1. Sonntag der Fastenzeit 2024 Jona III: Umkehr in jeder Hinsicht
Die Erzählung von Jona endet damit, dass er doch nach Ninive geht und die Bewohner warnt: ihre Stadt werde untergehen, wenn sie sich und ihren Lebenswandel nicht änderten. Mit einem Minimalaufwand von Predigt erzielt Jona maximalen Erfolg: Angefangen beim König tun alle Bewohner Buße. Und Gott "hielt inne" - so steht es im hebräischen Originaltext - und sah von seinem Urteilsspruch über Ninive ab. Jona hatte also in jeder Hinsicht Erfolg. Und doch ist er mürrisch und lässt seine miese Laune ungefiltert an Gott aus: er ist nicht damit einverstanden, dass Gott so gütig ist und die Menschen verschont, da sie zur Einsicht gekommen sind. Womöglich hat er Sorge, als "falscher Prophet" dazustehen? Oder er wollte die Erzfeinde seines Volkes in jedem Falle untergehen sehen? Wer weiß ...Gott macht ihm jedoch klar, dass Er die Menschen, wenn sie denn umkehren, nicht strafen kann.
Die Erzählung vom Propheten Jona ist mindestens eine doppelte Bekehrungsgeschichte:
Die Menschen in Ninive mussten sich bekehren von Gewalt und bösen Wegen.
Aber auch Jona musste sich bekehren.
„Hebräer“ heißt in der Landessprache Iwri. Das bedeutet „Grenzüberschreiter“. Dieses Grenzen überschreiten begann schon mit Abraham, der in ein fremdes, ihm unbekanntes Land aufbrechen sollte. Und nun musste der Hebräer Jona nach der langen Reise in das unbekannte Assyrer-Reich zuletzt auch die Grenzen seines eigenen Herzens sehen lernen und überschreiten. Der Hebräer Jona musste erkennen und akzeptieren, dass Barmherzigkeit höher steht als Gerechtigkeit und dass Gottes Menschenliebe über menschliche Feindschaften weit hinausreicht.
Das Buch Jona hält uns einen Spiegel vor. In ihm können wir in unsere eigenen Abgründe schauen.
Wieviel von diesem Jona tragen wir in uns? Wieviel von Jonas Gedanken ist uns vertraut?
Haben wir den Mut, die Grenzen unseres Herzens wenn möglich bei Notwendigkeit zu überschreiten?
Gott lehrt uns nicht ein paar schöne Verhaltensweisen zum netten Zusammenleben. Gottes Anspruch an uns ist riesengroß:
Es ist zum einen die bedingungslose Feindesliebe – dafür steht Jona.
Zum anderen ist es die radikale Hinwendung zum Guten und Menschlichen. Dafür steht Ninive. Beides ist unfassbar schwer.
Sind wir bereit, diese Lehre Gottes anzunehmen und sie zu leben?
PS: Diese Aufforderung an die Menschen in Ninive, umzukehren von den falschen Wegen, weil sonst die ganze Stadt untergeht, ist leider auch hochaktuell. Z.B. im Hinblick auf die Umweltverschmutzung und die Klimakatastrophe. Das diesjährige Hungertuch von Misereor thematisiert das auf eine künstlerisch sehr beeindruckende Weise unter dem Thema: Was ist uns heilig?
28. Januar 2024 Jona II: Auch im Fischbauch kann man beten
In meinem Beitrag vom vergangenen Sonntag hatte ich den Anfang der Geschichte des Propheten Jona betrachtet - bis zu dem Augenblick, in dem die Matrosen Jona in ihrer Verzweiflung ins Meer warfen. Der innerlich schon schwankene Jona, zerrissen zwischen dem Auftrag Gottes und seiner Weigerung, diesen zu erfüllen, hatte den äußerlich festen Boden verlassen, sich zur Flucht auf's Meer begeben und war untergegangen.
Und hier nun wird die Geschichte scheinbar gänzlich märchenhaft: "Der HERR aber schickte einen großen Fisch, dass er Jona verschlinge." Die Volksmeinung hat daraus einen Walfisch gemacht hat. (Man möchte vielleicht doch immer alles so drehen, dass es irgendwie noch halbwegs gut ausgehen kann. Stellen Sie sich mal vor, das Volk hätte einen Hai vorbeikommen lassen. Da hätte ich ja für Jonas Leben keinen Deut mehr gegeben. Aber der behäbige Walsäuger erscheint uns innen schön warm und geräumig und von gutmütigerem Wesen als der Hai.)
Man lasse sich von dem Fisch nicht ablenken. Die Schrift fährt fort:
Jona war drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches.
Da betete Jona zum HERRN, seinem Gott, aus dem Inneren des Fisches heraus:
In meiner Not rief ich zum HERRN und Er erhörte mich.
Aus dem Leib der Unterwelt schrie ich um Hilfe und Du hörtest meine Stimme.
Du hast mich in die Tiefe geworfen, in das Herz der Meere; mich umschlossen die Fluten, all Deine (!) Wellen und Wogen schlugen über mir zusammen. Ich sagte: Ich bin verstoßen aus Deiner Nähe.
Wie kann ich jemals wiedersehen Deinen heiligen Tempel?
Das Wasser reichte mir bis an die Kehle, die Urflut umschloss mich; Schilfgras umschlang meinen Kopf.
Bis zu den Wurzeln der Berge bin ich hinabgestiegen in das Land, dessen Riegel hinter mir geschlossen waren auf ewig.
Doch Du holtest mich lebendig aus dem Grab herauf, HERR, mein Gott.
Als meine Seele in mir verzagte, gedachte ich des HERRN und mein Gebet drang zu Dir, zu Deinem heiligen Tempel.
Die nichtige Götzen verehren, verlassen den, der ihnen Gutes tut.
Ich aber will Dir opfern und laut Dein Lob verkünden.
Was ich gelobt habe, will ich erfüllen. Vom HERRN kommt die Rettung.
Abgesehen von diesen wunderbaren, herrlichen Bildern im Gebet des Jonas: es sind alles Verse aus verschiedenen Psalmen; Forscher gehen davon aus, dass dieses Gebet später eingefügt wurde. Aber egal, ob eingefügt oder nicht: ein anderer Gedanke kann uns lehrreich sein an diesem Gebet. Lesen Sie hier irgendetwas von der Auftragsverweigerung des Jona Gott gegenüber? Der Mann muss doch in innerem Aufruhr gewesen sein. Oder zumindest zornig! Oder im Zwiespalt, oder ratlos ... Nichts von alledem: ihm werden Psalmverse - fertig formulierte Gebete - in den Mund gelegt, die nichts von alledem erkennen lassen. Nur Ergebenheit und Anerkennung der Größe und Barmherzigkeit Gottes. Man darf gespannt sein, wie lammfromm dieser Jona nach Ninive gehen wird, wenn er denn wieder an Land ist. Leider ist er das ganz und gar nicht, wie der Abschluss der Geschichte (siehe nächsten Sonntag) zeigen wird.
Was daran lehrreich ist? Wenn wir beten, dürfen wir mit Gott so reden, wie es uns um's Herz ist. Ich muss ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Psalmen sehr emotional und ausdrucksstark sind; man kann zum Beten auch sie zuhilfenehmen. Das ganze Persönliche, Bedrückendes oder himmlisch Erfreuliches, Ratlosigkeit oder Planfülle, Schönes oder Schlimmes zu unterdrücken und unausgesprochen zu lassen? Nein, so soll es nicht sein. Trauen Sie sich, Gott in Ihrem Beten Ihr Herz restlos auszuschütten, wie es in unserem wunderschönen Sprachbild heißt.
Das heißt ja nicht, dass Sie Gott Anbetung, Lob und Dank vorenthalten sollen. Dafür sind die Psalmen übrigens eine sehr gute Gebetsschule.
PS: Apropos (Wal-)fisch: Die Jona-Erzählung ist eine Lehrerzählung, keine Realität. Und sie wissen ja, wie die Orientalen so sind: Meister ds Erzählens! Wieviel herrliche Literatur und wieviel leuchtende Bilder würden uns ohne sie fehlen! Da brauchen wir wahrlich nicht über die Rettung des Jona in einem Fisch zu stolpern. Sie kann uns darauf hinweisen, dass Gott, der Schöpfer des Universums, den Jona auch in schier auswegloser Situation retten kann. Und dass Jona nicht vor Gott weglaufen kann.
21. Januar 2024 Jona I: Bloss nicht nach Ninive!
Heute haben wir im Gottesdienst aus der Geschichte von Jona und dem Walfisch gehört. Es lohnt sich, dieses scheinbare Märchen in Ruhe näher anzuschauen.
Vorab aber zwei Hinweise:
1. Die Orientalen sind ein Volk mit einer sehr ausgeprägten Erzählkunst und viel Zeit.
2. Man muss sich bei einem Bibeltext immer klar machen, um was für eine literarische Form es sich handelt.
Für die Erzählung von Jona und dem Walfisch können wir sagen: es ist kein geschichtliches Buch, sondern eine Lehrgeschichte.
Hier nun der Anfang:
Das Wort des HERRN erging an Jona, den Sohn Amittais:
„Mach dich auf den Weg und geh nach Ninive, der großen Stadt, und rufe über sie aus, dass ihre Schlechtigkeit zu mir heraufgedrungen ist.“
Jona machte sich auf den Weg; doch er wollte nach Tarschisch fliehen, weit weg vom HERRN. Er ging also nach Jaffa (heute: Tel Aviv) hinab und fand dort ein Schiff, das nach Tarschisch fuhr. Er bezahlte das Fahrgeld und ging an Bord, um nach Tarschisch mitzufahren, weit weg vom HERRN.
Der HERR aber warf einen großen Wind auf das Meer und es entstand ein gewaltiger Seesturm und das Schiff drohte auseinanderzubrechen.
Da gerieten die Seeleute in Furcht und jeder schrie zu seinem Gott um Hilfe. …
Jona war in den untersten Raum des Schiffes hinabgestiegen, hatte sich hingelegt und schlief fest. …
Dann sagten sie zueinander: „Kommt, wir wollen das Los werfen, um zu erfahren, wer an diesem unserem Unheil schuld ist.“ Sie warfen das Los und es fiel auf Jona. Da fragten sie ihn: „Sag uns doch, weshalb dieses Unheil über uns gekommen ist. Was treibst du für ein Gewerbe und woher kommst du, was ist dein Land und aus welchem Volk bist du?“
Er antwortete ihnen: „Ich bin ein Hebräer und verehre den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Festland gemacht hat.“ …
Und sie (die Männer) sagten zu ihm: „Was sollen wir mit dir machen, damit das Meer sich beruhigt und uns verschont?“ …
Jona antwortete ihnen: „Nehmt mich und werft mich ins Meer …! Denn ich weiß, dass dieser gewaltige Sturm durch meine Schuld über euch gekommen ist.“
Die Männer aber ruderten mit aller Kraft, um wieder an Land zu kommen; doch sie richteten nichts aus, denn das Meer stürmte immer heftiger gegen sie an.
Da riefen sie zum HERRN: „Ach HERR, lass uns nicht untergehen wegen dieses Mannes und rechne uns, was wir jetzt tun, nicht als Vergehen an unschuldigem Blut an!“ ….
Dann nahmen sie Jona und warfen ihn ins Meer und das Meer hörte auf zu toben. …
Der HERR aber schickte einen großen Fisch, dass er Jona verschlinge. Buch Jona, Kap. 1, Verse 1 ff
Ninive war die Hauptstadt des Assyrer-Reiches. Und die Assyrer waren gefürchtet als ein entsetzlich blutrünstiges, unbarmherziges Volk. Kein Wunder, dass Jona vor diesem Auftrag einfach nur abhauen wollte! Wer konnte so wahnsinnig sein und nicht nur freiwillig nach Ninive gehen, sondern den Menschen dort auch noch ihre liderliche Lebensweise vorhalten. Das war ein Himmelfahrtskommando.
Was Jona also stattdessen tut: er organisiert sich eine halbe Weltreise in die entgegengesetzte Richtung nach Tarschisch, das im Süden Spaniens liegt und für die Juden als Ende der Welt galt. Alles, bloß nicht Ninive!
Jona flüchtet vor dem Auftrag. Wie man sieht, kann er das scheinbar. Er flüchtet auch vor Gott, den er vor den Matrosen als seinen Herrn und Schöpfergott bekennt. Er flüchtet nicht nur auf äußere Weise, sondern auch innerlich, indem er sich einfach schlafen legt. Wer schläft, muss nicht nachdenken.
Und nun erzählt diese Geschichte in den Bildern ihrer Zeit einen Zusammenhang, der einen glaubenden Menschen nachdenklich machen kann: zwischen diesem vor Gott flüchtenden Jona, der Natur und den anderen Menschen kommt es zu einer Störung. Der Sturm und die Lebensgefahr, in die die Seeleute geraten, verdeutlichen das.
Es gibt Zusammenhänge zwischen der Gottesbeziehung eines Menschen und dessen Menschen in der Umgebung. Christen leben mit ihrem Glauben nicht in einem luftleeren, also beziehungslosen Raum. Ihr Verhältnis zu Gott hat Auswirkungen auf ihr Umfeld.
Jona, so wird erzählt, stellt sich dieser Situation und löst sie auf die einzig mögliche Weise. Er gibt seine Flucht vor Gott auf und liefert sich Ihm aus.
14. Januar 2024 Weder niedlich noch harmlos
Wenn ich in Familiengottesdiensten oder Katechese-Kreisen mitbekomme, wie z. B. solche Geschichten wie die vom Hirtenjungen David und seinem Kampf gegen den feindlichen „Riesen Goliath“ erzählt werden, dann bekomme ich immer ein wenig Bauchschmerzen. Das wird alles sehr nett und kindgerecht dargestellt: der kleine Hirtenjunge kämpft gegen den gemeinen Riesen. Der Clou ist dann, dass der Kleine für sein ganzes Volk den gefährlichen Gegner besiegt! Da braucht man nichts mehr groß zu sagen, nicht wahr?
DOCH! Auf solche Weise verliert diese Erzählung jegliche Brisanz. Sie verliert unsere Aufmerksamkeit. Als Kind mit einer Steinschleuder einen Riesen mit Schwert zu besiegen, ist ein kindgerechtes Märchen. Reizend. Aber was soll so eine Geschichte für uns Erwachsene?
Also der Hirtenjunge David war zwar der Jüngste der Isai-Söhne, aber keineswegs mehr ein Kind. Ein Kind konnte man nicht allein zum Vieh-Hüten schicken. Das Hüten wird ebenfalls oft genug als pastorale Idylle dargestellt. Wie der Alltag aussah, erzählt diese Riese-Goliat-Geschichte übrigens auch im Original der Bibel:
David sagte zu (König) Saul: „Dein Knecht (=David) hat für seinen Vater die Schafe gehütet. Wenn ein Löwe oder ein Bär kam und ein Lamm aus der Herde wegschleppte, lief ich hinter ihm her, schlug auf ihn ein und riss das Tier aus seinem Maul. Und wenn er sich dann gegen mich aufrichtete, packte ich ihn an der Mähne und schlug ihn tot.“
So etwas kann kein Kind. Dafür muss man schon zumindest ein kräftiger Jugendlicher oder junger Mann sein.
Die nächste Sache ist die mit der Steinschleuder. Mich würde es nicht wundern, wenn nach vielen beschaulichen Katechesen in den Köpfen der meisten Erwachsenen so eine kleine, niedliche Gummifletscher-Zwille herumgeistert, mit der gemeine Jungen in unserer Schulzeit früher Papierkrampen quer durch's Klassenzimmer geschossen haben.
Mit einer echten antiken Steinschleuder konnte man ohne Weiteres die Wirkung eines Pistolenschusses erreichen, also jemanden umbringen! Allerdings brauchte der Schütze dafür auch sehr viel Armkraft – über die kein Kind verfügt. Das Ganze war also ein Kampf Mann gegen Mann, und kein Kampf "Kind gegen Riese":
„ … (David) nahm seinen Stock in die Hand, suchte sich fünf glatte Steine aus dem Bach und legte sie in die Hirtentasche … Die Schleuder in der Hand, ging er auf den Philister zu. …
Als der Philister aufblickte und David sah, verachtete er ihn, denn er war jung, rötlich und von schöner Gestalt. Der Philister sagte zu David: „Bin ich denn ein Hund, dass du mit einem Stock zu mir kommst?“ Und er verfluchte David bei seinen Göttern. Er rief David zu: „Komm nur her zu mir, ich werde dein Fleisch den Vögeln des Himmels und den wilden Tieren geben.“
David antwortete dem Philister: „Du kommst zu mir mit Schwert, Speer und Sichelschwert, ich aber komme zu dir im Namen des HERRN der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels, den du verhöhnt hast. Heute wird dich der HERR mir ausliefern. Ich werde dich erschlagen ….. Alle Welt soll erkennen, dass Israel einen Gott hat. Auch alle, die hier versammelt sind, sollen erkennen, dass der HERR nicht durch Schwert und Speer Rettung verschafft; denn es ist ein Krieg des HERRN und Er wird euch in unsere Hand geben.“
Als der Philister weiter vorrückte und immer näher an David herankam, lief auch David schnell auf die Schlachtreihe zu, dem Philister entgegen. Er griff in seine Hirtentasche, nahm einen Stein heraus, schleuderte ihn ab und traf den Philister an der Stirn. Der Stein drang in die Stirn ein und der Philister fiel mit dem Gesicht zu Boden.
So besiegte David den Philister mit einer Schleuder und einem Stein; er traf den Philister und tötete ihn, ohne ein Schwert in der Hand zu haben.
Aus: 1. Buch Samuel, Kap. 17, Verse 1 ff
Was diese vermeintliche Kindergeschichte uns Erwachsenen sagen kann?
Der „Riese“ Goliat ist gestorben, weil er in seinem Denken und Reden viel zu arrogant und zu sehr von sich überzeugt war, als dass er die unmittelbare Gefahr hätte wahrnehmen können. Dieser Realitätsverlust hat ihn letzlich das Leben gekostet.
Und David? Er bekannte sich zum Gott Israels und verließ sich in seinem Handeln auf Ihn – und brachte eine Menge Mut auf.
Das alles kann uns zum Nachdenken bringen – und ins Gespräch mit Gott.
Aber nur, wenn wir die Erzählungen der Bibel nicht so verniedlichen, verharmlosen und zu einer reinen Kinderlektüre umwandeln, die uns „hübsch in Ruhe lässt“. Denn dafür ist die Schrift absolut nicht gedacht.
7. Januar 2024 Jesus lässt sich taufen
Heute feiert die katholische Kirche die Taufe Jesu. In der Bibel kommt einem der Bericht wahrscheinlich ziemlich unspektakulär und irgendwie altbekannt vor. Und doch enthält er einige Sätze, über die man nicht allzuschnell hinweglesen sollte.
" ... so trat Johannes, der Täufer in der Wüste auf und verkündete eine Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden.
Ganz Judäa und alle Einwohner Jerusalems zogen zu ihm hinaus; sie bekannten ihre Sünden und ließen sich im Jordan von ihm taufen....
Johannes verkündete: "Nach mir kommt einer, der ist stärker als ich; ich bin es nicht wert, mich zu bücken und Ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Ich habe euch mit Wasser getauft, Er aber wird euch mit dem Heiligen Geist taufen."
Und es geschah in jenen Tagen, da kam Jesus aus Nazaret in Galiläa und ließ sich von Johannes im Jordan taufen.
Und sogleich, als Er aus dem Wasser stieg, sah Er, dass der Himmel aufriss und der Geist wie eine Taube auf ihn herabkam.
Und eine Stimme aus dem Himmel sprach: "Du bist mein geliebter Sohn, an Dir habe ich Wohlgefallen gefunden."
Markus-Evangelium, Kap. 1, Verse 4 ff
Die Taufe, die Johannes spendet, ist eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Da fragt man sich doch: Warum soll Jesus, der ohne Sünde lebt, sich eigentlich taufen lassen? Und tatsächlich: Jesus reiht sich nicht nur "ganz normal" in die Schar der Leute ein, sondern lässt sich wirklich taufen! Denken wir kurz an Weihnachten zurück. Da haben wir erfahren, dass Jesus Mensch geworden ist, Er ist einer von uns geworden, ist in unser Leben eingetreten. Das führt sich hier fort: Er stellt sich mitten unter uns, wartet, redet mit den Menschen, lässt sich taufen, so wie es auch der Wunsch der Wartenden ist, sich taufen zu lassen. Er lebt nicht abgehoben über all dem, und irgendwie immer die "Ausnahme" - Er ist wir, "in allem uns gleich, außer der Sünde." (siehe Hebräerbrief, Kap. 4, Vers 15)
Aber spätestens, wenn Jesus jetzt an der Reihe ist und zur Taufe in den Jordan steigt, muss sich etwas ändern - sonst würde diese Taufe ja zu einer ziemlich "sinnlosen Nachahmung" - Jesus bedarf nicht der Sündenvergebung. Und jetzt ändert sich auch etwas: es geschieht nicht die Sündenvergebung, sondern die liebevolle Bestätigung des Sohnes durch den Vater - in dieser Welt, in der der Sohn bis zur letzten Konsequenz Menschenschicksal angenommen hat! Das ist es, was der Evangelist mitteilen muss.
Aber bei Jesu Taufe geschieht noch so viel mehr: Am Anfang - vor der Taufe - sagt der Täufer, dass er es nicht wert sei, Jesus ("dem, der da kommen wird") die Riemen von den Sandalen zu lösen. Das ist ein Hinweis auf den damaligen Brauch: jemandem die Schuhe wegnehmen bedeutete, ihm Eigentum, Land, Gut, Besitz abzunehmen. Von Jesus wird nicht berichtet, dass Er Besitz hatte. Er ist der Herr über die Welt, die Welt ist Sein "Eigentum" - Johannes wird Ihm keine Macht "streitig machen"; mehr noch: er akzeptiert, erkennt demütig an - und bekennt vor allen, die dastehen und ja in ihm, Johannes, die wegweisende Führungsperson sehen! Was noch bei der Taufe geschieht: Am Ende spricht Gott : "Dieser ist mein geliebter Sohn ...."
Dieser Schluss ist sehr bedenkenswert: einmal mehr kann uns bewusst werden, dass wir uns Gott nicht so sehr "zurechtdenken" sollen - Gott ist unverfügbar. Vielleicht ist es der bessere Weg, sich darauf zu besinnen, dass Gott der Handelnde ist, dass Er Anfänge setzt und auch in uns Wachsen und Erkenntnis schenkt: es ist bewegend, wie am Ende des ganzen Markus-Evangeliums unmittelbar nach Jesu Tod dieser Ausspruch wieder erklingt. Als Bekenntnis (! s.o.) eines heidnischen Hauptmanns - vor allen Umstehenden: "Wahrhaftig, dieser war Gottes Sohn!"
Und machen wir uns immer wieder neu bewusst: In der Taufe mit dem Heiligen Geist (s.o.) haben wir alle Anteil bekommen an diesem Himmel, der sich über dem geliebten Sohn Gottes aufgetan hat!
PS: Übrigens: die Wüste - Ort der Taufe Jesu - ist der biblisch bevorzugte Ort der Gotteserfahrung, der Gottesbegegnung.
Neujahr 2024 " ... und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ...
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“
So schreibt es der Dichter Hermann Hesse in seinem wohl sehr bekannten Gedicht „Stufen“.
Schön passend zum Anfang eines neuen Jahres? Für viele vielleicht nicht einmal, wenn ich so die Zahl derer zusammenzähle, die sagen: „Ich habe keine Vorsätze für das neue Jahr, ich kann sie eh nicht durchhalten.“
Aus solchen Worten spricht schon eine Menge Frustration.
Leisten wir uns einen Blick in die Bibel. Denn sie ist echte Fachliteratur zum Thema „Mal wieder von vorne beginnen“. Nicht, weil das Volk Israel unfähig gewesen wäre, sondern weil es des Menschen Natur zu sein scheint, zu erlahmen, oder auf Irrwege zu kommen, oder sich einzurichten und lethargisch zu werden oder das große Ganze aus dem Auge zu verlieren und sich mit dem Klein-Klein zu begnügen.
Wie oft ist im Alten Testament von Neuanfängen die Rede: von einem Neuaufbruch nach der Regierungszeit eines schlechten Königs, von einer Neubesinnung auf Gott nach jahrelangem Götzendienst, von einem Neuaufbau aus Trümmern nach Feindüberfällen, ja sogar von Heimkommen nach langer Gefangenschaft.
Da sind Propheten, die ermutigen, die den Menschen Gottes Treue zusagen, die mit guten Worten Kraft geben:
Jetzt aber - so spricht der HERR, der dich erschaffen hat … und der dich geformt hat, Israel:
Fürchte dich nicht, denn ich habe dich ausgelöst,
ich habe dich beim Namen gerufen, du gehörst mir! …
Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, achtet nicht mehr!
Siehe, nun mache ich etwas Neues. Schon sprießt es, merkt ihr es nicht?
Ja, ich lege einen Weg an durch die Wüste und Flüsse durchs Ödland. Buch Jesaja, Kapitel 43, Verse 1 + 18 f
Vielleicht sind das wichtige Gedanken beim Neu-Anfangen: 1. dass wir uns nicht fesseln und beschweren lassen sollen, von dem, was an Schlechtem oder Misslungenem war. Sicher, Nachdenken über Fehler schadet nie; Überlegungen, wie man etwas verbessern kann, bringen voran und Aussöhnung bei Zerstreitungen tut gut. 2. Sich bewusst zu machen, das wir Neuanfänge nicht allein stemmen müssen, sondern dass Gott selbst Neuanfänge setzt, die Kraft zu allem Anfang gibt und unsere Bindung an Ihn uns hält.
Der Apostel Paulus schreibt das sehr berührend in seinem Brief an die Christen in Korinth. Zuerst schreibt er darin über die schwere und gefährliche Arbeit, die er und die anderen als Apostel machen und gibt auch ganz unumwunden die Erschöpfung zu:
… so wird deutlich, dass das Übermaß der Kraft von Gott und nicht von uns kommt. Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht, wir werden gehetzt und sind doch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. … Darum werden wir nicht müde; wenn auch unser äußerer Mensch aufgerieben wird, der innere wird Tag für Tag erneuert. 2. Korintherbrief, Kap. 4, Verse 7-9 + 16
Besinnen wir uns und vertrauen wir bewusst auf Gottes Hilfe. Und beten wir um die innere Kraft, trotz aller Ermüdung immer wieder (kleine) Schritte in eine neue, bessere Richtung und Veränderung zum Guten hin zu wagen.
PS: Dazu mögen noch zwei Gedanken helfen, die nicht biblisch begründet, aber nachdenkenswert sind:
Der erste ist ganz einfach der Ausspruch eines lebensfrohen Piloten aus meinem Freundeskreis: „Strömungsabrisse leisten wir uns jetzt einfach mal nicht.“
Der zweite Gedanke stammt vom englischen Schriftsteller John Galsworthy und macht Mut zum kleinen, aber wichtigen ersten Schritt: „Alle Anfänge liegen in der Unordnung.“
Weihnachten 2023 Anders als der äußere Anschein
Eine Geschichte erzählt, dass ein alter Bergmann oft morgens zur Frühmesse in die Kirche kam und regelmäßig im Gottesdienst einschlief. Darüber empörten sich andere Gottesdienstteilnehmer und beschwerten sich darüber beim jungen Pfarrer: er solle das ewige Ärgernis abschaffen.
Der Pfarrer ging also schweren Herzens zum Bergmann, um sich mal mit ihm zu unterhalten.
Noch bevor er zum Problemthema gekommen war, erzählte ihm der Mann, er empfinde die Gedanken, die der Geistliche in den Gottesdiensten über Gott und den Glauben sprach, so aufbauend und anregend. Und dass er oft in den Gottesdiensten einschlafe, habe wirklich nur seinen Grund darin, dass er ja immer von der anstrengenden Nachtschicht käme und eigentlich todmüde sei. Aber er wolle einfach nicht nachhause gehen, ohne seinem Herrgott dafür zu danken, dass er gesund und wohlbehalten seine Schicht überstanden habe. Der junge Pfarrer möge es also nicht persönlich nehmen und sich nicht gekränkt fühlen, dass der alte Mann oft vor Erschöpfung zwischendurch einschlafe.
Vielleicht kennen Sie auch solche Geschichten oder Erlebnisse, die deutlich werden lassen, dass der äußere Schein längst nicht alles das zeigt, was wirklich ist (oder sogar das Gegenteil des äußeren Anscheins enthüllt); und dass das, was auf den ersten Blick verborgen bleibt, das wirklich Wesentliche ist.
So heißt es im "Weihnachtswiegenlied" von John Rutter am Ende der 1. Strophe: "... Weise knien betend vor ihrem Messias, doch liegt nur ein Kind bei der Mutter im Stall."
Der äußere Anschein: nur eine Mutter mit ihrem Kind. Das Wesentliche: dieses Kind ist der Erlöser einer aufrüstenden Welt mit ihrer teilweise haßerfüllten, teilweise furchtbar leidenden Gesellschaft.
Das Wesentliche, das wirklich Wichtige im Glauben begreifen zu lernen, geschieht manchmal in einem Augenblick, manchmal dauert es länger, manchmal lange. Ein Leben lang im Glauben wachsen und reifer werden, in der Erkenntnis fortschreiten, mit Ausdauer und auch im Zweifel "dranbleiben", im Gespräch mit Gott bleiben und offene Fragen mitunter lange vertrauensvoll aushalten - für einen solchen Weg ist Weihnachten ein guter Anfang. Auch von den Weisen, die vor ihrem Messias knien (s.o.), wird erzäht, dass sie sich auf einen langen Weg gemacht haben, um den König zu suchen, der ihnen offenbar so wichtig war.
PS: Wenn Sie über den Jahreswechsel Zeit und Muße haben, dann empfehle ich Ihnen die Gedanken Karl Rahners zum Epiphaniefest (Heilige Drei Könige): Von der seligen Reise des gottsuchenden Menschen. Sie finden diesen Text in dem Taschenbuch „Kleines Kirchenjahr“, Kapitel Epiphanie, von Karl Rahner, Verlag Herderbücherei
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein gesegnetes, Hoffnung schenkendes Weihnachtsfest!
17. 12. 2023 3. Advent Es ist Gott, der das Fest für uns ausrichtet
Gute Bücher sind wie Menschen: Sie rütteln wach, machen etwas Wichtiges bewusst und / oder bereichern das Leben mit guten Gedanken. Mir geht das oft so, deshalb liebe ich Bücher. Und so möchte ich Ihnen heute einige Gedanken des Theologen Gerhard Lohfink zum Thema "Fest" zitieren. Zuvor muss ich sagen, dass er sich über folgende Fürbitte zum 3. Advent sehr kritisch äußert: "Lass uns in dieser vorweihnachtlichen Zeit genug Ruhe und Stille finden, damit unsere Sehnsüchte, Träume und Hoffnungen zum Zuge kommen."
Diese Gedanken stammen aus dem Buch "Alle meine Quellen entspringen in Dir" von Gerhard Lohfink, Herder-Verlag 2023, Seiten 104 ff
10. 12. 2023 2. Advent Welches Warten darf es denn sein?
Der Alltag lehrt uns etliche verschiedene Arten des Wartens: ärgerliches Warten in der Telefonschleife eines Amtes, sorgenvolles Warten beim Arzt, unvermeidliches Warten an der Supermarktkasse, sinnloses Warten im Stau ... Jeder von uns hat da so seine Erfahrungen. Solche Arten des Warten bedeuten Stress, Nervenverschleiss und Ärger. Das kann doch hoffentlich nicht gemeint sein, wenn Christen sagen, der Advent sei eine Zeit des Wartens.
Aber was ist wirklich gemeint? Wie geht Warten im Advent? Auf keinen Fall handelt es sich um dieses von außen erzwungene Warten in den erwähnten Alltagssituationen. Es handelt sich auch nicht um eine romantisch-gemütliche Art "Warten auf's Christkind".
Vielmehr geht es darum, ein Stück "Frei-Sein von ..." im Alltag zu schaffen. Eine Zeit nehmen, in der man nichts tut. Oder eine Zeit nehmen und sie mit guten geistlichen Gedanken füllen. Oder sich Zeit nehmen, die Verheißungen Gottes in Kopf und Herz klar werden zu lassen. Denn zum christlichen Warten gehören immer die Verheißungen Gottes - sie stehen in unserer Bibel. Aber wem sind sie schon immer und jederzeit bewusst? Also kann man in einem guten Warten wieder Platz schaffen für diese kostbaren, aufbauenden Worte. Man kann auch die Zeit des Warten mit Beten füllen, oder mit Stille. Auf diese verschiedenen Weisen wird das Warten des Menschen nicht zum Zeitvertreib, sondern es führt zu einer persönlichen Offenheit, in der Gott jederzeit "Platz nehmen kann" im Herzen eines Menschen. Das Herz eines Menschen "im wachen, bewussten Wartestand" ist hergerichtet und vorbereitet für Gottes Ankommen - durch Zeit, geistliche Aufmerksamkeit und Bereitschaft.
WIE und auf welche Weise Gott dann im Herzen eines Menschen ankommt - das erfährt jeder Mensch auf seine Art, und das ist Teil der Geschichte Gottes mit jedem einzelnen Menschen. Das lässt sich niemals verallgemeinern, vorgeben oder erzwingen. Aber der Mensch wird es spüren: durch Herzensgewißheit, Freude, Trost, Zuversicht ...
Es braucht nicht so furchtbar viel Zeit im Alltag. Oft ist es mehr eine Entscheidung, auf etwas anderes zu verzichten, um stattdessen diese wichtige Warte-Zeit zu gewinnen.
Ich möchte schließen mit einer der schönsten Verheißungen aus der Bibel. Sie steht beim Propheten Jesaja und ist ein zutiefst adventlicher Schrifttext: Zuspruch für das Volk Israel in sehr schwierigen Zeiten; in Zeiten in denen es um Glaubenskrisen, um gesellschaftliche Umbrüche, um Kampf gegen das wirklich Böse ging. Also - genau betrachtet - um wieder höchst aktuelle Texte, auch wenn sie schon tausende von Jahren alt sind.
Steh auf, werde licht, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des HERRN geht strahlend auf über dir.
Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker,
doch über dir geht strahlend der HERR auf, Seine Herrlichkeit erscheint über dir. s.u. Buch Jesaja, Kap. 60, Verse 1 f
Wir dürfen mit dieser Verheißung auf das Kommen Gottes in unsere Herzen leben und wirken - in allem persönlichen und gesellschaftlichen Dunkel. Und vielleicht macht mancher die Erfahrung, dass diese Gotteserfahrung völlig unerwartet und dann kommt, wenn man nicht damit gerechnet hat und - ehrlich gesagt - eigentlich auch schon gar nichts mehr zu hoffen wagte.
PS: Georg Friedrich Händel hat diese Verheissung im Oratorium "Der Messias" strahlen vertont: O du, die Wonne verkündet
3. 12. 2023 1. Advent Doch, doch - es hat mit Advent zu tun
In den Jahren 1596 bis 1601 lebt in der westfälischen Stadt Unna bei Dortmund der ev.- lutherische Pfarrer Philipp Nicolai. Es ist eine Zeit schlimmer religiöser und politischer Glaubenskämpfe zwischen Protestanten und Katholiken, aber auch zwischen Protestanten untereinander. Aggressiv und mit heftigen Streitschriften und Predigten kämpft Pfr. Nicolai gegen Katholiken und Calvinisten. Da bricht 1597 die Pest über die Stadt herein. Er beschreibt diese Katastrophe in Briefen mit den Worten:
„Es überfiel die Pest mit ihrem Sturm und Wüten die Stadt wie ein unversehnlicher Platzregen und Ungewitter ließ bald kein Haus unbeschädigt... und giengen die Leut mit verzagtem Gemüth und erschrockenen Hertzen als erstarret und halb todt daher“.
In dieser Heimsuchung wandelt sich Pfarrer Nicolai für die erstarrten Menschen zum Seelsorger. Da auch sein Kollege der Pest zum Opfer fällt, muss er bis zu 30 Begräbnisse am Tag durchführen. In einem Brief an seinen Bruder schreibt er: „Die Pest wütet furchtbar hier in der Stadt … Der Küster besucht die Kranken, und ich predige. Ich bin durch Gottes Gnaden noch ganz gesund, wenn ich gleich von Häusern, die von der Pest angesteckt sind, fast umlagert bin und auf dem Kirchhof wohne, wo täglich bald 24, 27, 29, 30 Leichen der Erde übergeben werden ...“
Innerhalb eines halben Jahres sterben 1400 Menschen in der Stadt. Auch zwei Schwestern des Pfarrers sind unter den Toten.
Als die Seuche endlich vorüber ist, schreibt Nicolai rückblickend an seinen Bruder: „Die Pest hat zu wüten aufgehört, und durch Gottes Gnade bin ich recht wohl. Während der Pest habe ich aber unter Hintansetzung aller Streitigkeiten die Zeit mit Gebeten hingebracht und mit dem löblichen Nachdenken über das ewige Leben ...“.
Es scheint unfassbar: während Philipp Nicolai umgeben war von Sterbenden, Toten, Verzweifelten und Trauernden, dichtete und komponierte dieser Pfarrer, der nie Poet oder Musiker war, ein Lied, das an Strahlkraft und Hoffnung kaum zu überbieten ist: „Wachet auf, ruft uns die Stimme“! Es ist ein Lied gegen Tod und Verzweiflung, ein Lied, das die Herzen der Menschen gewinnt. Und während sich zur Zeit seiner Entstehung konfessionell unterschiedliche Menschen mit Worten und Waffen befehdeten, hat heute Philipp Nicolais Lied einigenden Charakter: über alle Grenzen hinweg wird es von Christen vieler verschiedener Konfessionen gesungen.
„Wachet auf“ ist kein Lied, das Weihnachten ahnen lässt; die Weihnachtsgeschichte wird nirgendwo angedeutet. Vielmehr beschreibt es die Vollendung menschlichen Lebens in der Begegnung mit Gott.
Es ist sehr dynamisch; "malt" es doch in starken Bildern die Ankunft des Bräutigams, die Vorbereitungen zum Fest, den Einzug in den Festsaal und dann mit der dritten Strophe jenen Zustand, in dem aller (oft hektische) „Zeit – Lauf“ sich in weiten, reichen, ewigen „Zeit – Raum“ gewandelt hat.
So dürfen wir uns die Ewigkeit wohl vorstellen: als das Ende des „Zeit – Laufs“, das Hinter – uns – lassen aller Hast und Eile, aller Aufgaben und Bedrückungen, aller Schmerzen und Trauer – um erlöst einzutreten in den weiten „Zeit - Raum“ jener überirdischen Freude, der Ewigkeit, die menschliche Wahrnehmung und alles bisher Bekannte unermesslich übertreffen wird.
„Wachet auf, ruft uns die Stimme“ ist ein Lied des Aufbruchs – und das in der Adventzeit, in der wir es uns ja eigentlich mal so richtig gemütlich machen wollten. Aber dieser Aufbruch-Charakter des Liedes ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass der Advent für uns zu so einer Zeit des inneren Aufbruchs werden kann.
Mit dem Weckruf „Wachet auf!“ können wir vielleicht unseren Alltag neu betrachten: all das, was sich an Schlechtem eingeschlichen hat, was sich zur Oberflächlichkeit entwickelt und uns vom bewussten Leben als Hoffende unmerklich weggezogen hat.
„Wachen“ im biblischen Sinn: aufmerksam sein, bewusst leben, gestalten, sich nicht treiben lassen. Das sind Haltungen, mit denen wir unseren Glauben im Advent erneuern können.
Text aus: "Meins Herzens Tür Dir offen ist ..." - Betrachtungen zu Adventliedern von Maria-Elisabeth Booms
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26. November 2023 Suchende - auf dem Weg - ein Leben lang
Es gab in den letzten Jahren viele Hauptamtliche in Kirchen und Hochschulen, die unbeirrt verkündeten, diese Zeit sei eine religiöse, wenn auch die Zahl der Kirchenaustritte zunehme: die Menschen wären spirituell hoch interessiert. Ich stand diesen Äußerungen immer skeptisch gegenüber, weil meine Erfahrungen mich anderes lehren. Wenn ich mich mit Menschen unterhalte, die nach eigenen Worten "mit dem Glauben nichts anfangen können" oder Kirche vehement ablehnen, oder denen "die Bibel nichts sagt" und bedeutet, dann höre ich in diesen Gesprächen oft heraus, dass ihnen vieles unverständlich ist bzw. dass sie "nichts vermissen". Nun wurde eine großangelegte Studie vorgestellt, in der es laut Studienautor Christopher Jacobi u.a. heißt: "Nicht nur die Kirchenbindung geht zurück, sondern auch die Religiosität." (Rheinische Post vom 15.11.23)
Es geht nicht ums "Rechthaben"; das wäre wirklich billig und läppisch. Es geht um die Frag-Losigkeit, um das Nicht-Vermisste. Nun muss man niemandem einreden, dass er / sie "aber doch irgendwas vermissen muss!" Das wäre Blödsinn.
Aber man kann einladen - immer wieder - sich einzulassen auf Fragen. In einer Zeit, in der die Medien jeden Einzelnen pausenlos mit Antworten und Informationen bombadieren und gar keine Fragen mehr zu haben scheinen. Oder nur schnelle Antworten wollen. In einer Zeit, in der das Laute die Oberhand hat, in einer Zeit, die nur Hast und Eile kennt und in der keiner mehr im guten Sinn alleine ist mit sich und einer vielleicht wesentlichen Frage. Vielleicht geht manchem in dieser Zeit unmerklich etwas verloren - und er / sie kann es gar nicht merken, weil das mediale Dauerfeuer permanent trommelt.
Es geht nicht um um Glaubenssätze, um Dogmen, um Lehrinhalte. Es geht um etwas anderes. Die Dichterin Nelly Sachs hat das in einem Gedicht sehr klar in Wortkunst gefasst:
Alles beginnt mit der Sehnsucht,
immer ist im Herzen Raum für mehr,
für Schöneres, für Größeres.
Das ist des Menschen Größe und Not:
Sehnsucht nach Stille,
nach Freundschaft und Liebe.
Und wo Sehnsucht sich erfüllt,
dort bricht sie noch stärker auf.
Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,
mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?
So lass nun unsere Sehnsucht
damit anfangen,
Dich zu suchen,
und lass sie damit enden,
Dich gefunden zu haben.
Wie gesagt: es ist eine Einladung.
Gott kommt uns entgegen. Sprechen Sie Ihn an. Oder sprechen Sie jemanden aus der Gemeinde in Ihrer Nähe an.
19. November 2023 Einfach mal zum Genießen.
In der katholischen Liturgie ist es die erste Lesung für diesen Sonntag. Beim ersten Hören oder Lesen hält man möglicherweise die Luft an und denkt unweigerlich: "Was für ein Frauenbild! Nur Haushalt!" Bei genauerem Hinschauen erweist sich genau diese erste Assoziation als viel zu kurz gedacht: Im folgenden Schrifttext aus dem Alten (Ersten) Testament - geschrieben in seiner Zeit unter den damaligen Umständen - geht es um eine Menge Verantwortung für andere Menschen, um verlässliche Partnerschaft, um Organisationstalent und aktiven Beitrag zum Allgemeinwohl und um viel Selbständigkeit.
Ich empfehle, sich eine schöne Tasse Tee oder Kaffee zu kochen, sich den Text auf der Zunge zergehen zu lassen und genüsslich in die eigene, heutige, so ganz andere Lebenswelt zu übersetzen - das muss nicht 1:1 geschehen (ich arbeite z.B. nicht mit den Händen im Sinne des Werkens); aber in aller individuellen Freiheit lassen sich doch eine Menge Übertragungen anstellen - und manche Inspiration lässt sich daraus gewinnen.
Eine tüchtige Frau, wer findet sie? Sie übertrifft alle Perlen an Wert.
Das Herz ihres Mannes vertraut auf sie und es fehlt ihm nicht an Gewinn.
Sie tut ihm Gutes und nichts Böses alle Tage ihres Lebens.
Sie sorgt für Wolle und Flachs und arbeitet voll Lust mit ihren Händen.
Sie gleicht den Schiffen des Kaufmanns: Aus der Ferne holt sie ihre Nahrung Noch bei Nacht steht sie auf, um ihrem Haus Speise zu geben und den Mägden, was ihnen zusteht.
Sie überlegt es und kauft einen Acker, vom Ertrag ihrer Hände pflanzt sie einen Weinberg.
Sie gürtet ihre Hüften mit Kraft und macht ihre Arme stark.
Sie spürt den Erfolg ihrer Arbeit, auch des Nachts erlischt ihre Lampe nicht.
Nach dem Spinnrocken greift ihre Hand, ihre Finger fassen die Spindel.
Sie öffnet ihre Hand für den Bedürftigen und reicht ihre Hände dem Armen.
Ihr bangt nicht für ihr Haus vor dem Schnee; denn ihr ganzes Haus ist in prächtigem Rot gekleidet.
Sie hat sich Decken gefertigt, Leinen und Purpur sind ihr Gewand.
Ihr Mann ist in den Torhallen geachtet, wenn er zu Rat sitzt mit den Ältesten des Landes.
Sie webt Tücher und verkauft sie, Gürtel liefert sie dem Händler.
Kraft und Würde sind ihr Gewand, sie spottet der drohenden Zukunft.
Sie öffnet ihren Mund in Weisheit und Unterweisung in Güte ist auf ihrer Zunge.
Sie achtet auf das, was in ihrem Haus vorgeht, Brot der Faulheit isst sie nicht.
Ihre Kinder stehen auf und preisen sie glücklich, auch ihr Mann erhebt sich und rühmt sie:
"Viele Frauen erwiesen sich tüchtig, doch du übertriffst sie alle."
