Polizeipsychologen wenden diese Erkenntnis bei jeder Geiselnahme an, um den Geiselnehmer nicht noch mehr zu reizen. Und wir reden hier wütend Klartext und provozieren den Hauptakteur in Osteuropa noch mehr, statt ruhig und nüchtern zu sagen: „Er ist nicht unser Feind, aber wir bestehen auf die Einhaltung unserer Rechte; und als gute Nachbarn aller werden wir weiterhin das tun, was wir als unsere Pflicht erachten.“

Und diesen Appell zu Ruhe und Sachlichkeit in Sprache und Stimme – den meine ich jetzt wirklich ernst.

 


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26. Februar 2022                        Die Zuversicht für den Alltag retten

Gestern ein Telefonat mit einer lieben Freundin, Thema ist natürlich der hasserfüllte, militante Großveranstalter aus Osteuropa und die armen Menschen im Kriegsgebiet. Sie sagte: „Du kannst mich für oberflächlich oder egoistisch halten – aber ich schaue mir die Sendungen über den ganzen Tag nicht an. Das zieht mich runter, ich kann sowieso nichts ändern. Wenn ich nichts sehe und höre, geht es mir besser. Glaub mir, wenn ich durch das ständige Zuschauen und Lesen nur etwas ändern könnte, ich würde es tun.“

Ich halte meine Freundin nicht für oberflächlich und egoistisch. Freie Informationen einer freien Presse, freie Medien sind ein unschätzbar hohes Gut! Aber mir scheint, was den Konsum dieser Medien vor allem auch in so aufgeladenen Situationen wie der jetzigen betrifft, gilt die Formel des Paracelsus: die Dosis macht, ob es ein Gift ist oder nicht. Zuviel schlechte Nachrichten auf einmal machen mutlos, inaktiv und depressiv, wenn man nichts tun kann, um eine Lage zu verbessern. Auch ich habe beschlossen, nicht starr vor Schreck wie ein hypnotisiertes Kaninchen vor den Drohungen des Tyrannen zu stehen. Innere Haltung kann man üben. Ich nehme mir vor, sehr bewusst und dankbar mit all dem umzugehen, was mir bisher Freude schenkte: die Musik, Bilder und Bücher, Begegnungen mit Menschen, die Natur … Und ich werde mich noch mehr dafür einsetzen, dass in meinem eigenen Umfeld bei den Menschen Friede und Zuversicht wachsen. Das kann ich tun.

Heute ist heute; und morgen nach den Nachrichten werde ich mich mit Gottes Hilfe den neuen Anforderungen des neuen Tages stellen – und ich werde, bei aller Trauer im Herzen, nicht in Untätigkeit oder nutzlose Debatten versinken.

Nach einem Leben in Freiheit und ohne Krieg zu streben, ist keine Schwäche. Bei aller notwendigen politischen Selbstkritik in vielen Bereichen: Ich bin stolz und dankbar, Teil einer Gesellschaft zu sein, die sich um ein friedliches Zusammenleben der Völker bemüht. Und ich bewundere alle Menschen restlos, die sich unter großen Gefahren dafür in Diktaturen einsetzen!


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18. Februar 2022                           Im neutralen Umschlag?

Nach wiederholter erfreulicher Gelegenheitslektüre habe ich heute ein schon länger gehegtes Vorhaben in die Tat umgesetzt: ich habe die Wochenzeitung „Jüdische Allgemeine“ abonniert. Es ist eine sehr vielseitige, anregende, positive Zeitung, deren gelegentlich gelesene Artikel mir immer viel Gewinn gebracht hatten.                                                                                                                                                Nachdem ich das erforderliche Formular ausgefüllt hatte, begegnete mir kurz vor dem Button „Absenden“ noch eine Wahlmöglichkeit, die mich allerdings ziemlich traf: ich sollte wählen, ob ich die Zeitung in einem neutralen Umschlag zugeschickt bekommen wollte oder nicht. Die Redaktion ging also – vielleicht aus leidvoller Erfahrung – davon aus, dass eventuell auch ihre Leser in Schwierigkeiten kommen können, wenn man mitbekommt, dass sie eine jüdische Zeitung lesen. Und die Redaktion möchte ihre Leser auf Wunsch natürlich schützen.                                                                                                                                                                                                                              Als ich nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle nach einem Autoaufkleber gegen Antisemitismus suchte, meinten Freunde und Bekannte, ich müsste aber damit rechnen, dass man mir den Lack zerkratzt oder die Reifen zerstört. Allein, dass sie das besorgt (!) sagten, allein, dass die jüdische Redaktion einen neutralen Postumschlag für ihre Zeitung anbietet – das würde doch nicht geschehen, wenn es sich um die Parteizeitung oder einen Autoaufkleber für SPD oder CDU handelte!