Trügerisch ist Anmut, vergänglich die Schönheit, eine Frau, die den HERRN fürchtet, sie allein soll man rühmen.
Gebt ihr vom Ertrag ihrer Hände, denn im Stadttor rühmen sie ihre Werke.
Buch der Sprüche, Kap. 31, 10 - 31
12. November 2023 Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind
Gestern war Martinstag - für viele vielleicht eine schöne Kindheitserinnerung und auch heute noch ein Tag mit liebgewordenen Bräuchen und Gemütlichkeiten. Aber der Martinszug heißt vielerorts nicht mehr „Martinszug“, sondern „Laternenumzug“ oder gar „Lichterumzug“. (Man macht solche Umbenennungen wegen der vielen Kinder und ihrer Familien, die nicht christlich orientiert sind.) Und darüber regen sich nicht wenige Menschen auf. „Glauben Sie, dass es den Türken einfallen würde, ihr Zuckerfest umzubenennen?“ hörte ich einen Mann entrüstet sagen. Nicht einmal dieses sinnige Argument ist ausreichend.
Es lohnt sich, darüber nachzudenken, ob Christen da nicht mehr gegenhalten sollten. Sonst verschwindet mit der Zeit der Inhalt und das Wissen um den tieferen Sinn dieser Tradition; selbst dann, wenn die Geschichte mit dem Bettler und der Mantelteilung hier und da noch gespielt wird. Denn die zentrale Aussage dieser Martinslegende ist nicht, dass Martin den Mantel geteilt hat – das unterscheidet den Christen nicht vom Humanisten oder vom Atheisten. Sondern dass Martin es getan hat, weil Jesus es auftrug: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Denn dieser Jesus identifiziert sich komplett mit den Armen und Bedürftigen dieser Welt.
Und so wird aus der rein humanen Geste des Mantelteilens ein intensives, entschiedenes Bekenntnis zur Nachfolge Jesu. Und dieses Bekenntnis sollten wir auf die Straßen zu den Menschen tragen.
Da reicht ein Lichterumzug eben längst nicht mehr hin.
Es waren die Christen, die sich im alten Rom um die Armen und Kranken kümmerten – zum ersten Mal in der Geschichte. Um solche Außenseiter hatte sich vorher kein Mensch gekümmert. Und die Christen taten es, weil Jesus es ihnen aufgetragen und ihnen damit die Augen geöffnet hatte für ihre Verantwortung, die sie in der Gesellschaft übernehmen sollten. Glaube und Nachfolge nicht als Kuschelkurs für die eigene Gemütlichkeit, sondern als Auftrag, ganz aktiv Sorge für die Welt zu übernehmen.
Es waren auch die Christen, die im (angeblich so finsteren) Mittelalter während der dunkelsten, schlimmsten Zeit der Menschverfolgungen und brennenden Scheiterhaufen Spitäler, Siechen- und Armenhäuser einrichteten. Und von Klöstern gründeten sich viele Bruderschaften, die sich – trotz eigener Armut – unermüdlich sozial-caritativ für die Menschen einsetzten und ihnen das mühsame Leben erleichterten.
„Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Es geht nicht um einen Lichterumzug, weil er so schön ist. Es geht um Erinnerung, Vergewisserung und Auftrag, durch tätige Fürsorge ständig „Licht in der Welt“ zu sein und zu bleiben - auf vielfältigste Weisen.
Und diese Aufgabe beginnt damit, dass man „ein Kind bei seinem Namen benennen“ muss, damit der kostbare Grund nicht verloren geht. Denn dieser Grund ist Wegweisung und bewahrt vor Abwegen, Sinn-Aufweichungen und rein gemütlich-egoistischen Aktionen. Wobei ich wahrlich nichts gegen ein gemütliches Abendessen nach dem Martinszug sagen will ...
5. November 2023 Kirche, die leuchtet!
Der Zustand der Kirche ist heute - das muss man wohl so sagen - ein beklagenswerter. Und auch das Bild von Kirche, das die Öffentlichkeit hat, ist im Großen und Ganzen ein sehr schlechtes. Viele Menschen, die sich in der Kirche engagieren, sind davon enttäuscht oder gar entmutigt. Was nützt es, sich Stunden, Tage und oft Jahre abzumühen, das Evangelium ganz konkret im Karitativen und in der Verkündigung umzusetzen, wenn es nicht wahrgenommen wird oder das Bild der Menschen über die Kirche nicht ändert! Natürlich, diese Menschen helfen anderen, um deren Leben leichter zu machen. Klar. Aber bei allem Einsatz hat man ständig diese deprimierend schlechte Reputation von Kirche im Blick und im Empfinden. Das ist niederdrückend. Für mich persönlich ist die Enttäuschung dieser wirklich sehr engagierten Menschen oft schwer zu ertragen - manche erzählen mit Tränen in den Augen von ihrem Gefühl der totalen Vergeblichkeit allen Tuns. Und sie trifft am schlechten Image der Kirche nun wirklich keine Schuld.
In der vergangenen Woche haben wir Allerheiligen gefeiert. Ich liebe diesen Festtag, an dem wir in der Liturgie einen Blick in den Himmel tun. Wie nie zuvor ist mir in diesem Jahr bewusst geworden, welch ein Glanz und welches strahlende Licht auf "unsere" Kirche fällt durch viele Heilige. Nun sollte man ja mit der Heiligsprechung und Bewunderung von Menschen eher sehr vorsichtig sein. (Und noch vorsichtiger sollte man bei denen sein, die andere heiligsprechen ...) Aber mir ist, unabhängig von jeder offiziellen Heiligsprechung, klar geworden, welch ein Qualitätssiegel - kein Beweis! - die Märtyrer für unsere Religion sind. Sie hätten ihrem Glauben abschwören, sich anpassen, widerrufen oder in der Allgemeinheit untertauchen können. Nichts von alledem haben sie getan. Sie konnten das, was sie in ihrem Leben als Gottes Wirklichkeit und Wahrheit erfahren haben, nicht leugnen oder hinter sich lassen. Diese Glaubenserfahrung war keine Ideologie, keine Philosophie, keine Theorie. Und sie war das Herzstück ihres Lebens.
Ja, die Kirche hat furchtbar dunkle Seiten, heute mehr denn je. Und sie leidet an der Unentschiedenheit und Gleichgültigkeit so vieler. Aber zur Kirche gehören auch diese Menschen: Heilige, die von vielen wahrscheinlich gar nicht wahrgenommen werden - und mit ihrem nicht verhandelbaren Glauben diese scheinbar so dunkle Kirche doch so sehr zum Leuchten bringen.
Und alle, die heute mit aufrichtigem Herzen in der Nachfolge Jesu in dieser Kirche arbeiten, brauchen nicht traurig zu sein: sie stehen mit ihrem Glauben und ihrem Tun in der Reihe dieser Menschen, die ihren Glauben "gegengezeichnet haben". Das - und die Hilfe für die Bedürftigen! - enthält den vollständigen Sinn; nicht der vermeintliche Erfolg und auch nicht das Ansehen in der Welt.
29. Oktober 2023 Aus dem Alltag
Vielleicht kennen Sie das: immer wieder entbrennen Diskussionen oder gar Streit darüber, „was man in einem Kirchenraum tun darf und was nicht.“ Und wenn ich mir die Diskussionsbeiträge dazu anhöre, gewinne ich den Eindruck, dass es reine Geschmacksache ist.
Tiere in der Kirche? „Ja klar, die gehören doch zur Schöpfung Gottes.“
Jede Art von Musik in der Kirche? „Na klar, warum nicht?“ Wenn aber nun der Text so gar nichts mit Glaube und Religion zu tun hat? „Das muss man doch nicht so eng sehen.“
Essen und Trinken in der Kirche? „Na klar, aber sowieso! Ist doch ganz natürlich.“
Barbusige Proteste in Kirchen? Die einen stören sich gewaltig daran, andere finden's cool. („Was ist denn an barbusig so schlimm? Ist doch ganz natürlich!“).
Wo ist die Grenze? Tiere ja, „oben ohne“ nein? Wer zieht wann welche Grenze? Jeder für sich ganz privat an der Kirchtür?
Auf diese Weise entsteht ein großes Durcheinander und auch ein großes Gezeter, wenn etwas verboten wird, was doch „ganz natürlich ist“. Oder wenn es Anstoß erregt bei anderen, die denselben Kirchenraum besuchen.
Alle Argumente liegen meistens im „natürlichen“ Bereich, keinesfalls jedoch im Religiösen. (Als ob es um einen Naturgeist ginge und nicht um einen Gott der Offenbarung ...)
Und wenn dann noch die Soziologen und Religionswissenschaftler dazukommen …. (Obwohl sie wahrscheinlich erholsam mehr und bessere Argumente hätten als das ewig gleichtönende „Ist doch ganz natürlich“)
Wie soll man in dem Gewirr der Stimmen herausfinden, was (für einen ganz persönlich) richtig oder angemessen ist?
Vielleicht kann dazu ein Schrifttext helfen:
„Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung, ist ihr Tempel …
Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie …
Die Völker werden in diesem Licht einhergehen ….
Ihre Tore werden den ganzen Tag nicht geschlossen - Nacht wird es dort nicht mehr geben. …
Aber nichts Unreines wird hineinkommen, keiner, der Gräuel verübt und lügt.“
Buch der Offenbarung, Kap. 21, Verse 22 ff
Dieser Schrifttext stammt aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung. Er beschreibt in reichen Bildern die himmlische Stadt Jerusalem. Es ist sehr auffällig, dass es in dieser himmlischen Stadt keinen Tempel mehr gibt. Das bedeutet: es muss nicht Reines mehr vom Unreinen getrennt werden, nichts Heiliges mehr vom Unheiligen, nichts Böses mehr vom Guten, nichts Helles mehr vom Dunklen, nichts Göttliches mehr vom Nicht-Göttlichen – weil alles ungeteilt Gottes ist. In die himmlische Stadt kommt gar nichts Unheiliges, Unreines, Böses, Schlechtes, Dunkles mehr hinein. Deshalb brauchen auch die Tore nicht mehr verschlossen zu werden.
Vielleicht ist dieses sehr klare Bild der himmlischen Stadt, die vollkommen von Göttlichkeit erfüllt ist, eine geeignete Vorlage, um zu entscheiden, „was man in einer Kirche darf und was nicht“. Vielleicht hilft es, eine Kirche als einen Ort aufzufassen, an dem nicht das irdisch-weltlich-Allzumenschliche den Ton angibt, sondern das Heilige: Wort und Gegenwart Gottes. Der Mensch braucht solche geistlichen Schutzräume dringend.
Manchmal traut man sich gar nicht zu sagen, wenn man in einer Kirche ein Verhalten anderer unangemessen oder schlecht findet. Man wird dafür oft belächelt. Da ist es in Fußballstadien einfacher: Wenn da z. B. angeordnet wird, dass der Hund draußen bleibt, bleibt er draußen. Da sagt keiner: "Warum darf der nicht rein? Ist doch ganz natürlich!" Und kein Security-Mann am Eingang wird belächelt.
Aber unsere Gesellschaft insgesamt scheint doch noch ein wenig Gespür dafür zu haben, dass Kirche eben doch „ein besonderer Raum“ ist. Warum gäbe es sonst das Kirchenasyl? Dafür würde doch sonst auch ein Discounter, eine Stadtverwaltung oder eine Schule reichen. Das Kirchenasyl in unserer Rechtsprechung ist ein Hinweis darauf, dass ein Kirchenraum eben doch „irgendwie“ als ein „unantastbares Symbol“, eben als "heiliger Ort" betrachtet wird.
Bleibt noch der dezente Hinweis, dass jedes Gesetz und jede Vorschrift der ultimative Versuch ist, ein friedliches und gerechtes Zusammenleben zu ermöglichen. Eigentlich reicht der Respekt vor dem anderen: wenn ich weiß, dass andere Menschen in ihren religiösen Gefühlen durch mein Verhalten verletzt werden, kann ich ihnen ja auch entgegenkommen. Dann bleiben eben der Hund und die Currywurst draußen - und der Protest, der auf dem Altar vorgesehen war, wird auch vor der Kirche wahrgenommen und gehört.
Unabhängig von Streit und Gezeter um Kirchenräume: Ich wünsche Ihnen das wohltuende Bild des Himmels vor Ihrem geistigen Auge und seine heilende Wirkung in Ihrem Herzen, wenn Sie eine Kirche betreten. Begnadete Dombaumeister und große Künstler haben über Jahrhunderte alles gegeben (und tun es heute noch!), um mit ihren Bauwerken dem Menschen ein Stück Himmel auf die Erde zu holen - mitten in allem Elend und Leid. Und solche wunderbaren Geschenke an sich sind schon aller Würdigung wert ...
22. Oktober 2023 Vom Augenblick der Gnade
Heute möchte ich Ihnen ein Gleichnis Jesu aus dem Matthäus-Evangelium vorstellen. Es zeigt deutlich, dass Bibeltexte nicht in erster Linie wörtlich genommen, sondern im größeren Zusammenhang gesehen werden sollen. Wer dieses Gleichnis wortwörtlich nimmt, gerät nicht nur schnell in eine Sackgasse, weil zu viele Dinge unlogisch erscheinen, sondern er läuft auch Gefahr, ein bedrückendes Gottesbild anzunehmen.
Jesus antwortete und erzählte ihnen ein anderes Gleichnis:
Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem König, der seinem Sohn die Hochzeit ausrichtete.
Er schickte seine Diener, um die eingeladenen Gäste zur Hochzeit rufen zu lassen. Sie aber wollten nicht kommen.
Da schickte er noch einmal Diener und trug ihnen auf: „Sagt den Eingeladenen: Siehe, mein Mahl ist fertig, meine Ochsen und das Mastvieh sind geschlachtet, alles ist bereit. Kommt zur Hochzeit!“
Sie aber kümmerten sich nicht darum, sondern der eine ging auf seinen Acker, der andere in seinen Laden, wieder andere fielen über seine Diener her, misshandelten sie und brachten sie um.
Da wurde der König zornig; er schickte sein Heer, ließ die Mörder töten und ihre Stadt in Schutt und Asche legen.
Dann sagte er zu seinen Dienern: „Das Hochzeitsmahl ist vorbereitet, aber die Gäste waren nicht würdig.
Geht also an die Kreuzungen der Straßen und ladet alle, die ihr trefft, zur Hochzeit ein!“
Die Diener gingen auf die Straßen hinaus und holten alle zusammen, die sie trafen, Böse und Gute, und der Festsaal füllte sich mit Gästen.
Als der König eintrat, um sich die Gäste anzusehen, bemerkte er unter ihnen einen Menschen, der kein Hochzeitsgewand anhatte.
Er sagte zu ihm: „Freund, wie bist du hier ohne Hochzeitsgewand hereingekommen?“ Der aber blieb stumm.
Da befahl der König seinen Dienern: „Bindet ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die äußerste Finsternis! Dort wird Heulen und Zähneknirschen sein.“ Denn viele sind gerufen, wenige aber auserwählt. Matthäus-Evangelium Kap. 22, Verse 1 ff Soweit das Gleichnis.
Vorab: dass Gäste erst eingeladen und dann noch einmal extra gerufen werden, war damals üblich, weil es ja keine Uhren gab. Aber danach wird in diesem Gleichnis zu viel auf einmal erzählt: Es ist unmöglich, dass erst die Diener umgebracht werden und dann noch eine Strafaktion gegen eine Stadt läuft, während das Vieh schon geschlachtet und das Mahl vorbereitet ist.
Das hatte alles schon vorher stattgefunden: dieser 1. Teil des Gleichnisses beschreibt die Geschichte Israels. Der Evangelist schreibt diesen Text unter dem Eindruck der Zerstörung Jerusalems. Ausgerechnet Jerusalem mit dem Tempel, die Wohnstätte Gottes unter den Menschen, war zerstört worden; das war für das Volk eine Katastrophe und bedeutete: Gott will von Seinem Volk nichts mehr wissen.
Der König in diesem Gleichnis ist Gott. Seine Diener stehen für die Propheten, die das Volk immer wieder mahnten, wenn es auf Abwege geriet oder gleichgültig wurde, statt "auf dem Weg zum himmlischen Fest" zu bleiben. Dafür wurden sie umgebracht – wer lässt sich schon gerne mahnen und Vorwürfe machen …
Aber in der historischen Katastrophe der Zerstörung Jerusalems, dem vermeintlichen Ende, lag auch ein neuer Anfang: der Beginn der Mission. Die Apostel brachten die Frohe Botschaft in die ganze Welt – auch zu den Heiden (damals „Nicht-Juden“). Dafür steht im Gleichnis das Bild von den Kreuzungen der Straßen – Kreuzungen von Reisewegen lagen außerhalb der Städte, dort waren Fremde von weither unterwegs. Die Einladung Gottes an sie steht für den Anfang der weltweiten Ausbreitung des Evangeliums.
Der 3. Teil im Gleichnis enthält dann die ganz persönliche Aussage, die jeden Einzelnen angeht. Und ausgerechnet er erzählt von einer scheinbaren Ungeheuerlichkeit: Der König wirft den Armen, der kein Festgewand trägt, hinaus. Wie soll der aber ein Festgewand haben, wenn er doch gerade erst von der Straße hierherkam? Das scheint seht ungerecht.
Ein (Fest-) Gewand ist im biblischen Grundverständnis ein sehr wichtiges und tiefsinniges Bild. Ein Gewand anziehen bedeutet nicht nur, sich anzukleiden, sondern es ist auch ein Begriff für „den Glauben annehmen / ein neuer Mensch werden durch Gott“. So steht im Epheserbrief: „Zieht den neuen Menschen an.“ (Eph 4,24) Auch das Taufgewand versinnbildlicht diese Aussage!
Ein Hochzeitsgewand tragen heißt also in diesem Gleichnis nicht, ein Kleidungsstück überzustreifen, sondern vielmehr: die Einladung Gottes annehmen, sich mit dem Herzen auf Gott einlassen und in eine Beziehung zu Ihm treten. Das hatte der Arme verweigert.
Diesen rechten Augenblick des angebotenen Heils zu erkennen und zu erfassen: das ist der Augenblick der Gnade. Gott lädt ein. Die Annahme dieser Einladung ist unser Festgewand. Alles andere führt in (selbstgewählte / selbstverantwortete) Finsternis und Hoffnungslosigkeit, in "Heulen und Zähneknirschen" wie wir es ja zur Zeit in der aktuellen Weltlage schmerzlich genug erfahren müssen.
Wir sind geladene Gäste in Gottes Herrlichkeit; nicht mit erbrachter Leistung, sondern allein mit Herz und Wollen. "Denn viele sind gerufen, wenige aber auserwählt". Eingeladen sind viele, der Antworten wenige.
15. Oktober 2023 Königin Esther - heute
Es gibt in der Bibel das Buch "Esther", das darüber berichtet, wie ein persischer Minister seinen König mit Lügen dazu brachte, ein Gesetz zur Vernichtung aller Juden in seinem Reich zu erlassen. (Die Juden waren damals in persischer Gefangenschaft.) Der König hatte, ohne dass er es wusste, eine Jüdin zur Frau genommen - Esther war dazu gezwungen worden. Weil ihr Vormund kurz darauf einen Mordanschlag auf den König vereitelte, durfte sich Königin Esther etwas wünschen. Natürlich wünschte sie sich, dass dieses Gesetz zur Vernichtung aller Juden aufgehoben würde. Aber das war nicht möglich: ein König konnte seine eigenen Erlasse nicht rückgängig machen. Das Einzige, was er konnte, war, den Juden die Gegenwehr zu erlauben. So geschah es. Aber die Juden schafften es nicht an dem einen festgesetzten Tag, sich aller Feinde im Perserreich zu erwehren. Königin Esther bat also den König, dass ihr Volk noch weiterkämpfen dürfe, bis die Gefahr gebannt war. Auch das wurde ihr gewährt. Und so endet das Buch Esther ziemlich unschön mit der entschiedenen Vernichtung aller der Feinde, die das jüdische Volk erklärtermaßen ausrotten wollten. Die wenigsten Menschen mögen es, wenn Erzählungen so enden. Und so entrüsten sich dann auch viele Zuhörer, wenn ich das Buch Esther irgendwo erzähle: die Königin sei ja blutrünstig, die Juden seien "schon immer rachsüchtig gewesen" - und was derlei Aussagen mehr sind von Menschen, die nach eigenen Aussagen pazifistische Menschen sind.
Erzählen wir doch dieselbe Geschichte einmal kurz in heutiger, gerade hochaktueller Zeit: Esther wusste, dass von den 1000 terroristischen Feinden, die gerade Israel überfallen haben, nur 500 getötet werden konnten. Die anderen 500 sind noch im Land unterwegs, überfallen ungestört weiter Familien, vergewaltigen Mädchen und Frauen, erschießen wehrlose Männer und Jungen, fesseln und köpfen Kinder und foltern alte Menschen. Soll Esther sagen: "Die 500 Feinde, die wir besiegt haben, reichen. Ich darf den König nicht darum bitten, alle anderen mordenden Feinde im Land auch noch umzubringen, um die Menschen zu schützen. Ich muss sie halt wüten lassen."? Ist Esther blutrünstig, wenn sie darum bittet, auch alle übrigen, immer noch mordenden Feinde töten zu dürfen, um Menschenleben zu retten? Oder ist sie eher blutrünstig, wenn sie dem bestialischen Morden der Feinde tatenlos zusieht? Die Opfer können nicht wählen. Die Täter schon: keiner wird gezwungen, morgens aufzustehen und voll Hass zu beschließen, wahllos unschuldige und wehrlose Menschen zu ermorden. War Königin Esther damals wirklich blutrünstig und rachsüchtig, als sie sich den ausgewiesenen Feinden, die ihr Volk total ausrotten wollten, in den Weg stellte?
Die Heilige Schrift ein ganz realistisches Lebensbuch - und berichtet oder erzählt manchmal auch (hochaktuell!) davon, dass Menschen in Situationen geraten können, in denen sie nur die Wahl haben zwischen Pest und Cholera. Da scheinen Antworten und Lösungen in unerreichbarer Ferne, dieweil Menschen die Hölle durchleiden müssen. Und schnelle Antworten klingen allzu billig.
Manchmal bleibt eben - neben dem unablässigen Gebet um Frieden - nur dies: „Ich bin verstummt und still und schweige fern der Freude...“ (Psalm 39) "Die Sünder sollen von der Erde verschwinden und Frevler sollen nicht mehr da sein." (Psam 104,35)
8. Oktober 2023 Denken und Sprechen
Vor gar nicht langer Zeit seufzte ein Bekannter am Telefon: „Wieder ’ne Woche geknechtet, thank God, it’s Friday (Gott sei Dank, es ist Freitag)“, - übrigens ein krasser Spruch, den ich noch nicht kannte.
Wieder andere schinden sich, malochen, schanzen, ochsen, schuften …
Der Mensch hat viele Möglichkeiten, um ein und dasselbe auszudrücken.
Versuchen Sie es mal mit dem Begriff „Zeit“: man kann sie verbringen, totschlagen, vertreiben, vergeuden, verlieren – die arme Zeit kann einem wirklich leidtun.
Oder nehmen Sie den Begriff „Sterben / Tod“: da hat jemand „die Löffel abgegeben“, er ist „abgekratzt“, „abgelebt“, „draufgegangen“, „krepiert“, „verreckt“ – es sind da viele hässliche Worte im Umlauf.
Vermutlich sollten wir mit wirklich wichtigen Begriffen echt aufmerksam umgehen; sie gestalten unser Denken mehr als wir ahnen.
Hinsichtlich der Arbeit habe ich das in Klöstern gelernt. Die Menschen, die dort leben, gleichen vielen kleinen Gemeinschaften: alle Arbeiten müssen von allen getan werden, egal ob putzen, Obst pflücken, Gemüse anbauen, nähen, Bücher schreiben, kochen, Gäste betreuen, handwerkern …
Aber egal, wer was tut: jeder weiß, dass er an etwas Ganzem mitwirkt, keiner spaltet seine Arbeit derart von sich selbst ab, dass er förmlich in zwei Teile zerfällt, in Arbeit und Leben. Und man erliege nicht der irrigen Annahme, Klosterleben sei gemütlich; das ist es tatsächlich nicht; übrigens müssen sich auch Klostergemeinschaften inzwischen sehr gegen Hektik und Verdichtung von Zeit und Arbeit stemmen und um ihre Kontemplation kämpfen.
Seine Gedanken zur Arbeit auch hin und wieder auf Gott ausrichten, sich bewusstmachen, wem wie die eigene Arbeit dient und ihr eine sorgfältige Bezeichnung zu geben, die dieses Denken widerspiegelt, kann ein guter Weg sein zu einem sinnerfüllten Leben auch während der Arbeit – und nicht nur von Freitag bis Sonntag. Das schließt nicht aus, dass einen die Arbeit erschöpft, dass sie auch emotional anstrengend ist und einen manchmal echt nervt. Aber die Großrichtung im Denken ändert sich zum Geistlichen und Guten.
Dazu kann auch ein Schrifttext beitragen, der seit ein paar Wochen als loses Blatt auf meinem Schreibtisch liegt: „Ich dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz. Doch mein Recht ist bei dem Herrn und mein Lohn ist bei meinem Gott.“ (Herrnhuter Losung vom 25. August 2023, Jesaja 49,4)
Auch eine sorgfältige, respektvolle Bezeichnung für das Sterben / den Tod kann zu einem Umdenken führen: früher hatten die Menschen dafür den Ausdruck „das Zeitliche segnen“ – darüber nachzudenken lohnt sich wirklich!
Und dann ist da noch die Zeit: statt sie zu vertreiben, totzuschlagen, zu vergeuden oder zu verlieren kann man sie sich (wenigstens hin und wieder – und öfter als man denkt!) auch nehmen und füllen. Das bringt einen direkt zu einem anderen Umgang mit ihr. Und seltsamerweise fehlt einem dann auch nicht mehr ganz so viel Zeit.
Dass der Mensch denken und sprechen kann, ist eine Gottesgabe – bei respektvoller Verwendung führt sie uns im ganz alltäglichen Leben näher zu Gott.
1. Oktober 2023 Eine Mauer um uns baue
Der Dichter Clemens Brentano hat eine sehr spannende Ballade geschrieben:
In einer armseligen kleinen Hütte, weitab vom Dorf, lebte ein kleines altes Mütterlein mit seinem Enkel. Eines Tages im Winter geschah es nun, dass feindliche Horden das Land plündernd und mordend überrannten. In ihrer Not betete die alte Frau zu Gott: „Eine Mauer um uns baue!“
Der junge, „aufgeklärte“ moderne Enkel war darüber sehr erbost und schimpfte mit seiner Oma:
„Eine Mauer uns ums Haus
kriegt unmöglich so geschwinde
euer lieber Gott heraus.“
Die alte Frau ließ sich nicht beirren und betete die ganze Nacht hindurch weiter, immer wieder dieselben Worte .... Am Morgen, als aller Kriegslärm verstummt war, wollte der Enkel die Hütte verlassen – aber siehe da: die Tür ließ sich nicht öffnen … Als er dann endlich doch ins Freie treten konnte, sah er, warum ihnen nichts geschehen war: die ganze kleine Hütte war bis ans Dach eingeschneit! Die Feinde waren vorübergezogen, ohne zu ahnen, dass ein paar Meter neben ihnen eine Hütte versteckt im Schnee stand. „Eine Mauer um uns baue!“ hatte die alte Frau gebetet. (Ballade siehe unten: link)
Natürlich geht in meinem Kopf gleich das Fragen los: was ist mit all denen, deren Gebete Gott nicht erhört hat? Es begegnet einem oft im Alltag, dass der eine erzählt, sein Gebet sei erhört worden - und dann begegnet einem ein Mensch, der trotz aller Gebete durch tiefes Leid muss. Und wir können das nicht erklären, bleiben ratlos zurück. Können bestenfalls verstehen, wenn solch ein Mensch Gott den Rücken kehrt.
Aber es gibt auch die, die mitten in allem Leid in tiefem Frieden sind, unangefochten und nah bei Gott. Machen sie sich etwas vor? Oder sind sie abgestumpft? Gleich habe ich wieder Fragen über Fragen im Kopf ... Und sicher bin ich da nicht die einzige.
Am 3. Oktober ist Feiertag und wir denken an die unfassbar friedliche Überwindung der tödlichen Grenze, welche mitten durch unser Land lief. Uns wurde alles geschenkt! Keine Kämpfe, kein Verletzter, kein Toter, nur Freude über Freude! Keine getrennten Familien mehr, dauerhafte Freiheit! Und im Iran müssen die Menschen mit so viel Schmerz und Qualen um ein wenig Freiheit kämpfen, werden eingesperrt, gefoltert und ermordet. Ihnen wird nichts geschenkt. Fragen über Fragen: warum hatten wir es so leicht und anderen wird nichts geschenkt?
Wir können diese urmenschlichen Fragen nicht beantworten. Aber wir sollten uns hüten, erhörte Gebete (?) wie einen Triumph vor uns her zu tragen und Gott damit "beweisen" zu wollen - denn auch das gibt es. Solche Menschen machen Gott zu einem Totschlag-Argument für Menschen, die Fragen haben oder im Glauben unsicher oder verzagt sind.
Nehmen wir das Schöne, das uns widerfährt, dankbar und wachen Herzens an und halten wir es in Erinnerung. Im Laufe der Jahre entsteht ein Mosaik unseres Lebens, in dem auch ungeklärte Fragen einen Platz haben, aber nicht alles verdunkeln. Vielleicht machen wir die Erfahrung, dass wir in der Rückschau manches begreifen können und dass wir lernen können, Fragen und Unerklärliches auszuhalten, ja, auch Gott auszuhalten in Seiner ganzen Unbegreiflichkeit.
Der Apostel Paulus hat - wahrscheinlich aus der Gefangenschaft - in seinem Brief an die Christen in Philippi (Mazedonien) geschrieben: "Und der Friede Gottes, der alles Verstehen übersteigt, wird eure Herzen und eure Gedanken in Christus Jesus bewahren." Wahrscheinlich kommt es am Ende darauf an: mit Kopf, Herz und der ganzen Existenz bei Gott zu bleiben - bei allen offenen und auch schmerzenden Fragen.
Ich wünsche Ihnen einen frohmachenden Feiertag und ein dankbares Erinnern an das große Wunder von 1989! Und ich sage das in vollem Bewusstsein um all die Schwierigkeiten, die heute hinsichtlich der Menschen in Ost und West bestehen!
Und hier für die Interessierten nun noch die oben erwähnte Ballade von Clemens Brentano: "Die Gottesmauer"
24. September 2023 Ganz egal, ob früh oder spät
Je weiter das Kirchenjahr voranschreitet, umso schwerverständlicher, mitunter sogar schockierender werden die Gleichnisse Jesu, über die der Evangelist Matthäus berichtet. Das sind echte Herausforderungen für den, der sich darauf einlässt.
So ist auch der Schrifttext, den ich Ihnen heute vorlege, alles andere als erbauliche Lektüre:
Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsbesitzer, der früh am Morgen hinausging, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Er einigte sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag und schickte sie in seinen Weinberg.
Um die dritte Stunde ging er wieder hinaus und sah andere auf dem Markt stehen, die keine Arbeit hatten. Er sagte zu ihnen: „Geht auch ihr in meinen Weinberg! Ich werde euch geben, was recht ist.“ Und sie gingen.
Um die sechste und um die neunte Stunde ging der Gutsherr wieder hinaus und machte es ebenso.
Als er um die elfte Stunde noch einmal hinausging, traf er wieder einige, die dort standen. Er sagte zu ihnen: „Was steht ihr hier den ganzen Tag untätig?“ Sie antworteten: „Niemand hat uns angeworben.“ Da sagte er zu ihnen: „Geht auch ihr in meinen Weinberg!“
Als es nun Abend geworden war, sagte der Besitzer des Weinbergs zu seinem Verwalter: „Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den Letzten, bis hin zu den Ersten!“
Da kamen die Männer, die er um die elfte Stunde angeworben hatte, und jeder erhielt einen Denar.
Als dann die Ersten kamen, glaubten sie, mehr zu bekommen. Aber auch sie erhielten einen Denar.
Als sie ihn erhielten, murrten sie über den Gutsherrn und sagten: „Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet und du hast sie uns gleichgestellt. Wir aber haben die Last des Tages und die Hitze ertragen.“ Da erwiderte er einem von ihnen: „Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart? Nimm dein Geld und geh! Ich will dem Letzten ebenso viel geben wie dir. Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will? Oder ist dein Auge böse, weil ich gut bin? So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte.“
Matthäus-Evangelium, Kap. 20, Verse 1 f
Einige Dinge in diesem Gleichnis sind bedenkenswert im Hinblick auf die tatsächliche Situation:
1. Der Weinbergbesitzer geht alle drei Stunden auf den Markt („hinaus“) und sieht dort Arbeiter, die anscheinend keine Arbeit haben.
2. Er geht auch 1 Stunde vor Schluss noch einmal hinaus und engagiert immer noch neue Arbeiter
3. Von den Arbeitern der ersten und der letzten Stunde wird lohnmäßig berichtet. Was ist mit denen dazwischen – die nach drei oder sechs Stunden geworben wurden? Waren sie einverstanden mit der Lohngleichheit oder haben auch sie gemurrt?
4. Der Weinbergbesitzer will sich anscheinend auf gar keine Diskussion einlassen. Er sagt frei heraus: „Nimm dein Geld und geh.“ Die Fragen, die er danach stellt, sind als Fragen letztlich rhetorisch, als Aussagen jedoch provokant!
Die genannten Aspekte weisen darauf hin, dass Jesus mit diesem Gleichnis keine sozial-marktwirtschaftliche Alternative darlegen will. Hätte Er das gemeint, dann hätten alle Angaben genauer sein müssen. Außerdem ist es ineffizient bis unsinnig, eine Stunde vor Arbeitsschluss noch neue Arbeiter anzuwerben, die zum Arbeitsplatz hingebracht und eingewiesen werden müssen.
Aber gerade, dass noch 1 Stunde vor Schluss Arbeiter angeworben werden, ist eine Zuspitzung, die auf eine Situation hindeutet, die über Irdisches hinausgeht: auf das Reich Gottes, das im Hier und Jetzt bereits angebrochen ist und wächst.
Und für das Reich Gottes taugt kein Denken mit irdischen, marktwirtschaftlichen Maßstäben. Der Maßstab im Reich Gottes ist die Gnade Gottes. Und für diese Gnade gibt es kein „(Zu-) Spätkommen“, keine tariflich festgesetzte Vergütungsordnung. "Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will?", sagt Jesus im Gleichnis. Die Gnade, die Gott schenkt, setzt einzig voraus, dass der Mensch sich von Gott "zu Seiner Zeit" ansprechen und in Dienst nehmen lässt. Das kann jedem Menschen Mut machen!
Wer den Anruf Gottes eher vernimmt, braucht daraus keine Vor-Rechte abzuleiten oder geringschätzig, womöglich voller Neid und Missgunst über den „Spätberufenen“ zu denken.
Der Schrifttext beinhaltet aber nicht nur diese harte Anforderung des Nicht-Urteilens bzw. des Mutes, sich auch "in der letzten Stunde" von Gott ansprechen zu lassen.
Wer sich im eigenen Leben durch ständiges Üben und Achtsamkeit auf die Anforderungen Jesu einlässt, erfährt zugleich Freiheit: die zunehmende Unabhängigkeit von materiell-leistungsorientierten, weltlichen Maßstäben zugunsten eines geschwisterlichen Blickes auf den jeweils anderen.
So gewinnen Menschen in ihren Herzen Lebensqualität – und die ständig wachsende Freude an Gottes Gnade. Ganz egal, ob früh oder spät berufen!
17. September 2023 Vorsorge
"Mich hat es sehr berührt, mit Jugendlichen ein Vaterunser zu beten, die nicht mehr wirklich textsicher waren, aber für die es ein großes Anliegen war zu beten." So äußerte sich der katholische Pfarrer der Gemeinde in Lohr; einer Stadt, in der sich in der vergangenen Woche ein schreckliches Verbrechen ereignete: ein Jugendlicher hat einen anderen Jugendlichen auf dem Schulgelände erschossen. (s.u.*1)
Es gibt viele Extremsituationen, die Menschen völlig unvorbereitet wie ein Schlag vor den Schädel oder in die Magengrube treffen. Da kann dann aus der plötzlichen Erfahrung der totalen Hilflosigkeit der Wunsch entstehen, zu beten. Wohl dem, der dann Worte findet und glauben kann, dass er einen "Ansprechpartner" in seinem Beten hat. Und wohl dem, den man beizeiten beten gelehrt hat.
Als mein Mann und ich vor Jahren einen englischen Pfarrer am Flughafen abholen wollten, fuhren vor der Landung des Flugzeugs zahlreiche Feuerwehrautos und Krankenwagen mit Blaulicht vor: die Flughafenleitung erwartete eine Bruchlandung, da der Flieger gemeldet hatte, dass das Fahrwerk sich nicht ausfahren ließ. In letzter Sekunde konnte die Katastrophe abgewendet werden. Aus der Maschine kamen Menschen, die kalkweiß im Gesicht waren, manche weinten, manche waren sichtlich am Ende ihrer Kräfte - kein Wunder: man hatte sie auf eine Bruchlandung vorbereitet. Als wir mit unserem Gast beim gemütlichen Abendessen saßen, erzählte er von dieser Notsituation im Flugzeug: Manche hätten geschrieen, viele gebetet, viele geweint. Beruhigend, wenn Menschen in solchen Extremsituationen spontan anfangen können zu beten.
Der Abwehroffizier Hans Georg Klamroth, NSDAP-Mitglied und der damals vorherrschenden politischen Gesinnung lange Jahre durchaus zugeneigt, wurde im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 zum Tode verurteilt. Man warf ihm vor, vom beabsichtigten Attentat vorher gewusst und trotzdem geschwiegen zu haben. Vor seiner Hinrichtung schrieb er seiner Frau in einem Brief: "Lehre die Kinder beten, jetzt weiß ich, was das heißt." (s. u. *2). Der Mann wird unmittelbar vor seiner qualvollen Hinrichtung jedes Wort abgewogen haben.
Ein Jünger hat in einer weitaus weniger dramatischen und lebensbedrohlichen Situation zu Jesus gesagt: "Herr, lehre uns beten ..." (Lukasevangelium Kap. 11, Vers 1) Und Jesus lehrte sie das Vater unser - Gebet.
Vielleicht ist es ein Akt der Barmherzigkeit, Menschen von klein auf beten zu lehren. Sie können sich ja, wenn sie es möchten, jederzeit davon distanzieren - aber wenn sie in einer extremen Lebenssituation den dringenden Wunsch haben, zu beten, dann stehen sie nicht hilflos da; obwohl auch das stammelnde Gebet des total "Unkundigen" vor Gott mit Sicherheit ein Gebet mit brennendem Herzen ist. Aber - siehe Anfang dieser Betrachtung - es kann auch einer Gemeinschaft helfen, wenn jemand unter den Menschen ist, der beten kann.
Ich widme den heutigen Beitrag meiner Grundschullehrerin, die uns beten lehrte und uns nicht nur beibrachte, wenn wir einen Rettungswagen mit Sirene sahen oder hörten, für den gefährdeten Menschen darin zu beten, sondern das auch mitten im Unterricht mit uns tat.
Quellen: *1: "Christ in der Gegenwart" 38/2023, Seite 2 *2: Wibke Bruhns: "Meines Vaters Land", Ullsteinverlag, Berlin 2004, Seite 381
10. September 2023 Wenn dein Bruder gegen dich sündigt
Es gibt in der Bibel Textstellen, bei denen mir immer wieder der Atem stockt, wenn ich sie – manchmal unvorbereitet - in einem Gottesdienst höre. Gestern war wieder so ein Tag, an dem mich eine solche Schriftstelle sehr unvermittelt traf:
Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.
Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde.
Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde! Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner.
Matthäus-Evangelium Kap. 18, Verse 15 ff
Gehört habe ich diese Worte oft. Gelesen auch. Ich habe sie übrigens noch nie in der Praxis erlebt. Woran liegt das? Mir gehen beim Hören (und Lesen) etliche Gedanken durch den Kopf, die weit vor der geforderten Praxis besprochen werden müssten:
- Die Gemeinden zu Matthäus‘ Zeiten hatten noch nicht solch exorbitante Größen in Tausenderzahlen, wie das heute hier in unserem Land der Fall ist. Welche Bezugsgröße für „Sag es der Gemeinde“ wäre also heute angemessen? Die Kerngemeinde von z. B. 100 Leuten, die immer da sind und alles machen und die man auch von Angesicht und Namen kennt?
- „... dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner“ war damals eine ziemlich neutrale Aussage und konnte z. B. bedeuten: „wie jemand, der Gott nicht kennt oder sich nicht um Gottes Gebote schert und sie deswegen ignoriert bzw. übertritt.“ Wen soll ich da heute als Beispiel denken, ohne eine Gruppe zu diskriminieren?
- Wie soll dieses von Jesus geforderte Prinzip überhaupt funktionieren – gerade heute, wo so oft gesagt / gelehrt wird, dass zu einem Konflikt „meistens zwei gehören“, dass „selten die Schuld bei einem liegt“.
- Kann man sich heute überhaupt erlauben, zu denken: „Der andere hat gegen mich gesündigt, ich werde ihn zurechtweisen.“ Ist man überhaupt in der Lage, so etwas zu denken? Ist man da nicht arrogant, selbstherrlich und egozentrisch?
Schwierige Fragen! Und äußerst unangenehme Worte Jesu!
Vielleicht ist es schonmal ein guter Ansatz, die Perspektive zu wechseln: entschieden so zu leben, dass andere Menschen sich trauen, frei heraus zu sagen, wenn etwas ungerecht gewesen ist. Damit schafft man für Jesu hohen Anspruch in der Praxis gute Voraussetzungen.
Übrigens stehen diese Worte Jesu im Kontext solcher Texte, in denen es darum geht, dass keiner verloren gehe, dass Versöhnung versucht werden muss und dass der Mensch einem anderen im überreichen Maß vergeben soll.
PS: Was schwierige Schriftworte betrifft: Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an Timotheus:
„Verkünde das Wort, tritt auf, ob gelegen oder ungelegen, überführe, weise zurecht, ermahne, in aller Geduld und Belehrung!“ 2.Tim 4,1f Paulus schrieb das aus der Gefangenschaft und mit seinem baldigen Tod vor Augen. Es war ihm wohl sehr wichtig. Ich finde diese Worte auch sehr wichtig: Sie machen mir einmal mehr bewusst, dass beileibe nicht alles, was Jesus sagt bzw. was in der Schrift steht, mir angenehm, passend und nett sein muss und mich hübsch in Ruhe lässt … Denn Wahrheit kann manchmal anstrengend sein und Mühen kosten - aber danach streben zu können ist allemal besser, als immerzu in Ruhe gelassen und in falschen Sicherheiten "eingelullt" zu werden.
3. September 2023 Unerwarteter Wert
„Und gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene!“
Brief an die Römer, Kap. 12, Vers 2
So schreibt es der Apostel Paulus in seinem Brief an die christliche Gemeinde in Rom. Das ist eine ziemlich krasse Forderung. Sich der Welt nicht anzugleichen, birgt viele Gefahren. Man wird zum Außenseiter, vielleicht sogar zum Einzelgänger, man kann vereinsamen, als arrogant oder verschroben gelten, man kann als „Gefahr“ betrachtet werden von denen, die Macht haben auf dieser Welt und die fürchten, diese Macht zu verlieren. Dann ist man an Leib und Leben bedroht – wie es ja auch viel tausendfach in dieser Welt geschieht. Was verlangt Paulus da eigentlich von den Christen?!
Es ist nicht nur eine Aufforderung des Apostels, sondern auch ein Hinweis auf etwas, das in der Natur der Sache liegt und sich von allein ergibt, wenn der Mensch sich auf Gott einlässt, sich „verwandeln lässt durch die Erneuerung des Denkens“.
Denn das hat spürbare Folgen: - Der Mensch, der seine Erlösung nicht mehr in den Angeboten der Welt sucht, sondern sein Leben bewusst Gott anvertraut, setzt sich dadurch ab von dieser Welt. - Ein Mensch, der die Stille sucht für Gebet und Schriftlesung und dadurch bewusst immer wieder auf Gott zugeht, unterscheidet sich von der lärmenden Zerstreuung und der atemlosen Hektik dieser Welt. - Ein Mensch, der jeder Gewalt, Ungerechtigkeit und Ellenbogenmentalität abschwört und danach strebt, einzig auf Liebe und Barmherzigkeit zu setzen, gerät unweigerlich in Kontrast zu dieser Welt. - Ein Mensch, der sich von Gott verändern lässt, lebt nach gänzlich anderen Maßstäben als denen, die die Welt propagiert.
Es gehört Mut dazu, sich von Gott verändern zu lassen; Mut vor den Konsequenzen. Aber ich muss auch dieses sagen: Gott schenkt einen großen Wert in dieser Veränderung. Das, was der Mensch in dieser Veränderung immer wieder und immer mehr erkennt, lernt er als kostbares Gut schätzen, das er nicht mehr missen möchte. So geschieht es eigentlich nach und nach fast unmerklich, dass man die Angleichung an diese Welt gar nicht mehr sucht. Das hat nichts mit Arroganz, Überheblichkeit oder "Moralin" zu tun, sondern allein damit, dass man etwas anderes als wesentlicher, sinnerfüllter und damit als unendlich wertvoller empfindet.
Es wäre allerdings ein totaler Fehlschluss, zu glauben, man müsse sich nun von der Welt abwenden oder sie gar hassen – nein, das Gegenteil ist der Fall: wer sich von Gottes Geist verändern lässt, muss gerade in die Welt gehen und sie lieben als die Schöpfung Gottes, auch wenn das manchmal richtig schwerfällt! Aber das hat Jesus auch getan und das allein ist ausschlaggebend.
Gott weist den Weg.
27. August 2023 Ein Stück Himmel auf Erden
Als junge Kirchenmusikerin kam ich in ein Dekanat (= Verbund mehrerer Gemeinden), in dem sich alle Pastoralangestellten und Pfarrer – wie überall üblich – einmal im Monat trafen, um die pastoralen Anliegen zu diskutieren und Termine zu besprechen. Man traf sich, wie es gerade passte, reihum. Nur im November eines jeden Jahres traf man sich immer in derselben Gemeinde – bei immer dem gleichen festlichen Mittagessen. Der verstorbene Amtsvorgänger des damaligen Pfarrers dieser Gemeinde hatte sich das am Ende seines Lebens gewünscht. Er war ein sehr engagierter, mitreißender, gemeinschaftsbegabter, zuversichtlicher, lebenskluger, (mitunter provokant) innovativer und tiefgläubiger Seelsorger gewesen. Jedes Jahr in seinem Namenstagsmonat sollten sich alle für ihre Arbeit dort versammeln – bei einem echten Namenstagsmahl.
Nun könnte man schnell zu dem Schluss kommen, dass das ja ein recht egoistischer, ja geradezu eitler Wunsch gewesen sei, mit dem der verstorbene Pfarrer die Nachfolgenden da ziemlich festlegte und sie schön regelmäßig zur Erinnerung „zwang“.
Aber ich beobachtete etwas erstaunlich anderes: so unterschiedlich und hart kontrovers pastorale Positionen in den Diskussionen zuvor vertreten wurden – bei keiner Mahlzeit im ganzen Arbeitsjahr waren alle anschließend so lebhaft, fröhlich und wohlwollend. Und so deprimiert viele in den Diskussionen und Beratungen auch angesichts der pastoralen Herausforderungen und großen gesellschaftlichen Schwierigkeiten auch zu sein zugaben – beim ausgiebigen abschließenden „Namenstagskaffee“ breiteten sich erkennbar und in den Gesprächen hörbar wieder Zuversicht und Freude an der eigenen Arbeit aus. Und man sprach über den alten Pfarrer, der sich immer wieder mit Demut, Energie, Gewissenhaftigkeit und großem Gottvertrauen in seine Arbeit gestürzt hatte.
Keine Frage: der Ort, die damit verbundene Person und gute Erinnerungen wirkten bei allen Versammelten positiv nach!
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil mich vor einiger Zeit jemand bat, darüber zu schreiben, was Sakramente sind:
1. Wer sich grundsätzlich auf „Sakramente“ einlassen will, braucht zwei Voraussetzungen: er sollte sich vorstellen können, dass unsere Welt nicht nur aus Materie besteht, sondern dass es da noch einen nicht-sichtbaren und nicht-hörbaren, aber durchaus vorhandenen Teil von nichtmaterieller Welt gibt (Christen nennen das Himmel). Und er sollte sich auf den Gedanken einlassen können, dass es einen Gott gibt, der diese ganze Welt erschaffen hat und die Menschen liebt.
2. Diese nichtmaterielle Welt mit den Menschen zu verbinden und ihnen Heil, Heilung, Stärke, Hoffnung und schon hier Anteil am Himmel zu schenken, ist Ausdruck der Liebe Gottes. Das geschieht in den Sakramenten, die die Kirche spendet. Sie sind gleichsam wirkende Zeichen des Himmels in dieser unvollkommenen irdischen Welt.
3. Sakramente sind keine Erinnerung und keine Symbolhandlung, sondern sie bringen eine neue Wirklichkeit, die von Gott geschaffen wird; eine Wirklichkeit, in der ein Mensch schon jetzt Anteil am Himmel hat.
In der Geschichte, die ich Ihnen zu Beginn erzählte, ging es um Symbole und die positiven Auswirkungen von irdischen Erinnerungen.
Sakramente basieren nicht auf bloßen irdischen Erinnerungen an etwas, sondern gehen weit darüber hinaus: sie sind Elemente des Himmels für jeden Menschen, der sie im Glauben und Vertrauen von Gott für sein irdisches Leben hier und schon jetzt erbittet.
Sie fragen sich, ob Ihr Glaube dafür stark genug ist? In der Schrift wird von einem Vater erzählt, der sein krankes Kind zu Jesus brachte. Von Jesus auf seinen Glauben angesprochen, antwortete der Vater: „Herr, ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“
Nur Mut!
20. August 2023 Suchen, Versuchen, Reden und Schweigen
Ich staune manchmal, wenn ich höre, wie genau manche Menschen von Gott reden können: was Er denkt, was Er nicht denkt, wen Er straft, wie Er straft, was Er mag ... Meistens höre ich mir das an und denke: "Na, wenn das mal am Ende nur nicht ganz anders ist!" Ich fand (und finde) es immer sehr schwer, von Gott zu reden - aber noch schwerer scheint es es mir, nicht von Ihm zu reden. Der Theologe Karl Rahner hat in einem seiner Bücher geschrieben:
"Wir reden von Gott, von Seiner Existenz, von Seiner Persönlichkeit .... und so fort. Wir müssen dies selbstverständlich, wir können nicht bloß von Gott schweigen ... Aber bei diesem Reden vergessen wir dann meistens, dass eine solche Zusage immer nur dann einigermaßen legitim von Gott ausgesagt werden kann, wenn wir sie gleichzeitig auch immer wieder zurücknehmen ... *
Wir haben eben nur unsere sehr begrenzte menschliche Sprache zur Verfügung, um über Gott zu reden. Ich muss oft an Benedikt von Nursia, den Gründer des abendländischen Mönchtums, denken, der in seiner Regel geschrieben hat, man solle prüfen, ob der Mensch, der in ein Kloster eintreten will, bereit ist, Gott wahrhaftig zu suchen. Von "Gott gefunden haben" steht da gar nichts.
Und das scheint mir für den Menschen, der Jesus nachfolgen will, das Wichtigste zu sein: Gott immer wieder neu zu suchen, nicht die eigenen engen Grenzen und Maßstäbe auf Gott zu übertragen und andere Menschen mit dem Reden darüber, "wie Gott garantiert ist, denkt und handelt" vielleicht auch in die Irre oder vor allem in Traurigkeit zu führen.
Wir haben die Heilige Schrift, um von Gottes Liebe und Barmherzigkeit zu reden. Wir haben in dieser Heiligen Schrift Seine Gebote, um unseren Lebensweg so zu führen, dass er uns zu Gott bringt. Wir haben das Schweigen, um Gott immer auch in der Stille zu suchen und zu erkennen.
Aber das Wichtigste - und deshalb schreibe ich das hier heute - ist die (nicht nur meine) immer wieder gemachte Erfahrung: Gott ist auf dieser Suche bei uns. Er sendet uns zur rechten Zeit (!) Worte, Menschen, Erfahrungen, Gespräche, Herzensgewissheiten, Trost, Kraft ... all das, um immer mehr zu Ihm zu finden. Und deshalb ist es auch gar nicht wichtig, dass wir anderen Menschen "mit Bombensicherheit sagen können, wie Gott ist und was Er denkt und zu tun pflegt". Wichtig ist, dass wir "dranbleiben", uns immer wieder neu zu Ihm aufmachen - und kein Zeitpunkt ist dafür zu spät und keine Wegmarke zu weit entfernt, um erneut aufzubrechen zu Ihm.
Ich wünsche Ihnen dieses Vertrauen in Gottes Führung auf unserem Weg des Erkennens und Erfahrens.
* Quellenangabe: Karl Rahner, Von der Unbegreiflichkeit Gottes, Herder-Verlag, Vierte Auflage 2006, Seite 27
- Sommerpause -
16. Juli 2023 Josef VI: Versöhnung de luxe (Schluss)
Josef bietet seinen Brüdern also an, zum Vater nach Kanaan zurückzukehren; nur Benjamin wird er (scheinbar "als Strafe") in Ägypten behalten. Das ist für die Brüder die Katastrophe schlechthin: wie sollen sie ihrem Vater den Verlust des geliebten jüngsten Sohnes beibringen? Das geht nicht. Judas bittet darum, stellvertretend für seinen kleinen Bruder in Ägypten bleiben zu dürfen; und nun kann Josef erfahren, dass seine Brüder sich gewandelt haben: sie denken aneinander in der Familie, streben danach, dass es dem alten Vater und dem jüngsten Bruder gutgeht. Schon als Josef seine Brüder bei ihrer ersten Reise nach Ägypten sah, schreibt der Schrifttext darüber ungewöhnlich emotional; Josef musste weinen, zog sich aber zurück, damit es niemand sehen konnte. Nun fährt der Text fort: (blau = Schriftstellen, die am Schluss kommentiert werden; rot = Zusammenfassungen des Bibeltextes)
Josef vermochte nicht mehr an sich zu halten vor allen, die um ihn standen, und rief: "Schafft mir alle Leute hinaus!" So stand niemand bei ihm, als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab. Er begann so laut zu weinen, ... Josef sagte zu seinen Brüdern: "Ich bin Josef. Ist mein Vater noch am Leben?" Seine Brüder waren nicht fähig, ihm zu antworten, weil sie fassungslos vor ihm standen.
Josef sagte zu seinen Brüdern: "Kommt doch näher zu mir her!" Als sie näher herangetreten waren, sagte er: "Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Jetzt aber schmerze es euch nicht und es brenne nicht in euren Augen, weil ihr mich hierher verkauft habt. Denn um Leben zu erhalten, hat mich Gott vor euch hergeschickt. ... Er hat mich zum Vater für den Pharao gemacht, zum Herrn für sein ganzes Haus und zum Herrscher über das ganze Land Ägypten.
Zieht eiligst zu meinem Vater hinauf und meldet ihm: So hat dein Sohn Josef gesagt: Gott hat mich zum Herrn über ganz Ägypten gemacht. Komm herunter zu mir, zögere nicht! Du kannst dich im Gebiet von Goschen niederlassen und wirst in meiner Nähe sein, du mit deinen Söhnen und deinen Kindeskindern, mit deinen Schafen und Ziegen und deinen Rindern und mit allem, was dir gehört.
Dort werde ich für dich sorgen, damit du nicht verarmst, du und dein Haus mit allem, was dir gehört, denn noch fünf Jahre dauert die Hungersnot. ... Beeilt euch und bringt meinen Vater hierher herab!"
Er fiel seinem Bruder Benjamin um den Hals und weinte; auch Benjamin weinte an seinem Hals. Josef küsste dann weinend alle seine Brüder. Darauf sprachen seine Brüder mit ihm. (= die notwendige Aussprache / Anm. der Verfasserin)
Am Hof des Pharao verbreitete sich die Nachricht: Die Brüder Josefs sind gekommen. Und das war gut in den Augen des Pharao und seiner Diener. ...
Die Güte des Pharao zeigte sich ganz konkret in einer Einladung, die auch er an Josefs Vater und dessen ganze Verwandtschaft und an den ganzen Hausstand aussprach - also an den ganzen Familienclan. Er ließ eine große Land- und Hausratsschenkung folgen. Orientalische Gastfreundschaft eben ...
Auch Josef beschenkte seine Brüder reichlich, u.a. mit Festgewändern (!) und Reiseverpflegung für den alten Vater.
Sie zogen also von Ägypten hinauf und kamen ins Land Kanaan zu ihrem Vater Jakob.
Sie berichteten ihm: "Josef ist noch am Leben. Er ist sogar Herrscher über das ganze Land Ägypten." Jakobs Herz aber blieb unbewegt; denn er glaubte ihnen nicht. Als sie ihm aber alles erzählten, was Josef zu ihnen gesagt hatte, und als er die Wagen sah, die Josef geschickt hatte, um ihn zu holen, lebte der Geist Jakobs, ihres Vaters, wieder auf und Israel (= Jakob) sagte: "Genug! Mein Sohn Josef lebt noch. Ich will hingehen und ihn sehen, bevor ich sterbe." ... Genesis (= 1. Buch Mose), Kap. 45
Merken Sie es? Die Versöhnung kommt gänzlich ohne Anklage, ohne Vorwürfe, ohne Bedingungen und ohne Beschämung aus. Was sich an notwendigen Veränderungen ereignet hat, wird wahrgenommen. Der Weg ist frei: Josef ermutigt seine Brüder, sich selbst auch keine Vorwürfe mehr zu machen und erklärt ihnen den Weg Gottes, den er in der Rückschau in seinem Lebensweg erkennen kann. Er konnte verzeihen und sein Herz wieder den Brüdern öffnen, weil sie ihn hatten erkennen lassen, dass ihnen alles leidtat, was sie Josef angetan hatten - und dass sie daraus gelernt und sich verändert hatten; die von ihnen mitverursachte Familienkatastrophe hatte in ihnen einen menschlichen Reifeprozess ausgelöst, dem sie sich auch gestellt hatten.
So waren am Ende alle Gewinner: Josef konnte das Verbrechen, das ihm widerfahren war, endgültig hinter sich lassen. Die Brüder konnten in ihren Herzen wieder echten Frieden finden. Und das Herz des alten Vaters konnte durch den neuen, nun tragfähigen Familienfrieden und durch die Freude am unfassbaren Wiedersehen mit seinem Sohn an Lebenskraft gewinnen. Die Festgewänder, die Josef bei der Versöhnung allen schenkt, sind ein starkes Zeichen: ein besonderer, bunter Mantel war einst der äußere Anlass zur Katastrophe geworden - hier nun, am guten Ende, werden Festgewänder zum Zeichen echter Versöhnung!
Echte, tragfähige Versöhnung kennt kein "Schwamm drüber" oder "Stell dich nicht so an", kein "Sei doch nicht so nachtragend!" oder "Tschuldigung" oder "Vergiss es!" - oder gar verächtliches Schweigen, bevor alles bereinigt ist. Echte Versöhnung kann nur geschehen auf einem ganz ehrlichen Weg ohne Floskeln, ohne Bagatellisieren und in der Akzeptanz von Schuld und Verwundung.
Und nun empfehle ich Ihnen zum Abschluss dieser sechsteiligen Betrachtungsreihe über die Josefgeschichte: nehmen Sie sich Zeit, kochen Sie sich einen Kaffee oder einen Tee und lesen Sie in der Bibel den Umzug des alten Vaters Jakob nach Ägypten - und vor allem das wunderbare Wiedersehen zwischen Jakob und seinem Sohn Josef. Es lohnt sich! (Genesis = 1. Buch Mose, Kap. 46 + 47)
9. Juli 2023 Josef V: Auf dem schwierigen Weg zur Versöhnung
Als das Getreide aufgebraucht war, gab es zwischen den Brüdern und ihrem alten Vater Jakob ein sehr schwieriges Gespräch: sie sollten noch einmal nach Ägypten ziehen und Getreide kaufen. Die Brüder weigerten sich, ohne Benjamin zu gehen und Jakob weigerte sich, ihnen Benjamin mitzugeben. Zu groß war seine Angst, dass ihm auch dieser Sohn, das einzige verbliebene Andenken an seine geliebte Frau Rahel, genommen würde. Am Ende willigte Jakob ein und gab den Brüdern Geschenke mit, damit seine Söhne den gestrengen Verwalter in Ägypten milde stimmen konnten. Zur Erinnerung: einer der Söhne Jakobs, Simeon, war bis dahin noch in ägyptischer Gefangenschaft. Die nun weiterführende Erzählung ist etwas lang, kann aber fast nicht gekürzt werden - der Weg zu einer echten Versöhnung ist eben mitunter lang ... (blaue Schrift = Zusammenfassungen des Bibeltextes)
Die Brüder machten sich auf, zogen nach Ägypten hinab und traten vor Josef hin.
Als Josef bei ihnen Benjamin sah, sagte er zu seinem Hausverwalter: "Führe die Männer ins Haus, schlachte ein Tier und richte es her! Denn mit mir werden die Männer zu Mittag essen." Der Mann tat, wie Josef gesagt hatte: Er führte die Männer in das Haus Josefs.
Die Männer fürchteten sich, weil sie in Josefs Haus geführt wurden, und dachten: "Wegen des Geldes, das sich beim ersten Mal wieder in unseren Getreidesäcken fand, werden wir hineingeführt. Man wird sich auf uns stürzen, über uns herfallen und uns und unsere Esel zu Sklaven machen."
Sie traten näher an den Hausverwalter Josefs heran und redeten mit ihm an der Haustür ... und erklärten ihm, dass sie sich nicht erklären konnten, wie das Getreidegeld wieder in ihre vollen Getreidesäcke gelangt sei - der Hausverwalter beruhigte sie ... Dann brachte er Simeon zu ihnen heraus.
Der Mann führte die Männer ins Haus Josefs und gab ihnen Wasser. Sie wuschen ihre Füße und er gab ihnen Futter für ihre Esel.
Sie legten, bis Josef zu Mittag kam, das Geschenk zurecht; denn sie hatten gehört, dass sie dort essen sollten.
Als Josef ins Haus kam, überreichten sie ihm das Geschenk, das sie in ihren Händen hielten, und warfen sich vor ihm auf die Erde nieder.
Er erkundigte sich, wie es ihnen gehe, und fragte: "Geht es eurem alten Vater gut, von dem ihr erzählt habt? Ist er noch am Leben?"
Sie erwiderten: "Deinem Knecht, unserem Vater, geht es gut; er lebt noch." Dann verneigten sie sich und warfen sich nieder.
Als er seine Augen erhob und seinen Bruder Benjamin, den Sohn seiner Mutter, erblickte, fragte er: "Ist das euer jüngster Bruder, von dem ihr mir erzählt habt?" Und weiter sagte er: "Gott sei dir gnädig, mein Sohn."
Dann ging Josef schnell weg, denn sein Gemüt war bewegt wegen seines Bruders. Er wollte weinen. Und so ging er in die Kammer und weinte dort.Dann wusch er sein Gesicht, kam heraus, nahm sich zusammen und sagte: "Tragt das Essen auf!" Und sie speisten zusammen.
Dann befahl Josef seinem Hausverwalter: "Fülle die Getreidesäcke der Männer mit so viel Brotgetreide, wie sie tragen können, und leg das Geld eines jeden oben in den Sack! Meinen Becher, den Silberbecher, leg oben in den Sack des Jüngsten mit dem Geld für sein Getreide." Er tat, wie Josef es gesagt hatte.
... Man entließ die Männer mit ihren Eseln. Sie hatten sich noch nicht weit von der Stadt entfernt, da sagte Josef zu seinem Hausverwalter: "Auf, jag hinter den Männern her! Wenn du sie eingeholt hast, sag ihnen: Warum habt ihr Gutes mit Bösem vergolten? Ist das nicht der Becher, aus dem mein Herr trinkt und aus dem er wahrsagt? Da habt ihr etwas Schlimmes getan."
Der Hausverwalter holte sie ein und sagte zu ihnen, was ihm aufgetragen war.
Sie antworteten ihm: "Wie kann mein Herr so etwas sagen? Fern sei deinen Knechten, so etwas zu tun. Sieh her, das Geld, das wir oben in unseren Getreidesäcken fanden, haben wir dir aus dem Land Kanaan zurückgebracht. Wie könnten wir da aus dem Haus deines Herrn Silber oder Gold stehlen? Der von deinen Knechten, bei dem sich der Becher findet, soll sterben und auch wir werden dann unserem Herrn als Sklaven gehören."
Er (der Hausverwalter) sagte: "Also, es soll geschehen, wie ihr gesagt habt: Bei wem er sich findet, der sei mein Sklave, ihr aber sollt frei sein."
Jeder stellte eiligst seinen Sack auf die Erde und öffnete ihn:
Er durchsuchte alles, beim Ältesten begann er und beim Jüngsten hörte er auf. Der Becher fand sich im Sack Benjamins.
Da zerrissen sie ihre Obergewänder (= Zeichen der Trauer und Klage / Anm. der Verf). Jeder belud seinen Esel und sie kehrten in die Stadt zurück.
So kamen Juda und seine Brüder wieder in das Haus Josefs, der noch dort war. Sie fielen vor ihm zur Erde nieder. Josef sagte zu ihnen: "Was habt ihr getan? ..."
Juda erwiderte: "Was sollen wir unserem Herrn sagen, was sollen wir vorbringen, womit uns rechtfertigen? Gott hat die Schuld deiner Knechte (= der Söhne Jakobs) herausgefunden. So sind wir also Sklaven unseres Herrn (= Josef), wir und der, bei dem sich der Becher gefunden hat."
Doch Josef gab zur Antwort: "Mir sei es fern, das zu tun. Derjenige, in dessen Hand sich der Becher gefunden hat, der soll mein Sklave sein. Ihr anderen aber zieht in Frieden hinauf zu eurem Vater!"
Da trat Juda an ihn heran und sagte: " ... Wir haben einen alten Vater und den Jüngsten, der ihm im hohen Alter geboren wurde. Dessen Bruder ist gestorben; er ist allein von seiner Mutter noch da und sein Vater liebt ihn. Du aber hast deinen Knechten (= den Söhnen Jakobs) gesagt: Bringt ihn her zu mir. ... Als wir meinem Vater ... erzählten, was mein Herr (= Josef) gesagt hatte, antwortete uns mein Vater: "Ihr wisst, dass mir meine Frau zwei Söhne geboren hat. Einer ist von mir gegangen und ich sagte: Er ist gewiss zerfetzt worden. Ich habe ihn bis heute nicht mehr gesehen.
Nun nehmt ihr mir auch den noch weg. Stößt ihm ein Unglück zu, dann bringt ihr mein graues Haar vor Leid in die Unterwelt."
Und Juda fuhr fort mit seiner Rede zu Josef: "Wenn ich jetzt zu ... meinem Vater käme und der Knabe wäre nicht bei uns, da doch sein Leben so an ihm hängt, wenn er also sähe, dass der Knabe nicht dabei ist, würde er sterben. ...
Denn dein Knecht (= Juda) hat sich für den Knaben (= Benjamin) beim Vater mit den Worten verbürgt: Wenn ich ihn nicht zu dir zurückbringe, will ich alle Tage bei meinem Vater in Schuld stehen. Darum soll jetzt dein Knecht (= Juda) anstelle des Knaben dableiben als Sklave für meinen Herrn; der Knabe aber soll mit seinen Brüdern hinaufziehen dürfen. Denn wie könnte ich zu meinem Vater hinaufziehen, ohne dass der Knabe bei mir wäre? Ich könnte das Unglück nicht mit ansehen, das dann meinen Vater träfe."
Genesis (= 1. Buch Mose) Kap. 43 + 44, Verse 1 ff
Für heute nur ein Gedanke, aber ein sehr wichtiger, wie ich finde - denn das große Ereignis, die Aussöhnung, kommt dann am nächsten Sonntag: Was hat Josef vor? Warum bringt er die Brüder in eine so verhängnisvolle Situation? Will er sich rächen? Ich glaube nicht. Josef steht vor der schwersten Aufgabe seines Lebens: er muss (?) den Brüdern, die ihn aus Hass und Eifersucht hinterhältig Tod und Verderben ausgesetzt haben, verzeihen oder sich mit ihnen aussöhnen. Wie soll so etwas gehen? Nun, dass er bei einem unverhofften Wiedertreffen erst einmal herausfinden muss, ob die Brüder noch dieselben charaktermäßig schwachen, eifersüchtigen, hasserfüllten Männer sind wie damals, ist wohl nachvollziehbar. Wie kann Versöhnung nach einer so furchtbaren Tat gehen? Mit Sicherheit leichter, wenn der Betroffene wahrnehmen kann, dass die Übeltäter von damals gereift sind und ihr Verbrechen erkennbar bedauern.
Es ist ein vielfach in Vergessenheit geratener Aspekt bei der Versöhnung: Aussöhnung ist keine Einbahnstraße. An einer Aussöhnung müssen beide Parteien arbeiten - bewusst (oder unbewusst durch den Umgang mit ihrer Schuld). Nur von einer Seite ein hingeworfenes "Tschuldigung" - das ist zu billig und hält keiner Belastung einer Aussöhnung stand.
Mit dem, was Josef tut, arbeitet er an der Aussöhnung der Brüder und an der Zukunft der ganzen Familie. Apropos Josefs Träume: die Brüder verneigen sich sehr oft vor Josef (s. o. Bibeltext). Und auch die Garben im Traum des Jungen hatten eine Bedeutung: es geht um Getreide.
Schluss der Josef-Erzählung am nächsten Sonntag: Josef VI: Versöhnung de luxe
2. Juli 2023 Josef IV: Man trifft sich immer zweimal im Leben
Josef hat die Träume des Pharao gedeutet und mit der neugewonnenen Position als "zweiter Mann in Ägypten" Vorbereitungen getroffen, damit das Volk sieben Jahre Hungersnot überleben kann. (blaue Schrift = Inhalte, die am Ende des Artikels kommentiert werden.)
Eine Hungersnot brach über alle Länder herein, im ganzen Land Ägypten aber gab es Brot ...
Alle Welt kam nach Ägypten, um bei Josef Getreide zu kaufen; denn der Hunger wurde immer drückender auf der ganzen Erde. Als Jakob erfuhr, dass es in Ägypten Getreide gab, sagte er (zu seinen Söhnen): " ... Zieht hinunter und kauft dort für uns Getreide, damit wir am Leben bleiben und nicht sterben müssen!" Zehn Brüder Josefs zogen also hinunter, um in Ägypten Getreide zu kaufen. Benjamin, den Bruder Josefs, ließ Jakob nicht mit seinen Brüdern ziehen, denn er dachte: "Dass ihm nur kein Unglück zustößt!" ...
Josef war der Gebieter über das Land. Er war es, der allen Leuten im Lande Getreide verkaufte. So kamen Josefs Brüder und warfen sich vor ihm mit dem Gesicht zur Erde nieder. Als Josef seine Brüder sah, erkannte er sie. Aber er gab sich ihnen nicht zu erkennen, sondern fuhr sie barsch an. Er fragte sie: "Wo kommt ihr her?" "Aus Kanaan, um Brotgetreide zu kaufen", sagten sie. Josef hatte seine Brüder erkannt, sie aber hatten ihn nicht erkannt.
Josef ... sagte: "Spione seid ihr. Um nachzusehen, wo das Land eine Blöße hat, seid ihr gekommen."
Sie antworteten ihm: "Nein, Herr. Um Brotgetreide zu kaufen, sind deine Knechte gekommen. Wir alle sind Söhne ein und desselben Vaters. Ehrliche Leute sind wir, deine Knechte sind keine Spione."
Josef aber sagte zu ihnen: "Es ist so, wie ich euch gesagt habe: Spione seid ihr. So wird man euch auf die Probe stellen: Beim Leben des Pharao! Ihr sollt von hier nicht eher loskommen, bis auch euer jüngster Bruder da ist. Schickt einen von euch hin! Er soll euren Bruder holen; ihr anderen aber werdet in Haft genommen. So wird man eure Worte überprüfen, ob ihr die Wahrheit gesagt habt oder nicht. Beim Leben des Pharao, ja, Spione seid ihr." Dann ließ er sie für drei Tage in Gewahrsam nehmen.
Am dritten Tag sagte Josef zu ihnen: "Tut Folgendes und ihr werdet am Leben bleiben. Ich fürchte Gott. Wenn ihr ehrliche Leute seid, soll einer von euch Brüdern in Gewahrsam zurückgehalten werden. Ihr aber geht und bringt das Getreide heim, um den Hunger eurer Familien zu stillen. Euren jüngsten Bruder aber schafft mir herbei, damit sich eure Worte als wahr erweisen und ihr nicht sterben müsst." So machten sie es.
Sie sagten zueinander: "Ach ja, wir sind an unserem Bruder schuldig geworden. Wir haben zugesehen, wie er sich um sein Leben ängstigte. Als er uns um Erbarmen anflehte, haben wir nicht auf ihn gehört. Darum ist nun diese Angst über uns gekommen."
Ruben entgegnete ihnen: "Habe ich euch nicht gesagt: Versündigt euch nicht an dem Kind! Ihr aber habt nicht gehört. Seht, nun wird sein Blut von uns gefordert."
Sie aber wussten nicht, dass Josef zuhörte, denn zwischen ihnen vermittelte ein Dolmetscher. Er wandte sich von ihnen ab und weinte. Als er zu ihnen zurückkehrte und mit ihnen redete, ließ er aus ihrer Mitte Simeon festnehmen und vor ihren Augen fesseln.
Josef befahl dann, ihre Behälter mit Getreide zu füllen, einem jeden von ihnen das Geld wieder in den Sack zurückzulegen und ihnen für die Reise Verpflegung mitzugeben. So machte er es mit ihnen. Sie luden ihr Getreide auf ihre Esel und zogen fort.
Als einer seinen Sack öffnete, um in der Herberge seinen Esel zu füttern, sah er sein Geld. Siehe, es lag in seinem Getreidesack ganz oben.
Er sagte zu seinen Brüdern: "Man hat mir mein Geld zurückgegeben. Siehe, hier ist es in meinem Getreidesack." Da verließ sie der Mut und sie sagten zitternd zueinander: "Was hat uns Gott da angetan?"
Sie kamen zu ihrem Vater Jakob ins Land Kanaan und berichteten ihm alles, was ihnen zugestoßen war.
Während sie nun ihre Säcke leerten, da war tatsächlich der Geldbeutel eines jeden in seinem Sack. Als sie und ihr Vater ihre Geldbeutel sahen, fürchteten sie sich.
Ihr Vater Jakob sagte zu ihnen: "Ihr bringt mich um meine Kinder. Josef ist nicht mehr, Simeon ist nicht mehr und Benjamin wollt ihr mir auch noch nehmen. Nichts bleibt mir erspart." Da sagte Ruben zu seinem Vater: "Meine beiden Söhne magst du umbringen, wenn ich ihn dir nicht zurückbringe. Vertrau ihn meiner Hand an; ich bringe ihn dir wieder zurück."
Jakob sagte: "Mein Sohn wird nicht mit euch hinunterziehen. Denn sein Bruder ist schon tot, nur er allein ist noch da. Stößt ihm auf dem Weg, den ihr geht, ein Unglück zu, dann bringt ihr mein graues Haar vor Kummer in die Unterwelt." Genesis (= 1. Buch Mose) Kap. 41, Vers 54 - Kap. 42, Vers 38
Auch dieser Abschnitt der Erzählung enthält viele nachdenkenswerte Aspekt, von denen ich nur einige erwähnen möchte:
Josefs Träume aus der Jugendzeit sind tatsächlich wahrgeworden - allerdings auf eine ganz andere Art, als die Brüder, der Vater (und die Leser!) es sich hätten vorstellen können: Die Brüder werfen sich tatsächlich vor ihrem jüngeren Bruder nieder. Was uns zu Beginn unvorstellbar scheint, kann in einer anderen Lebenskonstellation eine Selbstverständlichkeit werden. Vor allem im guten Sinne: die Brüder sollen sich ja eigentlich nicht vor dem Herrscher Josef verneigen. Diese Wendung der Geschichte sagt vielmehr aus über die Bedeutung von Macht: Macht, recht genutzt, bedeutet: viele und effiziente Möglichkeiten haben, Gutes zu schaffen. Josefs Macht bietet ihm die Möglichkeit, den Brüdern das Überleben zu sichern. Zudem sollte man auch einen Gedanken darauf verwenden, dass Josef sich als Jugendlicher seine Träume nicht ausgesucht hat und ihnen eigentlich ja auch ratlos "ausgeliefert" war - mitsamt den (schlimmen) Folgen, die das Erzählen für ihn hatte. Wenn man dann noch bedenkt, dass Träume im Orient zur damaligen Zeit eine eminente Bedeutung hatten und der Junge sie womöglich gar nicht einfach nur aus einer Laune heraus erzählt hat, sondern deswegen, weil man Träume damals nicht einfach als unwichtig "abtat".
Wissenschaftler haben im Zuge der Erforschung, wann und wie sich das menschliche Gewissen bildet, herausgefunden, dass jeder Mensch, sobald er Regeln und Maßstäbe des Zusammenlebens kennenlernt, eine Art "inneres Konto" entwickelt. Wenn dieses "innere Konto" nicht ausgeglichen, sondern mit schwerem Schuldgefühl belastet ist, ist auch der ganze Mensch unausgeglichen. Das kann man hier sehr gut erfassen: Josef hat seinen Brüdern das Getreide geschenkt. Ihnen wird (neu) bewusst, dass sie mit ihrem verbrecherischen Handeln vor langer Zeit schwere Schuld auf sich geladen haben und so können sie nun bei diesem Geschenk nur Schlimmes vermuten - sie sind "innerlich aus dem Gleichgewicht" geraten; das verunsichert sie und macht ihnen Angst, lässt sie blind werden für einen Hinweis, den sie eigentlich als Zeichen ihres noch lebenden Bruders hätten erahnen können. Josef hatte ja gesagt, dass er will, dass sie leben und ihre Familien nicht hungern müssen ... Dieser Abschnitt der Josef-Erzählung kann dem Leser bewusst machen, wie wichtig - wenn auch zuerst unangenehm - Schuldbekenntnis und Vergebungsbitte sind. Beides soll nicht der Erniedrigung, Beschämung und Auslieferung dienen, sondern befähigt den schuldig gewordenen Menschen wieder zu einem angstfreien und umfassenderen Leben, ohne Fesseln in der Erkenntnis und im Handeln. Auch in einer zweiten Begegnung (siehe der etwas saloppe heutige Titel) kann eine Chance dazu liegen!
Vielleicht ermutigt die Josef-Erzählung manchen zu einem Schritt hin zu Aussprache und Aussöhnung?
Fortsetzung nächsten Sonntag: Josef V: Auf dem schwierigen Weg zur Versöhnung
25. Juni 2023 Josef III: Was keiner sich zu sagen traut
Josef befindet sich in Ägypten unschuldig im Gefängnis. Dort deutete er zwei Gefangenen ihre Träume und alles geschah, wie er es gesagt hatte. Die Erzählung geht nun folgendermaßen weiter (mit blauer Schrift füge ich Zusammenfassungen des Bibeltextes ein):
Zwei Jahre später hatte der Pharao einen Traum: Siehe, er stand am Nil. Siehe, aus dem Nil stiegen sieben Kühe von schönem Aussehen und fett im Fleisch und weideten im Riedgras. Nach ihnen stiegen sieben andere Kühe aus dem Nil; sie waren von hässlichem Aussehen und mager im Fleisch. Sie stellten sich neben die Kühe am Ufer des Nils. Und die hässlichen, mageren Kühe fraßen die sieben schön aussehenden und fetten Kühe auf. Dann erwachte der Pharao.
Er schlief aber wieder ein und träumte ein zweites Mal: Siehe, an einem einzigen Halm wuchsen sieben Ähren, prall und schön. Doch siehe: Nach ihnen wuchsen sieben kümmerliche, vom Ostwind ausgedörrte Ähren. Die kümmerlichen Ähren verschlangen die sieben prallen, vollen Ähren. Der Pharao wachte auf: Siehe, es war ein Traum.
Am Morgen fühlte er sich beunruhigt; er schickte hin und ließ alle Wahrsager und Weisen Ägyptens rufen. Der Pharao erzählte ihnen seine Träume, doch keiner war da, der sie ihm deuten konnte ... Man berichtete dem Pharao, dass im Gefängnis ein begabter Traumdeuter sei. ...
Da schickte der Pharao hin (zum Gefängnis) und ließ Josef rufen. Man holte ihn schnell aus der Grube, schor ihm die Haare, er wechselte seine Obergewänder und kam zum Pharao. Der Pharao sagte zu Josef: "Ich hatte einen Traum, doch keiner kann ihn deuten. Von dir habe ich aber gehört, du brauchst einen Traum nur zu hören, dann kannst du ihn deuten." Josef antwortete dem Pharao: "Nicht ich, sondern Gott wird zum Wohl des Pharao eine Antwort geben." ... Der Pharao schilderte Josef seine Träume ... Darauf sagte Josef zum Pharao: "Der Traum des Pharao ist ein und derselbe. Gott hat dem Pharao kundgetan, was er vorhat: Die sieben schönen Kühe sind sieben Jahre und die sieben schönen Ähren sind sieben Jahre. ... Die sieben mageren und hässlichen Kühe, die nachher heraufkamen, sind sieben Jahre und die sieben leeren, vom Ostwind ausgedörrten Ähren sind sieben Jahre Hungersnot. Das ist es, was ich zum Pharao sagte: Gott ließ den Pharao sehen, was er vorhat: Siehe, sieben Jahre kommen, da wird großer Überfluss im ganzen Land Ägypten sein. Nach ihnen aber werden sieben Jahre Hungersnot heraufziehen: Da wird der ganze Überfluss im Land Ägypten vergessen sein und Hunger wird das Land auszehren. ... Dass aber der Pharao gleich zweimal träumte, bedeutet: Die Sache steht bei Gott fest und Gott wird sie bald ausführen. Nun sehe sich der Pharao nach einem klugen, weisen Mann um und setze ihn über das Land Ägypten. Der Pharao möge handeln: Er bestelle Bevollmächtigte über das Land und besteuere das Land Ägypten mit einem Fünftel in den sieben Jahren des Überflusses. Sie sollen alles Brotgetreide der kommenden guten Jahre sammeln und unter der Hand des Pharao Getreide als Nahrungsmittel in den Städten speichern und verwahren. Das Brotgetreide soll dem Land als Rücklage dienen für die sieben Jahre der Hungersnot, die über das Land Ägypten kommen werden. Dann wird das Land nicht an Hunger zugrunde gehen."
Die Rede war gut in den Augen des Pharao und in den Augen aller seiner Diener. Der Pharao sagte zu ihnen: "Finden wir einen Mann wie diesen hier, einen, in dem der Geist Gottes ist?" Dann sagte der Pharao zu Josef: "Nachdem dich Gott all das hat wissen lassen, gibt es niemand, der so klug und weise wäre wie du. Du sollst über meinem Hause stehen und deinem Wort soll sich mein ganzes Volk beugen. Nur um den Thron will ich größer sein als du." Der Pharao sagte weiter zu Josef: "Schau her, ich stelle dich über das ganze Land Ägypten."
Und er stattete Josef mit den Insignien der Macht aus. Josef ging vom Pharao weg und durchzog das ganze Land Ägypten.
Das Land brachte in den sieben Jahren des Überflusses überreichen Ertrag. Josef ließ während der sieben Jahre, ... alles Brotgetreide in Ägypten sammeln und in die Städte schaffen.
So speicherte Josef Getreide in sehr großer Menge auf, wie Sand am Meer, bis man aufhören musste, es zu messen, weil man es nicht mehr messen konnte. Genesis (= 1. Buch Mose) Kap. 41, Verse 1 ff
Viel gäbe es zu diesem Abschnitt der Erzählung zu sagen - dazu reicht der Platz nicht. Betrachten wir eines: Die Träume des Pharao sprechen für sich, man braucht nicht viel zu erklären. Träume waren übrigens im Alten Orient von immenser Bedeutung. Dann steht da interessanterweise im Text: "Am Morgen fühlte er (der Pharao) sich beunruhigt." Nun, dazu hatte er auch allen Grund. Die Göttin Hathor, die nach der Religion der Ägypter über den lebenswichtigen Nil wachte und alljährlich für die ebenso lebenswichtigen Überschwemmungen der Äcker sorgte (= fruchtbarer Boden!), wurde in Ägypten oft als Kuh dargestellt. Jeder Ägypter wusste mit dem Bild der Kuh etwas anzufangen. Man kann also davon ausgehen, dass sowohl der Pharao als auch die Traumdeuter sehr wohl verstanden, welche Not dem Land bevorstand. Aber eine unangenehme Wahrheit ahnen, ist das eine; diese Wahrheit annehmen und aussprechen und dann entschlossen einen (oft harten, aber rettenden) Lösungsweg beschreiten - das ist das weitaus Schwierigere. Josef hat beides akzeptiert: die Aufgabe Gottes, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein und die Aufgabe des Pharao, unangenehme Verantwortung und Sorge für die Menschen zu übernehmen.
Und damit wird die Josef-Erzählung erschütternd aktuell:
1. Wir erleben zur Zeit alle eine sehr schwierige Weltsituation. Vielleicht sollten wir den Menschen, die uns Unangenehmes zu sagen haben, mehr Glauben schenken als denen, die immerzu sagen, dass alles so weitergehen kann und dass Lösungen nicht wehtun müssen - oder gar, dass es überhaupt keine Probleme gibt. 2. Josef hat selber von sich und seiner Begabung der Traumdeutung hin auf Gott verwiesen: alles, was er vermochte, vermochte er durch Gott. Gott ist es, der handelt, der den Weg weist. Wie wird Gott sich heute zu uns äußern? Wie zeigt sich heute Seine Hilfe? Denken wir darüber genug nach? Sehen und hören wir Sein Handeln heute? Das ist zugegebenermaßen nicht leicht. Aber erwarten wir es überhaupt noch? 3. Sind wir bereit, auch harte Lösungswege zu gehen und zu unterstützen? Sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen? Bereit, unsere Bequemlichkeit nicht weiter zu verteidigen, während es die halbe Menschheit ja schon längst nicht mehr bequem hat - vor allem wegen unseres Verhaltens?
Ich wünsche Ihnen Mut und Zuversicht für den schwierigeren Weg! Eine solche Umkehr kann auch befreien, Kraft spenden und frohmachen! Ach ja, noch etwas: Warten Sie nicht, bis alle anderen sich aufraffen, das kann dauern. Brechen Sie auf! Jetzt und hier.
Fortsetzung folgt am nächsten Sonntag: Man trifft sich immer zweimal im Leben
18. Juni 2023 Josef II: Verraten und verkauft
Jakob schickte seinen Lieblingssohn Josef zu den Brüdern, die entfernt auf den Feldern die Herden hüteten; er sollte schauen, wie es ihnen erging. Als die Brüder ihn kommen sahen, berieten sie sich, was sie tun wollten, um ihn loszuwerden. Nach einigem Hin und Her warfen sie ihn in eine Zisterne und verkauften ihn dann an eine Karawane von Kaufleuten, die nach Ägypten zog. Dem Vater erzählten und "bewiesen" die Brüder auf heimtückische Weise, dass sein Lieblingssohn von einem wilden Tier zerrissen worden sei ...
Über das Schreckliche, was Josef dann in Ägypten zunächst widerfuhr, heißt es in der Bibel:
Ein Ägypter namens Potifar, ein Hofbeamter des Pharao, der Oberste der Leibwache, kaufte ihn den Ismaelitern ab, die ihn dorthin gebracht hatten. Der HERR war mit Josef und so glückte ihm alles. Er blieb im Haus seines ägyptischen Herrn. ...
Er bestellte ihn über sein Haus und gab alles, was ihm gehörte, in seine Hand. Seit er ihn über sein Haus und alles, was ihm gehörte, bestellt hatte, segnete der HERR das Haus des Ägypters um Josefs willen. Der Segen des HERRN ruhte auf allem, was ihm gehörte im Haus und auf dem Feld. ...
Josef war von schöner Gestalt und von schönem Aussehen. Nach einiger Zeit erhob die Frau seines Herrn ihre Augen zu Josef und sagte: "Liege bei mir!" Er weigerte sich ... An einem solchen Tag kam er ins Haus, um seiner Arbeit nachzugehen. ... Da packte sie ihn an seinem Gewand und sagte: "Liege bei mir!" Er ließ sein Gewand in ihrer Hand, floh und lief nach draußen. Als sie sah, dass er sein Gewand in ihrer Hand zurückgelassen hatte und nach draußen geflohen war, rief sie nach ihren Hausleuten und sagte zu ihnen: "Seht nur! ... Er ist zu mir gekommen, um bei mir zu liegen; da habe ich laut geschrien. Als er hörte, dass ich laut aufschrie und rief, ließ er sein Gewand neben mir liegen, floh und lief nach draußen."
Sie ließ sein Gewand neben sich liegen, bis sein Herr nach Hause kam. Ihm erzählte sie die gleiche Geschichte ...
Als sein Herr hörte, wie ihm seine Frau erzählte ..., packte ihn der Zorn. Josefs Herr ergriff ihn und warf ihn in den Kerker, den Ort, an dem die Gefangenen des Königs in Haft gehalten wurden. Dort blieb er im Kerker.
Aber der HERR war mit Josef. Er wandte ihm das Wohlwollen und die Gunst des Kerkermeisters zu. Der Kerkermeister übergab der Hand Josefs alle Gefangenen im Kerker. Alles, was dort zu tun war, tat Josef. Der Kerkermeister sorgte sich um nichts mehr, was Josef in seine Hand nahm, denn der HERR war mit ihm. Was er auch unternahm, der HERR ließ es ihm gelingen. Genesis (= 1. Buch Mose) Kap. 39, Verse 1 ff
In diesem Teil der großen Erzählung fällt auf: 1. Wieder wird Josef ein Gewand zum Verhängnis! Zwar in einem anderen Zusammenhang, aber mit demselben Ergebnis: wieder landet er "in einer Grube", im Gefängnis. 2. Als junger Mann hatte er seine Brüder beim Vater "verpetzt", nun erleidet er das, was er selbst damals anderen angetan hat, am eigenen Leib - allerdings in verschärfter Form, weil über ihn eine Lüge berichtet wird. So eine Erfahrung lässt einen nachdenklichen Menschen reif werden - für den, der nicht nachdenkt, kann es den Abstieg in Frustration, Hass und Abstumpfung bedeuten. 3. Josef ist zwar in einer fremden, ganz anderen Welt angekommen - andere Religion, fremde Kultur - aber wiederholt wird berichtet, "dass der Herr mit ihm war". (Kap. 39, Vers 2). Diese Erwähnung ereignet sich auf eine besondere Weise: normalerweise berichtet der Erzähler von Gott mit der Bezeichnung "Elohim" (was ganz allgemein "Gott" bedeutet). Aber in diesem Kapitel, in dem Josef in aller Hilflosigkeit in der totalen Fremde ganz allein auf sich selbst gestellt ist, verwendet der Erzähler den Namen Gottes, der aus Seiner Selbstoffenbarung stammt: "Jahwe" - "Ich bin, der ich bin / Ich bin da". Von diesem Gott wird also gesagt, dass Er in eine ganz persönliche, helfende, schützende Beziehung zu diesem zerbrochenen Menschen in der Fremde tritt. Israel unterschied sich von allen anderen Völkern im Orient darin, dass es nicht für jede Situation einen anderen Gott - also sehr viele Götter - hatte, sondern allein einem Gott vertraute. Und dieser eine Gott stand in einer lebendigen, persönlichen Beziehung zu den Menschen. 4. Wiederholt wird berichtet, dass der Herr nicht nur Josef segnete, sondern auch alles, mit dem Josef zu tun hatte - also Menschen, Haus, Vieh und Felder des Menschen, für den er arbeitete.