Mir fällt kein passender Schlusssatz ein. Mir graut einfach nur davor, dass das alles wieder auf dem Vormarsch ist. Es ist nicht nur gefährlich - es ist auch so extrem würdelos.

 


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7. Februar 2022                                   RESPEKT!

Ich habe mich gründlich geärgert – muss wahrscheinlich auch mal sein …

Kennen Sie diese „wichtigen“ Menschen, die meinen, sie könnten alles besser als andere? Die nicht den kleinsten Funken Respekt davor haben, dass da neben ihnen jemand ist, der eine Aufgabe viel besser und kompetenter ausführen kann? Die gar nicht die Gehirnwindungen haben, um sich eine solche Ungeheuerlichkeit auch nur ansatzweise vorzustellen? Das Ergebnis ist dann in der Regel stil- und geistlos und aufregend wie lauwarmes Abwaschwasser – und könnte eigentlich so schön sein! Da blutet einem echt das Herz!

Respekt zu haben vor den Fähigkeiten und Begabungen eines anderen Menschen hat nichts damit zu tun, ob man den anderen mag oder nicht. Es hat mehr damit zu tun, dass man sich selbst einfach mal nicht für einen kleinen Abgott und den strahlenden Mittelpunkt des Universums halten sollte.                                                                                                                                                                                                      In Studentenkreisen pflegten wir über Menschen, die keine Ahnung hatten, sich aber immer in die erste Reihe schoben, zu sagen: „Ihr Selbstbewusstsein wurde durch keinerlei Fachkenntnis getrübt.“

Auch wenn es gerade nicht so angesagt ist, von der katholischen Kirche etwas zu lernen – aber in diesem Fall kann man es. Dort heißt es: „Bei den liturgischen Feiern soll jeder … in der Ausübung seiner Aufgabe nur das und all das tun, was ihm … gemäß den liturgischen Regeln zukommt.“ (aus den Konstitutionen zur Liturgie)

Wer keinen Respekt hat vor anderen Menschen mit ihren Fähigkeiten und Begabungen, tut immer, was er kann – und leider auch viel zu oft das, was er nicht kann.                                                                                                                                                                                                    Einen solchen Menschen sollte man auf einen Ausspruch von Georges Clemenceau hinweisen: „Die Friedhöfe dieser Welt sind voll von Menschen, die sich für unentbehrlich hielten.“

So, genug geärgert! Nun wende mich wieder den schönen Dingen des Lebens zu … 


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21. Januar 2022                              Gutachten

Also der Begriff Gut-achten müsste bei Gelegenheit auch einmal auf seine universelle Verwendbarkeit hin untersucht werden. Aber nicht jetzt …

Heute ist kein guter Tag für Heiterkeit. Und damit rutscht das Thema „Kirche“ tatsächlich in meinen Blog, was es nie sollte. Aber heute ist es ein sehr dominantes und schmerzhaftes Thema: jeder, dem die Kirche am Herzen liegt, ist einmal mehr schockiert bei den Nachrichten, die diesmal aus dem Bistum München kommen.                                                                                                                                                      Natürlich redet man mit anderen darüber. Und die meisten sehen und sagen ganz klar: selbstverständlich muss alles aufgedeckt und gesühnt werden; Betroffene müssen um Verzeihung gebeten und soweit wie möglich entschädigt werden; Strukturen gehören von Grund auf verändert.

Aber wohin mit diesem Gefühl von Scham und Machtlosigkeit?                                                                                                                      Vielleicht ist es – mal salopp und weltlich betrachtet! – die Zeit, sich ein aufbauendes Beispiel zu nehmen an echten Fußballfans? Sie steigen gemeinsam mit ihrem Verein ab, gehen mit ihm durch die Hölle und steigen auch gemeinsam wieder auf, wenn Läuterung und Verbesserung stattgefunden haben. Und immer mit allen Emotionen und in beeindruckender Zahlenstärke.                                                      Ich weiß, ich weiß: Kirche ist kein Verein, blinde Gefolgschaft ist nie gut und jeder Vergleich hinkt.                                                                    Aber alle anderen Optionen – Gehen, Achselzucken, Ignorieren – sind auch keine wirklichen Lösungen, weil sie nicht in Freiheit und Unabhängigkeit geschehen, sondern als Re-Aktion auf etwas sehr Schlechtes.                                                                                                        Da bleibt vielleicht nur eins: sich bewusst machen, dass die Menschen immer auch an mir und meinem Verhalten ablesen werden, was Christsein bedeutet.