Aus allem Gesagten können wir zwei Hauptgedanken mit in unseren Alltag nehmen: Gott kennt keine Grenzen - er geht jeden Weg mit uns, helfend, warnend, schützend und segnend. Auch, wenn wir scheinbar auf den "untersten Weg" gezwungen werden! Wir sollten uns diese Vertrauens-Würdigkeit Gottes immer wieder bewusst machen und in uns neu beleben (lassen). Die Juden haben unter anderem aus diesem Teil der Josefsgeschichte ihren Anspruch abgeleitet, da, wo sie leben - und wann auch immer sie lebten - mit dem, was sie tun, im Vertrauen auf Gottes Segen das Allgemeinwohl zu fördern. Die Propheten haben das zur Handlungsmaxime gemacht in der Aufforderung: "Suchet der Stadt Bestes, in die ich euch habe wegführen lassen..." (Prophet Jeremia Kap. 29, Vers 7). In einer Zeit heute, in der Angriffe und Gehässigkeiten gegen Juden wieder vermehrt geschehen, sollten wir auch diese Gedanken einfach mal öfter aussprechen, um Menschen zum Nach- und Umdenken zu bewegen!
Fortsetzung folgt am nächsten Sonntag: Was keiner sich zu sagen traut
Hinweis für die 6 Sonntage ab dem 11. Juni: Vom Schriftsteller Franz Fühmann stammt der Ausspruch: "Ich begann die Geschichten der Bibel zu lesen - ein Riss, und der Abgrund Mensch klaffte auf." Ich finde, man muss dem Autor in diesem Punkt zustimmen: es gibt wohl nichts Menschliches, das nicht in der Bibel schon erzählt würde. Besonders das Alte Testament ist voll von diesem "Abgrund Mensch", voll von menschlichen Regungen und Entwicklungen, die vielleicht vielen Menschen auch heute noch aus ihrem Alltag sehr bekannt vorkommen. Da werden ganze Lebensgeschichten erzählt, an deren Beginn man wohl kaum auf ein gutes Ende zu hoffen wagt. Und es sind Erzählungen, die nur vordergründig Lebensgeschichten sind - darüberhinaus aber weit mehr.
Solch eine ganze Lebensgeschichte - das Leben des Josef von Ägypten - würde mein homepage-Format sprengen. Aber ich möchte diese unfassbare und sehr anregende Erzählung gerne mit Ihnen betrachten und habe mir gedacht, dass ich das einfach in Fortsetzungen mache. Die kirchlichen Festzeiten sind durch und der Sommer beginnt gerade erst; genug Zeit für Drama, Lernen, Wunder und happyend der besonderen Art.
11. Juni 2023 Josef I: Wenn alle versagen
Um diese epochale Erzählung im Ganzen zu verstehen, muss man den Anfang genau lesen. Er enthält alle Zutaten für die Entwicklung einer familiären Katastrophe:
Jakob (= Josefs Vater) ließ sich in dem Land nieder, in dem sich sein Vater als Fremder aufgehalten hatte, in Kanaan. ... Als Josef siebzehn Jahre zählte, weidete er mit seinen (11!) Brüdern die Schafe und Ziegen. Er war Hirtenjunge bei den Söhnen Bilhas und Silpas, den (Neben-)Frauen seines Vaters. Josef hinterbrachte ihrem Vater ihre üble Nachrede.
Israel (= Jakob = Josefs Vater) liebte Josef mehr als alle seine Söhne, weil er ihm in hohem Alter geboren worden war. Er ließ ihm einen bunten Rock machen. Als seine Brüder sahen, dass ihr Vater ihn mehr liebte als alle seine Brüder, hassten sie ihn und konnten mit ihm kein friedliches Wort mehr reden.
Einst hatte Josef einen Traum. Als er ihn seinen Brüdern erzählte, hassten sie ihn noch mehr.
Er sagte zu ihnen: "Hört euch doch diesen Traum an, den ich geträumt habe. Siehe, wir banden Garben mitten auf dem Feld. Und siehe, meine Garbe richtete sich auf und blieb auch stehen. Siehe, eure Garben umringten sie und warfen sich vor meiner Garbe nieder."
Da sagten seine Brüder zu ihm: "Willst du etwa König über uns werden oder über uns herrschen?" Und sie hassten ihn noch mehr wegen seiner Träume und seiner Worte.
Er hatte noch einen anderen Traum. Er erzählte ihn seinen Brüdern und sagte: "Siehe, ich träumte noch einmal: Und siehe, die Sonne, der Mond und elf Sterne warfen sich vor mir nieder."
Als er davon seinem Vater und seinen Brüdern erzählte, schalt ihn sein Vater und sagte zu ihm: "Was soll der Traum, den du da geträumt hast? Sollen wir etwa, ich, deine Mutter und deine Brüder, kommen und uns vor dir zur Erde niederwerfen?"
Seine Brüder waren eifersüchtig auf ihn, sein Vater aber bewahrte die Sache. Genesis / 1. Buch Mose Kap. 37, Verse 1 - 11
Hier versagen alle Beteiligten und eigentlich kann alles nur noch schlimmer werden: - der Vater hat einen Lieblingssohn und zeigt das seinen anderen Söhnen auch auf sehr eindrückliche Art: er schenkt dem Lieblingssohn einen kostbaren Mantel - die solcherart zurückgesetzten anderen Söhne sind ihren negativen Emotionen hilflos ausgeliefert, richten diese aber (im weiteren Verlauf der Erzählung) nicht gegen den starken Vater, sondern gegen den schwächeren kleinen Bruder - Josef, der Lieblingssohn, hat mindestens zwei sehr schlechte Charakterzüge: erstens petzt er ("er hinterbrachte dem Vater die üble Nachrede der Brüder) und zweitens erzählt er den ohnehin schon leidenden, zurückgesetzten Brüdern seine Träume, die ebenfalls seine beim Vater persönliche Vorrangstellung herausstreichen; einen Rang, den er unter den Brüdern als Hütejunge bei den Söhnen der Nebenfrauen des Vaters ja keineswegs hatte. Die Brüder könnten sich wirklich fragen: Warum ist so ein eitler Denunziant nun Vaters Lieblingssohn?
Der Vater "bewahrte die Sache", nämlich die Träume seines Sohnes - obwohl er Josef wegen ihnen zurechtwies! Das bedeutet im orientalischen Sinn: er maß ihnen, auch, wenn sie ihm eitel erschienen, eine Bedeutung zu, denn im Orient hatten Träume eine große Bedeutung und wurden als Hinweis des Himmels betrachtet. Träume tat man nicht einfach so ab; auch nicht, wenn sie einem rätselhaft erschienen.
Soweit die Ausgangssituation dieser Erzählung, die jetzt - vorerst - wirklich keinen guten Verlauf mehr nehmen kann, aber um so vielschichtiger wird.
Fortsetzung folgt am nächsten Sonntag: Verraten und verkauft!
4. Juni 2023 Begegnung am brennenden Dornbusch
Es gibt Textstellen in der Bibel, die einen auf den ersten Blick nicht so besonders "vom Hocker" reißen. Oft sind das gerade die Schrifttexte, die wir entweder schon in Kindertagen erzählt bekamen (und innerlich danach vielleicht unbewusst mit Vermerk "zur Kenntnis genommen" ad acta gelegt haben) oder es sind Texte, die auf irgendeine Weise zu einer Art "religiösen Allgemeinwissen" gehören. Aber es lohnt sich immer, einen biblischen Text genauer anzusehen und Satz für Satz, Wort für Wort zu betrachten.
Eine solche biblische Begebenheit ist die Begegnung, die Mose mit Gott in der Wüste am brennenden Dornbusch hat:
Mose weidete die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Eines Tages trieb er das Vieh über die Steppe hinaus und kam zum Gottesberg Horeb.
Dort erschien ihm der Engel des HERRN in einer Feuerflamme mitten aus dem Dornbusch. Er schaute hin: Der Dornbusch brannte im Feuer, aber der Dornbusch wurde nicht verzehrt. Mose sagte: "Ich will dorthin gehen und mir die außergewöhnliche Erscheinung ansehen. Warum verbrennt denn der Dornbusch nicht?"
Als der HERR sah, dass Mose näher kam, um sich das anzusehen, rief Gott ihm mitten aus dem Dornbusch zu: "Mose, Mose!" Er (Mose) antwortete: "Hier bin ich."
Er (Gott) sagte: "Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab; denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden."
Dann fuhr Er fort: "Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs." Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.
Buch Exodus (= 2. Buch Mose), Kap. 3, Verse 1 - 6
Es beginnt schon mit der Situation, in der Mose sich befindet. Er hatte sich den Job, bei seinem Schwiegervater in der Steppe Ziegen zu hüten, wahrscheinlich nicht ausgewählt. Als Säugling von der Tochter des ägyptischen Pharaos aus dem Wasser gezogen und an Kindes statt angenommen, war er am königlichen Hof des Pharao (!!!) aufgewachsen. Sein Status: Prinz. Wie kommt so ein Prinz in die Wüste? Nun, er war auf der Flucht. Er hatte in einem Wutanfall in Ägypten einen Aufseher erschlagen und vergraben, der die israelitischen Sklaven gequält hatte. Sein Status nun: flüchtiger Totschläger in hartem beruflichen Alltag angekommen, er weidete Schafe und Ziegen.
Berge sind in der biblischen Welt Orte der Gotteserfahrung, der göttlichen Belehrung, ja, Orte des Gottesgeheimnisses. Und an diesem Ort bekommt Mose einen Anreiz, den er nicht ignoriert, sondern der ihn weitergehen lässt: der brennende Dornbusch. Die Stimme des Engels kündet in der Bibel immer an, dass Gott sich einem Menschen auf irgendeine Weise offenbaren wird. Das erfährt Mose auf dreierlei Weise: 1. Er wird mit seinem Namen angesprochen und signalisiert Begegnungsbereitschaft: "Hier bin ich" (= biblische Formel) 2. Er bekommt eine Anweisung (die Schuhe auszuziehen) 3. Er erfährt eine Erklärung (nicht für den brennenden Dornbusch, aber über diesen ihm unbekannten, aber erkennbar treuen Gott und Seinen Platz in der Lebensgeschichte Israels)
Diese Begebenheit am brennenden Dornbusch ist der Anfang einer großen Befreiungsgeschichte: als der flüchtige Totschläger Mose vom Berg weggeht, hat er sich den Auftrag Gottes an ihn angehört, hat gezweifelt und abgelehnt, hat versucht, sich mit den verschiedensten Argumenten vor dieser schier übermenschlichen Aufgabe zu drücken - und hat am Ende doch seine Autonomie, seine eigene Lebensplanung beiseitegeschoben. Auch das bedeutet das Ausziehen der Schuhe im Alten Testament: sich im rechtlichen Sinnen einem anderen übereignen.
Was dieser Schrifttext für uns heute bedeuten kann? 1. An jedem Punkt unserer Lebensgeschichte, auch am Tiefpunkt!, kann Gott uns anrufen und mit einer Aufgabe betrauen. 2. Gotteserfahrung ereignet sich im harten Alltag, nicht in irgendwelchen spirituellen Höhenflügen, die der Lebensrealität nicht standhalten. 3. Für Gott genügt unsere Bereitschaft, nicht Vorleistungen, jugendliches Alter oder was auch immer - denn Er wählt aus und befähigt! 4. Der brennende Dornbusch zeigt uns: sich auf diesen Gott einzulassen, kann uns aktiv werden lassen, kann unsere Herzen brennen lassen für etwas - aber es verbrennt uns (im ewigen Sinne) nicht, Gott zerstört nicht. Gottes Feuer ist höchste Lebendigkeit. Nicht unbedingt leicht, nicht unbedingt "angesagt", auch nicht unbedingt vorteilhaft im Sinne der modernen gesellschaftlichen Mehrheit, aber es ist sinnvoll und erfüllend!
Pfingsten 2023 Die Gabe der Unterscheidung und der Erkenntnis
Worüber soll man Pfingsten schreiben? Natürlich über den Heiligen Geist, klar.
Er kam mit Sturmgebraus völlig unerwartet und ebenso unvermittelt über die 12 Apostel und Frauen, die Jesus nachgefolgt waren; sie „waren alle am gleichen Ort“, nämlich in Jerusalem. Der Geist Gottes, beschrieben in Feuerzungen, befähigte sie, in fremden Sprachen zu reden. In Jerusalem lebten „fromme Juden aus allen Völkern“ die bestürzt und über alle Maßen erstaunt feststellten, dass die Apostel, die ja alle Galiläer waren, plötzlich die Sprachen der Juden aus allen Völkern redeten. „Wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden.“ So steht es in der Apostelgeschichte. Es muss ein beeindruckendes Ereignis gewesen sein, voll von Energie und Aufbruchstimmung. (Apostelgeschichte Kapitel 2, Verse 1 ff)
Einen solchen Sturm scheinen Menschen auch heute zu erwarten oder zu ersehnen, wenn sie mangelnde Aufbruchstimmung in der Kirche beklagen oder feststellen, dass „in der Kirche von heute zu wenig lebendiger Geist ist“, wie es unlängst ein kritischer Mensch in einem Gespräch feststellte. Ich nenne das eine der "andauernden Sammelklagen" in unserer Zeit, zu der auch ich persönlich übrigens phasenweise beitrage.
Der Umgang mit dem Heiligen Geist - wenn ich das mal so forsch formulieren darf - ist nicht so einfach. Sammelklagen wie die obige verleiten leicht dazu, in hektischen Aktionismus zu verfallen. Aber das hilft auch nicht wirklich weiter. Klar, wir müssen etwas tun in der Kirche: Angebote für Menschen schaffen, damit sie sich neu oder überhaupt erst einmal auf Gott einlassen. Aber bei allem, was wir tun, gilt auch die Choralzeile eines alten Kirchenliedes: "Es will erbeten sein."
Um nicht in reinen Aktionismus, Effekthascherei und Eventpastoral zu verfallen oder nur herumzuorganisieren, oder in Wort und Tat gar Methoden von Wirtschaftskonzernen zu kopieren, um Menschen für Gott zu gewinnen, müssen wir immer auch unseren eigenen Blick schärfen für die Zeichen Gottes in der Welt, um innerlich lebendig zu bleiben und nicht in althergebrachten Glaubensformeln zu erstarren. Wir sollten lernen, Gottes Wirken immer neu zu erkennen – und nicht blind an allem vorbei zu laufen.
Wenn wir das lernen, können wir im Alltag (und in der Kirche) viel erkennen vom Geist Gottes, der in so vielen Menschen am Werk ist – auch außerhalb der Kirche. Die englische Dichterin Elisabeth Barret-Browning hat das sehr bildhaft in einem kleinen Gedicht ausgedrückt, das sich auf Mose am brennenden Dornbusch bezieht (Buch Exodus, Kap. 3, Verse 1 ff):
Die Erde ist mit Himmel vollgepackt,
und jeder gewöhnliche Busch brennt mit Gott –
Aber nur der, der es sieht, zieht die Schuhe aus.
Die anderen sitzen herum und pflücken Brombeeren.
(Elisabeth Barret-Browning: The poetical works, New York 1910)
Wenn wir diese Art des Sehens lernen und üben, dann werden wir die Welt jeden Tag mit anderen Augen betrachten – wir werden „den Himmel sehen, mit dem die Erde überall vollgepackt ist.“ Und wir werden spüren, wieviel Gottes Geist in uns bewegt und bewegen will, wenn wir es nur zulassen. Dann werden unsere Herzen erfüllt sein und unsere Zungen davon erzählen, wie wunderbar viel Himmel schon jetzt unter uns ist! Dann werden wir "von den großen Taten Gottes erzählen" - in unserer eigenen Sprache und in unserem überzeugenden Handeln.
Auch diese Gabe der Unterscheidung und des Erkennens ist ein Geschenk des Heiligen Geistes, um das wir beten dürfen.
21. Mai 2023 7. Sonntag der Osterzeit Kostbare Gottesgabe
1965 zerlegten jugendliche Zuhörer bei einem Konzert der Rolling Stones die Waldbühne in Berlin.
Ereignisse solcher Art laden ein zum Nachdenken über das Wesen von Musik und über ihre (mögliche) Wirkung. Schon die Griechen im Altertum wussten um die Macht der Musik: sie wussten um Spannungswirkungen von Zusammenklängen von Tönen in verschieden großen Abständen und förderten mit ihnen die Aggressionen, wenn sie Menschen in Kriege treiben wollten. Auch Kriegstreiber neuerer Zeit ließen zu Musik marschieren.
Musik kann einlullen, Probleme zudecken oder von ihnen ablenken, Musik kann gewünschte, fremdinteressengeleitete „Stimmungen erzeugen“ (Kaufhäuser!) …
Es gibt aber auch Musik, die eine gute Wirkung auf Menschen hat: ihnen Kraft gibt, Zuversicht schenkt, sie anregt zu Kreativität und Gemeinschaftssinn. Ja, Musik vermag Menschen sogar eine Ahnung ins Herz zu legen von Gott und der Ewigkeit.
Im Altertum hatte die Musik einen so hohen Stellenwert, dass sie zu den sogenannten sieben freien Künsten gezählt wurde – die Künste, „die eines freien Menschen würdig sind“, so beschrieb sie der Philosoph Seneca. Musik stand z.B. im selben Rang wie Mathematik.
Oder dieses beeindruckende Beispiel: Aus dem Physikunterricht kenne ich die Chladnischen Klangfiguren; jenes Phänomen, bei dem Sandkörner, wahllos auf einer festgeschraubten Glasplatte verteilt, sich in symmetrischen Figuren anordnen, wenn man die Glasplatte mit einem Geigenbogen oder einer vibrierenden Stimmgabel in Schwingungen versetzt. Musik kann ordnende Wirkung haben. (siehe Bilder)
Die Erwähnung der unzähligen Zitate zur heilsamen Wirkung von Musik – heute ist Musiktherapie eine medizinische Fachrichtung – würden den Rahmen dieses Formates sprengen. Wir alle haben wahrscheinlich schon die Erfahrung gemacht, dass Musik uns auf vielerlei Weise guttut.
Musik ist nicht irgendeine akustische Beigabe; vielmehr ist die ganze Schöpfung von hörbarer und (von Menschen) unhörbarer Musik – Klängen und Rhythmen! - durchdrungen, ja, Musik gilt als eines der Bauprinzipien der Schöpfung.
Musik ist eine Gottesgabe. So wie auch Atome und Feuer Gottesgaben sind. Erst der Umgang des Menschen mit diesen Geschenken führt zu Katastrophe oder Seligkeit bzw. Heilsamkeit. Die Entscheidung liegt in der Freiheit des jeweils verantwortlichen Menschen. Gott gab dem Menschen eben nicht Eimerchen und Förmchen und anderes Sandkastenspielzeug für „ein bisschen Freiheitsgefühl“. Er gab ihm tatsächliche Teilhabe an der unfassbar genialen, gewaltigen Schöpfung und echte Freiheit, sie segensreich einzusetzen oder eben zu missbrauchen – eine riesige Verantwortung, wie wir alle wissen und oft genug im Leben auch erfahren.
Die zerstörerische oder heilsame Macht von Musik sagt auch etwas über die unendliche Kostbarkeit dieser großen Schöpfungsgabe aus.
Psalm 150, der letzte der Psalmen in der Bibel, ist ein Aufruf, Gott zu loben – mit Instrumenten und Gesang.
Der lateinamerikanische Bischof Ernesto Cardenal hat ihn frei übersetzt:
Lobet den Herren des Kosmos, das Weltall ist Sein Heiligtum mit einem Radius von hunderttausend Millionen Lichtjahren.
Lobt Ihn, den Herrn der Sterne und der interstellaren Räume,
Lobt Ihn, den Herrn der Milchstraßen und der Räume zwischen den Milchstraßen
Lobt Ihn, den Herrn der Atome und der Vakuen zwischen den Atomen,
Lobt Ihn, mit Geigen, mit Flöten und Saxophonen,
Lobt Ihn mit Klarinetten und Englischhorn, mit Waldhörnern und Posaunen, mit Flügelhörnern und Trompeten,
Lobt Ihn mit Bratschen und Violoncelli, mit Klavieren und Pianolen,
Lobt Ihn mit Blues und Jazz und Sinfonieorchestern, mit Spirituals und der Fünften von Beethoven, mit Gitarren und Xylophonen,
Lobt Ihn mit Plattenspielern und Tonbändern.
Alles, was atmet, lobe den Herrn, jede lebendige Zelle. Halleluja!
Lassen wir uns von Gott durch die Gabe der Musik auf wunderbare und heilsame Weise beschenken - und ehren wir Ihn mit diesem Geschenk!
14. Mai 2023 6. Sonntag der Osterzeit Streit!
Irgendwann und irgendwie hat sich scheinbar unter vielen Menschen die Annahme verbreitet, bei den Christen in der Urgemeinde wäre alles in schönster Ordnung gewesen und es hätte nie Streit gegeben. Und nicht wenige drehen den Christen daraus auch einen Strick. Da heißt es dann schonmal leichthin: „Die Christen halten ja selber keinen Frieden. Sie sollten sich mal ein Beispiel nehmen an der Urgemeinde. Da war man ein Herz und eine Seele!“ Ein Blick in die Apostelgeschichte zeigt, dass das nun wirklich nicht der Fall war. Sicherlich ist Streit im Sinne von Gehässigkeiten, Rache usw. unbedingt zu vermeiden oder zu beenden. Natürlich kam er vor.
Aber dann gibt es da noch diesen scheinbar notwendigen Streit, der Dinge voranbringt, der Gutes vom Schlechten scheidet. Auch darüber lesen wir in der Apostelgeschichte:
Es kamen einige Leute von Judäa herab und lehrten die Brüder: „Wenn ihr (die Heiden, nichtjüdische Menschen) euch nicht nach dem Brauch des Mose beschneiden lasst, könnt ihr nicht gerettet werden.“ (d. h. sie können nicht zum Volk Gottes und zum Gott Israels gelangen. Anmerk d. Verf.). Da nun nicht geringer Zwist und Streit zwischen ihnen und (den Aposteln) Paulus und Barnabas entstand, beschloss man, Paulus und Barnabas und einige andere von ihnen sollten wegen dieser Streitfrage zu den Aposteln und den Ältesten nach Jerusalem hinaufgehen ...
Bei ihrer Ankunft in Jerusalem wurden sie von der Gemeinde und von den Aposteln und den Ältesten empfangen. Sie erzählten alles, was Gott mit ihnen zusammen getan hatte. Da erhoben sich einige aus der Partei der Pharisäer, die gläubig geworden waren (= die an Jesus als den Sohn Gottes glaubten), und sagten: „Man muss sie beschneiden und von ihnen fordern, am Gesetz des Mose festzuhalten (= die vielen Vorschriften des jüdischen Lebens zu übernehmen).“
Die Apostel und die Ältesten traten zusammen, um die Frage zu prüfen.
Als ein heftiger Streit entstand, erhob sich Petrus und sagte zu ihnen: „Brüder, …
Apostelgeschichte, Kap. 15, Verse 1 – 13
Und dann folgt eine harte Auseinandersetzung mit vielen theologischen Argumenten.
Dieser wirklich fundamental notwendige Streit ist so vielen unbekannt und hatte doch nichts Geringeres zum Gegenstand als die Frage: Bleibt der Glaube an Gott allein Sache des jüdischen Volkes oder darf / soll er sich weltweit ausbreiten können? Kann nur der zum Volk Gottes gehören, der die jüdische Lebensweise annimmt, oder gilt das Heilsangebot Gottes allen Menschen weltweit? Heute scheinen uns das geringe Fragen bzw. Selbstverständlichkeiten zu sein. Für die Apostel, die ja ganz am Anfang standen und keine „Fallbeispiele“ hatten, auf die sie zurückgreifen konnten, waren diese Anliegen existenziell und ihre Entscheidungen revolutionär. Und ich bewundere noch heute den Mut der Männer: am Ende ihrer heftigen Auseinandersetzungen haben sie zu einem Konsens gefunden, für den sie alle eine Menge Verantwortung übernehmen mussten! Und das ist schwer – auf jeden Fall unendlich schwerer als einfach „von der Seitenlinie“ aus zu meckern und sich sonst um nichts zu scheren. Auch das muss mal gesagt werden.
In seinem Brief an die Christen in Thessalonich schreibt der Apostel Paulus: „Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergilt, sondern bemüht euch immer, einander und allen Gutes zu tun! … Prüft alles und behaltet das Gute!“ (Kap. 5, Verse 15 und 21)
Ich meine, das sind für jeden Einzelnen gute Hinweise; ganz persönlich ab hier, jetzt und sofort im Alltag umsetzbar - so ganz ohne Organisation, Institution, Geld und andere derartige Voraussetzungen .…
PS: Noch etwas sehr Wichtiges: Wenn Sie mutlos oder traurig sind, weil (mal wieder oder immer noch) Zwischenmenschliches in Ihrem Leben im Argen liegt, geben Sie nicht auf: „… wo jedoch die Sünde mächtig wurde, da ist die Gnade übergroß geworden.“ (Brief an die Römer, Kap. 5, Vers 20)
7. Mai 2023 5. Sonntag der Osterzeit ... da ereignet sich Kirche neu
Nach dem für menschliche Maßstäbe desaströsen Ende von Jesu Leben standen die Jünger mit ihren Fragen und Erschütterungen zunächst ratlos da, gingen enttäuscht und nicht verstehend wieder in ihr altes Leben zurück. Doch es entwickelte sich etwas. Zunächst in ihren Herzen, dann in ihrer entstehenden Gemeinschaft und zuletzt sichtbar für alle Welt. Nach und nach bildeten sich erste Strukturen heraus, die Botschaft des Evangeliums wurde "bekannt" (!) und breitete sich rasant aus - nichts war zuende. Heute wissen wir: es war der Anfang!
"Wo immer ein Mensch - motiviert vom eigenen Glauben - einem anderen Menschen mit bekennendem Herzen von Gott erzählt, da ereignet sich Kirche neu." Wie oft hörte ich diesen Ausspruch im Laufe meines Studiums von einem Professor. Seine Vorlesungen gingen am Ende unmerklich über in ein persönliches Glaubensbekenntnis - und bevor das jemand richtig realisierte, war das Schlusswort schon gesprochen. Es gab Studenten, die wegen dieser wenigen Schluss-Sätze in seine Vorlesungen kamen ...
So ein Ausspruch bleibt im Gedächtnis hängen. Und er begann im Laufe meines Lebens immer wieder in meinem Kopf zu klingen - und tut es heute noch oft: wenn ich an die Menschen denke, die mir von ihrem Glauben erzählt haben, ihr Vertrauen auf diesen Schöpfergott bekannt haben:
- Meine Firmpatin, jahrzehntelang schwerkrank - was sie keineswegs daran hinderte, von ihrem Krankenzimmer aus per Telefon und zahllosen Briefen in ganz Deutschland für viele Menschen eine hochgeschätzte Gesprächspartnerin in Sachen Glauben zu werden. Sie füllte ihre Tage mit dem Gebet für diese Menschen, ach, was sage ich - sie nahm die ganze Welt unablässig ins Gebet.
- Ich denke an meinen evangelischen Religionslehrer, der mir durch seinen gewissenhaft und wunderbar vorbereiteten Religionsunterricht die Heilige Schrift und das Nachdenken über Religion für mein ganzes Leben nahebrachte. Der nicht zu trennen vermochte (oder nicht trennen wollte) zwischen Lehre und Bekenntnis, der immer erkennen ließ, wer und was die Mitte seines Lebens war.
- Ich denke an meine Taufpatin, die in Diskussionen über Glaube und Kirche durch ihre ehrliche, offene Art zu gewinnen weiß. Ihr Glaube war nie "einzementiert", wurde spürbar er-lebt, Stück für Stück, durch Höhen und sehr schlimme Tiefen. Geistige und geistliche Offenheit bis ins hohe Alter - ein faszinierendes Beispiel. Viel Gutes auch aus dem privaten Leben gäbe es darüber zu berichten ... Wenn ich an all das denke, empfinde ich Freude und Dankbarkeit für diese vielen Kostbarkeiten.
"Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; ..." So steht es im 1. Petrusbrief an die Gemeinden Kleinasiens. (Kap. 3, Vers 15)
"Wo immer ein Mensch - motiviert vom eigenen Glauben - einem anderen Menschen mit bekennendem Herzen von Gott erzählt, da ereignet sich Kirche neu." Das müsste im Alltag doch zu machen sein - so ganz ohne Organisation, Institution, Geld und andere derartige Voraussetzungen.
30. April 2023 4. Sonntag der Osterzeit Heimat war möglicherweise gar nicht gemeint
Für diesen Sonntag verweise ich auf meinen Beitrag auf der Seite "Kirche" vom 27. April 2023
23. April 2023 3. Sonntag der Osterzeit Und Petrus sprang ins Wasser
Es ist eine dieser wunderbaren österlichen Erscheinungsgeschichten, die im ersten Lesen so alltäglich daherkommt; und doch von so geistlicher Tiefe ist, dass man sie sich wirklich näher anschauen sollte:
Simon Petrus, Thomas, genannt Didymus, Natanaël aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern waren zusammen. Simon Petrus sagte zu ihnen: „Ich gehe fischen.“ Sie sagten zu ihm: „Wir kommen auch mit.“ Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot.
Aber in dieser Nacht fingen sie nichts.
Als es schon Morgen wurde, stand Jesus am Ufer. Doch die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.
Jesus sagte zu ihnen: „Meine Kinder, habt ihr keinen Fisch zu essen?“ Sie antworteten ihm: „Nein.“
Er aber sagte zu ihnen: „Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus und ihr werdet etwas finden.“ Sie warfen das Netz aus und konnten es nicht wieder einholen, so voller Fische war es.
Da sagte der Jünger, den Jesus liebte, zu Petrus: „Es ist der Herr!“ Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr sei, gürtete er sich das Obergewand um, weil er nackt war, und sprang in den See.
Dann kamen die anderen Jünger mit dem Boot - sie waren nämlich nicht weit vom Land entfernt, nur etwa zweihundert Ellen - und zogen das Netz mit den Fischen hinter sich her.
Als sie an Land gingen, sahen sie am Boden ein Kohlenfeuer und darauf Fisch und Brot liegen.
Jesus sagte zu ihnen: „Bringt von den Fischen, die ihr gerade gefangen habt!“ Da stieg Simon Petrus ans Ufer und zog das Netz an Land. Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht.
Jesus sagte zu ihnen: „Kommt her und esst!“ Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: „Wer bist du?“ Denn sie wussten, dass es der Herr war. Jesus trat heran, nahm das Brot und gab es ihnen, ebenso den Fisch.
Johannes-Evangelium Kap. 21, Verse 1 – 13
Die Jünger waren nach den Jahren mit Jesus wieder in ihrem Alltag angekommen: Das katastrophale Ende von Jesus hatten sie so nicht kommen sehen und auch überhaupt nicht begriffen. Wir sollten also nicht allzu erstaunt sein, sie in ihrem alten Leben wiederzufinden.
- Es wird von sieben Jüngern berichtet: fünf werden namentlich genannt. Zwei Jünger bleiben ohne Namen. Jede und jeder von uns darf sich also gerne mitten in das Geschehen hineinstellen. Wir sind gemeint!
- Die Jünger fingen nichts. Ihre (und unsere?) alltägliche Arbeit brachte also kein Ergebnis.
- Die Erzählung sagt: „Es war Morgen“. Der Morgen begann nach biblischer Lesart in der Nacht und war in der Bibel vielfach der Zeitpunkt des heilvollen Eingreifen Gottes in menschliche Not. (Denken wir nur an Israels Auszug aus der ägyptischen Gefangenschaft, an die Geburt des Jesu). Auch hier in dieser Erzählung geschieht „am Morgen“ Heilsgeschichte: der Auferstandene ist bei den Seinen.
- Jesus fragt die Jünger nicht nach ihrem Erfolg („Habt ihr nichts gefangen?“), sondern nach ihrer notwendigen Nahrung. „Habt ihr nichts zu essen?“
- Jesus rät den Jüngern, das Netz auf der rechten Seite auszuwerfen. Das wäre eigentlich eine so simple Lösung, dass die Jünger auch von allein hätten daraufkommen können. Der Ausspruch Jesu bedeutet aber mehr: die rechte Seite gilt im biblischen Sinn als „Seite des Lebens“. Jesu Ausspruch bedeutet: „Wende dich dem Leben zu.“
- Die Jünger fingen so viele Fische, dass das Netz übervoll war und zu schwer zum Einholen. Dieses übervolle Netz erinnert an die Speisung der Fünftausend, bei der anschließend noch 12 volle Körbe übrigblieben: Wo Jesus handelt, entsteht Leben in Fülle, über das Notwendige hinaus. Das zeigt sich auch in der Zahl der Fische: 153. (siehe unten: Kleiner Exkurs zur Zahl 153 Fische unter diesem Artikel)
- Einer von den namenlosen Jüngern – das können auch wir sein! – sagt zu den anderen: „Es ist der Herr.“ Das ist ein Bekenntnis! Er sagt nicht einfach: „Das ist Jesus aus Nazareth.“ Oder „Das ist der Sohn des Zimmermanns Josef.“
- Petrus springt, als er das hört, in‘s Wasser, um zu Jesus zu gelangen. Es wäre nicht nötig gewesen, das zu erwähnen. Aber es ist in dieser Erzählung die dichteste Stelle: zum einen eine Erinnerung an die Erzählung zu Beginn des Johannes-Evangeliums, bei der Jesus während eines Sturms (in der Not!) über das Wasser zu den Jüngern im Boot kommt und ihnen Sicherheit gibt. Zum anderen wird der Leser an die andere Geschichte mit Petrus und dem Wasser erinnert: Petrus geht über das Wasser zu Jesus – und als ihm Zweifel kommen, beginnt er zu ertrinken. Und dann gibt es noch eine weitere Aussage in dieser Szene: Petrus ist nackt (oder nur sehr notdürftig bekleidet) und kleidet sich mit einem Obergewand. Die Begriffe „nackt“ und „bekleiden“ verbindet der biblische Leser zuerst mit der Geschichte vom Sündenfall aus dem Paradies: als Adam und Eva die Einheit mit Gott verlieren, fühlen sie sich nackt und versuchen, diese Nacktheit zu verbergen. Als nun Petrus gesagt bekommt, „Es ist der Herr“, da holt ihn eigentlich seine Vergangenheit ein. Er hat Jesus vor gar nicht langer Zeit bei einem Kohlfeuer dreimal verleugnet! Er hat die Einheit mit dem Gottessohn verraten, zerstört, aufgegeben. Diese Abkehr steht zwischen ihm und dem Herrn. Petrus, sich seiner Sünde und menschlichen Blöße bewusst, „bekleidet sich“. (Abgesehen davon: Kein Orientale würde einem Menschen nackt oder nur mit einem Hemd bekleidet gegenübertreten.)
Dass dieser Petrus sich ins Wasser wirft, um zu Jesus zu gelangen, ist nicht in erster Linie ein Sprung ins kalte Wasser, sondern eine steile Aussage über ein Bekenntnis: er, der Ängstliche, ertrinkender Zweifler und wiederholter Jesus-Leugner (!), hat keinerlei Zweifel mehr! Sozusagen: Er weiß nun, dass er hin will / muss zu diesem auferstandenen Jesus. Und auch seine Sünde kann ihn daran nicht hindern! Das erinnert auch an die (Bedeutung der) Taufe ... Dieser Erzählung von der Begegnung mit dem Auferstandenen am See folgt übrigens das Gespräch, in dem Jesus Petrus bei einem Mahl am Kohlfeuer (!) dreimal fragt, ob er Ihn liebt, und Petrus bekennt sich dreimal zu Jesus; am Ende – eingedenk seiner menschlichen Schwäche - in aller Demut. Und vergessen wir nicht: er bekennt sich nicht zu einem einfach definierbaren Menschen, sondern „zum Herrn“, zum Auferstandenen! Und das ist schon mal gar nicht einfach.
- Am Beginn heißt es: „Die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war.“ Konnten sie auch nicht, weil sie in einem Boot 100 Meter entfernt vom Ufer waren, wo Jesus stand. Trotzdem haben sie sich mit diesem Jesus im Folgenden offenbar ganz gut austauschen können. Aber da sieht man eben, dass die Auferstehungserzählungen keine Tatsachenberichte von Alltäglichkeiten sind, sondern ganz andere, viel fundamentalere Aussagen in vielschichtige Worte und Bilder kleiden, die wiederum auf viele mit ihnen verbundene Erkenntnisse verweisen ..
Am Ende steht zu lesen: „Keiner von den Jüngern wagte ihn zu befragen: „Wer bist du?“ Denn sie wussten, dass es der Herr war.“ Jetzt geht es "nur" noch darum, dass die Jünger mit Herzensgewissheit erkennen: „Er ist der Herr!“ Und eine so (unerwartet?) tiefe innere Beziehung zu diesem Auferstandenen, die ein so sicheres Herzens-Wissen hervorbringt, kann einen schon mal sprachlos, demütig, staunend machen – dass man schweigt in dem Wissen, dass eigentlich alles klar ist. Auch, wenn man wahrscheinlich keine Ahnung hat, wie man das anderen Menschen erklären soll. Und dann geht man trotzdem los und erzählt von diesem auferstandenen Jesus, bekennt Ihn – und lässt sich umbringen dafür, weil es unmöglich ist, von dem, was man erfahren hat, zu schweigen. Das ist Glaube. Und darum geht es in dieser Erzählung.
Trauen wir uns, diesen auferstandenen Jesus heilvoll in unser Leben hineinzulassen; mitten in unsere Misserfolge, in unser Scheitern und Versagen, in unser "altes Leben" – und trauen wir uns, zu bekennen: „Es ist der Herr!“. Es könnte für andere Menschen sehr viel bedeuten.
Wagen wir den Sprung ins Wasser ...
Kleiner Exkurs: Das zeigt sich auch in der Zahl der Fische: 153 werden erwähnt. 153 ist die Summe aus 12 x 12 und 7. Die Zahl 12 ergibt sich aus 3 x 4 (3 = Zahl der göttlichen Trinität, 4 = Zahl der Erde), das bedeutet: Himmel und Erde sind miteinander verbunden. Um wieviel mehr, wenn die 12 mit der 12 multipliziert wird. (Die 12, biblische Zahl der Fülle, drückt sich auch in der Apostelzahl als Basis der Kirche aus: insgesamt wird die 12 an 160 sehr exponierten Stellen in der Bibel erwähnt.)
Die Zahl 7 ist die Zahl der Heiligkeit, des Geheimnisses Gottes.
153 Fische bedeuten also im umfassenden Sinne Reichtum, den Gott dem Menschen schenkt!
Übrigens ist die Zahl 12 nicht nur in theologischer, sondern auch in weltlicher, vor allem mathematischer Hinsicht ein Phänomen, über das sich eigene Bücher schreiben ließe.)
2. Sonntag der Osterzeit 2023 Zeit, über den Glauben zu reden
Das Osterfest und die Osterzeit haben nicht „mit Glauben zu tun", sondern sie haben „zur Gänze mit Glauben zu tun.“
Manchmal können einem - auch als Glaubender - schon Zweifel kommen: müssen Christen nicht verrückt sein, an etwas so Unvorstellbares wie die Auferstehung zu glauben? Ist das nicht zu sehr "aus der Luft gegriffen"?
Es ist so unvorstellbar, dass der Mensch darüber überhaupt nicht konkret reden kann, sondern nur auf diese Weise:
"Wir verkünden, wie es in der Schrift steht, was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben." (Apostel Paulus in seinem 1. Brief an die Gemeinde in Korinth, Kap. 2, Vers 9)
"Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn." (im Brief an die Römer, Kap. 8, Verse 38 f)
Christen trauen sich zu sagen: Der Körper ist von Krankheit zerstört, er verfällt, er taugt zu nichts weiter, wenn der Mensch gestorben ist. Aber wir glauben und hoffen eben auch:
"Wenn unser irdisches Zelt (= der Körper, die Verf.) abgebrochen wird, dann haben wir eine Wohnung von Gott, ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel … " (Apostel Paulus in seinem 2. Brief an die Gemeinde in Korinth, Kap. 5, Vers 1)
Nichts geht also so weiter, wie es war; aber alles, was war, ist aufgehoben im Neuen.
Der Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth weiter:
"Denn als Glaubende gehen wir unseren Weg, nicht als Schauende." (2. Korintherbrief Kap. 5, Vers 7)
Bei Gott zu sein wird in der Bibel mit dem Begriff des Schauens beschrieben.
Wenn mir ein Mensch sagt, dass er weder an Gott glaubt noch an eine Auferstehung und am wenigsten an ein Leben nach dem Tod, kommt mir eine Schriftstelle des Evangelisten Johannes in den Sinn:
"Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass Er Seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an Ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat." (Johannes - Evangelium Kap. 3, Vers 16)
Wie viele sprechen das große Wort vom "Nicht - an - Gott - glauben" gelassen aus!
Mir fällt auf: In der Bibel wird von vielen Menschen berichtet, die glaubensmäßig „am Rande stehen“ oder ihre Zweifel haben oder vom nächsten Augenblick der Erkenntnis schlagartig überrumpelt werden. Jeder findet zum Glauben aus seiner je anderen persönlichen Situation – mancher mit Sicherheit von sich selbst völlig überrascht; aber alle offen für dieses Hereinbrechen Gottes in ihr Leben.
- Die Frau am Jakobsbrunnen, die Jesus fragt und fragt und fragt – bis sie versteht
- Der Hauptmann, der nichts vom Glauben weiß, aber nach einer Begegnung mit Jesus bittet: „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.“
- Die jahrelang kranke Frau, die ihre ganze Hoffnung auf Jesus setzt: „Wenn ich nur Sein Gewand berühre …“ - Der Hauptmann unterm Kreuz, der im Sterben Jesu erkennt: „Dieser war Gottes Sohn.“
- Thomas, der Zweifelnde, der sich das mit der Auferstehung alles nicht erklären kann und Jesus buchstäblich begreifen muss.
Vielleicht kann ein Mensch, bevor er allem Glauben – warum auch immer – abschwört, sich auch mit einem dieser Menschen identifizieren und so einige Schritte auf Gott zu machen? Glaube ist keine Gefühlsakrobatik. Glaube ist auch keine Leistungsschau oder gar ein Wettbewerb.
Glaube ist Wagnis. Einfach so? Nein, nicht einfach so.
Zu einem langen Weg aufbrechen mit den Verheißungen Gottes, die jedem Menschen in der Heiligen Schrift zugesprochen sind; gehen mit den Stärkungen und Wegweisungen Gottes und – ja, auch mit Seinen Zumutungen. Einen langen Weg gehen mit einem Grund, den nur jeder für sich ganz persönlich herausfinden kann.
Ostern 2023 Da war ein Garten
Die jüdische Religion war keine „am Schreibtisch entworfene Philosophie“, sondern sie entwickelte sich aus erlebten Erfahrungen einer Gemeinschaft von Menschen mit ihrem Gott Jahwe.
So kam es auch, dass die Religion der Christen, basierend auf dem jüdischen Glauben, oft „der neue Weg“ genannt wurde. Das hatte einen vielleicht unbewussten, aber dennoch ganz konkreten Ausgangspunkt. Liest man nämlich in den Evangelien zusammenhängend ein paar Kapitel, so bekommt man unweigerlich diesen Eindruck, dass Jesus mit seinen Jüngern ständig unterwegs war: Er lehrte sie auf Straßen, Wegen, in Dörfern und Städten, auf Bergen, am Meer und in der Wüste.
Und immer wieder tauchen diese Orte an verschiedenen Bibelstellen auf, in unterschiedlichen Situationen, mit anderen inhaltlichen Bezügen – nicht nur im Neuen Testament, sondern auch schon im Alten Testament. Vergleicht man dann die Situationen, in denen z. B. von bestimmten Orten erzählt wird, so kann man sehr oft Sinn-Zusammenhänge erkennen.
Ein solcher Ort, der auch im letzten Lebensabschnitt Jesu eine Rolle spielt, ist der Garten; ein Begriff, der in der Bibel gar nicht so oft vorkommt.
Die erste Assoziation, die wahrscheinlich die meisten Menschen mit einem Garten haben, ist der Garten Eden, das Paradies; der Ort, von dem in der Schöpfungsgeschichte erzählt wird. Es war der Lebensraum der ersten Menschen im Einklang mit ihrem Schöpfer, bis sie diesen Lebensraum / diese Seins-Weise durch (wie auch immer näher definierten) Eigen-Sinn verloren. (Das ist ein eigenes Thema)
Ein Garten, das wissen wir alle, ist ein geschütztes Stück Erde; im Normalfall gepflegt, im Idealfall mit Liebe und Begeisterung erdacht, mit Hingabe gestaltet, mit Sorgfalt und Ausdauer gehegt. Ein Garten ist ein Stück Natur mit wechselseitiger Beziehung: der Mensch kümmert sich und wird gleichzeitig beschenkt. Zu jedem Garten gibt es jemanden, der sich für ihn verantwortlich fühlt, der das vielfältige Leben in diesem Garten beschützt und letztendlich fördert.
Das war damals nicht anders: Gärten waren schützende, gehegte, umfriedete Räume, die dem Leben im weitesten Sinne dienten. Sie boten Schutz, spendeten Schatten, schenkten Freude, waren Orte der Begegnung.
Im Gegensatz zu ihnen standen lebensgefährliche Wüsten, gefahrvolle Wegrouten, Naturgewalten eines Meeres usw.
Im Anfang der Geschichte zwischen Gott und den Menschen stand ein schützender Garten – keine lebensfeindliche Wüste, kein bedrohliches Meer, keine gefährlichen Wege. Was das bedeutet, kann jeder verstehen.
Und nun heißt es im Evangelium von Jesu Tod und Auferstehung:
„ … Nach diesen Worten (= nach dem letzten Abendmahl) ging Jesus mit Seinen Jüngern hinaus, auf die andere Seite des Baches Kidron. Dort war ein Garten; in den ging Er mit Seinen Jüngern hinein…. " Johannes-Evangelium Kap. 18, Vers 1
„An dem Ort, wo man Ihn gekreuzigt hatte, war ein Garten, und in dem neuen Garten war ein neues Grab …. Und weil das Grab in der Nähe lag, setzten sie Jesus dort bei.“ Johannes-Evangelium Kap. 19, Vers 42
Alles, was Jesus in Seinen letzten Lebensstunden widerfuhr, geschah an Orten, die in der Bibel als „Garten“ bezeichnet werden. Nach menschlichem Ermessen waren es Bedrohung und Vernichtung. Aber über das Irdische hinaus auf Gott bezogen sagt das Bild des Gartens eben dies:
Jesus war auch in Sterben und Tod durch Menschenhand immer in der Obhut „des Gärtners“ Gott. Er war Gott nahe; Er war im Lebensraum Gottes, als wir Ihn nach unseren menschlichen Vorstellungen verloren wähnen mussten. Jesus war "in einem Garten": eben nicht der endgültigen Abgrundtiefe und Auslöschung durch den Tod ausgeliefert, sondern letztendlich zum Leben gerufen - und damit auch wir mit Ihm!
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein frohes, gesegnetes Osterfest – und einen neuen, österlichen Blick auf jeden Garten oder Park, wenn Sie sich nun an herrlich blühenden Bäumen und Blumen erfreuen können!
Karfreitag 2023 Heilsgeschichte – in Weltgeschichte verborgen Weltgeschichte - in Heilsgeschichte geborgen
Mein Beitrag heute wird etwas länger, aber es ist ja Feiertag; ich hoffe, für die meisten genug Zeit zum Lesen.
Ich möchte Ihnen einige Gedanken zu einzelnen Szenen aus der Passionsgeschichte sagen. Meine Anmerkungen füge ich in blauer Schrift gleich an Ort und Stelle ein, damit Sie nicht immer rauf- und runtersrollen müssen.
"Nach diesen Worten ging Jesus mit seinen Jüngern hinaus, auf die andere Seite des Baches Kidron. Dort war ein Garten; in den ging Er mit seinen Jüngern hinein. (Über das Thema Garten schreibe ich zum Ostersonntag!)
Auch Judas, der Ihn auslieferte, kannte den Ort, weil Jesus dort oft mit Seinen Jüngern zusammengekommen war.
Judas holte die Soldaten und die Gerichtsdiener der Hohepriester und der Pharisäer und kam dorthin mit Fackeln, Laternen und Waffen.
Schon im Alten Testament beim Propheten Jesaja steht: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“ Der Evangelist Johannes schreibt im Neuen Testament über Jesus, Er sei „das Licht der Welt“. Diesem göttlichen Licht treten die Menschen (Soldaten) „mit Fackeln und Laternen“ entgegen. Eine Unangemessenheit, die sich durch die ganze Passionsgeschichte zieht und überaus deutlich werden lässt, wie Weltgeschichte und Heilsgeschichte „fast unerkannt“ aufeinandertreffen.
Jesus, der alles wusste, was mit Ihm geschehen sollte, ging hinaus und fragte sie: „Wen sucht ihr?“
Dieselbe Frage stellt Jesus auch Maria Magdalena am Ostermorgen. Sie steht im Zusammenhang mit den großen, geistlich existenziellen Fragen Jesu an die Menschen, denen Er begegnet: „Was wollt ihr?“ „Glaubt ihr das?“ Weltlich gesehen: die Suche der Soldaten nach einer zu verhaftenden Person. Heilsgeschichtlich gesehen klingt hier die existenzielle Suche nach dem Erlöser an.
Sie antworteten Ihm: „Jesus von Nazareth.“ Er sagte zu ihnen: „Ich bin es.“
Auch Judas, der Ihn auslieferte, stand bei ihnen. Als Er zu ihnen sagte: „Ich bin es!“, wichen sie zurück und stürzten zu Boden. ….
Warum weichen mehrere bewaffnete Soldaten vor einer einzelnen (unbewaffneten!) Person, die sie festnehmen sollen, zurück und stürzen zu Boden? (!) Das ist eine völlig überzogene Reaktion, die hier geschildert wird und eigentlich sehr unglaubwürdig ist. Es muss aber einen Grund haben, sonst stände es hier nicht. (Schreibmaterial war kostbar; unwichtiger Kram wurde nicht aufgeschrieben!)
Die Worte „Ich bin es“ waren religiös hochwertig und exklusiv belegt!: Es waren die Worte Gottes, mit denen Er sich den Menschen über Mose aus dem brennenden Dornbusch mitteilte. Das wusste damals jeder Jude, auch die Soldaten! In der Thora waren diese Worte so überliefert. Jeder Jude kannte diese göttliche Erkennungsformel: „Ich bin es.“ Und nun begegnen den Soldaten diese Worte, die sie als Offenbarung Gottes nur in einem einzigen Zusammenhang kennen, hier im Garten Gethsemane, wo sie doch einfach nur einen Menschen festnehmen sollen. Diese völlig unerklärliche und unerwartete Begegnung kann einen wie einen Schlag treffen, wanken und hinstürzen lassen. Weltgeschichte, die auf Heilsgeschichte trifft.
............ Die Soldaten, der Hauptmann und die Gerichtsdiener der Juden nahmen Jesus fest, fesselten Ihn und führten Ihn zuerst zu Hannas; er war nämlich der Schwiegervater des Kajaphas, der in jenem Jahr Hohepriester war. Kajaphas aber war es, der den Juden den Rat gegeben hatte: „Es ist besser, dass ein einziger Mensch für das Volk stirbt.“ …..
Auch diese Worte zeigen, wie sie weltlich und heilsgeschichtlich zugleich aufgefasst werden können. An einer anderen Stelle im Evangelium heißt es:
Viele der Juden, die zu Maria gekommen waren und gesehen hatten, was Jesus getan hatte, kamen zum Glauben an ihn.
Aber einige von ihnen gingen zu den Pharisäern und sagten ihnen, was er getan hatte. Da beriefen die Hohepriester und die Pharisäer eine Versammlung des Hohen Rates ein. Sie sagten: Was sollen wir tun? Dieser Mensch tut viele Zeichen. Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben. Dann werden die Römer kommen und uns die heilige Stätte und das Volk nehmen. Einer von ihnen, Kajaphas, der Hohepriester jenes Jahres, sagte zu ihnen: „Ihr versteht nichts. Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.“
Das sagte er nicht aus sich selbst; sondern weil er der Hohepriester jenes Jahres war, sagte er aus prophetischer Eingebung, dass Jesus für das Volk sterben werde. (siehe Joh 11,45ff)
Es folgen die Verhöre vor Hannas, Kajaphas und dann vor dem Statthalter Pilatus …
Die Fragen, die Pilatus Jesus im Verhör stellt, dienen überhaupt nicht der Rekonstruktion eines angeblichen Verbrechens, sondern versuchen, zu ergründen, wer dieser Jesus ist: „Bist du der König der Juden? Was hast Du getan? Also bist Du doch ein König? Was ist Wahrheit? Woher bist Du?“
… Nachdem er (Pilatus) das gesagt hatte, ging er wieder zu den Juden hinaus und sagte zu ihnen: „Ich finde keine Schuld an Ihm. …….
Die Soldaten flochten einen Kranz aus Dornen; den setzten sie Ihm auf das Haupt und legten Ihm einen purpurroten Mantel um. Sie traten an Ihn heran und sagten: „Sei gegrüßt, König der Juden!“ (hierzu siehe auch weiter unten: Geistliches zu Palmsonntag 2023) Und sie schlugen Ihm ins Gesicht.
Was weltlich betrachtet als Spott und Hohn gedacht ist, wird heilsgeschichtlich zum Ausspruch der Wahrheit!
Pilatus ging wieder hinaus und sagte zu ihnen: „Seht, ich bringe Ihn zu euch heraus; ihr sollt wissen, dass ich keine Schuld an Ihm finde.“ Jesus kam heraus; Er trug die Dornenkrone und den purpurroten Mantel.
Pilatus sagte zu ihnen: „Seht, der Mensch!“
Was weltlich als „Selbstverständlichkeit“ gesagt ist, wird heilsgeschichtlich zur Glaubensaussage: Gott wurde Mensch.
Als die Hohepriester und die Diener Ihn sahen, schrien sie: „Kreuzige Ihn, kreuzige Ihn!“
Pilatus sagte zu ihnen: „Nehmt ihr Ihn und kreuzigt Ihn! Denn ich finde keine Schuld an Ihm.“
Pilatus, der „Jesus-Ferne“ gilt in der Weltgeschichte als schlechter Mensch, weil er Jesus folterte und auslieferte. Aber was hier geschieht, bleibt oft unbeachtet: dreimal spricht er Jesus frei! (Während Ihn Petrus, der „Jesus-Nahe“, kurz zuvor dreimal verleugnet hatte!)
Die Juden entgegneten ihm: „Wir haben ein Gesetz und nach dem Gesetz muss Er sterben, weil Er sich zum Sohn Gottes gemacht hat.“
Als Pilatus das hörte, fürchtete er sich noch mehr.
Wovor fürchtet sich Pilatus? Das erinnert an die Hirten auf dem Feld, die sich auch fürchteten, als Gott „ins Spiel kam“. Hat Pilatus eine Ahnung, dass da mehr geschieht, als er begreifen oder beherrschen kann? Soll dem Hörer der Passionsgeschichte mitgeteilt werden, dass der vermeintliche Anklagepunkt „Er hat sich zum Sohn Gottes gemacht“ die einzige, große Wahrheit ist?
Er (Pilatus) ging wieder in das Prätorium hinein und fragte Jesus: „Woher bist du?“ Jesus aber gab ihm keine Antwort. Da sagte Pilatus zu Ihm: „Du sprichst nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich freizulassen, und Macht, dich zu kreuzigen?“
Jesus antwortete ihm: „Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre; darum hat auch der eine größere Sünde, der mich dir ausgeliefert hat.“
Jesus bleibt auch in der machtlosesten Situation aktiv und Richter: Er spricht ein Urteil.
...... Es war Rüsttag des Paschafestes, ungefähr die sechste Stunde. Pilatus sagte zu den Juden: „Seht, euer König!“
Sie aber schrien: „Hinweg, hinweg, kreuzige Ihn!“ Pilatus sagte zu ihnen: „Euren König soll ich kreuzigen? Die Hohepriester antworteten: „Wir haben keinen König außer dem Kaiser.“ Da lieferte er ihnen Jesus aus, damit Er gekreuzigt würde.
Sie übernahmen Jesus ….
Pilatus ließ auch eine Tafel anfertigen und oben am Kreuz befestigen; die Inschrift lautete: Jesus von Nazareth, der König der Juden.
Diese Tafel lasen viele Juden, weil der Platz, wo Jesus gekreuzigt wurde, nahe bei der Stadt lag. Die Inschrift war hebräisch, lateinisch und griechisch abgefasst.
Da sagten die Hohepriester der Juden zu Pilatus: „Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden.“ Pilatus antwortete: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.“
Die für mich bewegendste Schriftstelle: Bis zuletzt versuchen die Menschen, ihre menschenverachtende Herrschsucht durchzusetzen; Pilatus leistet sich wenigstens einmal den Juden gegenüber Sturheit – und beides dient völlig ohne das Wissen aller Beteiligten zu nichts Geringerem, als die Wahrheit zu proklamieren.
Die Gründlichkeit, mit der diese Wahrheit in den drei damaligen „weltrelevanten“ Sprachen verkündet wird, ist zugleich die erste Missionstätigkeit – ausgerechnet vom Kreuz und von den Gegnern Jesu ausgehend! Er ist der König derer, die an den Gott Jahwe glauben. Weltgeschichte, die wahrlich unerkannt auf Heilsgeschichte trifft. Womit dann übrigens auch die im Verhör gestellte und dort unbeantwortet gebliebene Frage des Pilatus „Was ist Wahrheit?“ buchstäblich end-gültig beantwortet ist – nicht im philosophischen Erörtern, sondern in der tätigen Hingabe Jesu.
Lassen wir nicht nach in dem Bemühen, in dem, was um uns herum geschieht und was uns begegnet, die Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen zu erkennen – im Beten und im Lesen und Betrachten der Heiligen Schrift.
Palmsonntag 2023 Was das Herz als kostbar erkennt
Die Bibel berichtet von einer Begebenheit, die sich wenige Tage vor dem Einzug Jesu in Jerusalem zugetragen hat.
Als Jesus in Betanien im Haus Simons, des Aussätzigen, zu Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll echtem, kostbarem Nardenöl, zerbrach es und goss das Öl über Sein Haupt.
Einige (laut Johannesevangelium: Apostel) aber wurden unwillig und sagten zueinander: „Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl um mehr als dreihundert Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können.“ Und sie fuhren die Frau heftig an.
Jesus aber sagte: „Hört auf! Warum lasst ihr sie nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch und ihr könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt; mich aber habt ihr nicht immer. Sie hat getan, was sie konnte. Sie hat im Voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Auf der ganzen Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.“
Markus-Evangelium / Kap. 14, Verse 3 ff
Eine etwas surreal anmutende Szene: wunderschön, mit zugleich deutlich - hässlichen Bezügen zu unserem Alltag.
Wunderschön, dass die Frau, ohne sich von anderen Anwesenden beirren zu lassen, Jesus durch die Salbung höchsten Respekt erweist, vielleicht Ihn als Messias erkennt. Diese Frau steht für einen eigenen, starken Glauben, den sie auf ihre persönliche Weise unbeirrt öffentlich zu bekennen traut – und es sich auch viel kosten lässt. Damit zeigte sie Mut: Jesus war ein umstrittener Mensch und die Frau befand sich unter Männern, von denen einige Ihm absolut nicht gut gesonnen waren.
Und hier rutscht die Szene in’s Alltäglich-Hässliche ab. Die Reaktion der Schlechtgesonnenen folgt auf den Fuß. Wenn man jemandem bei einer überzeugenden Tat der Liebe nichts vorwerfen kann, müssen Schein-Argumente her: Das Geld hätte die Frau wirklich besser für die Armen gegeben!
Man kann nur hoffen, dass die Kritiker, die der Frau diesen Vorwurf machen, sich selbst konsequent an jedem einzelnen Tag mit reichlichen Geldspenden und dauerhaftem persönlichem Verzicht vorbildlich um die Armen kümmern. Falls nicht, wird ihr Vorwurf sehr billig. (So billig wie manche Vorwürfe, mit denen manche Menschen heute gegen die Kirche zu Felde ziehen.)
Jesus selbst richtet mit Seinem Einwand den Blick aller Anwesenden auf das, was bald kommen wird und deutet die Handlung der Frau von Seinem Ende her.
Diese Antwort Jesu kann auch uns veranlassen, genauer auf das zu schauen, was in naher Zukunft mit Jesus geschehen wird - um zu verstehen, was diese Salbung Jesu (!) bedeutet. Es ist bedenkenswert, dass diese Szene in der Schrift an dieser Stelle steht.
Liest man nämlich das Evangelium weiter – es folgen Jesu Leidensgeschichte, Sein Tod und Seine Auferstehung – so fällt auf, dass mit dieser Begebenheit verborgen die Krönung eines Königs beginnt und im Laufe der Leidensgeschichte vollzogen wird:
- Salbung mit kostbarstem Öl (Es geht um eine Königsinthronisation! Nicht um die Fürsorge für die Armen.)
- feierlicher Einzug in Seine Stadt (Jerusalem): auf einem Esel, der als Friedenstier galt; Pferde waren Kriegstiere - „Huldigung“ des Volkes: HOSIANNA! GESEGNET SEI, DER DA KOMMT IM NAMEN DES HERRN ! "Im Namen" bedeutete: stellvertretend für jemanden - hier: "stellvertretend für Gott Jahwe" (Mehr geht nicht!) - nach der Verhaftung: Seine Krönung - die Dornenkrone "erinnert" an / intensiviert / verdeutlicht auf extrem schmerzhafte Weise Jesu Umkehrung aller Werte, siehe z. B. Seligpreisungen
- Seine Bekleidung mit einem Purpurmantel: Purpur war eine königliche, sehr teuer herzustellende Farbe
Die Salbung Jesu geschah aus Liebe; der Einzug Jesu in Jerusalem als Friedenskönig aus Überzeugung. Die Hosianna-Rufe der Menschen dort auf den Straßen – halbwegs ehrlich? Alles, was dann nach Jesu Verhaftung geschah, war von den Menschen böse gemeint. Und doch verkündeten die Menschen mit ihrem Reden und Fordern die Wahrheit, auch wenn sie gerade das nicht wollten. Weil ihnen jene Liebe fehlte, die die Frau hatte, die Jesus salbte, entstanden für Jesus Folter und Qual.
Mit der Salbung Jesu begann die von den Menschen eigentlich unerkannte Krönung Jesu, eingewoben in Verurteilung und Ermordung! Die Wahrheit kann man nicht verurteilen oder ermorden … Gottes Heilsgeschichte, die in der Weltgeschichte verborgen geschieht. (siehe auch Geistliches am Karfreitag 2023 - in 5 Tagen an dieser Stelle)
Übrigens: man kann auch die Liebe und das Bekenntnis eines Menschen zu Gott nicht zum Schweigen bringen oder vergessen machen: "Amen, ich sage euch: Auf der ganzen Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie (die Frau) getan hat, zu ihrem Gedächtnis.“ So sagt es Jesus den anderen Gästen. Und aus wievielen Ländern, in denen Christen verfolgt werden, kennen wir das! Selbst da, wo versucht wird, den Glauben systematisch auszurotten, überlebt die Kirche im Untergrund (lauter "Dornenkronen", für Menschen, die nach Jesu Weg leben, der so ganz anders ist als das, was die Welt will).
Prüfen wir unsere Herzen und legen wir uns immer wieder Rechenschaft darüber ab, ob wir Jesus aus Liebe nachfolgen oder nur Mitläufer sind, ob wir läppisch über Ihn reden oder gar gegen Ihn kämpfen.
Palmsonntag ist ein Anlass, sich (neu?) zu positionieren: im Herzen und nach außen.
26. März 2023 5. Sonntag der Fastenzeit Ich warte auf Sein Wort
Heute möchte ich Ihnen Psalm 130 empfehlen: einen kurzen Text, der nicht nur Hilferuf ist, sondern der die Möglichkeit schenkt, auf sehr persönliche Weise (wieder?) mit Gott ins Gespräch zu kommen und sich auf Wesentliches zu besinnen.
Meine Gedanken zu den einzelnen Versen schreibe ich dieses Mal direkt in den Text.
1 Aus den Tiefen rufe ich, Herr, zu Dir:
Diese „Tiefen“ können all das sein, was das Leben und die Seele eines Menschen bedrängt oder zu zerstören droht. Wer in Tiefen abgestürzt ist, kann sich allein nicht mehr helfen, ganz gleich, welcher Art seine Not auch sein mag. Ein Schrei aus der Tiefe ist ein dringlicher Ruf um Hilfe. Viele Tiefen mutet einem das Leben an sich zu: Krankheit, Alter, Einsamkeit, Trauer, Enttäuschungen …
Viele Tiefen im menschlichen Leben entstehen aber auch durch Schuld oder Unzulänglichkeiten anderer oder durch eigene Verfehlungen, vielleicht auch durch falsche Entscheidungen oder Leichtsinn. Wie schwer sind diese selbstverschuldeten Tiefen zu ertragen! Und wieviel Schuld trägt einer daran, dass ein anderer in Tiefen leben muss?
2 Mein Herr, höre doch meine Stimme!
Lass Deine Ohren achten auf mein Flehen um Gnade.
3 Würdest Du, Herr, die Sünden beachten,
mein Herr, wer könnte bestehn?
„Flehen, Gnade, Sünde“ - das sind keine Begriffe aus dem modernen Vokabular. Wir kennen „Temposünder“ und „Parksünder“, „Genuss-Sünden“ oder „Mode-Sünden“ – aber diese Worte verwenden wir mit einem Augenzwinkern.
Für derlei Harmlosigkeiten ist dieser Psalm nicht zu haben. Hier geht es um Fehler und ihre Folgen, die ein Mensch in aller Klarheit und Härte an sich selbst wahrnimmt und zu Gott trägt.
Sich seiner Sünden bewusst sein – nicht „sich klein machen lassen“, aber auch nichts verharmlosen. Sich seiner Sünden bewusst sein – das ist die Erkenntnis des Geschöpfes, die schmerzhafte Erfahrung eigener Unzulänglichkeit angesichts der Vollkommenheit und Weisheit des Schöpfers. Der Sünder bleibt Gottes Geschöpf – und das lässt ihn groß sein und demütig werden, zugleich.
4 Doch bei Dir ist Vergebung,
damit man in Ehrfurcht Dir dient.
Wer in seinem Schreien aus der Tiefe einen Adressaten hat, ist nicht verloren.
Wer sich in seinem Schreien um Hilfe an Gott wendet, darf Hoffnung haben.
Wer die Vergebung bei Gott sucht, ist immun gegen billige Vertröstung oder oberflächliche Ablenkung.
5 Ich hoffe auf den HERRN, es hofft meine Seele,
ich warte auf Sein Wort.
Die Mitte des Psalms, sein Herzstück:
Der Mensch kann leben aus der Hoffnung, dass Gott ihn in der Tiefe anspricht: mit Seinem Wort des Trostes, der Ermutigung, aber auch der Anklage, der Korrektur, der Weisung.
Und dieses Wort Gottes ist keine Lautäußerung, sondern ein Schöpferwort: es schafft Veränderung, Leben, Heilung und Mut. Es schafft neue Tatsachen im Leben eines Menschen, der auf den Herrn hofft.
Im Warten auf das Wort Gottes wird der Mensch zum Hörenden. Von Gott her nimmt die Heilung ihren Anfang. Nicht im menschlichen Aktionismus.
6 Meine Seele wartet auf meinen Herrn
mehr als Wächter auf den Morgen,
ja, mehr als Wächter auf den Morgen.
7 Israel, warte auf den Herrn,
Warten will gelernt sein. Warten muss geübt werden. Warten heißt nicht untätig sein. Warten heißt: nicht aufgeben, weder sich selbst, noch die Hoffnung. Warten ist: sein Herz zu Gott tragen, sich von Gott anschauen lassen, so, wie alles (gut und schlecht) ist. Nicht mehr weiter wegrennen, sondern ausharren. Und aushalten. Das ist oft der Anfang der Heilung und der Ermutigung.
denn beim Herrn ist die Huld,
bei Ihm ist Erlösung in Fülle.
„Huld, Gnade, Erlösung“ – noch mehr solche Worte, die aus unserem Wortschatz herausgefallen sind: Angewiesensein des Menschen auf etwas Größeres; Last ablegen dürfen für eine neue, ganz andere Leichtigkeit des Seins.
8 Ja, Er wird Israel erlösen
aus all seinen Sünden.
Wissen, zu wem ich in meiner Not um Hilfe rufen kann. Wissen, auf wen ich hoffen darf. Und mich erinnern an Seine Verheißungen.
Und wenn die „Tiefe“, von der dieser Psalm spricht, der Tod ist?
Dann ist Sein Wort, auf das ich warte, Gottes Ruf zum Licht und Leben in Fülle, die „Erlösung“ das Eingehen in die Vollkommenheit des Schöpfers.
Psalmen sind in Raum und Zeit grenzen-los. Jede Wirklichkeit eines jeden menschlichen Lebens an jedem Ort unserer Welt findet in diesen Gebeten ihren Platz. Da können dann die "Tiefen" sehr grausam und konkret sein.
Auf eindrucksvolle Weise hat das der südamerikanische Priester Ernesto Cardenal mit seiner Übersetzung von Psalm 130 gezeigt.
Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir!
Ich flehe Dich an, nachts, in meinem Gefängnis,
im Konzentrationslager, in der Folterkammer, im Dunkelarrest und während des Kreuzverhörs.
Höre meine Stimme, mein S.O.S.
Führest Du ein Sündenregister -
Herr, wer wäre ohne Schuld?
Du aber vergibst die Sünden,
Du bist nicht unversöhnlich wie die Untersuchungsbeamten!
Ich vertraue dem Herrn und nicht den Führern, nicht den Schlagwörtern.
Ich vertraue dem Herrn und nicht ihren Radiosendungen!
Meine Seele wartet auf den Herrn -
sehnsüchtiger als der Wächter auf die Morgenröte,
inbrünstiger, als man im Kerker die Stunden der Nacht zählt.
Während man uns gefangenhält, feiern sie Feste!
Aber der Herr macht frei. Er ist Israels Freiheit.
19. März 2023 4. Sonntag der Fastenzeit Diskussion nicht nötig
Es gibt da eine Erzählung im Johannesevangelium über die Heilung eines Blinden. Eigentlich ist sie viel zu lang für dieses Format; aber ich bin mutig und empfehle Ihnen jetzt mal, sich mitten hinein zu begeben in das Geschehen, ja mehr noch: nicht einfach nur ratlos von einem zum anderen zu blicken, sondern sich irgendeiner Gruppe oder Person zuzuordnen / anzuschließen.
Sie brauchen übrigens nicht traurig zu sein, wenn Sie das ganze Durcheinander am Ende nicht wiederholen können, die Geschichte ist ziemlich bizarr. Und nun stürzen wir uns tapfer ins Geschehen – versuchen Sie, sich alles konkret vorzustellen:
Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war.
Da fragten Ihn Seine Jünger: „Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde?“ Jesus antwortete: „Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden. Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“
Als Er dies gesagt hatte, spuckte Er auf die Erde; dann machte Er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: „Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach!“ Das heißt übersetzt: der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen.
Die Nachbarn und jene, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sagten: „Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte?“ Einige sagten: „Er ist es.“ Andere sagten: „Nein, er sieht ihm nur ähnlich.“ Er selbst aber sagte: „Ich bin es.“ Da fragten sie ihn: „Wie sind deine Augen geöffnet worden?“ Er antwortete: „Der Mann, der Jesus heißt, machte einen Teig, bestrich damit meine Augen und sagte zu mir: Geh zum Schiloach und wasch dich! Ich ging hin, wusch mich und konnte sehen.“ Sie fragten ihn: „Wo ist Er?“ Er sagte: „Ich weiß es nicht.“
Da brachten sie den Mann, der blind gewesen war, zu den Pharisäern.
Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. (Anm: das war am Sabbat verboten!)
Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei. Er antwortete ihnen: „Er legte mir einen Teig auf die Augen und ich wusch mich und jetzt sehe ich.“ Einige der Pharisäer sagten: „Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil Er den Sabbat nicht hält.“ Andere aber sagten: „Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun?“ So entstand eine Spaltung unter ihnen. Da fragten sie den Blinden noch einmal: „Was sagst du selbst über Ihn? Er hat doch deine Augen geöffnet.“ Der Mann sagte: „Er ist ein Prophet.“
Die Juden aber wollten nicht glauben, dass er blind gewesen und sehend geworden war. Daher riefen sie die Eltern des von der Blindheit Geheilten und fragten sie: „Ist das euer Sohn, von dem ihr sagt, dass er blind geboren wurde? Wie kommt es, dass er jetzt sieht?“ Seine Eltern antworteten: „Wir wissen, dass er unser Sohn ist und dass er blind geboren wurde. Wie es kommt, dass er jetzt sieht, das wissen wir nicht. Und wer seine Augen geöffnet hat, das wissen wir auch nicht. Fragt doch ihn selbst, er ist alt genug und kann selbst für sich sprechen!“ Das sagten seine Eltern, weil sie sich vor den Juden fürchteten; denn die Juden hatten schon beschlossen, jeden, der ihn als den Christus bekenne, aus der Synagoge auszustoßen. Deswegen sagten seine Eltern: „Er ist alt genug, fragt ihn selbst!“
Da riefen die Pharisäer den Mann, der blind gewesen war, zum zweiten Mal und sagten zu ihm: „Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist.“ Er antwortete: „Ob Er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Nur das eine weiß ich, dass ich blind war und jetzt sehe.“ Sie fragten ihn: „Was hat Er mit dir gemacht? Wie hat Er deine Augen geöffnet?“ Er antwortete ihnen: „Ich habe es euch bereits gesagt, aber ihr habt nicht gehört. Warum wollt ihr es noch einmal hören? Wollt etwa auch ihr Seine Jünger (= Anhänger) werden?“
Da beschimpften sie ihn: „Du bist ein Jünger dieses Menschen; wir aber sind Jünger des Mose. Wir wissen, dass zu Mose Gott gesprochen hat; aber von dem da wissen wir nicht, woher Er kommt.“
Der Mensch antwortete ihnen: „Darin liegt ja das Erstaunliche, dass ihr nicht wisst, woher Er kommt; dabei hat er doch meine Augen geöffnet. Wir wissen, dass Gott Sünder nicht erhört; wer aber Gott fürchtet und Seinen Willen tut, den erhört Er. Noch nie hat man gehört, dass jemand die Augen eines Blindgeborenen geöffnet hat. Wenn dieser nicht von Gott wäre, dann hätte er gewiss nichts ausrichten können.“ Sie entgegneten ihm: „Du bist ganz und gar in Sünden gebor n und du willst uns belehren?“ Und sie stießen ihn hinaus.
Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als Er ihn traf, sagte er zu ihm: „Glaubst du an den Menschensohn?“ Da antwortete jener und sagte: „Wer ist das, Herr, damit ich an ihn glaube?“ Jesus sagte zu ihm: „Du hast Ihn bereits gesehen; Er, der mit dir redet, ist es.“ Er aber sagte: „Ich glaube, Herr!“ Und er warf sich vor Ihm nieder.
Da sprach Jesus: „Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die nicht Sehenden sehen und die Sehenden blind werden.“ Einige Pharisäer, die bei ihm waren, hörten dies. Und sie fragten Ihn: „Sind etwa auch wir blind?“ Jesus sagte zu ihnen: „Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde.“ ( Anm: die Sünde der Pharisäer besteht in der Selbstgerechtigkeit) Johannes-Evangelium Kap. 9, Verse 1 ff
So hören sich Gespräche an, die völlig aneinander vorbeigehen. Hier gehen sie aneinander vorbei, weil der Geheilte einfach mal nur sagt, was ihm erstaunlicherweise an Gutem widerfahren ist, die Eltern reden aus Angst in stereotypen Sätzen, die Nachbarn sind auch nicht sehr hilfreich und die Pharisäer brauchen, koste es, was es wolle, eine Bestätigung ihres religiösen Weltbildes. Dazu dienen insistierende Fragen:
- Wie sind deine Augen geöffnet worden? Was hat Er gemacht?
- Wie kommt es, dass euer Sohn jetzt sieht?
- Wie kann er es wagen, am Shabbat heilen!
- Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun?
- Sind etwa (!) auch wir blind?! ....
Wenn die Pharisäer dann die Antworten bekommen, die sie hören wollen, ist ihre Welt beruhigenderweise wieder "in Döschen", alles wie gehabt und in Ordnung.
Bei Gott hingegen gibt es keine Fragen, deren Antworten alles schön beruhigend „beim Alten lassen“. Mit Gott breitet sich, oft unerwartet, das Heil im Leben eines Menschen aus – in Form von Heilung, Erkennen, Sehen (!). Gott offenbart sich im Leben eines Menschen und alles wird neu. Es gibt keine bekannten Antworten mehr auf alte Fragen, und dass Menschen aus zwei völlig verschiedenen Erfahrungswelten aneinander vorbeireden, ist eine Folge davon. Der, dem Gottes Heil geschah, schaut vieles im Leben anders an, sieht alles vor einem ganz anderen, tieferen Hintergrund.
Wenn dieses Gespräch eins zeigt, dann dies:
Gottes Handeln ist nicht erklärbar oder beweisbar, Gottes Handeln kann nicht argumentiert und braucht nicht diskutiert werden. Gott und Sein Heil für mich kann ich nur erfahren / erkennen, glauben und leben. Die Folgen der Offenbarung Gottes in meinem Leben sind Bekenntnis und Nachfolge, so gut es eben geht. Der Blinde legte Zeugnis ab vor den anderen und sagte zu Jesus: „Ich glaube, Herr.“
Das Gespräch zeigt aber auch noch etwas anderes – und das ist für uns heute hochaktuell:
Wie schwer ist es, inmitten von Kirche (für sie stehen die Pharisäer) das Wesentliche, Wichtige herauszufinden! Würde ich erkennen, dass der geheilte Blinde kein Wichtigtuer ist, sondern wirklich eine Gotteserfahrung hatte? Wie viele falsche Propheten laufen herum? Wie soll ich das eine vom anderen unterscheiden?
Und andererseits: Bin ich vor lauter religiösen Lehren und Vorschriften innerlich noch lebendig? Lebendig genug, um den Einbruch Gottes im Leben eines Menschen zu erkennen und anzunehmen? Oder fesseln mich Lehre und Vorschriften, ohne dass ich es bemerke, immer mehr?
Und auf andere Weise andererseits: Habe ich vielleicht schon alle Lehren und Vorschriften komplett über Bord geworfen und „baue mir meine Privatreligion zusammen“ – ohne das zu merken? Und ohne auf jene zu hören, die davor warnen? Ich kann Gottes Worte und Weisungen nicht beliebig auswählen, weglassen, umschreiben …
Darum beten, dass Gott uns zu Sehenden macht – das ist ein sehr wichtiges Anliegen in der österlichen Vorbereitungszeit.
12. März 2023 3. Sonntag der Fastenzeit Über alle Grenzen hinaus
Es ist eine meiner liebsten Schriftstellen. Johannes berichtet in seinem Evangelium, dass Jesus von Judäa hinauf nach Galiläa ging …
… Er (Jesus) musste aber den Weg durch Samarien nehmen.
So kam Er zu einer Stadt in Samarien, die Sychar hieß und nahe bei dem Grundstück lag, das Jakob seinem Sohn Josef vermacht hatte. Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Jesus war müde von der Reise und setzte sich daher an den Brunnen; es war um die sechste Stunde.
Da kam eine Frau aus Samarien, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: „Gib mir zu trinken!“
Seine Jünger waren nämlich in die Stadt gegangen, um etwas zum Essen zu kaufen.
Die Samariterin sagte zu Ihm: „Wie kannst du als Jude mich, eine Samariterin, um etwas zu trinken bitten?“ Die Juden verkehren nämlich nicht mit den Samaritern.
Jesus antwortete ihr: „Wenn du wüsstest, worin die Gabe Gottes besteht und wer es ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann hättest du Ihn gebeten und Er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.“
Sie sagte zu Ihm: „Herr, du hast kein Schöpfgefäß und der Brunnen ist tief; woher hast du also das lebendige Wasser? Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gegeben und selbst daraus getrunken hat, wie seine Söhne und seine Herden?“
Jesus antwortete ihr: „Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt.“
Da sagte die Frau zu Ihm: „Herr, gib mir dieses Wasser, damit ich keinen Durst mehr habe und nicht mehr hierherkommen muss, um Wasser zu schöpfen!“
Er sagte zu ihr: „Geh, ruf deinen Mann und komm wieder her!“
Die Frau antwortete: „Ich habe keinen Mann.“ Jesus sagte zu ihr: „Du hast richtig gesagt: Ich habe keinen Mann. Denn fünf Männer hast du gehabt und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann. Damit hast du die Wahrheit gesagt“.
Die Frau sagte zu Ihm: „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Unsere Väter haben auf diesem Berg Gott angebetet; Ihr aber sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten muss.“
Jesus sprach zu ihr: „Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. Ihr betet an, was ihr nicht kennt, wir beten an, was wir kennen; denn das Heil kommt von den Juden. Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden.
Gott ist Geist und alle, die Ihn anbeten, müssen im Geist und in der Wahrheit anbeten.“
Die Frau sagte zu Ihm: „Ich weiß, dass der Messias kommt, der Christus heißt. Wenn Er kommt, wird Er uns alles verkünden.“
Da sagte Jesus zu ihr: „Ich bin es, der mit dir spricht.“
…. Die Frau ließ ihren Wasserkrug stehen, kehrte zurück in die Stadt und sagte zu den Leuten:
„Kommt her, seht, da ist ein Mensch, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe: Ist Er vielleicht der Christus?“
Da gingen sie aus der Stadt heraus und kamen zu Ihm.
Johannes-Evangelium Kap. 4, Verse 1 ff
Jesus musste nicht den Weg durch Samarien nehmen; viele Juden haben auf ihrer Reise große Umwege in Kauf genommen, um Samarien zu meiden. Die Samaritaner galten den Juden nicht nur als abtrünnig, sondern auch als liderlich und „heruntergekommen“, ein Volk mit abscheulich sündiger Lebensführung. Das war nicht immer so; in der Vergangenheit hatte der gemeinsame Vorfahr Jakob dort Land erworben und einen Brunnen gebaut.
An diesem lässt Jesus sich also nieder; die Jünger verlassen den Ort – und somit ist die Gesprächssituation geschaffen, denn scheinbar ist auch niemand sonst außer der Frau am Brunnen zum Wasserholen.
Und nun entspinnt sich dieses Gespräch, an dem eigentlich alles falsch läuft. Die Frau selbst hebt das oft ins Wort. Sie spürt, dass Jesus und sie aneinander vorbeireden, bzw. dass Jesus trotz gleicher Worte offensichtlich etwas ganz anderes meint. Etwas, was sie erst nach und nach versteht: sie muss sich durch-fragen. Aber das macht sie nicht nur mit Interesse, sondern auch mit einer guten Portion Vorbildung. Statt gleich die Eröffnung Jesu „abzuschmettern“, fragt sie und fragt weiter und immer weiter. Und so sind beide im Gespräch schnell am Wesentlichen angekommen: an der Aufhebung aller Raum-Zeit-Grenzen in der himmlischen Anbetung Gottes zur „Stunde, die kommen wird“, nämlich dann, wenn die Welt in Gott vollendet wird.
Dass dieses Heil in Jesus bereits jetzt schon angebrochen ist, hat der Evangelist Johannes sehr schön ausgedrückt in den Worten: „Die Stunde kommt und sie ist schon da“.
Alles in allem enthält diese Begebenheit von der Frau am Jakobsbrunnen starke Aussage des Evangelisten. Hier sind einige:
1. Natürlich „musste“ Jesus auf Seiner Reise durch das abtrünnige Gebiet gehen – es war Sein Auftrag, allen Menschen nachzugehen, ohne Ansehen, Grenzen oder Denkweisen
2. Die Frau spricht von den Dingen dieser Welt, Jesus vom Himmelreich. Für die Frau ist Wasser zum Trinken und Waschen, bei Jesus ist Wasser Sinnbild für Lebenskraft – über den irdischen Sinn hinaus.
3. Die Frau kennt die Prophezeiungen; sie hat religiöses Grundwissen, das ihr beim Fragen und Verstehen hilft
4. Die Frau spricht von Grenzen und Unterschieden der Religion(en), Jesus vom grenzen-losen Leben, das der Geist Gottes schaffen wird
Egal, wo sich ein Mensch wann befindet, mit allem rechnet, aber bestimmt nicht damit, Jesus zu begegnen – wenn Gott es will, ereignet es sich.
Wenn dieser Mensch wie die Frau am Jakobsbrunnen verstanden hat, wird sie zu anderen Menschen gehen, von diesem Messias erzählen und andere Menschen zu Ihm führen. Nicht, weil sie fertige Antworten hat – die hatte auch die Frau am Brunnen nicht – sondern, weil ihr Herz erfüllt ist von der Begegnung mit Jesus!
Es ist Gott, der Antworten gibt und Einsicht, Begreifen und Verstehen schenkt.
Der Maler Sieger Köder hat ein sehr aussagekräftiges Bild von der Frau am Jakobsbrunnen geschaffen: Sie steht am Brunnenrand und schaut in das Wasser hinunter, auf dessen Oberfläche sie auch Jesus sieht.
Es wirkt wie eine Erfahrung auf dem Grund ihres Herzens, das diese Begegnung spiegelt.
Nachtrag:
Diese Schriftstelle ist keine Aufforderung oder Ermutigung, sich seine „Privatreligion zusammenzubasteln“, womöglich aus jeder Religion etwas Beliebiges. (Das ist übrigens auch anderen Religionen gegenüber respektlos!)
Ich denke, man muss in einer Religion verwurzelt sein. Unser Glaube speist sich auch von der Überzeugung, dass Gott sich geoffenbart hat: in Seinem Volk und in der Heiligen Schrift.
Das und die Schrift zu (er-)kennen und zu (er-)leben, ist eine lebenslange Aufgabe – und keine Philosophie, die man sich irgendwann einmal für sein Leben zurechtlegt.
5. März 2023 (2. Sonntag der Fastenzeit) Um Gottes willen!
Wenn ich im Auto hinter einem langsamen Fahrer herfahren muss – natürlich ohne Chance auf eine Überholmöglichkeit – denke ich: „Reg dich nicht auf. Er könnte Dein Schutzengel sein.“ Natürlich komme ich zu spät (oder zumindest sehr knapp), natürlich wollte ich eigentlich ungehindert durchrauschen, natürlich laufe ich als Beifahrer Gefahr, augenblicklich auf die Straße gesetzt zu werden, wenn ich diesen Schutzengel-Gedanken dem gestressten Fahrer neben mir laut mitteile.
Und trotzdem: der Mensch im Auto vor mir, der mich so nervt, könnte mein Schutzengel sein. Alles eine Frage des Blickwinkels. Und natürlich der Unbeweisbarkeit auf beiden Seiten.
Und von diesem kühnen Gedanken schlage ich jetzt einen noch kühneren Bogen zum Gottesdienst.
Ich höre immer wieder, dass Menschen sagen: „Warum soll ich in die Kirche / zur Messe gehen? Es bringt mir nichts.“ Ich glaube das auch. Aber immer, wenn ich diesen Satz höre, gehen in meinem Kopf die wunderbaren Musikklänge von Felix Mendelssohn-Bartholdy los, mit denen er den Psalm 95 vertont hat:
„Kommt, lasst uns jubeln dem HERRN, jauchzen dem Fels unsres Heils!
Lasst uns mit Dank Seinem Angesicht nahen, Ihm jauchzen mit Liedern!
Denn ein großer Gott ist der HERR, ein großer König über allen Göttern.
In Seiner Hand sind die Tiefen der Erde, Sein sind die Gipfel der Berge.
Sein ist das Meer, das Er gemacht hat, das trockene Land, das Seine Hände gebildet.
Kommt, wir wollen uns niederwerfen, uns vor Ihm verneigen,
lasst uns niederknien vor dem HERRN, unserem Schöpfer!
Denn Er ist unser Gott, wir sind das Volk Seiner Weide,
die Herde, von Seiner Hand geführt …“ Psalm 95, Verse 1 ff
Vielleicht neigen wir Menschen manchmal zu schnell oder zu vordergründig dazu, eine Art Kosten – Nutzen – Rechnung aufzustellen. Ich finde das zwar sehr verständlich, weil wir alle ja im Alltag viel managen, schaffen, leisten und einfach „hinbekommen müssen“; aber Kosten und Nutzen sind keine Vokabeln Gottes.
Und da hilft es, den Blickwinkel einmal auf gründliche Weise zu wechseln:
am Gottes-Dienst (!!!) teilnehmen, nicht, weil man etwas davon hat, sondern, weil man zu diesem großen Schöpfer-Gott etwas hintragen möchte.
Natürlich besteht die Möglichkeit,
- dass uns Gottes Wort anspricht, aufbaut, ermutigt, erklärt
- dass die Predigt uns gar nicht angesprochen hat – aber für den Menschen neben uns war sie goldrichtig!
- dass die Gemeinschaft der Menschen in der Gemeinde uns guttut
Aber da sind wir ja schon wieder bei einer „emotionalen“ Kosten-Nutzen-Rechnung.
Nein, einfach den Gottesdienst mitfeiern, um Gott die Ehre zu geben!
Vielleicht eine gute Übung für die Fastenzeit: den Blick einmal von mir weg auf Gott richten.
Übrigens: im Gottes-Dienst Gott die Ehre zu geben ist keine "Augenblicksaufnahme" im Leben, sondern ein Weg - ein Weg, auf dem etwas geschieht. Aber die Erfahrung kann jeder auf seine Weise machen.
26. 2. 2023 (1. Sonntag der Fastenzeit) Unfassbar!
Es gibt im Alten Testament diese vordergründig furchtbare, unfassbare Erzählung von der Opferung des Isaak: Abraham, dem Gott die Verheißung auf zahlreiche Nachkommen gegeben hatte, soll seinen Sohn, „seinen einzigen, den du liebst“, Isaak, als Brandopfer darbringen. Abraham gehorcht, geht mit seinem Sohn zum Berg Morijah, beantwortet die Frage seines Sohnes nach einem Opfertier ein wenig ungenau - und das alles in dem Wissen, dass es die so wichtigen Nachkommen nach menschlichem Ermessen niemals geben wird.