Gedanken zum Wandel von der Traurigkeit und Ohnmacht zu christlicher Aktivität kann man auf der Seite „Geistliches“ lesen. Und Musik zum Ausruhen, Sammeln, Durchatmen und Neubeginnen finden Sie auf der Seite „Musikempfehlung“. 


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11. Januar 2022                                Ein gutes Wort geht immer!

Heute morgen saß ich versonnen am Tisch, dachte über den Tag nach und drehte ein Päckchen Papiertaschentücher in meinen Händen. Dabei stellte ich fest, dass meine Papiertaschentücher mit mir reden. Doch, wirklich, sie reden mir gut zu. Auf der Packung steht: „Einfach mal machen.“ Wer weiß, wie lange das schon auf den Packungen steht und ich habe nie bemerkt, dass wenigstens meine Papiertaschentücher mich ermutigen und anspornen in diesen etwas tristen und schwierigen Zeiten. Während ich darüber nachdachte, was ich denn mal so einfach machen solle, fiel mir ein, dass ich mein Toilettenpapier dazu befragen könnte. Es ist seit einiger Zeit bunt bedruckt mit einem Reisebus und Blumen. Daneben steht die kollektive Aufforderung: „Lasst uns Erinnerungen schaffen!“ Das ist an sich richtig, aber in Verbindung mit dem Reisebus in Pandemiezeiten nicht der klügste Appell. Na ja, auch Toilettenpapier kann sich mal irren. Ich muss mir etwas anderes überlegen.                                                                                                                                                                            Da eine Toilettenpapier-Rolle ja viel Platz bietet, bringt man mir mit dem nächsten Abriss freundlich in Erinnerung, dass ein glücklicher Geist glückliches Leben zur Folge hat. Nachdenklich gehe ich zu meinem Vorratsschrank und wühle alle Toiletten- und Putzartikel, Flaschen und Dosen durch, intensiv, jedoch leider vergeblich auf der Suche nach weiteren Antworten und Vorschlägen. Der philosophisch-psychologische Beratungsdienst der Hygiene- und Putzmittelindustrie ist noch nicht flächendeckend aufgestellt. Ich werde wohl doch auf meine alte Freundin zurückgreifen müssen, um mit ihr gemeinsam herauszufinden, was ich einfach mal machen muss, damit mein Geist so glücklich wird, dass ich es in meinem Leben zu glücklichen Erinnerungen bringe.                                                                                              Eines lässt sich aus all dem allerdings sofort entnehmen:                                                                                                                                            An jedem Tag einem anderen Menschen ein gutes, ermutigendes, motivierendes Wort sagen – das geht immer; und das braucht man nicht Papiertaschentüchern und Toilettenpapier überlassen. 


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27. Dezember 2021                      Man muss sich den Alltag schönmachen

Sie ist 90 geworden. Ihr Körper braucht Hilfe und auch die Zerstörung ihres Verstandes ist offensichtlich. Fast als Entschuldigung für diesen Verlust ließ die Natur das kindliche Gemüt der Jubilarin nach und nach wie einen leuchtenden Edelstein zutage treten.                                Um sie in diesen Zeiten nur ja vor Ansteckung und einem bitter – einsamen Lebensende im Krankenhaus zu bewahren, kommen die Gratulanten über die ganze Woche verteilt einzeln, gleichsam in homöopathischen Dosen. Sie freut sich sichtlich über die trotz Masken vertrauten Gesichter der willkommenen Gäste, über Blumen, Gaben, freundliche Worte und gute Wünsche und strahlt.

Nach einer Reihe solcherart begangener Tage fragt sie eines Morgens beim Ankleiden aufgeräumt, durchaus interessiert, ja, fast gespannt: „Und was für ein Fest feiern wir heute?“ Ihre liebevolle Pflegerin antwortet: „Heute feiern wir kein Fest, heute ist nur Frühstück.“ Ungläubige Rückfrage mit sanfter Entrüstung: „Nur Frühstück???!“ „Ja, heute ist nur Frühstück.“ Nach einem kurzen Schweigen seufzt sie mit leiser Resignation in der Stimme, aber doch gutmütig und entgegenkommend: „Na gut.“ Um noch klar und entschlossen hinterherzuschieben: „Aber dann mit Brötchen!“

Keine Frage: die Kunst, sich auch in diesen mitunter trüben Zeiten den Alltag schönzumachen, beherrscht sie noch. Zur Nachahmung und ständigen Übung empfohlen!