„ … Als sie an den Ort kamen, den ihm Gott genannt hatte, baute Abraham dort den Altar, schichtete das Holz auf, band seinen Sohn Isaak und legte ihn auf den Altar, oben auf das Holz. Abraham streckte seine Hand aus und nahm das Messer, um seinen Sohn zu schlachten. Da rief ihm der Engel des HERRN vom Himmel her zu und sagte: „Abraham, Abraham!“ Er antwortete: „Hier bin ich.“ Er (der Engel) sprach: „Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen Sohn, deinen einzigen, nicht vorenthalten.“
Abraham erhob seine Augen, sah hin und siehe, ein Widder hatte sich hinter ihm mit seinen Hörnern im Gestrüpp verfangen. Abraham ging hin, nahm den Widder und brachte ihn statt seines Sohnes als Brandopfer dar.
Abraham gab jenem Ort den Namen: "Der HERR sieht", wie man noch heute sagt: "Auf dem Berg lässt sich der HERR sehen."
Buch Genesis, Kap. 22, Verse 9 ff
Wenn man den Text ein zweites Mal liest, wird einem wahrscheinlich bewusst, dass es nicht nur ernste, große Fragen, sondern auch sehr, sehr viele Brüche in ihm gibt, die vieles unklar oder unlogisch erscheinen lassen.
Textbrüche deuten immer darauf hin, dass das Hauptthema einer Erzählung nicht unbedingt das vordergründig angenommene ist. Nun, diese Geschichte hat sehr viele Hauptthemen und man könnte ganze Bibliotheken über sie füllen.
Deshalb möchte ich Ihnen in diesem kleinen Rahmen nur sagen, was mich an dieser Erzählung sehr berührt:
Nein, Gott sei Dank geht es nicht um Menschenopfer. Das Vertrauen, das Gott von Abraham erwartet, ist unfassbar groß, geht über das normale menschliche Maß weit hinaus. Aber entspricht es nicht der weit über das Menschliche hinausreichenden Größe Gottes? Wie oft erlebe ich, dass Gott von Menschen „klein geredet“ wird; so, dass Er angenehm menschlich erscheint und keine Fragen, Zumutungen und Ansprüche mehr offenlässt. Aber das ist nicht richtig. Die Größe und Unfassbarkeit Gottes entspricht der Größe einer Ewigkeit, der Größe Seiner Schöpfung, des Universums, aber auch der unheimlichen Macht des Todes – das sind die Bezugsgrößen, in denen Menschen von Gott reden und denken müssten. Dass Gott uns begleitet, unser Vater ist, für uns da ist, uns behütet – das alles berechtigt uns nicht, nur menschlich eingeschränkt von Ihm zu denken und zu reden und auf alles eine Antwort zu haben und mit unserem Glauben "glatt durchzukommen".
1. Die Wucht dieser Abraham-Geschichte entspricht ganz der wirklichen Größe Gottes: sie sprengt menschliche Grenzen und unser Vorstellungsvermögen. Und fordert uns auf, unser Vertrauen auf Gott immer wieder zu üben und über unsere Grenzen hinauszutragen.
2. Die Erzählung wird „Opferung des Isaak“ genannt. Aber im hebräischen Originaltext heißt sie „Bindung des Isaak“: Und dieser Begriff "Bindung" offenbart den eigentlichen Sinn eines Opfers: es bindet uns an Gott, es bringt uns Ihm nahe.
Das Opfer auf dem Berg Morijah ist somit - ohne den Tod des Isaak - vollzogen worden: Abraham hat die Bereitschaft aufgebracht, sein Herz bedingungslos und ohne Einschränkung an Gott zu binden.
Vielleicht sind das gute Übungen für die Fastenzeit, die Vorbereitungszeit auf Ostern:
Gott groß denken und um Vertrauen auf Ihn und um die Bereitschaft zur Herzensbindung an Ihn ringen – auch, wenn es uns schwerfällt und wir nicht den ganzen Sinn erkennen können. Der Berg ist übrigens das Sinnbild dafür, sich zu Gott empor heben zu lassen!
19. Februar 2023 (Karneval) Die wahre Freude ist eine ernste Sache
Das ist jetzt mal kein Bibelwort – das folgt am Ende meiner Ausführungen - sondern eine Weisheit des römischen Philosophen Lucius A. Seneca. Und sie fällt mir ausgerechnet am Karnevalswochenende ein! Nein, nein, ich will beileibe niemandem den Karneval vermiesen – irgendwo in den vergangenen Tagen habe ich im Vorbeigehen ein Zitat von irgendwem aufgeschnappt, dass der Karneval eine Art kollektiver Lockerungsübung sei. Na, wenn ich mir das närrische Treiben hier auf den Straßen so anschaue, dann ist das eine sehr passende Beschreibung.
Neben diesem saisonbedingten heiteren Narrenwesen auf den Straßen lohnt es sich schon, einmal über die Freude an sich nachzudenken.
Vielleicht könnte man sagen: Der Freude liegt ein großer Wert zugrunde, sie ist tief verankert im Wesen eines Menschen – und nicht selten hat sie ein Zwillingsgeschwister: den Dank.
Wenn es im Leben schwere Zeiten und Erschütterungen gibt, steht einem die Freude nicht ins Gesicht geschrieben, aber sie ist da! Mir wird das immer bewusst, wenn Familien bei der Beerdigung eines alten Angehörigen trotz allem Abschiedsschmerz ein Danklied für Gott als dem Schöpfer und Geber dieses guten und langen Lebens singen. Ein Christ hat einmal das Wort von der „schweren Freude“ geprägt.
Die echte, tiefe Freude ist eine immense Lebenshilfe. Sie ist nicht der Spaß, der schnell kommt und auch schnell wieder vergeht. Sie ist wie eine starke Grundströmung im Menschen und nährt ihn dauerhaft mit Hoffnung, Mut und Lebenskraft und motiviert ihn zum Handeln.
In der Bibel wird sehr anschaulich berichtet, wie das Volk Israel aus der babylonischen Gefangenschaft heimkehrte und sich bemühte, in der alten Heimat wieder Fuß zu fassen und sesshaft zu werden. Das Volk bat den Priester Esra, das Buch mit den Geboten Gottes zu holen und ihm daraus vorzulesen.
Man las aus dem Buch, der Weisung Gottes (Thora), in Abschnitten vor und gab dazu Erklärungen, sodass die Leute das Vorgelesene verstehen konnten. Nehemia, der Priester und Schriftgelehrte Esra und die Leviten, die das Volk unterwiesen, sagten dann zum ganzen Volk: „Heute ist ein heiliger Tag zu Ehren des HERRN, eures Gottes. Seid nicht traurig und weint nicht!“ Alle Leute weinten nämlich, als sie die Worte der Weisung hörten. Dann sagte er zu ihnen: „Nun geht, haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein! Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben; denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre unseres Herrn. Macht euch keine Sorgen; denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.“ …
Da gingen alle Leute weg, um zu essen und zu trinken und auch andern davon zu geben und um ein großes Freudenfest zu begehen; denn sie hatten die Worte verstanden, die man ihnen verkündet hatte.
Buch Nehemia Kap. 8, Verse 8 ff
Die Freude an Gott ist Kraftquelle für unser Leben. Sie will genährt werden mit dem Wort Gottes, der Heiligen Schrift. Und sie soll gelebt und geteilt werden: in Gemeinschaft mit allen anderen Menschen, die auch glauben.
12. Februar 2023 Immer für das Leben!
Das Mitleid der Welt mit den Erdbebenopfern in der Türkei und Syrien ist riesig; es äußert sich in einer Welle der Hilfsbereitschaft. Tausende notleidende Menschen müssen nicht nur ihre eigenen Verletzungen ertragen und sind einem eisigen Winter ohne schützendes Dach über dem Kopf ausgesetzt, sondern sie haben auch noch unermesslichen Schmerz durch den Tod ihrer Lieben erlitten. Wer soll mit so viel Leid klarkommen?
Eine Tageszeitung sprach von einer „Katastrophe biblischen Ausmaßes“ (RP 9.2.23) und berichtete von einem türkischen Geologen, der unter Tränen erzählte, wie sehr und wie oft er – zuletzt drei Tage vor der Katastrophe – vor diesem Erdbeben in gerade dieser Region gewarnt habe; und nicht nur er, sondern auch andere Wissenschaftler im Land. (RP 8.2.23)
Mich als Leser erinnert das an einen biblischen Text, der heute in den Gottesdiensten gelesen wird und an den einzelnen Menschen gerichtet ist.
Wenn du willst, kannst du das Gebot halten; Gottes Willen zu tun, ist Treue.
Feuer und Wasser sind vor dich hingestellt: streck deine Hände aus nach dem, was dir gefällt.
Der Mensch hat Leben und Tod vor sich; was er begehrt, wird ihm zuteil …
Keinem gebietet Er (Gott), zu sündigen und die Betrüger unterstützt er nicht.
Jesus Sirach, Kap. 15, Verse 15 ff
Nein, diese unfassbar vielen Toten und verletzten Leidenden hatten keine Wahl zwischen Leben und Tod. Sie haben alles erlitten, es ist ihnen widerfahren. Sie wurden von denen, die Verantwortung und Macht genug hatten, um die Katastrophe abzumildern, ausgeliefert. Diese Verantwortlichen hätten sich für das Leben so vieler entscheiden müssen. Sie waren gewarnt, sie hätten so viel Leben schützen müssen!
Vielleicht können uns dieser Schrifttext und der Zeitungsbericht über den erschütterten Geologen zwei Aspekte nicht nur in christlicher Hinsicht, sondern auch im Allgemeinen neu bewusst machen:
1. Alles, was wir tun und reden, dient entweder letztlich dem Leben – oder es behindert, verhindert oder zerstört Leben. Und das betrifft nicht erst Naturkatastrophen, sondern schon viele kleine Situationen an jedem einzelnen Tag, in denen ich für andere Leben-fördernd oder Leben-erschwerend agiere!
2. Auch unbeliebte Warnungen, die wir nicht hören wollen (in der Bibel von „Rufern in der Wüste“ und von Propheten ausgesprochen) sind ein Ruf zum Leben – heute dringender denn je! Danken wir denen, die mahnen; es ist eine schwere, undankbare Aufgabe, die sie leisten! (Stichwort: Klimawandel)
Unser Schöpfergott ist ein Gott des Lebens! Mit Seinen Weisungen (Geboten) bietet Er dem Menschen einen Weg zum Leben-können, zum Lebendig-sein und letztendlich auch zur Freude an. Wir können uns an jedem Tag neu für das wirklich lebendige Leben entscheiden und dazu, dem Leben aller bewusst zu dienen, soweit uns das möglich ist.
29. Januar 2023 Selig seid ihr
Ich finde es immer erhebend – im wahrsten Sinne des Wortes! – wenn im Gottesdienst die Seligpreisungen vorgetragen werden. Sie stehen am Beginn des Evangeliums, das Matthäus geschrieben hat, bilden den Anfang der berühmten „Bergpredigt“ und werden oft als eine Art „erbaulicher“ Text wahrgenommen; Worte, die nicht so ganz genau zu nehmen sind, sondern mehr atmosphärisch aufgefasst werden sollen.
Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg Er auf den Berg. Er setzte sich und Seine Jünger traten zu Ihm. Und Er öffnete Seinen Mund, Er lehrte sie und sprach:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.
Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen.
Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.
Matthäus-Evangelium, Kap. 5, Verse 1 ff
Matthäus war der Evangelist, der über die Christengemeinden der Frühzeit geschrieben hat. Diese Schriftstelle ist wahrhaftig kein „erbaulicher“ Text. Sie richtet sich nicht nur "an irgendwie alle Menschen dieser Erde", sondern ganz besonders an die Christen dieser frühen Gemeinden, die in schwerer Bedrängnis standen! Matthäus tröstet diese Menschen, die die christlichen Ideale der Armut, Barmherzigkeit, Sanftmut, Nächstenliebe, Friedensbemühungen schon ganz konkret leben und für ihren Glauben an Gott Verfolgung, Gefahren und Ungerechtigkeiten erdulden. Der Evangelist gibt ihnen Mut und Zuversicht: es ist nicht umsonst und vor allem nicht sinnlos, auch wenn alles danach aussieht! Es gibt noch eine andere Seite dieser Welt – das Gottesreich, für das sie sich entschieden haben. Und dieses wirkliche Gottesreich wird für sie genauso erfahrbar (werden) wie ihr jetziges Leben.
Das ist die himmlische Seite dieser Seligpreisungen.
Aber es gibt auch die konkret-irdische Seite:
Das für mich „Erhebende“ an diesen Seligpreisungen ist die Gewissheit, dass ich als einzelner Mensch immer, überall und zu jeder Zeit hier und sofort beginnen kann, auf diese Weise zu leben. Mit meinem nächsten Gedanken, mit meiner nächsten Tat, mit meinem nächsten Wort kann ich mich in die Reihen derer begeben, die diesem Jesus glauben und nachfolgen. Ich muss niemandem für Ehre und Ansehen hinterherlaufen, ich muss mir nicht von Wirtschaftsmächtigen oder Gruppenzwängen sagen lassen, was ich angeblich alles brauche und ich muss auch nicht nach Macht greifen, um über andere herrschen zu können.
Die Seligpreisungen Jesu sind das Kernstück Seiner Botschaft. Sie bedeuten die Umkehrung sämtlicher von Menschen angestrebten Werte und stellen den oft harten, egoistischen Maßstab jeder menschlichen Gesellschaft heilsam auf den Kopf.
Die Bibel wurde in eine konkrete geschichtliche Situation hineingeschrieben, aber sie ist das Wort Gottes durch alle Zeiten hindurch für alle Menschen. So gelten auch die Seligpreisungen allen Menschen: vor allem denen als Trost und Ermutigung, deren Entscheidung für Gott schlimme Konsequenzen hat; wenn man einmal einen Augenblick innehält und sich vor Augen führt, dass Christen weltweit die am meisten verfolgten Glaubenden sind, dann liest man diese wirklich Not-wendenden Tröstungen vielleicht mit anderen, bitterernsten Augen. Und hier möchte ich innehalten und ALLER Menschen gedenken, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden!
Die Seligpreisungen sind auch für alle Nichtglaubenden ein werbendes Angebot, diesem Jesus aus Nazareth nachzufolgen, dessen Macht allein aus Liebe und Barmherzigkeit besteht.
Denn nur diese Macht wird die Menschen retten.
22. Januar 2023 … erzählen will ich all Deine Wunder
„Ja, mal ehrlich: was sollen denn diese Wundererzählungen in der Bibel? Soll ich die etwa glauben?“ So sprach es recht ungehalten eine Kollegin aus alten Studientagen durch’s Telefon zu mir. Mir macht eine solche ziemlich entrüstete Aussage einmal mehr deutlich, dass man hin und wieder auch mal über Wunder reden muss, um den Umgang mit ihnen aufzufrischen.
Reden wir also über Wunder.
Ich hatte vor Jahrzehnten einen blinden kleinen Orgelschüler. Er war ein sehr aufgeweckter Junge, dem man nichts vormachen konnte. Bei einer Tasse Kaffee erzählte mir seine lebensfrohe Mutter: „Ich wollte mit meinem Mann und meinem Kind nach Lourdes fahren. Als ich das meinem Sohn sagte und ihm erklärte, dass in Lourdes die Gottesmutter Maria drei Kindern erschienen sei, meinte er, er habe keine Lust, und wenn Maria ihm etwas sagen wolle, dann könne sie ja auch daheim in unserer Küche erscheinen. Dafür brauche er nicht durch halb Europa zu reisen. Aber schließlich hat er meinen Wunsch doch erfüllt und wir sind zu dritt hingefahren.“
Dann war die Frau still und fuhr eine Weile später fort: „Ich weiß gar nicht, was ich da erwartet habe – mein Sohn hatte keine Chance auf Heilung, weil er gar keine Augen hatte. Wie hätte er also sehen können sollen? Und doch ist etwas Seltsames mit uns geschehen: wir haben alle dort unseren Frieden und vor allem unsere Lebensfreude gefunden. Jahrelang waren wir niedergedrückt, reizbar, gestresst und traurig wegen unseres blinden Kindes. Dort fiel alles von uns ab. Wie verwandelt kamen wir zurück, ohne überhaupt über all das geredet zu haben. Und seitdem sind uns die Freude und der Friede geblieben. Wir haben ein Wunder erlebt, obwohl wir überhaupt keines erwartet haben. Unser Leben ist seitdem einfach nur schön.“ Und so ist es geblieben. Mit dieser Lebensfreude hat mein Orgelschüler seinen Weg gemacht, hat Familie, einen selbstständigen Beruf und ist immer guter Dinge.
Heilung eben. Eine überhaupt nicht erwartete Heilung von Last, Mühsal, Freudlosigkeit und Streit.
Mit Jesu Kommen ist das Reich Gottes unter den Menschen angebrochen; Sein Leben steht immer in Verbindung mit Heilung. Und Seine Wunder – wie auch immer sie geschehen – bedeuten Heilung für die Menschen.
Jesu Wunder stehen nicht für Budenzauber, Beweise, Magie oder Imponier- und Machtgehabe. Wenn Menschen aus diesen Gründen von Jesus Wunder sehen wollten, hat Er das verweigert:
Da kamen die Pharisäer und begannen ein Streitgespräch mit Ihm (Jesus); sie forderten von Ihm ein Zeichen vom Himmel, um Ihn zu versuchen. Da seufzte Er im Geist auf und sagte: „Was fordert diese Generation ein Zeichen? Amen, ich sage euch: Dieser Generation wird niemals ein Zeichen gegeben werden.“ Und Er verließ sie, stieg in das Boot und fuhr ans andere Ufer.
(Markus-Evangelium Kap. 8, Verse 11 f)
Die Wunder, die Jesus tut, dienen der Heilung von Menschen.
Und noch eines fällt in den biblischen Wunderberichten auf: die Menschen, die Jesus um etwas bitten, haben Hoffnung, (ringen um) Glauben und Offenheit: sie sagen Jesus nicht, was Er tun soll. (siehe oben: „Ich weiß gar nicht, was ich da erwartet habe …“)
Wir haben alle ein Wunder erlebt, als 1989 die Mauer in Deutschland fiel. Da standen Menschenmengen gegen ihre Unterdrücker auf - in vielen Städten des Landes, gleichzeitig. Und da war niemand, der zu Hass und Gewalt aufrief. Viele beteten. Alle mahnten sich gegenseitig zu Frieden und Gewaltlosigkeit. Sie riefen: "Polizisten, reiht euch ein!" und "Nehmt Kerzen in eure Hände, dann könnt ihr keine Steine werfen!" Keine Gewalt!" Da waren Menschen, die bewaffneten Soldaten die Hand reichten – in dem Wissen, dass 156 Menschen vor ihnen von Soldaten gnadenlos erschossen worden waren. Es gab damals fertig vorbereitete Einsatz- und Schießbefehle, stadtnah eingerichtete Haftplätze für Widerständler. Aber es gab auf einmal auch Polizisten und Soldaten, die den Befehl ignorierten, die sich weigerten, auf das eigene Volk zu schießen. Da verlor unter zehntausenden von Menschen keiner die Nerven und schoss wütend oder kopflos um sich. Da setzten sich, von Stadt zu Stadt, von Kilometer zu Kilometer Frieden und Freude durch. Die bisher unüberwindbare Mauer wurde zur Super-Aussichtplattform und der beste Boden unter den Füßen für Freudentänze ... Für ein derartig großes Ereignis wirkt das Wörtchen "Zufall" doch sehr mickrig, nicht wahr? Nichts von alledem war geplant gewesen; das Volk hatte einen Weg begonnen, dessen Verlauf völlig unvorhersehbar war. Und keiner hatte dieses unfassbare Riesenwunder kommen sehen, niemand hätte das je auch nur zu träumen gewagt! Heilung eben - und Offenheit und Glaube. Und Gottes Engel, die ein Blutbad verhinderten.
„Wunder ist, wenn das Alltägliche sich plötzlich in einem anderen Licht zeigt, sich dadurch öffnet und neu gesehen wird.“
Jehuda Bacon, KZ - Überlebender und Maler
Ich schließe meine Betrachtungen mit der Anregung, im eigenen Leben nach solchen heilenden Wundern Ausschau zu halten - und schließe mit einem anderen Bibeltext: Ich will danken, HERR, aus ganzem Herzen, erzählen will ich all Deine Wunder.
Ich will mich an Dir freuen und jauchzen, Deinem Namen, Höchster, will ich singen. Psalm 9, Verse 2 f
15. Januar 2023 Am Anfang schuf Gott …
Von jungen Jahren an lehrte man mich im Deutschunterricht, dass ich Satzanfänge mit dem Wort „Und“ nach Möglichkeit vermeiden oder nur sehr selten schreiben sollte; und dass ich nicht immer dieselben Wortwendungen gebrauchen sollte.
Und dann höre ich sonntags in der Kirche diesen Schöpfungsbericht, der vor „Und“ und sich wiederholenden Redewendungen nur so wimmelt. Und hier sollte das scheinbar überhaupt nicht schlecht sein. Auch Jahrzehnte später las ich den Schöpfungsbericht immer mit einem gewissen Erstaunen; ein so gleichförmiger, komplett unaufgeregter Text bei so einer Riesensache wie der Erschaffung der Welt! Das empfand ich als krassen Widerspruch.
Die Erde war wüst und wirr und Finsternis lag über der Urflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser. Gott sprach: „Es werde Licht.“ Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Und Gott schied das Licht von der Finsternis. Und Gott nannte das Licht Tag und die Finsternis nannte Er Nacht.
Es wurde Abend und es wurde Morgen: erster Tag.
Dann sprach Gott: "Es werde ein Gewölbe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser." Gott machte das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb des Gewölbes. Und so geschah es. Und Gott nannte das Gewölbe Himmel.
Es wurde Abend und es wurde Morgen: zweiter Tag.
Dann sprach Gott: "Es sammle sich das Wasser unterhalb des Himmels an einem Ort und das Trockene werde sichtbar." Und so geschah es. Und Gott nannte das Trockene Land und die Ansammlung des Wassers nannte er Meer. Gott sah, dass es gut war.
Dann sprach Gott: "Die Erde lasse junges Grün sprießen, Gewächs, das Samen bildet, Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte tragen mit Samen darin auf der Erde." Und so geschah es. Die Erde brachte junges Grün hervor, Gewächs, das Samen nach seiner Art bildet, und Bäume, die Früchte tragen mit Samen darin nach ihrer Art. Gott sah, dass es gut war.
Es wurde Abend und es wurde Morgen: dritter Tag.
Dann sprach Gott: "Lichter sollen am Himmelsgewölbe sein, um Tag und Nacht zu scheiden. Sie sollen als Zeichen für Festzeiten, für Tage und Jahre dienen. Sie sollen Lichter am Himmelsgewölbe sein, um über die Erde hin zu leuchten." Und so geschah es. Gott machte die beiden großen Lichter, das große zur Herrschaft über den Tag, das kleine zur Herrschaft über die Nacht, und die Sterne. Gott setzte sie an das Himmelsgewölbe, damit sie über die Erde leuchten, über Tag und Nacht herrschen und das Licht von der Finsternis scheiden. Gott sah, dass es gut war.
Es wurde Abend und es wurde Morgen: vierter Tag…. usw. usf. (Buch Genesis, Kap. 1, Vers 1 ff)
Natürlich war diese Darstellung nicht wortwörtlich zu verstehen. Gott schuf nicht an sechs Tagen die Welt. Um die wissenschaftliche Seite des Ganzen ging es scheinbar gar nicht. Mir blieb die Gleichförmigkeit des Textes rätselhaft – sie erschien mir irgendwie bleiern.
Bis ich diese Worte eines Tages in einer Lesung von einem Künstler wunderbar vorgetragen hörte! Dieses Hörerlebnis öffnete mir Augen und Ohren und ich begriff:
Es ging nicht darum, zu beschreiben, wie unsere Welt entstand. Es ging darum, zu erkennen, was unsere Schöpfung ausmacht: Gott schuf den ordnenden Rhythmus. Er setzte alles, was „wüst und wirr“ und in Finsternis beziehungslos dalag, in ein Verhältnis und in eine lebendige Beziehung zueinander, Er ordnete alles aufeinander zu – im Licht Seiner Weisheit und mit Liebe zu dem, was Er schuf. So konnte Leben gedeihen. Es entwickelte sich aus Zuordnung und ausgeglichenen Rhythmen von allem zu allem und entsteht ständig neu. Unsere Schöpfung ist heute so bedroht, weil der Mensch diese Zuordnungen und Rhythmen pausenlos und grundlegend zerstört und damit Leben vernichtet.
Vielleicht ein guter Vorsatz für das neue, noch junge Jahr: Sich mehr einzulassen auf das, was wir an heilsamer, rhythmisch geordneter Lebensweise aus der Schöpfung von ihrem Schöpfer lernen können?
8. Januar 2023 Mit Ochse und Esel wieder in den Alltag
Ich kenne eine Krippe in einer Gemeinde, an der ein Alpaka steht – ein Gastgeschenk der Partnergemeinde in Mexiko. Und ich kenne eine Familienkrippe, an der jede Menge Hunde und Ponies stehen; diese Tiere sind das Ein und Alles der Kinder des Hauses. Schön, solche persönlichen Statements neben dem Kind im Stall zu sehen. Sie haben eine individuelle Bedeutung und stehen im Zusammenhang mit den Menschen, die die Krippe aufgebaut haben. Oft weisen sie auf etwas hin, was diesen Menschen wichtig ist.
Hört, ihr Himmel, horch auf, Erde! Denn der HERR hat gesprochen:
„Ich habe Söhne großgezogen und emporgebracht, doch sie sind mir abtrünnig geworden.
Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn;
Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht ...“
(Buch Jesaja Kap. 1, Vers 2f)
Und schon stehen wir wieder mitten im täglichen, anstrengenden Einerlei – aber mit Weihnachten im Herzen und dem Bild von Ochse und Esel direkt neben der Krippe vor unseren Augen.
Neujahr 2023 Unsichtbar, unhörbar - und doch wirklich da!
Vielleicht haben Sie auch schon die Erfahrung gemacht, dass man etwas kennenlernt, was man sehr schön, sinnvoll oder anregend findet. Man ist davon eine Weile beeindruckt und hat es vor Augen, aber der vollgepackte und dicht gedrängte Alltag mit seinen 1000 Anforderungen schafft es, dass am Ende von diesem Neuen in der Erinnerung nur noch so ein Gerüst stehen bleibt. Man erinnert sich noch an etwas, hat noch (manchmal nebulöse) Vorstellungen – und hat doch das Wichtigste aus dem Blick verloren.
So kann das auch mit dem Glauben geschehen. Und manchmal – wenn ich den Menschen so zuhöre – denke ich, dass es vielen Menschen geschieht (auch mir): wir erinnern uns an Geschichten, Gebote, lange Messen, Einschränkungen – und haben das Wesentliche, Wichtigste und Kostbarste des Glaubens aus den Augen und aus dem Sinn verloren.
Was das Kostbarste und Wichtigste am Glauben ist? Das Vertrauen auf Gott.
Nein, das ist nicht so einfach, wie es sich gerade anhört. Es ist schwerer: ich muss mich immer wieder daran erinnern und mir Zeit nehmen, um es ganz bewusst zu praktizieren. Sonst verdunstet es unmerklich.
Und ich muss mich immer wieder im Gebet und in der Heiligen Schrift aufhalten, um dieses Vertrauen auf Gott lebendig zu halten. Dann kann ich die wunderbare Erfahrung machen, die der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer in der Todeszelle in seiner - menschlich gesehen trostlosen! - Situation in einem Brief an seine Verlobte Maria beschrieb:
"Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes, unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat … Du darfst also nicht denken, ich sei unglücklich ..."
Auch in seinem berühmten Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ hat Bonhoeffer von dieser nicht-materiellen, aber sehr wohl wirklichen Welt geschrieben:
"Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so lass uns hören jenen vollen Klang der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet …."
Achten wir darauf, dass alles, was wir beten, tun, bauen, lesen, sprechen und singen, von Kostbarkeit und Gehalt für diese andere Wirklichkeit ist. Und vertrauen wir Gott, dass Er dieses „große, unsichtbare Reich“, diese andere, gleichzeitige Wirklichkeit mit uns gemeinsam baut und sie uns erfahren lässt, indem Er da ist und uns trägt, „wenn es eng wird“.
Und wenn wir diese Glaubenserfahrung machen: bezeugen wir sie, um uns gegenseitig im Glauben zu ermutigen und zu stärken!
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein gutes neues Jahr 2023 mit Gottes reichem Segen!
Liebe Leserinnen und Leser,
auf dieser Seite sind meine Geistlichen Gedanken für das ganze Kirchenjahr. Wenn Sie nach ganz unten scrollen, so können Sie dort meinen Beitrag zum Weihnachtsfest 2022 lesen.
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Christkönigsfest 2022 Der Königsweg
Wir leben in einer Zeit, in der alles sehr diffizil, kompliziert, vielschichtig und was weiß ich nicht alles zu sein scheint. Auch viele Probleme und vor allem ihre Lösungen, nach denen wir uns oft sehnen, scheinen äußerst schwierig, verzwickt, verwickelt, heikel und noch vieles mehr zu sein.
Ein sehr häufig gebrauchter Ausspruch in diesem Zusammenhang lautet: „Das ist alles nicht so einfach.“
Und wir glauben das. Wir erfinden auch Worte, die das widerspiegeln: den komplizierten (und schillernden) Begriff „Diversifizieren“ z. B. gab es bis vor kurzem gar nicht – zumindest nicht in unserer Alltagssprache.
Jesus zeigt den Menschen einen Weg, der zwar schwer ist, aber nicht diffizil, kompliziert, verwickelt ...:
Da sagte Jesus zu Seinen Jüngern: „Die Könige herrschen über ihre Völker und die Vollmacht über sie haben, lassen sich Wohltäter nennen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch soll werden wie der Jüngste und der Führende soll werden wie der Dienende.“
Evangelium nach Lukas, Kap. 22, Verse 24 ff
Was Jesus hier denen, die Ihm nachfolgen, aufträgt, ist die totale Umkehrung eines Maßstabs, der weltweit jahrtausendelang verbreitet war und praktiziert wurde. Solange Menschen auf der Erde sind, wurden und werden – bewusst und unbewusst – Einteilungen vorgenommen in Herrschende und Dienende. Dieses Verhalten finden Sie bei Paaren, in Familien, in Gruppen, in der Kirche, am Arbeitsplatz, in Völkern und zwischen Nationen.
Der gänzliche Verzicht darauf, sich Herrschaft und Macht anzueignen – das war nicht nur damals eine Tollkühnheit und echte Zumutung.
Und doch ist diese Zumutung Jesu ein lohnenswerter Weg:
Beobachten Sie einmal in Ihrer alltäglichen Umwelt, wie viele Konflikte sich allein daran entzünden, dass jemand über einen anderen herrschen möchte, auch wenn man das auf den ersten Blick gar nicht sofort wahrnimmt, sondern es erst bemerkt, wenn man die Situation einmal tiefgehender betrachtet. Es sind Unmengen von kleinen und großen Verletzungen und Streitigkeiten, die dadurch entstehen – in privaten und in beruflichen Bereichen. Und man kann über vieles beim anderen herrschen: über Meinungen, über Arbeitsbereiche, über Eigentum, über seine Freiheit, seine Zeit und Kraft …
Nun ist es ja ganz sinnvoll, nicht immer zuerst auf die anderen zu schauen, sondern eher bei sich selbst anzufangen. Also mein nächster Vorschlag: beobachten Sie sich einen Tag lang bei all dem, was Sie tun, und fragen Sie sich einfach mal nur 12 Stunden am Tag in jeder Situation: "Will ich gerade herrschen oder dienen?" Am Ende dieses einen Tages werden Sie möglicherweise schlagkaputt sein und vielleicht viele neue Perspektiven gewonnen haben.
Solch ein grundsätzlicher Paradigmenwechsel, wie Jesus ihn lehrt, ist tatsächlich sehr anstrengend.
Dem anderen zu dienen, heißt nicht, willfährig zu sein, zu allem ja zu sagen oder an einem "Helfersyndrom" zu leiden. Aber es will ehrlich und abgewogen sein.
Frieden – in allen Bereichen – kostet: möglicherweise viel Überwindung, ständiges Abwägen und harte Kurswechsel! Wir werden nicht alle Probleme lösen können. Und sehr viele Menschen schleppen ja auch Verletzungen aus der Vergangenheit mit sich herum - Wunden und Lasten, die sich nicht einfach mal so in Luft auflösen. Das erschwert auch manches. Aber wir werden auf einen guten Weg kommen und ihn weitergehen, wenn unsere erste und wichtigste Frage, die wir uns im Stillen vorlegen, immer lautet: "Wie kann ich jemandem dienen, statt über ihn zu herrschen?" Dass wir in der Vergangenheit Fehler gemacht haben, dass wir auch heute und morgen immer wieder Fehler machen werden, soll uns nicht entmutigen; wir können uns jeden Tag und in jeder Situation neu entscheiden, diesen Weg Jesu zu gehen.
In der katholischen Kirche vollenden wir das Kirchenjahr mit dem Christkönigsfest: Wir feiern Jesus als König, dessen Reich sich nicht auf Machtgier und Gewalt gründet, sondern allein auf dienende Liebe - auf Seine grenzenlose Liebe zur ganzen Schöpfung.
33. Sonntag im Jahreskreis 2022 Zwei Gnaden im Leben eines Menschen
„Was habe ich in meinem Leben schon gelesen - außer der Bibel? Ich bin ein einfacher Mensch.“
Das jüdische Volk hat einen eigenen Feiertag für die Heilige Schrift: Simchat Thora – Die Freude an der Tora. An diesem Feiertag wird im Gottesdienst das Ende der fünften Thora-Rolle gelesen und gleich darauf wieder mit dem Lesen der ersten Rolle begonnen. Und alle feiern mit Tanz und Gesang in der Synagoge, dass es die Heilige Schrift in ihrem Leben gibt. Nach den Gottesdiensten wird weitergefeiert. Besonders die Kinder sind bei diesem Fest eingeladen und herzlich willkommen. Alle werden mit Süßigkeiten beschenkt.
Auch das hat eine biblische Begründung:
Er sagte zu mir: „Menschensohn, iss, was du vor dir hast! Iss diese Rolle! Dann geh, rede zum Haus Israel!" Ich öffnete meinen Mund und er ließ mich jene Rolle essen. Er sagte zu mir: "Menschensohn, gib deinem Bauch zu essen, fülle dein Inneres mit dieser Rolle, die ich dir gebe!" Ich aß sie und sie wurde in meinem Mund süß wie Honig.“ (Buch Ezechiel / Hesekiel, Kap. 3, Verse 1 -3)
Das ganze Buch Ezechiel ist ein sehr, sehr ernster, ja erschütternder Text, aber hier, an dieser Stelle, soll erfahrbar und deutlich werden, dass Gottes Wort dem Menschen „süss“ (wohlschmeckend, bekömmlich) wird.
Was ich Ihnen hier geschildert habe, sind ganz unterschiedliche Impressionen zum Thema „Bibel“. In jedem der erzählten Beispiele scheint die Bibel für den oder die Betreffenden von enormer Wichtigkeit zu sein. Es ist eine vertane Chane, wenn man die Bibel im Regal stehen hat und sie hier und da in seinem Leben einmal hervorholt, oder in seinem Glauben als sekundär wichtig oder gar unwichtig betrachten.
Die Bibel ist ein Buch, das mit Zeit und Dauer zu tun hat: wer sich mit ihr auf seinen Lebensweg begibt – intensiv, kreativ, betend, intellektuell, lernend, kritisch, wissbegierig, meditierend, fragend, künstlerisch, suchend, musikalisch – wie auch immer – dem werden sich ihr Reichtum und ihre Weisheit mit der Zeit erschließen; immer wieder auf andere Weise, immer wieder neu und immer vor dem Hintergrund des eigenen Lebens. Ja, es gibt auch die "Durststrecken", in denen man innerlich von allem weit weg ist oder zu sein scheint. Solche Zeiten anzunehmen, auszuhalten und sich nicht abbringen zu lassen, und auch sich selbst in solchen Zeiten auszuhalten und freundlich und geduldig mit sich zu sein - auch darin liegt eine Chance. Gott lässt einen Menschen nicht im Stich. In der Rückschau wird einem dann vieles, was unverständlich und schwer war, klar(er). Wer sich mit der Heiligen Schrift seine ganze Lebenszeit hindurch befasst, dem öffnet sich das Buch mit der Zeit. Die Bibel will nicht (nur und vielleicht stückweise) gelesen werden, sondern sie muss buchstäblich er-lebt werden. Dann wird der Mensch angesprochen.
Darin liegt ihr Schatz – und eben ihre, also Gottes Offenbarung.
32. Sonntag im Jahreskreis 2022 Unangenehm. Aber wichtig!
Die Evangelien, die ja vom Leben Jesu erzählen, kann man im Großen und Ganzen in vier verschiedene Einheiten unterteilen, sozusagen in die vier Lebensstationen Jesu:
1. Jesu Wirken in Galiläa
2. Jesu Wirken auf dem Weg nach Jerusalem
3. Jesu Wirken in Jerusalem (Zentrum der römischen Besatzungsmacht)
4. Jesu Passion, Tod und Auferstehung
Liest man nun die Stationen 1 – 3 hintereinander weg, so fällt auf, dass die Gleichnisse und Reden Jesu in Galiläa (Station 1) angenehm zu lesen sind. Man lernt eine Menge über den Glauben: über das Beten, Fasten, Almosengeben, über Vergebung und echte Frömmigkeit usw. Außerdem erfährt der Leser, dass Jesus viele Wunder tut: Er heilt Gelähmte, Blinde, Kranke, Besessene, Er erweckt Tote zum Leben usw.
Und Jesus erzählt viele Gleichnisse: vom verlorenen Sohn, vom barmherzigen Samariter, vom verlorenen Schaf, vom Sauerteig, vom Sämann, von den Arbeitern im Weinberg usw.
Alles in allem ist das sehr erbauliche und wohltuende Lektüre, die einen weiterbringt, wenn man den Glauben kennenlernen möchte, sich auf ihn einlässt und in seinem Leben umsetzt.
Auch wenn man die Kapitel aus Jesu Wirken auf dem Weg nach Jerusalem liest (Station 2), behält man diesen Eindruck.
An der 3. Lebensstation Jesu, in Jerusalem, ändert sich das grundlegend. Die Reden Jesu werden thematisch sehr dringlich, die Gleichnisse, Erzählungen und Worte Jesu geradezu abschreckend. Hier einige Beispiele aus dem Matthäus-Evangelium:
- Reinigung des Tempels (eine heftige Darstellung)
- Gleichnis von den Winzern, die den Sohn des Weinbergbesitzers erschlagen
- Gleichnis vom Hochzeitsmahl des Königs, das von den Gästen abgelehnt wird ("Da wird Heulen und Zähneknirschen sein ...")
- Wehe-Rufe gegen Schriftgelehrte und Pharisäer ("Ihr Heuchler ... ihr seid blinde Führer" ...)
- Ankündigung der Tempelzerstörung ("Kein Stein wird auf dem andern bleiben")
- Gleichnis vom klugen und bösen Knecht ("Der Herr wird ihn in Stücke hauen ...")
- Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen (von der Hochzeit ausgeschlossen)
- Gleichnis vom Gericht des Menschensohnes über die Völker ("Und diese werden weggehen zur ewigen Strafe ...")
- Gleichnis von den anvertrauten Talenten Silbergeld ("Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus ...")
- Ankündigung und Höhepunkt der großen Not
Es wird richtig unangenehm! Man fragt sich: wo ist der freundliche Jesus, der uns doch immer so gut zugeredet und uns aufgebaut hat mit all Seinem Tun und Reden? Warum plötzlich diese Änderung hin zur Dringlichkeit ? Wieso wird hier alles so bedrohlich?
Äußerlich betrachtet:
In Jerusalem war Jesus am Ort der Entscheidung und der tödlichen Konfrontation mit den Besatzern angekommen.
Geistlich ausgedrückt:
Auch unsere Nachfolge im Glauben hat mit ernster Entscheidung zu tun. Gott ist die Liebe. Und diese starke Liebe trifft mit all ihrer Kraft auf die starke Macht des Bösen; auf die brutalen Diktatoren dieser Welt, auf die Kriegstreiber, Unterdrücker, Zerstörer; aber auch auf die Mittelmäßigkeit und Halbherzigkeit, die viele von uns vielleicht an sich selbst feststellen, und die auch sehr viel verhindert oder kaputtmacht. Oder uns nicht wirklich bewusst ist und uns nicht weiter stört.
Wer Jesus nachfolgen will, muss eine Entscheidung treffen – da ist kein Platz mehr für eine Komfortzone. Da kann es nur um Aufbruch, Entschiedenheit, Tatkraft, wache Klarheit und Ehrlichkeit gegen sich selbst gehen – da geht es um Leben, Tod und ewiges Leben, um die Umwandlung der Welt, um die Liebe zu Gott und zum Nächsten! Da geht es nicht um irgendetwas Angenehmeres, sondern um alles!
Legen wir unsere Fehler, unser Scheitern, unsere Halbherzigkeiten vertrauensvoll in Gottes Hände - und wenden wir uns bewusst und entschieden immer wieder Gott und Seinem Angebot der Liebe und des Lebens zu!
31. Sonntag im Jahreskreis 2022 Dunkler „Totenmonat“? Nicht wirklich.
Wohl nie im Jahr klaffen die Gedanken des Christlichen und die Gedanken der säkularen Welt so sehr auseinander wie zu dieser Zeit. Wenn ich durch die Straßen der Stadt gehe, sehe ich Gespensterfiguren, Skelette und Riesenspinnen, die gruselig wirken sollen, ich gehe an Hecken entlang, die mit feinen Spinnennetz-Attrappen dekoriert sind und begegne geisterhaft grinsenden, ausgehöhlten Kürbisköpfen. Alles steht optisch auf Tod und Verwesung. Und ich höre Menschen, die sich darüber unterhalten, wie dunkel doch dieser Totenmonat November immer ist … Keine schönen Aussichten, stimmt.
In der Katholischen Kirche steht am 1. November einer der höchsten Festtage im Kalender: Allerheiligen. Wir hören im Gottesdienst an dem Tag die unfassbar schönen Seligpreisungen:
Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg Er auf den Berg. Er setzte sich und seine Jünger traten zu Ihm.
Und Er öffnete Seinen Mund, Er lehrte sie und sprach:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig die Sanftmütigen; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden gesättigt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die rein sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.
Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse über euch redet um meinetwillen.
Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.
(Matthäus-Evangelium Kap. 5, Verse 1 ff)
In der Bibel stehen diese Worte zu Beginn der Bergpredigt, in der Jesus die Menschen lehrt, wie ein Leben mit Gott und im Frieden mit sich und den anderen gelebt werden kann. Jesu Umkehrung aller bestehenden Maßstäbe in den Seligpreisungen ist auch eine Einladung, sich einerseits einem solchen Lebensprinzip anzuschließen und andrerseits nicht zu verzweifeln an den bestehenden Verhältnissen.
Mit diesen Verheißungen und der Chance, sofort tatkräftig etwas zu (ver-)ändern, beginnt der November.
Einen Tag später (2.11. und auch einige Sonntage später) gedenken wir unserer Toten – mit der Hoffnung und im Vertrauen darauf, dass sie im Licht des Himmels bei Gott sind. Am 11. November feiern wir mit Laternen, Umzügen und gemeinsamem Beisammensein den Heiligen Martin, der gegen alle Standeskonventionen das christliche Gebot der Nächstenliebe vorlebte. Eine Woche später begehen wir – auch das in manchen Gegenden mit schönen Bräuchen – den Gedenktag der Heiligen Elisabeth, die ebenfalls das Ideal der Nächstenliebe verwirklichte und (unter großen persönlichen Schwierigkeiten) unermüdlich für Arme und Kranke sorgte. Vier Tage später feiern vor allem die aktiv musizierenden Christen in den Gemeinden auf sehr schöne Weise den Festtag der Heiligen Cäcilia, der Patronin der Kirchenmusik.
Am Sonntag vor dem 1. Advent feiern katholische Christen die Vollendung des Kirchenjahres mit dem Christkönigsfest. Und im Dezember gehen die Festtage des Lichtes und der Nächstenliebe gleich weiter mit dem Nikolaustag (6.12.) und dem Luziafest (13.12.) – und dann ist die Zeit bis Weihnachten nur noch sehr kurz.
Der November ist nicht wirklich ein dunkler Monat; im Mitfeiern der vielen Gedenktage der Heiligen der Nächstenliebe kann uns bewusstwerden, dass nicht Geisterspuk und Todeskult unser Leben bestimmen, sondern dass Christen eine starke, lichtvolle Hoffnung haben. Und wir können uns motivieren lassen, den vielfältigen Beispielen der Heiligen zu folgen und selbst aktiv werden und mittun im Kreis derer, die anderen Menschen Licht, Freude und die Verheißungen Gottes in ihre Dunkelheit bringen.
„Ich bin das Licht der Welt“ hat Jesus von sich gesagt. (Johannes-Evangelium Kap 8, Vers 12) Und: "Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt." (Matthäus-Evangelium Kap 28, Vers 20)
Das sind keine hübschen Vorstellungen – das ist Wirklichkeit! Sagen wir sie weiter gegen das Dunkel der Welt, das so viele Menschen ängstigt und verunsichert.
30. Sonntag im Jahreskreis 2022 Es bleibt uns nicht erspart
Es gibt Themen, über die zu reden äußerst mühsam ist. Die Frage nach dem Umgang mit menschlichem Leid ist so ein Thema.
In der Bibel wird sehr bildstark davon berichtet, dass der Mensch die absolute Einheit mit seinem Schöpfer verloren hat: er verlor das Leben im Paradies. Wenn ich diese Bilder in mein Leben übersetze, dann erkenne ich, dass das Leid die garantierte Folge dieses Verlustes ist. Der Verlust des Paradieses war schlechthin die Katastrophe für den Menschen: das Leben als tödlich verwundbar zu erkennen und in ständiger Gefahr zu sein.
Aber so schwer, wie diese Katastrophe wiegt, so schwer wiegt auch der Glaube an Gott. Die Katastrophe wiegt negativ schwer, der Glaube positiv schwer. Glaube ist ein Gewicht, dass dem Menschen helfen kann, sich dem Gewicht einer Katastrophe entgegenzustellen.
Wenn Menschen den Glauben an Gott als eine Art „Zugabe“, interessante oder unterhaltsame „Abwechslung“, als „zuvorderst moralische Angelegenheit“, als schönen „Wesenszug“, als einfach betrachten und auch so vermitteln und weitergeben, dann kann man das als „für zu leicht befunden“ infrage stellen. Um im Bild zu bleiben: Der Verlust des Paradieses war kein kurzer, interessanter Ausflug in die reale Welt. Diese Katastrophe war vielmehr so unfassbar groß, dass Gott zur Rettung des Menschen das Äußerste tat: Er ging selbst durch den Tod hindurch, damit kein Mensch mehr im Tod untergehen muss (und das ist jetzt kein Bild mehr). Unser Glaube muss mit der gleichen Qualität und mit dem gleichen Schwergewicht, mit der gleichen Wertigkeit angelegt und gelebt werden.
Wie oft geschieht das Wunderbare: Ich habe erlebt, dass die, die am meisten betroffen waren, andere trösteten; dass der, der am meisten betroffen war, seinen Glauben bezeugte. Ich habe - noch vor kurzem - erlebt, dass sie, die am meisten erleiden musste, die wenigsten Fragen und Zweifel äußerte und die Unbegreiflichkeit glaubend aushält. Ich habe erlebt, dass er, der am meisten betroffen war, das größte Durchhaltevermögen hatte.
Aber ich habe auch erlebt, dass (auch starke) Menschen ihren Glauben im Leid verloren haben – und wer könnte es ihnen nicht nachfühlen! Dem Mann, der mir den so kostbaren Tischläufer schenkte, den er am Kranken- und Sterbebett seiner sechsjährigen Tochter geknüpft hat - und all den vielen anderen, die keine Hoffnung mehr finden können ...
Und ich erinnere mich an ein sehr offenes Gespräch vor 30 Jahren mit einem Mann, dessen Tochter Heiligabend gestorben war. Ich fragte ihn damals, ob man da nicht versucht wäre, Gott aufzukündigen. Er antwortete ohne Zögern: „Nein, das geschieht doch Gläubigen wie Nichtgläubigen. Daran entscheidet sich nicht der Glaube. Der Glaube entscheidet sich einzig daran, wie ich bereit bin, dieses Leben, wie auch immer es sich ereignet, mit Gott zu leben.“
Das Leid und die Reaktionen Betroffener auf Leiderfahrungen sind so vielfältig wie das Leben. Ich kann nicht sagen, warum Leid geschieht und "warum Gott es zulässt" (Tut Er das? Allein diesen scheinbar so logischen Gedanken zu bearbeiten, bekäme schon den Umfang eines Buches ...). Einmal abgesehen davon, dass ein sehr großer Anteil am menschlichen Leid von Menschen verursacht wird ... (Aber das klingt nach einer Entlastungsstrategie für Gott; denn auch die Schuldhaftigkeit des Menschen ist Bestandteil des Paradiesverlustes) Ich kann auch nicht im Voraus sagen, wie man Leid erträgt und wie ich es ertragen werde.
Was ich wohl kann: immer wieder – auch und besonders in „guten Zeiten“ – darüber meditieren und um Vertrauen und Kraft beten, dass Gott mir und allen anderen Menschen durch das Leid hindurchhilft, wenn es uns widerfährt. Und ich kann sehen und bezeugen, wenn das geschieht. Ich kann meinen Glauben immer wieder und stetig stärken (lassen); er ist Geschenk, gewiss; aber er ist auch Lebensgut, das erhalten und gepflegt werden muss.
Ich möchte dieses schwierige Kapitel mit sehr ermutigenden und sich ergänzenden Zitaten von zwei Frauen beschließen:
„Gott verhindert nicht, dass die schlechten Dinge geschehen; das war nie Teil der Verheißung. Das Versprechen ist: ich bin bei euch, ich bin jetzt bei euch bis ans Ende der Zeit.“
Madeleine L’Engle 1918 - 2007
„Wenn ich mich heute umwende, um zurückzuschauen, so sehe ich, wie ich durch meine traurigen Jahre … bis zu meinem Ende immer, o mein Gott, von Deinen Händen wie eine Gelähmte getragen wurde auf göttlicher Straße.“
Marie Noèl, 1883 - 1967
29. Sonntag im Jahreskreis 2022 Der Engel an Deiner Seite
Wir sind von Engeln umgeben.
Sie sind um uns als Schutzengel am Schlüsselanhänger (an der Tankstelle erworben), als pausbäckige Mini-Putte mit nettem Spruch auf dem Bauch auf dem Küchenregal, als grazile Steinfigur im Park, als niedlich lächelndes Figürchen auf einer Postkarte, als fliegend-baumelndes Anhängsel am Innenspiegel im Auto, als große, ernst-mahnende Skulptur auf dem Friedhof, als träumend zusammengekauert sitzende Figur im Gartenbeet, als Anhänger an der Halskette, auf dem Etikett einer Weinflasche, als musizierende Engel im Weihnachtsbaum, als rostige Gestalten im Vorgarten, als Holzangebinde an Geschenkverpackungen … JA, JA, ich höre ja schon auf!
"Engel" ist ein schwieriges Thema – in jeder Hinsicht. Es gibt Menschen, die ganz genau zu wissen scheinen, wie Engel aussehen, welche Ordnung und Hierarchien unter den Heerscharen der Engel herrschen, welche Aufgaben sie haben …, ja, auch damit höre ich jetzt auf.
Ich bin der Ansicht, dass man über Engel nur mit äußerster Vorsicht sprechen und auch ihre bildliche Darstellung eher unterlassen sollte. Allerdings denke ich sehr gerne und immer wieder gerne über Engel nach! Deshalb werde ich Ihnen heute – anders als sonst – keine „Erklärung am Stück“ liefern, sondern nur einige lose, unzusammenhängende Gedanken / Bibelworte zum Thema „Engel“ schreiben. Dazu kann sich jeder vor dem Hintergrund seiner eigenen Lebensgeschichte (immer wieder gerne!) seine Gedanken machen:
In der Bibel erscheinen Engel - Boten Gottes - immer im Zusammenhang mit dem Wirken Gottes bei den Menschen. Und oft mit dem Ausspruch: „Fürchtet euch nicht!“ Wieso sollte ich mich vor der Erscheinung eines Schlüsselanhänger-Engels oder einer pausbäckigen Putte eigentlich fürchten??? – Wer und wie also sind Engel „in Wirklichkeit“?! Weitaus weniger hübsch, putzig, niedlich und nichtssagend, als wir sie uns so vielfältig zurechtbasteln? Handelt es sich womöglich um eine Erfahrung, die mich fundamental erschüttern, beunruhigen oder beseligen wird?
Der Bischof August Graf von Galen, der „Löwe von Münster“, der durch sein mutiges Auftreten gegen die Nazis viele Menschenleben rettete und viele Menschen im Glauben ermutigte, bekannte einmal, dass er vor schwierigen Gesprächen zuvor immer mit dem Schutzengel seines Gesprächspartners redet.
Gott spricht zum Volk Israel auf dem langen Weg durch die Wüste nach der Befreiung aus Ägypten:
„Siehe: Ich werde einen Engel schicken, der dir vorausgeht. Er soll dich auf dem Weg schützen und dich an den Ort bringen, den ich bestimmt habe. Achte auf ihn und hör auf seine Stimme! …“ Buch Exodus (= 2. Buch Mose), Kap. 23, Verse 20 f
"Vergesst die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt!" Brief an die Hebräer, Kap. 13, Vers 2
Diese Worte beziehen sich auf eine Erzählung im Alten Testament, nachzulesen in: Genesis (= 1. Buch Mose), Kap. 18
"Dann entfernte Jesus sich von ihnen ungefähr einen Steinwurf weit, kniete nieder und betete: „Vater, wenn Du willst, nimm diesen Kelch von mir! Aber nicht mein, sondern Dein Wille soll geschehen.“ Da erschien Ihm ein Engel vom Himmel und stärkte Ihn." Lukas-Evangelium, Kap. 22, Verse 41 ff
Ein Engel des Herrn sagte zu Philippus: “Steh auf und geh nach Süden auf der Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt! Sie führt durch eine einsame Gegend.“ Und er stand auf und ging. (… und traf dort auf einen äthiopischen Hofbeamten, der getauft werden wollte) Apostelgeschichte Kap. 8, Verse 26 f
Der Prophet Elias ging in die Wüste, weil er sterben wollte, er sah sich als total gescheiterte Existenz. Doch ein Engel rührte ihn an und sprach: "Steh auf und iss!" Als Elias um sich blickte, sah er neben seinem Kopf Brot, das in glühender Asche gebacken war, und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder hin.
Doch der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal, rührte ihn an und sprach: "Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich."
Da stand Elias auf, aß und trank und wanderte, durch diese Speise gestärkt, vierzig Tage und vierzig Nächte bis zum Gottesberg Horeb.
1. Buch der Könige, Kap. 19, Verse 4 ff
"Zum Paradies mögen Engel dich geleiten ... die Chöre der Engel mögen dich empfangen ..." (aus einem Gebet im katholischen Beerdigungsgottesdienst)
Wir sind von Engeln umgeben ...
28. Sonntag im Jahreskreis 2022 Danken - der Handschlag des Herzens
Nein, ich brauche mit Sicherheit niemandem zu sagen, was Erntedank ist. Eigentlich könnte ich das Kapitel überspringen, aber das widerstrebt mir auch zutiefst. Innehalten, um bewusst und explizit zu danken für all die wunderbaren Gaben, für all die Nahrung – das ist wirklich ein eigenes Kapitel wert.
Echter Dank, der aus dem Herzen kommt, zeigt die geistige Freiheit und Unabhängigkeit eines Menschen. Wer jemandem dankt, sagt indirekt: „Ich weiß, dass ich das Gute, über das ich mich freue / das mir hilft, ohne Dich nicht gehabt hätte. Und indem ich Dir danke, gebe ich das offen zu.“ Das ist wie ein Handschlag, bei dem ich meinem Gegenüber meine geöffnete Hand zeige: ich bin ohne Waffen, ohne Angriffs- aber auch ohne Verteidigungsmöglichkeit.
So ist das auch mit dem Dank: der Dankende nimmt etwas an, was ein anderer ihm zugedacht hat, um ihm zu helfen oder Gutes zu schenken. Danken ist sozusagen der Handschlag des Herzens.
Mit dem Danken ist es genauso wie mit dem Sich-Entschuldigen: sobald der Mensch es nicht mehr aus wirklich ganz freiem Herzen tut, sondern z. B. weil es erwartet wird oder weil man dazu erzogen wurde, haben beide – das Danken und die Entschuldigung – ihren größten Wert bereits verloren.
Zum Wesen des Dankes gehört das völlige Freisein von Erwartungshaltungen aller Beteiligten. („Und was sagt man da?“ „Du musst Dich da aber jetzt bedanken!“) Dank entsteht aus Erkenntnis, Freude und Mitteilungsbereitschaft.
Aus der Freude, dass diese geschundene Schöpfung immer wieder, Jahr um Jahr, oft mit großer Mühe Nahrung für uns hervorbringt und in der Erkenntnis, dass Gott die Gesetze dieses Wachsens und Werdens in die Natur hineingelegt hat, kann der Wunsch entstehen, Gott dafür zu danken.
Auch wenn Sie keinen Garten haben und alle Nahrung aus dem Supermarkt beziehen: Gott nimmt es wahr, wenn Sie Ihm entweder in der Kirche und / oder in einem privaten Erntedankfest Ihren Dank für alle gute, ausreichende Nahrung bringen! Nur zu, einem dankbaren Herzen sind keine Grenzen gesetzt, erst recht nicht in der Kreativität!
Pflegen Sie Ihre Fähigkeit zum Danken: sie ist eine Quelle der Lebensfreude und eine direkte, lebendige Verbindung zu Gott.
Übrigens: Ihre Kinder und Enkel werden das Danken ganz von allein lernen, wenn sie an Ihnen sehen, wie es geht.
27. Sonntag im Jahreskreis 2022 Kraftquelle für die Mühen der Ebene
Wenn man mal ein paar Kapitel besonders im Alten Testament der Bibel liest, könnte man auf jeder Seite denken: „Das ist heute noch genauso. Als wenn die Menschen sich nie geändert hätten.“ Haben sie wahrscheinlich in wesentlichen Grundstrukturen auch nicht.
Mir wird das jedes Jahr am Tag der Deutschen Einheit (3. Oktober) bzw. am 9. November bewusst. Beide Tage erinnern an die friedliche Revolution 1989, als die innerdeutsche Grenze, die „Mauer“, fiel. Durch einen banalen, blöden, gesegneten Irrtum eines nicht informierten Politikers und ohne dass in dem stundenlangen folgenden Mega-Chaos auch nur ein Tropfen Blut vergossen wurde, tanzten auf einmal Hunderte von Menschen auf einer Mauer, an der bis dahin Menschen beim Versuch, diese Grenzmauer zu überwinden, gnadenlos erschossen worden waren.
Und heute? Wenn man manche Plakate auf Demonstrationen liest, wenn man manche Reden hört, ahnt man: vom damals empfundenen Glück wissen viele Menschen heute nichts mehr. Es ist ein bisschen wie in einer schlechten, alten Ehe: der andere ist da, aber nichts Besonderes mehr ... Grauer Alltag, Frust, Verbitterung ...
„Die ganze Gemeinde der Israeliten brach von Elim auf und kam in die Wüste Sin, die zwischen Elim und dem Sinai liegt. Es war der fünfzehnte Tag des zweiten Monats nach ihrem Auszug aus Ägypten. Die ganze Gemeinde der Israeliten murrte in der Wüste gegen Mose und Aaron. Die Israeliten sagten zu ihnen: Wären wir doch im Land Ägypten durch die Hand des Herrn gestorben, als wir an den Fleischtöpfen saßen und Brot genug zu essen hatten. Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt, um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen.“ Buch Exodus (= 2. Buch Mose) , Kap. 16, Verse 1 ff Eine jahrtausende alte Erzählung – hochaktuell: Menschen sind bereit, Schlimmes zu vergessen oder zu bagatellisieren oder gar schönzureden, um über die Mühen der Gegenwart jammern zu können und sogar ungerecht zu werden; und nicht sehen zu wollen, dass der Gewinn von damals in der wunderbaren Nacht der Freiheit auch heute noch derselbe leuchtende Gewinn ist, der niemandem genommen wurde und einen damals in Jubel und Freudentränen ausbrechen und auf Mauern tanzen ließ! Ein Riesengeschenk, um das uns andere Völker (z.B. Korea!) beneiden! Klar, dass inzwischen auch andere Probleme gewachsen sind, die es zu lösen gilt.
Und jedem, der es dabei geistlich angehen möchte, empfehle ich Psalm 126.
26. Sonntag im Jahreskreis 2022 Hölle und Fegefeuer?
Man hat der Kirche oft vorgeworfen, „aus der Frohbotschaft eine Drohbotschaft zu machen“.
Die Geschichte, die ich Ihnen heute vorstellen möchte – ach was, ich konfrontiere Sie mit diesem schlimmen Bibeltext! – ist so richtig geeignet, den Menschen mit der Androhung von Fegefeuer und Hölle jede Menge Angst einzujagen. Nein, nicht wegklicken, bitte lesen Sie trotzdem weiter!
Es war einmal ein reicher Mann, der sich in Purpur und feines Leinen kleidete und Tag für Tag glanzvolle Feste feierte. Vor der Tür des Reichen aber lag ein armer Mann namens Lazarus, dessen Leib voller Geschwüre war. Er hätte gern seinen Hunger mit dem gestillt, was vom Tisch des Reichen herunterfiel. Stattdessen kamen die Hunde und leckten an seinen Geschwüren.
Es geschah aber: Der Arme starb und wurde von den Engeln in Abrahams Schoß getragen. Auch der Reiche starb und wurde begraben. In der Unterwelt, wo er qualvolle Schmerzen litt, blickte er auf und sah von Weitem Abraham und Lazarus in seinem Schoß. Da rief er: „Vater Abraham, hab Erbarmen mit mir und schick Lazarus; er soll die Spitze seines Fingers ins Wasser tauchen und mir die Zunge kühlen, denn ich leide große Qual in diesem Feuer.“
Abraham erwiderte: „Mein Kind, erinnere dich daran, dass du schon zu Lebzeiten deine Wohltaten erhalten hast, Lazarus dagegen nur Schlechtes. Jetzt wird er hier getröstet, du aber leidest große Qual. Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, sodass niemand von hier zu euch oder von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte.“
Da sagte der Reiche: „Dann bitte ich dich, Vater, schick ihn in das Haus meines Vaters! Denn ich habe noch fünf Brüder. Er soll sie warnen, damit nicht auch sie an diesen Ort der Qual kommen.“ Abraham aber sagte: „Sie haben Mose und die Propheten, auf die sollen sie hören.“ Er erwiderte: „Nein, Vater Abraham, aber wenn einer von den Toten zu ihnen kommt, werden sie umkehren.“ Darauf sagte Abraham zu ihm: „Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“
Lukas-Evangelium Kap. 16, Verse 19 ff
Das ist wahrlich keine Wohlfühlgeschichte, schwingt doch immer die bange Frage mit: Wo stehe ich eigentlich in dieser Geschichte?
Lassen wir die verschiedenen jüdischen Vorstellungen in diesem Text einmal beiseite, so könnte man die Geschichte z. B. auch so lesen:
Ein reicher Mann, der die Gebote Jesu sehr wohl kannte, erkennt in seinem Sterben, dass er das wichtigste Gebot der Nächstenliebe verletzt hat, indem er die Armen und Kranken ignorierte. Er erkennt es, weil Gott die Wahrheit ist und der Tod endgültig. Der Augenblick des Sterbens ist der Augenblick der Erkenntnis von Wahrheit. Das Erkennen des Falschen und die Unmöglichkeit, noch einmal etwas zu ändern, bereiten dem Reichen Höllenpein, Schmerzen. Der Arme kann dem Reichen jetzt auch nicht helfen – der unüberwindliche Abgrund (s.o.) ist ein Bild für die Endgültigkeit des Todes.
Soll ich also nun aus purer Angst vor der Höllenpein die Gebote Gottes einhalten? Der Fortgang der Geschichte sagt eindeutig: Nein. Ich soll die Gebote einhalten aufgrund meines Glaubens an Gott: Abraham verweigert die nachträgliche Warnung der Brüder des Reichen; sie sollen einfach auf Mose (= die 10 Gebote) hören. Und nicht Gutes nur deshalb tun, weil sie gewarnt werden.
Die Brüder des Reichen sollen auch nicht nur deshalb die Gebote einhalten, weil Gott sich ihnen bewiesen hat (indem ein Toter zu ihnen zurückkehrt); der Mensch soll aus dem Glauben an Gott heraus handeln, nicht aufgrund von Beweisen oder gar Angst.
Und doch kann man aus dieser Geschichte eine Warnung ableiten: Wir sollten uns selbst nicht die furchtbar schmerzhafte Erkenntnis zumuten, dass wir armen Menschen hätten helfen können und es nicht getan haben. Unsere Erde hat genug Nahrung und genug Medikamente für alle! Arme und Kranke zu ignorieren, zuzulassen, dass ein Mensch nicht etwa an einer unheilbaren Krankheit stirbt, sondern verhungert oder verdurstet oder an einer heilbaren Krankheit leidet, weil er sich kein Medikament leisten kann – das ist ein Skandal, den Christen einfach nicht hinnehmen dürfen. Es waren die Christen in Rom, die sich zuerst konsequent und durchgängig der Bedürftigen angenommen haben! Das wird gerne vergessen. Die Caritas gehört zur DNA unseres Glaubens und sie ist kein Hobbypunkt, sondern Mitte unseres Christseins, unverhandelbar! Jesus hat uns dieses Gebot mit Nachdruck gegeben und jeder Glaubende kann es mit einer ganz bewussten, dauerhaften Entscheidung in die Tat umsetzen.
Jeder kann regelmäßig im Rahmen seiner Möglichkeiten helfen – auch mit 1 Euro pro Woche oder Monat. Und in jeder Stadt wird ganz konkret Hilfe gebraucht in Kleiderkammern, bei Besuchsdiensten und bei Tafeln. Helfen wir den Armen und Bedürftigen – nicht aus Angst, sondern weil Gott uns dazu berufen hat, dem anderen Bruder und Schwester zu sein! Die Frage nach Drohbotschaft, Hölle und Fegefeuer? Können wir jetzt mal getrost vertagen …
25. Sonntag im Jahreskreis 2022 „Die Schönheit wird die Welt retten“
Plinius, ein Gesandter des Kaisers, schrieb 100 Jahre nach Christi Geburt einen Bericht über die Christen, deren ungewöhnliches Leben auffiel und vielen ja auch aufstieß. Diesen Bericht begann er tatsächlich mit den Worten „Sie singen“. Offensichtlich war das der besonderen Erwähnung wert. „Sie singen Christus, ihrem Gott, im Wechsel Lob.“ Der Gesang ist dem christlichen Glauben absolut zu eigen, er ist kein schmückendes Beiwerk, keine nette Zugabe, keine verzichtbare Aufhübschung und schon gar keine Art lästige Beschäftigungstherapie für die Gemeinde im Gottesdienst.
Die Psalmen quellen über von diesen ganzheitlichen Lebensäußerungen der Menschen!
Aber der Mensch hat nicht nur diese Fähigkeiten. Er hat im Laufe der Jahrhunderte auch unfassbar viele Geschenke für seine Fähigkeiten bekommen: Komponisten, die wunderbare, mitreißende Musikwerke schufen; Künstler, die herrliche, aussagekräftige Bilder und Skulpturen schufen; Architekten, die atemberaubende Kirchen entwarfen; Dichter, die wesentliche Gedanken in kostbarste Texte fassten. Und auch heute entstehen immer neue Kunstwerke, die uns Augen, Ohren, Herz und Verstand öffnen können – die Welt ist voll von ihnen.
Die Erkenntnis und Ausübung des Schönen / der Kunst ist eine riesige Chance für Menschen von klein auf:
- vielfältige Möglichkeit, Gott im Leben immer wieder nahe zu kommen
- mit Gott auf vielerlei Weise in Kontakt zu treten
- sich auch dann ausdrücken zu können, wenn Worte nicht hinreichen
- Gott auch dann glauben zu können, wenn der Verstand nicht erkennen kann
- Gott auch dann erfahren zu können, wenn keiner (mehr) von Ihm spricht
- über die Kunst in Gemeinschaft mit anderen Menschen zu kommen
- verlorene Lebens- und Glaubensfreude durch die Kunst wiederzufinden
Der russische Dichter Fjodor Dostojewski hat in seinem Roman „Der Idiot“ geschrieben: „Die Schönheit wird die Welt retten … Gewiss können wir nicht ohne Brot leben, aber es ist ebenso unmöglich, ohne Schönheit zu leben.“
Vielleicht sollten wir die Geschenke, die Gott uns in der Kunst und in unseren Fähigkeiten für sie gegeben hat, neu und ernsthaft betrachten und praktische Konsequenzen ziehen: mit geistlichen Inhalten mehr singen, tanzen, malen, schreiben und damit in Kontakt kommen zu Gott und unseren Glauben auch auf diese Weise vertiefen.
Unsere Kirchen sind in Gottesdiensten nicht mehr voll - also Bänke 'raus und dauerhaft Platz schaffen! Vielleicht fangen wir dann end-lich einmal an, in unseren Gottesdiensten zu tanzen! Und vielleicht installieren wir einmal dauerhaft Leinwände und Beamer, um immer wieder ohne großen Logistik-Aufwand zum Thema passend Bilder aller Art, Skulpturen, Gebäude und auch Bilder aus der Wissenschaft zu betrachten, zu erläutern und uns an so vielem gemeinsam zu freuen und Kraft zu schöpfen für die kommende Woche!
24. Sonntag im Jahreskreis 2022
An diesem Sonntag musste der geistliche Beitrag entfallen.
23. Sonntag im Jahreskreis 2022 Von der Last des Aushaltens
Vor Jahren sagte mir ein pensionierter Priester in einem Gespräch völlig unvermittelt: „Ich habe 40 Jahre lang gepredigt, Katechesen gehalten und Gespräche mit Menschen geführt. Und ich habe 40 Jahre lang Gottesdienste mit den Menschen gefeiert, jahrein, jahraus. Und 40 Jahre lang ist alles weniger geworden, immer weniger – bei gleicher Mühe und gleicher Arbeit. Es war alles umsonst.“
Dieser Ausspruch erinnerte mich an doch erschütternd viele Menschen, die mir mit Tränen in den Augen erzählten, wie sie sich alle Mühe gegeben haben, ihren Kindern den Glauben vorzuleben und nun gehe kein Kind und kein Enkelkind mehr in die Kirche – und wie unerträglich es sei, diesen ganzen Niedergang mitzuerleben.
Immer stand ich ratlos da und habe voller Mitgefühl geschwiegen. Es gibt eine Art von Trost, die sehr billig und leicht dahergeredet ist. Sie macht den Menschen in seinem Kummer noch einsamer. Da sage ich lieber gar nichts oder „nur“, dass ich die schmerzliche Enttäuschung gut verstehen und nachempfinden kann. Ich denke sehr oft an diesen Priester und die alten Menschen und an die große Last, die viele im Stillen tragen.
Mir kommt ein Grabstein auf dem Klosterfriedhof in Marienthal bei Wesel in den Sinn: auf diesem Stein ist ein Sämann zu sehen, der sehr gebeugt und der Erde nah die Saatkörner ausstreut – offenbar Schritt für Schritt eine mühsame, anstrengende Arbeit. Und ohne Garantie auf Erfolg. Sie können das Bild unter diesem link anschauen:
Mir geht das Gleichnis Jesu durch den Kopf:
Siehe, ein Sämann ging hinaus, um zu säen. Als er säte, fiel ein Teil auf den Weg und die Vögel kamen und fraßen es. Ein anderer Teil fiel auf felsigen Boden, wo es nur wenig Erde gab, und ging sofort auf, weil das Erdreich nicht tief war; als aber die Sonne hochstieg, wurde die Saat versengt und verdorrte, weil sie keine Wurzeln hatte. Wieder ein anderer Teil fiel in die Dornen und die Dornen wuchsen und erstickten die Saat und sie brachte keine Frucht. Ein anderer Teil schließlich fiel auf guten Boden und brachte Frucht; die Saat ging auf und wuchs empor und trug dreißigfach, sechzigfach und hundertfach. Markus-Evangelium Kap. 4, Verse 3 ff
Zu diesem Gleichnis (über das Reich Gottes) gäbe es sehr viel zu sagen, es wäre ein großes, eigenes Thema.
„Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus …!“ Markus-Evangelium Kap. 6, Verse 30 f
Sagen Sie diese Worte Jesu weiter, wo immer Sie auf einen Menschen treffen, der Ihnen seine Seelenlast anvertraut!
22. Sonntag im Jahreskreis C Biete das einmal deinem Statthalter an!
Es gibt im Alten Testament eine saftige Standpauke, die ein Prophet den Priestern in Israel hält. Ich muss zugeben, dass sie zu meinen absoluten Herzstücken aus der Bibel gehört. Nein, keinesfalls, weil darin Priester gescholten werden! Zum besseren Verständnis habe ich den folgenden Bibeltext rhetorisch leicht verändert, außerdem: blau = Einwürfe des Propheten, grün = meine Erläuterungen, grau = Gotteswort Gott spricht: Der Sohn ehrt seinen Vater und der Knecht seinen Herrn.
Wenn ich der Vater bin - wo bleibt dann die (eure) Ehrerbietung?
Wenn ich der Herr bin - wo bleibt dann die Furcht vor mir (eure Ehrfurcht), ihr Priester, die ihr meinen Namen verachtet.
Doch ihr sagt: „Wodurch verachten wir denn Deinen Namen?“ Ihr bringt auf meinem Altar verunreinigte Speise dar.
Ihr sagt: „Wodurch haben wir dich mit Unreinem entehrt?“ Dadurch, dass ihr sagt: „Der Tisch des Herrn, der kann gering geachtet werden.“
Wenn ihr ein blindes Tier als Schlachtopfer darbringt, sei das nicht schlecht! (Vorschrift war: das beste, fehlerlose Tier für das Opfer) Und wenn ihr ein lahmes und krankes Tier darbringt, sei das nicht schlecht!
Biete das einmal deinem Statthalter an! Ob er wohl Gefallen an dir hat oder dich freundlich ansieht? (Warum bietest du Gott so etwas an, der doch viel größer ist als dein Statthalter.)
Und nun versucht, Gott damit zu besänftigen (heute: Ihn zu ehren), dass er uns gnädig sei! Wenn eure Hände Ihm solche Dinge anbieten, wie kann Er euch dann freundlich ansehen?
Der Herr der Heerscharen spricht: Wäre doch jemand bei euch, der die Torflügel verschließt (dass ihr mit dieser Haltung gar nicht erst in den Tempel kommen könnt), damit ihr kein nutzloses (= unwürdiges) Feuer mehr entfacht auf meinem Altar! Ich habe kein Gefallen an euch und ich mag kein Opfer aus eurer Hand. Ja, vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Untergang steht mein Name groß da bei den Völkern und an jedem Ort wird meinem Namen ein Rauchopfer dargebracht und eine reine Opfergabe; ja, mein Name steht groß da bei den Völkern ...
Ihr aber entweiht ihn, indem ihr sagt: „Der Tisch des Herrn, der darf verunreinigt und die Opferspeise für ihn kann gering geachtet werden.“ Ihr sagt: „Siehe, welch eine Mühsal!“ und facht das Feuer ... an und ihr bringt, was geraubt wurde, und die lahmen und kranken Tiere herbei und bringt sie als Opfer dar. Soll ich das wohlgefällig annehmen aus eurer Hand?
Verflucht ist der Betrüger, der dem Herrn ein männliches Tier seiner Herde gelobt, dann aber ein fehlerhaftes Tier schlachtet.
Der Herr der Heerscharen spricht: Ja, ein großer König bin ich und mein Name ist bei den Völkern gefürchtet. (Und ihr habt kein Recht, mich = meinen großen Namen, der in aller Welt verehrt wird, durch Halbherzigkeit und Betrug klein zu machen und zu entweihen!) Buch Maleachi, Kap. 1, Verse 1 ff Liest man diesen Text, könnte man eigentlich sofort denken: „Also, das betrifft uns heute nun wirklich nicht mehr!“ Aber es wäre schade, so zu denken. Man kann wichtige Gedanken aus diesem Text für sich ganz persönlich in die heutige Zeit übersetzen - auch wenn man kein Priester ist:
- Wenn Gott mein Vater, der Herr und ein großer König ist – was biete ich Ihm eigentlich mit meinem Sein und Tun so täglich an?
- Wodurch verachte ich Seinen Namen? Vielleicht dadurch, dass ich denke: „Der Tisch des Herrn, der kann gering geachtet werden.“?
- Wenn ich den Gottesdienst nach Belieben oder nur halbherzig mitfeiere oder gar nicht – ist das nicht schlecht?
- Wenn ich Gott keinen hohen Stellenwert in meinem Leben gebe – ist das nicht schlecht?
- Räume ich vielleicht vielem Weltlichen, vielen Menschen einen höheren Rang ein?
- Ist mir der Gottesdienst und das Betrachten des Wortes Gottes vielleicht oft zu mühsam? ("Siehe, welch eine Mühsal!" s.o.)
- Habe ich Gott nicht mehr und Besseres anzubieten als manche Halbherzigkeiten? ("fehlerhafte und geraubte Tiere ..." s.o.)
- Könnte ich Ihm meine Bemühungen anbieten, Sein Wort in Taten umzusetzen und zu lernen, was Er mich lehren will?
Sich solche Fragen immer wieder einmal im Stillen vorzulegen, ist nicht destruktiv, sondern es hält das Herz lebendig und bewahrt vor innerer Erstarrung. Es geht absolut nicht darum, perfekt zu sein. Vielmehr geht es darum, realistisch zu betrachten, wie der Weg immer wieder ausgerichtet werden muss.
21. Sonntag im Jahreskreis 2022 Grüßt niemanden auf dem Weg
Vieles, was in der Bibel steht, ist ziemlich schwer zu realisieren, finde ich.
Der folgende Sendungsauftrag Jesu an Seine Jünger ist so ein gar nicht einfacher Text für die heutige Zeit:
Danach suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte sie zu zweit vor sich her in alle Städte und Ortschaften, in die Er selbst gehen wollte.
Er sagte zu ihnen: „Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für Seine Ernte auszusenden! Geht! Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe! Grüßt niemanden auf dem Weg! Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als Erstes: Friede diesem Haus!
Und wenn dort ein Sohn des Friedens wohnt, wird euer Friede auf ihm ruhen; andernfalls wird er zu euch zurückkehren. Bleibt in diesem Haus, esst und trinkt, was man euch anbietet; denn wer arbeitet, ist seines Lohnes wert. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes!
Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt.
Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt ihnen: Das Reich Gottes ist euch nahe!
Lukas – Evangelium Kap. 10 Verse 1 ff
Dass Jesus die Jünger zu zweit aussendet, ist ein Hinweis auf das damalige jüdische Zeugnisrecht: was zwei Männer bezeugten, entsprach der Richtigkeit. Mit der großen Ernte und den wenigen Arbeitern weist der Evangelist auf die enorme Ausbreitung der christlichen Botschaft durch die zwölf Apostel im 1. Jahrhundert n. Chr. hin – da war eine Menge Arbeit aufgebrochen. Und die Missionstätigkeit, das sagt Jesus unumwunden, ist lebensgefährlich, die Bedrohung durch die Besatzungsmächte und auch durch Andersglaubende allgegenwärtig: die Jünger werden wie Schafe mitten unter Wölfen leben müssen! Und doch ist ihre sofort erkennbare, durch bewussten Verzicht ausgedrückte Armut ihr stärkstes Argument: die Jünger sollen ihre Angewiesenheit auf die Menschen zeigen, indem sie barfüßig, ohne Geld und Vorräte zu den Menschen kommen. Dass sie niemanden grüßen sollen ist keine Unhöflichkeit, die Jesus da fordert. Im Orient bedeutete jemanden grüßen: sich mit ihm niederlassen, angebotene Getränke und Kleinigkeiten zum Essen anzunehmen und vor allem Informationen auszutauschen u.a. über Beschaffenheit und eventuelle Hindernisse und Gefahren der Reiseroute – es gab kein Radio, kein Internet, kein Handy … Eine Begrüßung konnte sich also lange hinziehen, ablenken, aufhalten. Die Jünger sollten aber ihren Missionsauftrag nicht aus den Augen verlieren und unverzüglich ausführen.
Und wenn im Haus auch nur ein Kind / Sohn des Friedens wohnt, steht der Verkündigung des Evangeliums nichts im Weg; im Jüdischen wurde der Glaube von den Eltern an die Kinder weitergegeben. Hier nun sagt Jesus, die Offenheit und der Wille eines einzigen Menschen reichen für die Weitergabe des Glaubens. Dass die Jünger essen und trinken sollen, was man ihnen anbietet, ist ein Hinweis von enormer Sprengkraft: die Jüdische Religion hatte strenge Speisevorschriften, über die schon die Apostel intensive, temperamentvolle Diskussionen führten und um Lösungen rangen. Jesu Hinweis auf das Essen ist also ebenfalls ziemlich brisant. Aber er bringt auch zum Ausdruck: nicht einmal mit diesen Fragen der Abgrenzung sollen sich die Jünger bei der grenzenlosen Ausbreitung des Evangeliums aufhalten. Die Anweisung, nicht von einem Haus ins andere zu ziehen, verdeutlicht das einzig gültige Kriterium aller Mission: nicht gesellschaftlicher Stand, nicht Luxus, nicht Abwechslung, sondern allein ein Mensch, der das Evangelium hören will – in seinem alltäglichen Leben! – ist von Bedeutung; Verkündigung durch (Tisch-) Gespräche und gemeinsames Leben, mit Gastfreundschaft initiiert und ermöglicht, ist der Weg.
Dieser Schrifttext zeigt: alle Zeichen stehen auf hindernisfreie und unverzügliche Verkündigung von der Nähe des Gottesreiches – und das Heilen und Heilwerden soll nicht Beweis, sondern Zeichen für den Anbruch dieser Gottesherrschaft sein!
Und heute, im Jahr 2022, hier in Deutschland? Abgesehen davon, dass man heute hier nur "Gefahr läuft", eventuell schräg angesehen oder belächelt zu werden: in unzähligen Medien, Vorträgen und Gesprächsgruppen zahllose Artikel und Redebeiträge über den (desolaten?) Zustand der Kirche ... Wann haben Sie zuletzt einen Menschen getroffen, der die Botschaft Gottes kennenlernen wollte - und wann hörten Sie zuletzt die Bitte, davon zu sprechen? Nicht als Lehrer, sondern mit Händen und Füßen und brennendem Herzen; als Glaubender, der Zeugnis ablegt von der wichtigsten, wertvollsten Angelegenheit seines Lebens? Wann haben Sie zuletzt mit einem Glaubensgefährten zusammen am Tisch sitzen und sich austauschen können - nein, mal nicht über die (desolate?) Situation der Kirche, sondern über die Kraft und die Hoffnung unseres Glaubens? Wir sollten uns gegenseitig ermutigen, nicht nachzulassen in der Verkündigung der Botschaft Jesu. Das ist nicht einfach in einer Zeit, in der man manchmal das Gefühl haben muss, es gehe nur um die (desolate?) Kirche, aber wenig um eine Glaubensbeziehung zu Gott. Es ist nicht einfach in einer Zeit, in der Menschen oft sagen, "ganz gut ohne Religion zu leben".
Aber trotz dieser schwierigen Zeit: die Verkündigung ist Gottes Auftrag an uns - immer wieder, jeden Tag neu - da, wo wir leben, im Alltag der Menschen. Und wir sollen diesen Auftrag nicht aufschieben und uns nicht "verzetteln".
Vielleicht sollten wir wieder etwas mehr Mut zu freiwilligen Bindungen bzw. ganz allgemein zur Verbindlichkeit aufbringen.
Vielleicht könnten wir die heilsame Erfahrung machen, dass die Bindung an Gott und an Menschen keine Fessel sein muss, sondern auch ein starkes Seil sein kann, das einen hält; ein Netz, in dem man aufgefangen wird, im Idealfall „die Hängematte“, die ein emotionales Ausruhen ermöglicht.
19. Sonntag im Jahreskreis 2022 Einer kehrte um
Und es geschah auf dem Weg nach Jerusalem: Jesus zog durch das Grenzgebiet von Samarien und Galiläa. Als Er in ein Dorf hineingehen wollte, kamen Ihm zehn Aussätzige entgegen. Sie blieben in der Ferne stehen und riefen: „Jesus, Meister, hab Erbarmen mit uns!“ Als Er sie sah, sagte Er zu ihnen: „Geht, zeigt euch den Priestern!“ Und es geschah, während sie hingingen, wurden sie rein.
Einer von ihnen aber kehrte um, als er sah, dass er geheilt war; und er lobte Gott mit lauter Stimme. Er warf sich vor den Füßen Jesu auf das Angesicht und dankte Ihm. Dieser Mann war ein Samariter. Da sagte Jesus: „Sind nicht zehn rein geworden? Wo sind die neun? Ist denn keiner umgekehrt, um Gott zu ehren, außer diesem Fremden?“
Und Er sagte zu ihm: „Steh auf und geh! Dein Glaube hat dich gerettet.“ (Lukas-Evangelium 17,11 ff)
Und nun kippt die Erzählung: neun der zehn Geheilten reicht die Rückkehr in die menschliche Gesellschaft.
Einer will mehr; denn er erkennt, dass im Wirken Gottes an ihm ein Angebot verborgen ist. Ein Angebot, das über die nur menschliche Gesellschaft hinaus für ihn lebenswichtig ist: er kehrt um. Sich zu Gott wenden ist immer Umkehr. Und es drängt ihn zur Äußerung dessen, was er erkannt hat! Dieser Hinweis ist kein nettes Beiwerk, sondern existenziell. „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ So haben die Apostel Petrus und Johannes öffentlich bekannt, als man sie zum Schweigen bringen wollte (Apostelgeschichte Kap. 4, Vers 20). Der Geheilte lobt Gott, wirft sich vor Jesus nieder und dankt Ihm. Und dann kommt am Ende noch „der Hammer“: der Geheilte, der als einziger umkehrt, ist ausgerechnet einer der Abtrünnigen, ein Samariter. Einer von denen, die nun gar nicht mehr in der offiziellen religiösen Tradition stehen. Einer von ganz weit draußen …
Hier nimmt die Erzählung wieder eine entscheidende Wende:
Dieser Schrifttext besagt:
1. Jeder Mensch kann sich zu jeder Zeit von jedem Punkt seiner Lebensgeschichte aus zu Gott hinwenden.
2. Das Bekenntnis zu Gott ist immer mit Aufbruch, mit einem Weg verbunden: „Steh auf und geh,“ sagt Jesus zu dem Samariter. Glaube ist dynamisch, Gott fordert den Menschen zu Entscheidung und Aktivität heraus, man kann seine Beziehung zu Gott nicht „einmotten“, man muss sie leben. Jeden Tag neu.
18. Sonntag im Jahreskreis 2022 Das Gebet nützt nicht
Die Erfahrung, dass ein Gebet nicht erhört wird, kann zu schweren Glaubenszweifeln und Verunsicherungen führen. Hört Gott mich nicht? Habe ich falsch gebetet? Lehnt Gott mich ab? Gibt es Ihn überhaupt?
Da sagte Jesus zu den Jüngern: Wenn ihr betet, so sprecht: Vater, geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Gib uns täglich das Brot, das wir brauchen! Und erlass uns unsere Sünden; denn auch wir erlassen jedem, was er uns schuldig ist. Und führe uns nicht in Versuchung!
Dann sagte Jesus zu Seinen Jüngern: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: „Freund, leih mir drei Brote; denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen und ich habe ihm nichts anzubieten,“ wird dann der Mann drinnen antworten: „Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.“? ...
Darum sage ich euch: Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; klopft an und es wird euch geöffnet.
Lukas-Evangelium Kapitel 11, Verse 2ff
Wer mit Kirche aufgewachsen ist, kennt das „Vater unser“. So gut, dass uns vielleicht gar nicht mehr auffällt, wie brisant dieses Gebet eigentlich ist. Der „Name Gottes“ bedeutet in der orientalischen Denkweise die ganze, konkrete Person. Gott heiligen, das geht. Dass Gottes Reich komme, ist auch ein schöner Gedanke. Und dass Gott täglich für uns sorgt, ist nötig, setzt aber eine ganze Menge Gottvertrauen voraus. Vielleicht ist es beruhigender, wenn wir das besser selber komplett organisieren? Mit allen Versicherungen, Garantien, Möglichkeiten und Sicherheiten, die diese Gesellschaft auch langfristig so bietet? Und dann sollen wir noch um den Erlass unserer Sünden bitten und darum, dass Gott uns nicht in Versuchung führt. Fertig, aus. Finden Sie nicht, dass da eine Menge fehlt? Bitten um Frieden, um Gesundheit, um langes Leben, um Freude und Gerechtigkeit, Rettung der Erde usw. Stattdessen: Gottes Reich soll kommen. Aber diese Welt mit ihren Freuden, Annehmlichkeiten, vielfältigen Angeboten und Verlockungen ist doch auch ganz schön …
Also ich finde es oft ziemlich schwierig, dieses Gebet zu sprechen. Spüre ich doch, wie es mich sanft, aber immer unnachgiebig mahnend von dieser Welt insofern wegzieht, als ich mich ganz auf Gott einlassen muss. Und das ist gar nicht so leicht.
Jesu Ermutigung, darauf zu vertrauen, dass Gott unser Beten erhört, bezieht sich auf diese Vater-unser-Bitten. Der Schrifttext lehrt uns:
- es geht beim Beten nicht um vereinzelte Aktionen „bei Bedarf“, sondern um eine dauerhafte Grundeinstellung, eine permanente Ausrichtung auf Gott hin
- Beten ist sozusagen eine Vertrauen bildende Maßnahme zwischen Gott und Mensch
- Beten ist die dauerhafte Pflege dieser Beziehung Gott - Mensch. Eine jüdische Weisheit lautet: „Verlasst euch nicht auf Wunder, rezitiert Psalmen.“ Das heißt: Bemüht euch um eine dauerhafte, vertrauensvolle Beziehung zu Gott im Gebet; sie wird euch tragen.
Die Zusage, dass Gott für uns sorgt, gilt: Bittet und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden; … Auf diese vollkommen umfassende, reiche Fürsorge können wir vertrauen, auch wenn wir nicht wissen, was wir empfangen und finden werden; aber sie gilt - in Gesundheit, Krankheit, in schwierigen Zeiten, in schönen Zeiten. Und diese Fürsorge gilt über unser Erdenleben hinaus. Aber das macht das Loslassen und Vertrauen eben oft auch schwierig; doch es muss geübt werden, ein Leben lang.
„Das Gebet nützt nicht,“ pflegt ein evangelischer Pfarrer aus meinem Bekanntenkreis sehr treffend zu sagen, „aber es wirkt.“
17. Sonntag im Jahreskreis 2022 Der Brunnen ist versiegt
Nicht erst, seitdem der Brunnen in unserem Garten vor einigen Wochen versiegt ist, denke ich oft daran, wie aktuell doch diese für viele Menschen so scheinbar uralte Bibel ist. Ich habe nie Wert gelegt darauf, Beweise für die immer geltende Aktualität der Bibel zu bekommen – und diese Aktualität ist einfach nur bedrückend.