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18. Dezember 2021                            Bitte ein Dessert

Heute kommt die Kolumne passend zum 3 - tägigen Weihnachtsfest.                                                                                                              Gestern stellte eine Moderatorin im Autoradio eine Studie vor, die an Universitäten in Jena und New York erhoben wurde. Gewonnene Erkenntnis: bei fülligem Personal bestellen Gäste in einem Restaurant bis zu 4-mal öfter Dessert bzw. Alkohol als bei einer nicht-fülligen Bedienung. (Wie formuliert man das jetzt alles wieder, ohne D-Worte und Ü-Worte und andere Begriffe zu verwenden, die man nicht benutzen darf, um nur ja niemanden zu kränken??? Darf man überhaupt noch das B-Wort verwenden? Ich bin da nie auf dem neuesten Stand, obwohl ich mir wirklich Mühe gebe.) Die Moderatorin empfahl den Hörern, ihre Dessert-Entscheidung schon auf dem Parkplatz vor dem Betreten des Restaurants zu treffen! Als ob wir nicht alle wüssten, dass auch heroisch getroffene Entscheidungen in geeigneten Situationen zusammenklappen wie Kartenhäuser. 

Nein, da hilft nur eins: Ich visualisiere auf dem Parkplatz vor meinem inneren Auge die dünnstmögliche Bedienung (da ist es wieder, dieses B-Wort) und sage dreimal laut: „Und trotzdem: ich werde das Dessert genießen!“ Wenn ich die Worte „Und trotzdem!“ auf dem Weg in das Lokal und zum bestellten Tisch mantramäßig wiederhole, dann könnte ich es mit etwas Glück tatsächlich bis zum Dessert bringen; selbst bei einer servierenden Person, deren Gewicht in umgekehrt reziprokem Verhältnis zu meinen Dessertabsichten steht. Und wenn ich das hinkriege, dann habe ich nicht einfach nur eine Dessertbestellung zuwege gebracht, sondern etwas für‘s Leben gelernt: Rückrat und wahrhaft echte Entscheidungsfreiheit. Wozu so ein Dessert doch gut ist!

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9. Dezember 2021                       Zeitnah

Ich liebe nicht nur Weisheitsgeschichten und gute Nachrichten, sondern auch unsere Sprache.                                                                          Ein neues Wort, das ich bisher noch nicht kannte, erfreut mich immer sehr. Also ich meine jetzt keinen Fachbegriff oder irgend so eine Wortmischung aus Deutsch und Englisch, sondern ein mir bisher gänzlich unbekanntes Wort, mit dem ich meinen Wortschatz anreichern kann. Kürzlich bekam ich eine mail von einer lieben Bekannten aus dem tiefen Süden Deutschlands. Die Nachricht endete mit Wünschen für eine „richtig stade Zeit“. Das Wort kannte ich noch nicht.                                                                                                                                      Auf der anderen Seite gibt es Worte, die man gar nicht schnell genug wieder aus dem allgemeinen Wortschatz herauswerfen kann, z. B. die Vokabel „zeitnah“. „Zeitnah“ ist ein unsinniges Wort, denn Zeit ist immer da - sie ist um uns wie Luft. Die Menschen, die das Wort „zeitnah“ verwenden, meinen immer „Ereignis-nah“. Ich habe es jahrelang geprüft. Gut, das Wort „Ereignis-nah“ kann leicht übertrieben wirken, aber statt die sinnlose Vokabel „zeitnah“ in die Welt zu setzen hätte man ja mal ein ganz neues Wort erfinden können.                        "Zeitnah“ ist ein vielstrapaziertes, gutklingendes Modewort - was nichts an seiner Sinnlosigkeit ändert.                                                          Man sollte über seinen Wortgebrauch nachdenken, sonst übernimmt man auch leicht mal ganze Gedanken, die nur im besten Falle sinnlos sind, im schlimmeren Fall hingegen eloquent klingende Spreng-Sätze.

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1. Dezember 2021                         Intro

Diese homepage soll – so ist zunächst mein Plan – auf ein Jahr bis zum Advent 2022 begrenzt sein.

Und dieser Blog bekommt beileibe nicht jeden Tag einen Eintrag, sondern nur dann, wenn mir Dinge auffallen oder erwähnenswert erscheinen; Dinge, die ich kritikwürdig finde oder die mich erheitern. Ich werde – versprochen! – die Politik außen vorlassen.

Hier schreibe ich über alles, was thematisch nicht auf die anderen Seiten dieser homepage passt: über die vielen Bereiche, die humorvoll, kreativ, bedenkenswert, inspirierend und aufmunternd sind und die das Leben so schön machen! Und vielleicht werde ich zwischendurch auch einmal Geschichten oder Erbauliches erzählen, denn ich liebe Weisheitsgeschichten und gute Nachrichten …

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