„Sechs Tage kannst du deine Arbeit verrichten, am siebten Tag aber sollst du ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen …“ (Buch Exodus = 2. Buch Mose, Kapitel 23, Vers 12)
„Wenn du siehst, wie der Esel deines Feindes unter seiner Last zusammenbricht, dann lass ihn nicht im Stich, sondern leiste ihm Hilfe!“ (Buch Exodus = 2. Buch Mose, Kapitel 23, Vers 5)
"Du sollst dem Ochsen zum Dreschen keinen Maulkorb anlegen." (d.h. Behandle das Tier, das für dich arbeitet, gut, gib ihm Nahrung.) (Buch Deuteronomium = 5. Buch Mose, Kapitel 25, Vers 4)
Nicht nur die Tiere, sondern auch der Ackerboden ist in den großen Schöpfungsfrieden Gottes mit eingebunden, auch das Ackerland verdient Respekt. So heißt es im Buch des Propheten Joel in wunderbaren Bildern:
„Fürchte dich nicht, Ackerboden! Freu dich und juble; denn der HERR hat Großes getan!
Fürchtet euch nicht, ihr Tiere auf dem Feld! Denn das Gras in der Steppe wird wieder grün,
der Baum trägt seine Frucht, Feigenbaum und Weinstock bringen ihren Ertrag.
Jubelt, ihr Kinder Zions, und freut euch über den HERRN, euren Gott!
Denn Er gibt euch Nahrung, wie es recht ist. Er schickt euch den Regen,
Herbstregen und Frühjahrsregen wie in früherer Zeit.
Die Tennen sind voll von Getreide, die Keltern fließen über von Wein und Öl…“
(Buch Joel, Kap. 2, Verse 21 ff)
Wenn ich z.B. von Exzessen im Tourismus lese – egal, ob Superluxus neben Slums, ob Alkoholgelage, ob hemmungslose Ausbeutung der Natur für Tourismusattraktionen, die Geld bringen o.a. – dann frage ich mich, ob Menschen, die die Heilige Schrift wirklich ernst nehmen, auch so mit Menschen, Tieren und Natur im weitesten Sinnne umgehen würden.
Und ich frage mich, ob wir bei solchen apokalyptischen Ereignissen, wie sie viele Menschen heute schon bedrängen, uns nicht doch in unseren Maßnahmen wieder auf Weisungen und Lehren der Heiligen Schrift besinnen sollten. Klingt für viele vielleicht ein wenig altmodisch. Aber die Dürren und die Sintflut aus dem Alten Testament klangen ja auch mal irgendwie „out“ - bis das große Wasser kam, bzw. wochenlang keine Regenwolke mehr in Sicht war.
Es gibt übrigens kleine, abgeschiedene Welten, in denen dieses schriftorientierte Leben gerade auch im Hinblick auf den Umgang mit der Natur tatsächlich funktioniert: in Klöstern. Und ebenso bei Landwirten, die sich dem Schutz der Schöpfung mit ganzem Herzen widmen.
Ich bin sicher, dass Gott unser ehrliches Bemühen um radikale Umkehr, um freiwillige Einschränkungen und maßvolles Leben und unser Suchen und Forschen nach Lösungen für unsere lebensbedrohlichen Probleme segnet. Wir sollten nicht nachlassen im aufmerksamen und bewussten Tun - angefangen im eigenen Lebensumfeld: jeder kann für sich entscheiden, weitestgehend im Frieden mit Gottes Schöpfung zu leben. Und wir sollten nicht nachlassen im Beten!
16. Sonntag im Jahreskreis Nie war Lernen leichter!
Ich bin immer wieder tief berührt davon, wie oft die Evangelisten in der Bibel erwähnen, dass Jesus die Menschen lehrte: „… und Jesus fing an, die Menschen vieles zu lehren“, „Jesus lehrte sie in den Synagogen“, „… Er lehrte im Tempel“, „… Er lehrte sie vieles durch Gleichnisse“, „… noch vieles anderes lehrte Er dem Volk“, „… Er zog durch die Städte ringsumher und lehrte.“
Ebenso beeindruckt mich an den Evangelien, zu lesen, wie viele Fragen die Jünger an Jesus gerichtet haben. Scheinbar war es den Evangelisten ein großes Anliegen, darauf hinzuweisen, dass Glaube mit Wissen und Fragen zu tun hat. Offenbar gibt es vieles, das der Mensch lernen soll auf seinem Glaubensweg. Und dabei geht es nicht um Faktencheck, sondern um das Erkennen und Begreifen von Wahrheiten und Zusammenhängen, um Antworten auf existenzielle Fragen, ja, auch um das Erreichen von Klarheit in der Abgrenzung zu vielem um uns herum, was Gottes Weisungen zuwiderläuft.
Lernen, lehren, Akzeptanz echter (!) Autorität, Lehre annehmen – das alles sind Begriffe, die nicht gerade positiv belegt sind; das ist oft genug nicht das, was Menschen von Kirche wollen. Das liegt sicher auch zu großen Teilen daran, dass Kirche ihren Lehrauftrag oft missbraucht hat, um Macht zu erhalten. Viele Menschen sind da vorsichtig geworden oder haben Vorbehalte.
Aber man kann sich auch trotzdem selbstkritisch fragen:
- Will ich im Bereich des Glaubens lernen?
- Habe ich Glaubensfragen – oder kenne ich nur (fragwürdige) Antworten / Halbwahrheiten, die gerade „angesagt“ sind?
- Wie alt ist mein Glaube? Vor wie vielen Jahren / Jahrzehnten hatte ich mein letztes „up-date“?
- Wieviele Bibeltexte verstehe ich gar nicht und habe mich nie darum gekümmert?
Es gibt auf dem Glaubensweg viel zu hören, zu lesen und zu lernen – übrigens auch manches, was mir nicht in den Kram passt! (Aber Jesus, auch das lese ich in der Schrift, hat eben eine Menge mit „unbequem“ zu tun). Und wenn man etwas nicht versteht oder nicht nachvollziehen kann: aushalten! Nicht verwerfen. Manchmal dauert es bei dem ein oder anderen, bis man es begreift. Alles hat seine Zeit. Und Jahre später betrachtet man wieder alles mit neuen, weiteren Einsichten, weil eben Jahre erlebten Lebens beim Neubetrachten und Erkennen auch eine Rolle spielen. Immer dranbleiben; so wächst man mit den Lebensjahren auch in seinem lebendigen Glauben. Ein fester Bestandteil in allem Lernen sollte das persönliche Gebet sein. Oft kommt man beim Lernen auch ganz selbstverständich in das Gespräch mit Gott.
Nie war Lernen leichter als heute! Es gibt wunderbare Bücher, Vorträge, Kurse, Bibelabende auf Wunsch bestimmt in jeder Gemeinde, Gesprächskreise, Internet … Es empfiehlt sich sehr, sich einen Mentor / Mentorin zu suchen, der / die einen in der Anfangszeit berät.
Gott wird Sie auch in diesem Anliegen nähren: Er wird Ihr Lernen leiten und zu Erkenntnis und Glaubensfreude führen!
15. Sonntag im Jahreskreis „Nun ist groß Fried ohn Unterlass“
„Mensch“, sagte da neulich jemand zu mir „da singen wir in unseren Gottesdiensten „… nun ist groß Fried ohn‘ Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.“ Und wie viele Kriege gibt es dieweil! Sogar hier – fast vor unserer Haustür. So ein Lied darf man doch gar nicht mehr singen.“
Betrachtet man hingegen die andere, geistliche Seite der Geburt Jesu, so steht da der Anbruch des Gottesreiches mit eben dieser Geburt. Das Heil und der Friede Gottes ist zu den Menschen gekommen und befähigt jeden Einzelnen, der sich zu Gott bekennt – jeden Menschen „guten Willens“ – heilvoll in all dem irdischen Elend zu wirken und das Reich Gottes erfahrbar werden zu lassen, mitten im Unheil.
Das ist „Friede auf Erden den Menschen guten Willens“, Zeugnis für den Anbruch des Gottesreiches und Teilhabe daran!
14. Sonntag im Jahreskreis 2022 Verborgener Mehrwert
Todmüde von anstrengenden Proben bei 32° Hitze, viel zu viel Fahrerei auf überfüllten Straßen, stundenlanger Schreibtischarbeit, Üben und Herumorganisieren denke ich manches Mal abends: „Und jetzt noch einen Gottesdienst spielen. Ich bin schlagkaputt und sollte den Tag auf der Stelle beenden.“ Es hilft nichts – Dienst ist Dienst, ich muss los.
Schön, im Sommer in eine wohltuend kühle Kirche zu kommen. Ich setze mich an das Instrument und beginne zu spielen. Nach so vielen Dienstjahren geht das auch „aus dem Tiefschlaf, mit links und 40° Fieber“. Und wenig später dringen in meinen erschöpften Geist die Worte aus der Heiligen Schrift – vorgelesen von einer Lektorin, die mit ihrer unnachahmlichen Art des Vortrags schon ein Gottesgeschenk ist:
„Doch ich, ich weiß: Mein Erlöser lebt, als Letzter erhebt er sich über dem Staub.
Ohne meine Haut, die so zerfetzte, und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen.
Ihn selber werde ich dann für mich schauen; meine Augen werden Ihn sehen, nicht mehr fremd.“
Worte aus dem Alten Testament, aus dem Buch Hiob (Kap. 19, Verse 23ff); der durch Krankheit und Elend geschundene Hiob erkennt nach langem Ringen und heftigem Streiten mit seinem Schöpfer tief im Herzen sein Aufgehobensein bei Gott. Welch ein unerschütterlicher Trost, welche Seelen-Ruhe geht von solcher Erkenntnis aus – von einem glaubenden Menschen, der vor tausenden von Jahren diese Gedanken und Worte tausende von Kilometern weit entfernt niederschrieb. Worte, die mich heute und hier im Innersten berühren!
Worte, die ich in derselben Zeit, wäre ich jetzt daheimgeblieben, höchstwahrscheinlich nicht gelesen hätte. Und auch nicht gehört hätte. Ich nenne das den verborgenen Mehrwert im Tag. Etwas Gutes, Inspirierendes oder auch mal Aufrüttelndes, das mir gerade dann widerfährt, wenn es nicht zu erwarten ist. Aber man muss sich dieser Situation, oder, wie hier, Gott auch aussetzen. Man muss nicht viel leisten, oft reicht es schon, wenn man sich – unter Umständen sehr müde – an den richtigen Ort begibt.
Es ist mein stärkstes Argument, wenn ich Menschen bitte, in unseren Chören mitzusingen:
Wie viele Menschen stehen morgens auf, arbeiten den ganzen Tag, organisieren danach Privatleben und Haushalt und gehen abends wieder ins Bett – tagein, tagaus. Wie oft hat man vor, sich auch dem Geistlichen mehr zu widmen, wie oft denkt man „Man müsste“ oder „Später“, oder „Wenn ich mal Zeit habe“. Irgendwann ist das Leben dann zu Ende, leider nicht selten auch plötzlich und unerwartet ...
Das Singen in unseren Chören schenkt Menschen die Möglichkeit, für 90 Minuten in der Woche innezuhalten und sich mit guten geistlichen Gedanken in Kontakt bringen zu lassen und wichtige geistliche Gedanken ganz konkret auf sich zu beziehen; ich gehöre zu den Chorleitern, die vor allem auch deswegen bei der Auswahl der Liedtexte sehr genau sind. 90 Minuten Trost, Hilfe, Anregung, Herausforderung oder auch Stärkung im Glauben – das ist der verborgene Mehrwert in jeder Chorprobe.
„Möge der Herr Dir Seine Gnade erweisen, möge das Licht Seiner Gegenwart dich leiten.
Möge der Herr dich behüten und tragen, möge Sein Geist dir zur Seite stehen.
Wenn du schläfst, mögen Seine Engel über dir wachen
und wenn du wach bist, möge Seine Gnade dich erfüllen.
Mögest du den Herrn lieben und Ihm dienen dein ganzes Leben lang
und einst im Himmel Sein Angesicht schauen.“
Irischer Segen, Übersetzung: M. E. Booms
Diese wunderbaren Segenswünsche und Gedanken (siehe Musikempfehlung!) in der Sprache der Musik zu lernen und gemeinsam zu singen, ist ein großer Mehrwert im Leben. Denn sie wirken in uns.
13. Sonntag im Jahreskreis 2022 Geh zur Ameise … und werde weise
Kennen Sie das? Sie sollen bis zu einem bestimmten Termin eine Arbeit fertig stellen. Sie fangen heute nicht damit an, morgen nicht … Sie fangen auch übermorgen nicht an. Man hat ja schließlich soviel anderes vor! Kostbare Zeit verstreicht … Sie wissen genau: die Arbeit muss getan werden und zwar bis zum Tage X. Die Wochen gehen so ins Land.
Und dann: 3 Tage und Nächte vor dem Tag X geht’s los: Kaffee- und Zigarettenkonsum steigen rapide an, die Kinder mussten sowieso mal gründlich zusammengestaucht werden – sind ja total außer Rand und Band. Dass man den Hochzeitstag vergisst, ja, meine Güte, das kann eben im totalen Stress auch schon mal passieren, und die blöde Gans, die einem fast ins Auto gelaufen wäre, sollte demnächst wirklich besser aufpassen! Der Termin? Ach so! Ja, mit knapper Not geschafft. Das Hochzeitstagessen wird natürlich nachgeholt, die Kinder sind auch wieder besser drauf und die alte Frau lassen wir selbstverständlich freundlich lächelnd in Ruhe über die Straße gehen.
Zugegeben: etliches Chaos in unserem Leben wird von anderen verschuldet. Und die stressige Arbeitsverdichtung ist auch keine erfundene Theorie, sondern oft harter Alltag. Aber so manche Hektik geht auf unser hauseigenes Konto. Es kann nachdenklich machen, dass wir mit jeder Maschine, die uns Arbeit abnimmt, nicht mehr Zeit gewinnen, sondern immer weniger Zeit haben. Da stimmt doch etwas nicht. Ist es möglich, dass wir durch „Zuviel – wollen“ und zu viel Ablenkung, durch zu viel sinnlosen Kram Zeit und Kraft verlieren?
Bei Ordensfrauen in der Schule habe ich als junger Mensch gelernt: wenn Du eine schwierige oder ungeliebte Arbeit vor dir hast - egal, ob am Schreibtisch, in Haus, Hof, Garten oder am Arbeitsplatz - setze heute noch den Anfang, "brüte die Aufgabe an". Dann fällt das Fortfahren am nächsten Tag viel leichter und eh man sich versieht, ist man mitten drin und alles läuft ohne (oder mit weniger) Druck und Hetze. Setze diesen sofortigen, rechtzeitigen und motivierenden Anfang.
In der Bibel steht: „Wie lange … willst du noch daliegen? Wann willst du aufstehen von deinem Schlaf? „Noch ein wenig schlafen, noch ein wenig die Arme verschränken, um auszuruhen.“ Geh zur Ameise! Betrachte ihr Verhalten und werde weise. Sie hat keinen Meister, keinen Aufseher und doch sorgt sie im Sommer für Futter, sammelt sich zur Erntezeit Vorrat!“ (Altes Testament, Buch der Sprüche, Kap. 6, Verse 6ff)
Gewiss: die Ameise handelt instinktiv. Der Mensch hat Vernunft. Sie kann ihm helfen, sein Leben ein wenig sortierter und maßvoller zu gestalten. Vielleicht ist nach den Ferien ein guter Zeitpunkt, dauerhaft mit schlechten Gewohnheiten zu brechen und vor allem sinnlosen Kram einfach beiseite zu lassen … So entsteht auch mehr Zeit und innere Sammlung für ein Leben mit Gott. Das schafft weiten Lebens-Raum und einen Blick für das Wesentliche mitten im Alltag. Im Brief an die Christen in Ephesus heißt es: "Achtet also sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht wie Toren, sondern wie Kluge!" (Epheserbrief Kap. 5, Vers 15)
Für die nächsten Wochen wünsche ich allen Leserinnen und Lesern erholsame und anregende Ferien!
12. Sonntag im Jahreskreis Geh unter der Gnade Gottes
Manchmal denke ich, es gibt keine moderne Lebensgeschichte, die nicht schon in ihren Grundstrukturen im Alten Testament erzählt wird. Hier einige Beispiele in Kurzform; in der Bibel sind sie sehr ausführlich und psychologisch vielschichtig entfaltet - spannende und hochaktuelle Lektüre!: In Haran lebte ein Mann, der Abraham hieß. Eines Tages gewann er die innere Gewissheit, dass er aufbrechen sollte zu einem anderen Ort, in eine neue, ganz andere Zukunft. Aber wie das dann so ist: das, was man verlässt, kennt man; das, was kommt, ist dunkel und ungewiss. Und Ungewissheit macht den Menschen ängstlich und unsicher. Man bricht halt mit Zögern und Unbehagen auf. Abraham, so wird erzählt, überwand sich und machte sich auf den Weg. Sein kostbarstes Reisegut war eine Verheißung, die Gott ihm ins Herz und mit auf den Weg ins Ungewisse gegeben hatte. Abraham vertraute dieser Verheißung Gottes und gelangte so in eine neue, gute Zukunft. (Buch Genesis / 1. Buch Mose, Kapitel 12 ff)
Ein anderer Mann aus dem Alten Testament, der seine vertraute Umgebung verließ und in die Fremde ging, hieß Jakob. Er ging nicht ganz freiwillig, sondern notgedrungen, weil er schuldig geworden war an seinem Bruder. Aber auch dieser Jakob bekam eine Verheißung von Gott und gelangte nach einer schweren Lebensphase in eine neue, gute Zukunft. (Buch Genesis / 1. Buch Mose, Kapitel 25 ff, ab Vers 20)
Jakobs Sohn Josef ging ganz und gar nicht freiwillig aus seinem Land fort. Er hatte sich in junger Unbedachtheit, durch leichtsinnige Fehler und mit einem ihm eigenen, sicherlich schwerverständlichen Temperament den Zorn seiner Brüder zugezogen. Wütend verkauften sie ihn mehr oder weniger direkt als Sklave nach Ägypten; Hauptsache, der Kerl war aus der Sippe weg! Aber auch dort – in der Fremde – wartete Gott auf diesen zerbrochenen jungen Menschen und führte ihn in eine verantwortungsvolle und gesegnete Zukunft. (Buch Genesis / 1. Buch Mose, Kapitel 37 - 50)
Die jüdischen Autoren dieser Lebensgeschichten mit schweren Brüchen und schwierigen, oft auch hoffnungslosen Wegstrecken ermutigen uns, auch und gerade in dunklen Lebensphasen Gott nicht den Rücken zu kehren, sondern Ihm zu vertrauen: Er begleitet die Menschen, die das wollen, auf ihrem Weg mit Seinem Segen und Seiner Gnade. Auch wenn das nicht sofort erkennbar ist oder gar nicht so aussieht, so zeigt es sich doch oft in der Rückschau.
Ein Mensch kann durch immer wieder neue Besinnung und Lebensbetrachtung aus dem Glauben lernen, auf Gottes Segen und Gnade bewusst zu vertrauen. Im Alten Testament gibt es ein ermutigendes, wunderbares Gotteswort, das nicht nur dem Volk Israel auf seinem Weg gilt, sondern jedem Menschen im Volk der Glaubenden; ganz gleich, wie stark oder wie schwach und angefochten sein Glaube ist:
„Der HERR selbst zieht vor dir her. Er ist mit dir. Er lässt dich nicht fallen und verlässt dich nicht. Du sollst dich nicht fürchten und keine Angst haben.“ (Buch Deuteronomium / 5. Buch Mose Kap. 31, Vers 8)
12. Juni 2022 Bruchwerk – ein Nachmittag in der Rumpelkammer
„Schreiben Sie“, so schrieb mir ein guter Bekannter in einer freundlichen mail, „doch auch einmal über die Fehler der Kirche.“ Die Beschäftigung mit den Fehlern der Kirche - oder dem, was ich für Fehler bzw. Streitthemen halte - gleicht sozusagen einer sehr schwierigen Durchsicht der Rumpelkammer meines Glaubens: Chaos, Unübersichtlichkeit, Ärger, Aufräumversuche, Frust. Das wird hier heute ein unvollständiger Beitrag mit losen Betrachtungen; einer, den ich eigentlich nie schreiben wollte. Aber man soll sich nicht drücken.
Mein Blick fällt in die erste Ecke: ein ganzes Regal voll Liegengelassenes, das schon seit Jahren daliegt, ohne dass etwas voran geht. Sowas nervt mich! Mir fällt das Wort des Apostels Paulus ein: „Prüft alles und behaltet das Gute.“ (1. Thessalonicherbrief Kap. 5, Vers 21) Ein guter Rat, aber warum muss das Prüfen so toxisch lang dauern? Wie oft wird vielleicht einfach Zeit herausgeschunden, um Kritiker ruhigzustellen? Auf der anderen Seite wird mir bewusst, wie rasant schnell viele Menschen (nicht nur) in Sachen Kirche oft (ver-)urteilen und beschließen, ohne etwas überhaupt geprüft zu haben! Auch nicht in Ordnung. Die Redlichkeit zum Handeln liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte.
Das nächste Regal: gleich vorne die Ablage „Ordination von Frauen zu Priestern“. Mit einem schweren Seufzer betrachte ich das Ganze ratlos und mir fällt meine Lieblingsgeschichte ein: Als einem Dorf eine Überschwemmung droht, wollen Retter in einem Boot einen alten Mann evakuieren. Der weigert sich jedoch, das Haus zu verlassen – er werde allein auf Gott vertrauen. Das Ganze wiederholt sich dreimal. Dann ertrinkt der Mann in den hereinbrechenden Fluten. Im Himmel fragt er Gott, warum Er ihn nicht gerettet habe, er habe sich so fest auf Ihn verlassen! Gott antwortet dem Mann: „Ich habe pausenlos versucht, Dich zu retten: ich habe dir dreimal ein Boot geschickt.“
Manchmal kommt mir so der Gedanke, dass Gott die Verantwortlichen in der Kirche einmal fragen wird: „Warum habt ihr die Kirche so runtergewirtschaftet? Ich habe Menschen berufen, damit ihr alle Gemeinden gut begleiten könnt. Ihr habt die Hälfte von ihnen weggeschickt, weil sie Frauen waren! (Und viele habt ihr mit dem Zölibat verschreckt.)“ Vielleicht sollten alle Glaubenden, die den Priesterberuf ausüben möchten, einfach jedes Jahr neu ihre "aussagekräftige Bewerbung" nach Rom schicken - dann sieht die Kirchenleitung vielleicht ganz konkret, was sie da zurückweist und kommt ans Nachdenken.
Die nächste Chaosecke in meiner Rumpelkammer: „Kirchenvolk“. Das gehört ja auch zur Kirche und ihren Fehlern. Mir fallen zahllose Gottesdienste ein, in denen der Pfarrer und die Kirchenmusikerin alle Gebete alleine sprechen und die Lieder alleine singen, Woche für Woche – trotz voller Kirche, vorzugsweise bei Hochzeiten und Beerdigungen. Da kommt man an der Orgel schon ins Grübeln: Warum verhalten sich die Eingeladenen wie vorgeladen? Wo ist der engagierte Gesang, das innige, gemeinsame Gebet - noch dazu in so besonderen Situationen? Warum sind Bibelgesprächskreise die magerst besuchten Veranstaltungen in so vielen Gemeinden? Kein geistliches Interesse? Als Christ?
Nächstes Regalfach: „Der Papst in Rom“. Muss alles immer für alle Länder gleich geregelt und vorgeschrieben werden? In der Apostelgeschichte lese ich: „Jedem wurde so viel zugeteilt, wie er nötig hatte.“ (Apostelgeschichte Kap. 4, Vers 35) Da wird das Individuum wahrgenommen, da wird differenziert. Wäre das nicht ein guter Weg, um von der Macht des Zentralismus wegzukommen? Eine Gemeinschaft, die in erster Linie von Gesetzen zusammengehalten wird, ist gefesselt, nicht getragen. Wie viele Gesetze sind nötig, um geistliche Gemeinschaft zu schützen, wie viele Gesetze sind schädlich und schüren Uneinigkeit? Schwierig, schwierig.
Da hinten steht noch ein Regal mit Unerledigtem: „Zölibat“. Warum werden Menschen so schwere Gesetze auferlegt? Schwere Gesetze, die zu erfüllen oft schon soviel Kraft kostet - Kraft, die dann in Seelsorge und Verkündigung fehlt! (Ich erinnere mich an eine Studienkollegin, die ihre beiden verunglückten Kinder beerdigen musste. Sie tat das auf unübliche, aber sehr authentische Weise. Als Leute meinten, ihr vorwerfen zu müssen, sie mache es sich aber etwas leicht, da antwortete sie sehr treffend: "Ja, das tue ich, schwer genug habe ich es ja schon.") Warum sollen Menschen und Gemeinden an einem 1000 Jahre alten Gesetz zerschellen, wo christlicher Glaube sich doch die 1000 Jahre zuvor ohne dieses Gesetz über die ganze Erde ausgebreitet hat? Auch wenn Kirche dann in schweres Fahrwasser geriet: war der Zöolibat wirklich die lösung? ist der Zölibat- Zwang heute noch eine angemessene Form? Ist er wirklich eine Heilsfrage?
Da hinten in der Ecke dümpelt das Thema "Ökumene" vor sich hin: Tja, das ist ein - eigentlich müsste ich sagen - hoffnungsloses Gebiet. Aber man soll ja die Kraft des Heiligen Geistes nicht unterschätzen! Und das meine ich sehr ernst! Irgendwie lebe ich in der starken Hoffnung, dass eines Tages ein gesegneter, grottenschlecht informierter Kardinal auf eine Journalistenfrage nach dem Termin eines gemeinsamen Abendmahls und Aufhebung sonstiger Konfessionsrenzen einen Zettel aus der Tasche zieht, kurz draufschaut und dann antwortet: "Das gilt meines Wissens ab sofort." Und dann muss natürlich auch ein sofort aus allen Grenzen brechendes Kirchenvolk in den Startlöchern stehen! (Wenn's mal nur daran dann nicht hapert!). Eine andere Lösungsmöglichkeit sehe ich in dieser Frage nicht mehr, weil alle Konfessionen inzwischen auch schon wieder jahrhundertelange Altlasten mit sich herumschleppen, die kein Mensch mehr abarbeiten kann. Eine solche uninformierte Spontaneität hat ja schon einmal Mauern und Grenzen zum Einsturz gebracht ...
Mitten in dem ganzen Chaos meiner Rumpelkammer entdecke ich eine Heilige: Katharina von Siena, die Schutzpatronin Europas. Sie hat in Briefen darauf hingewirkt, den Papst zur Rückkehr nach Rom zu bewegen und kurz darauf geholfen, eine Kirchenspaltung zu vermeiden. Das bringt mich jetzt wieder zum "Kirchenvolk": ich meckere an vielem in der Kirche rum, bekomme aber für einen Brief nach Rom nicht mal das Datum geschrieben. Ist irgendwie auch nicht richtig. Dauerndes Kritisieren kann tatsächlich eigenes Versagen übertünchen. Dauerndes Kritisieren kann auch der eigenen Bequemlichkeit dienen, um selbst nicht aktiv werden zu müssen. So wie ja auch ein Kirchenaustritt gerade in dieser Zeit ganz gut der Kirche zur Last gelegt werden kann; auch wenn die Motivation dafür vielleicht schon lange eine ganz andere war? Ist es böse, wenn mir solche Abwägungen in den Kopf kommen? Mir fallen zwei SPD-Politiker ein, die gesagt haben, sie sind bewusst in die Partei eingetreten, als diese am absoluten Tiefpunkt war … Interessanter Standpunkt! "Betet ohne Unterlass" schreibt der Apostel Paulus. (1. Thessalonicherbrief Kap. 5, Vers 17).
Pfingsten 2022 Sorgenkind Kirche?
Pfingsten wird als das Geburtsfest oder auch das Gründungsereignis der Kirche bezeichnet. An und für sich sind Geburtstage ja freudige Anlässe. Aber im Zusammenhang mit der derzeitigen Situation der Kirche ist alle Fröhlichkeit passé. Was ist in den vergangenen Wochen und Monaten nicht alles ge(wahr)sagt worden! „Die Kirche schafft sich gerade selber ab.“ „Das Christentum ist ein gescheitertes Projekt.“ „Die Kirche fällt in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit.“ "Wird Kirche eigentlich noch gebraucht?" Und dann werden Zahlen und Beweise, Zitate und Fakten angeführt, die wahrscheinlich sogar größtenteils stimmen.
- Kirche ereignet sich immer neu da, wo Menschen ihren lebendigen Glauben an Gott bekennen und „über den Grund ihrer Hoffnung Rechenschaft ablegen“ (1 Petr 3,15) - bis hin zum Verlust von Freiheit und Leben! (Millionenfach auf unserer Erde!)
- Kirche ereignet sich immer neu da, wo Menschen gemeinsam Gottes Wort hören und Seine Gegenwart in unserer Welt glaubend feiern – in allen Gottesdiensten aller Konfessionen, immer wieder.
- Kirche ereignet sich immer neu da, wo Menschen die Weisungen Gottes in die Tat umsetzen: sich um Frieden, Nächstenliebe und Gerechtigkeit mühen und sich aller Menschen annehmen, die Hilfe jedweder Art brauchen.
Oder um auch hier noch abschließend ein (sehr irdisches) Beispiel aus der Musik zu bemühen: das geniale Werk eines Komponisten ist nicht schlecht, weil es schrecklich und voller Fehler gespielt wird. Man sollte dann nicht enttäuscht das Werk verwerfen. Vielmehr müssen die Musiker einsichtig sein und an sich arbeiten. Solange, bis das geniale Werk eben so vollkommen wie möglich erklingt.
Siebter Sonntag der Osterzeit 2022 Über alle denkbaren Grenzen hinaus
Es gibt Sätze, die sich einem, in der Jugend gehört, für ein ganzes Leben ins Gedächtnis einbrennen.
Nein, gemäß den Weisungen Jesu in Seiner Bergpredigt und in Seinen Gleichnissen.
Und doch, so finde ich, fehlt etwas.
Bibeltexte ermutigen uns dazu, Grenzen im Denken, Beten und Reden aufzubrechen. Und so möchte ich die Osterzeit 2022 beschließen mit einem Schriftwort aus dem Epheserbrief (Kap. 1, Vers 17 f):
„Der Gott Jesu Christi, unseres Herrn, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und Offenbarung, damit ihr Ihn erkennt. Er erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch Ihn berufen seid ..."
Sechster Sonntag der Osterzeit 2022 Ziemlich unspektakulär
Als ich vor 30 Jahren als junge Frau direkt nach dem Mauerfall in einer Gemeinde in der ehemaligen DDR arbeitete, gehörte es zu meinem Aufgabengebiet, in der Zeitung der überwiegend atheistischen Gesellschaft auch regelmäßig ein „Geistliches Wort zum Sonntag“ zu schreiben. Einmal schrieb ich über einige amerikanische Filme, die Kinos auf der ganzen Welt zum Überlaufen bringen; solche, die davon handeln, dass die ganze Menschheit in Gefahr gerät und nur dadurch gerettet werden kann, dass sich einer oder mehrere Menschen opfern. (Ein für die Rettung erforderliches Raumschiff hieß dann schonmal „Messias“, oder der ganze Film trug den Ortsnamen der biblischen Entscheidungsschlacht: „Armageddon“. Interessant: Leihgaben aus der Bibel!)
Ich erinnere mich sehr genau: damals sprachen mich ungewöhnlich viele Christen auf den Artikel an: dass ich geschrieben hatte, Jesus Christus sei der Sohn Gottes, sei ihnen sehr wertvoll gewesen. An der Zahl derer, die - ob evangelisch, altkatholisch, freikirchlich, katholisch - völlig unabhängig voneinander das ins Wort hoben, stellte ich verwundert fest, dass gerade diese theologische Erklärung von der Gottessohnschaft Jesu den glaubenden Menschen tatsächlich sehr wichtig zu sein schien.
Einige Zeit später erarbeitete ich mir die Apostelgeschichte (Neues Testament). Beim Lesen stellte ich fest: diese Aussage von „Jesus, dem Christus und Gottessohn“ bildet in den ziemlich persönlichen Predigten, die der Apostel Paulus hielt, oft den Kernpunkt. Das erstaunte mich. Denn eigentlich ist das ein Satz, mit dem man Menschen nicht hinter dem „spirituellen Ofen“ hervorlocken kann – er ist wenig spektakulär, absolut kein Aufreger. Und Paulus hat damit missioniert! (Der Schreiber der Apostelgeschichte betonte diesen Schwerpunkt auch.)
Aber vielleicht geht es gar nicht darum, dass Glaube spektakulär sein soll oder so vermittelt wird? Vielleicht erliegen wir in Glaubensvermittlung und Diskussionen zu oft der Gefahr, unsere Methoden, Formulierungen und Veranschaulichungen an erste Stelle zu setzen? Möglicherweise bewegt es die Menschen viel mehr, wenn in einem Gottesdienst vorne einer steht und – ohne zu eifern - von seinem Glauben berichtet, ein Bekenntnis ablegt, auch von seinen Zweifeln redet? Und das muss nicht immer nur der Pfarrer sein. Oder es hilft dem Einzelnen, dass jemand eine Schriftstelle erklärt - ohne brisante Ansprüche Jesu so "einzuebnen", dass sie für alle nur angenehm und beruhigend sind. Oder es bringt die Menschen im Herzen viel mehr zum Nachsinnen, wenn im Freundes-, Bekannten- oder Kollegenkreis jemand klar zu erkennen gibt, dass er / sie an diesen Gottessohn Jesus Christus glaubt und diesem Glauben entsprechend lebt. Vielleicht ist das überzeugender und wegweisender als allzu viele heftige und so oft doch theoretische Diskussionen; und für die manchmal mühsame Ebene im Glaubensalltag nachhaltiger als didaktische Feuerwerke und multimediale Mega-Events?
Ich möchte das als Überlegung einmal hier ins Wort heben.
Denn in der Apostelgeschichte lese ich, dass Paulus sich einfach vor die Menschen gestellt und freimütig von seiner Bekehrung gesprochen hat: dass er als Pharisäer Menschen verfolgt und gefangengesetzt, Todesurteile unterschrieben hat und dass er dann eines Tages selbst zum Glauben an den Gottessohn Jesus Christus gekommen ist. Er sagt den Menschen, dass er nun nichts anderes tun könne, als diesen Glauben in Wort und Leben öffentlich zu bezeugen und ihn den Menschen zu erklären. Unspektakulär, aber eben ganz persönlich, wesentlich und mit großer Ernsthaftigkeit - bis hin zu seinem eigenen Märtyrertod.
Im Wissen darum, dass es Gott ist, der im Wirken der Menschen „Sein Volk zusammenruft“.
Fünfter Sonntag der Osterzeit 2022 Kernig bis rustikal
Da wird einem von eben auf jetzt quasi der Boden unter den Füßen weggezogen, man verliert total den Durchblick, weiß nicht mehr, wo es langgeht und muss überdies noch glauben, sich verhört zu haben. Und danach ist das ganze Leben "auf den Kopf gestellt".
Wie auch immer Saulus diese blitzartige, lichtdurchflutende Erkenntnis von Christus gewonnen haben mag: es hat ihn umgehauen. „Ich bin das Licht der Welt“ hatte dieser Jesus in der Welt einst von sich gesagt … Und: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Jesus ist von den Seinen nicht zu trennen, auch nicht in Verfolgung und Gewalttat.
Auffällig übrigens die vom Schreiber dargestellte Bereitschaft des gerufenen Hananias: „Siehe, hier bin ich.“ Die Erklärung Gottes zu Saulus‘ zukünftigem Leben sollte man in Stein meißeln: Glaube und Nachfolge sind nichts für Leute, die eine nette Weltanschauung für ihr Leben suchen. Glaube, Nachfolge und Auserwählung sind ernst, fordernd, entschieden, oft schwer bis lebensgefährlich. Christlicher Glaube hat einen sehr „rustikalen“ Kernpunkt, fernab von Wohlfühlromantik, religiöser Folklore, wohltönendem Gerede und Beliebigkeit. Das ist vielleicht nicht unbedingt das, was wir hören wollen, aber wir können solche Schrifttexte auch nicht ignorieren.
Saulus begreift, "es fiel ihm wie Schuppen von seinen Augen" – wie so oft in der Bibel im Gespräch mit einem glaubenden Menschen – er entscheidet sich und beginnt sofort mit der Verkündigung des christlichen Glaubens: dass Jesus kein Prophet ist, sondern der ersehnte Messias, der Sohn Gottes.
Nun gehörte der ehemalige Verfolger zu den Verfolgten und musste am Anfang von den Christen, so gut es ging, beschützt werden - und die Christen in Damaskus und Jerusalem mussten lernen, ihm zu trauen ... Aber durch nichts war der Bekehrte aufzuhalten. Dieser Völkerapostel Paulus (so war sein römischer Name) hat mit seinem Wirken die ganze Welt beeinflusst und verändert.
Vierter Sonntag der Osterzeit 2022 Nur durch Bekenntnis
Seit meiner Jugend hat es mich beeindruckt, wie der christliche Glaube sich ohne Zeitungen, Rundfunk und TV weltweit nicht nur ausbreiten konnte, sondern wie er auch 2000 Jahre lang überlebt hat. Eines meiner Lieblingsbücher der Bibel ist daher die Apostelgeschichte. Sie berichtet von der oft brisanten Ausbreitung des Glaubens, von den Missionsreisen der Apostel, von Bekehrungen und ersten brutalen Verfolgungen dieser Christen, vom gefährdeten und reichen Leben der ersten mutigen Gemeinden. Immer wieder berühren mich zutiefst die Intensität und Lebenskraft, die Dynamik und der Glaubensreichtum dieses Buches und das Wirken Gottes, das überall hindurchscheint.
- Der „Engel des Herrn“ bedeutet: hier „macht nicht der Mensch“, sondern hier führt und fügt Gott.
- „einsame Gegend“: Philippus wird schon merken, um wen es sich handelt, denn so viele wird er auf der einsamen Landstraße nicht sehen. Vielleicht tun auch uns ausführliche Glaubensgespräche in ungestörter Atmosphäre der Ruhe gut?
- „Und siehe“ weist in der Bibel auf die Fügung Gottes hin
- Der Kämmerer ist ein angesehener Jude aus einem sehr fernen Land (heutiger Sudan, Nordost-Afrika); er war nach Jerusalem gereist und hielt sich auch nun auf dem Rückweg an die jüdische Tradition, auf Reisen in der Schrift zu lesen. Das Lesen in der Schrift ist ein Verweilen bei Gott und öffnet den Menschen für Erkenntnis.
- Auch „der Geist, der zu Philippus spricht“, deutet darauf hin, dass Gott die Begegnung fügt
- Es war antike (und jüdische) Tradition, laut zu lesen oder zu studieren; tonloses Lesen war unüblich Das laut formulierte, gehörte Schriftwort prägt sich beim Menschen besser ein als das nur mit den Augen überflogene.
- Die Frage „Verstehst Du auch, was du liest“ ist in der Originalsprache Griechisch zwar ein Wortspiel, könnte auch als Gesprächseröffnung verstanden werden, bedeutet aber auf keinen Fall irgendeinen Zweifel am Verstand des anderen. Sondern es bedeutet: Kannst du die ganz großen Zusammenhänge erkennen und verstehen? Um Schrifttexte in ihrer ganzen Fülle zu verstehen, muss man Zusammenhänge begreifen lernen. Das ist nichts Intellektuelles, sondern ein umfassendes Erkennen.
- Der Kämmerer lädt Philippus ein: er braucht und wünscht Anleitung zum Schriftverständnis. Auch wir brauchen Erklärungen, um die Schrift immer klarer zu verstehen.
- Philippus erzählt nicht seine eigene Privatideologie, keine Lieblingsphilosophie, sondern er verkündet auf der Grundlage der Heiligen Schrift. Jeder, der Christus verkündigt, redet für die Sache Gottes und trägt deshalb eine entsprechend große Verantwortung
- Die Frage des Kämmerers, was einer Taufe im Wege stehen sollte, kommt in der Apostelgeschichte öfter vor: als demütige Frage der Apostel, wer denn eine Taufe ablehnen dürfe, wenn ein Mensch, von Gott geführt, diese begehre! Der Mensch selber, vom Geist Gottes geleitet, entscheidet sich. Daraus ergibt sich: Entscheidung und Engagement sind Wesensmerkmale des christlichen Glaubens.
Dritter Sonntag der Osterzeit 2022 Das Unmögliche für möglich halten
Die ersten christlichen Gemeinden nach Jesu Tod hatten es wirklich nicht leicht. Schon dort und damals gab es Gedankenrichtungen, die eine Auferstehung der Toten bezweifelten. Der Apostel Paulus – übrigens ein sehr temperamentvoller Briefschreiber – geht in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth auf solche Zweifel ein. Er schreibt ziemlich direkt und rundheraus:
Sätze, die man sich auf der Zunge zergehen lassen kann! Das eine ist mit dem anderen untrennbar verbunden – Einzelaspekte können nicht nach Belieben herausgelöst werden: unsere eigene Auferstehung ist mit der Auferstehung Jesu so eng verbunden wie die Balken des Kreuzes einander bedingen. Jesu Auferstehung war keine „Einzelaktion“, kein Selbstzweck, sondern ein absolutes Solidar-Ereignis! Die orthodoxe Auferstehungsikone stellt diesen Hauptgedanken unseres Glaubens übrigens sehr kernig dar: der auferstandene Jesus steht auf den auseinandergebrochenen Deckeln eines Sarges und zieht Adam und Eva (als Prototyp des ganzen Menschen) kraftvoll aus dem Grab. Auferstehung als Kraftakt, nicht als Zustand.
Vorstellen können wir uns das nicht. Aber wir finden schon jetzt in unserer Schöpfung Hinweise auf das Prinzip fundamental angelegter Verwandlung: Jedes neugeborene Kind, ach was, Ei- und Samenzellen enthalten schon die zukünftige Erscheinungsform eines erwachsenen Menschen. Und der zukünftige Erwachsene wird alle erfahrenen Ereignisse seiner Kindheit und Jugend einst in seinem Körper tragen, nichts wird verlorengehen.
Zweiter Sonntag der Osterzeit Keine Theorie, keine überflüssigen Worte
Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben.
Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging. Sie sagten zueinander: „Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?“ Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß. Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: „Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wohin man ihn gelegt hat. Nun aber geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“
(Markus-Evangelium Kap. 16, Verse 1 ff)
Wenn man bedenkt, wie kostbar Papyrus (und Pergament) früher war, dann kann man davon ausgehen, dass es nicht mit unwichtigen, überflüssigen Worten vollgekritzelt wurde.
- Also muss man sich fragen, warum die Sache mit dem Grabstein – „er war sehr groß“ – so ausführlich erzählt wird. Offensichtlich soll der Leser ein für die Frauen schier unüberwindbares Hindernis sehr bewusst wahrnehmen. So wie der Leser auch zur Kenntnis nehmen soll, dass niemand weiß, wer den Stein weggewälzt hat oder weggewälzt haben könnte: „Er war schon weggewälzt …“ Das schier unüberwindbare Hindernis (der Tod? ...) war buchstäblich schon beseitigt.
- Dass der weißgewandete, junge Mann – ein Engel – auf der rechten Seite gesessen hat, ist auch nicht unwichtig: die rechte Seite galt damals als die Seite des Lebens!
- Der Engel – in der Bibel immer ein Hinweis auf Gottes Wirken – spricht von „Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten.“ Das ist sehr sachlich, sozusagen irdisch. Diesen Jesus hingegen als Gottessohn und Messias zu bekennen, ist Aufgabe der Glaubenden.
- Der Hinweis auf die Stelle, wo man den Toten hingelegt hatte, ist nicht überflüssig, denn er sagt dem Leser: Jesus war tot, du täuschst dich nicht, du bist nicht verrückt.
All diese scheinbar nebensächlichen Einzelheiten ergeben die Hauptaussage: Jesus ist nicht im Tod geblieben, Er hat ihn überwunden.
Dazu kommt nun noch die indirekte Aufforderung an die Frauen (und durch sie an die Jünger), nach Galiläa zu gehen. Das ist nicht etwa der Hinweis auf eine entspannte Weinrunde auf dem Lande – dazu waren Papyrus und Pergament zu kostbar. Nein, Galiläa stand am Beginn des Wirkens Jesu. Galiläa war die Zeit der Lehre Jesu, ohne Konflikte mit der Obrigkeit. Die Frauen und die Jünger sollen noch einmal alles von Anfang an in Ruhe betrachten, bedenken, besprechen, verinnerlichen und vom Ende, dem unerwarteten Anfang her, neu durchdringen – dann werden sie erkennen und verstehen.
Dieser Auferstehungsbericht zeigt auch: zuerst muss jeder für sich selbst die Lehre Jesu verinnerlicht haben und sein Glaube an den Auferstandenen muss so wachsen und sich vor allem festigen.
Dieser Glaube kann gestärkt und gepflegt werden im Gebet, im Lesen der Schrift, im Gespräch mit anderen Glaubenden und in der gemeinsamen Feier des Gottesdienstes. Man kann den Glauben nicht einfach abspeichern wie eine erlernte Theorie und sich dann nicht mehr kümmern. Nicht eine erlernte starre Theorie, sondern unser lebendiger Glaube ist die Voraussetzung für das, was Jesus später Seinen Jüngern und uns allen aufträgt.
Ostern 2022 Wenn einem die Augen aufgehen
Es gibt eine beeindruckend hohe Zahl von Christen, die nicht daran glauben, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Die Auferstehung Jesu ist wahrscheinlich ein schwieriges Kapitel – auch für Glaubende. Die Auferstehungsberichte in den Evangelien wirken auf den ersten Blick simpel, in Zeiten technisch raffinierter Filmeffekte fast banal, wenn man sie nur vordergründig liest oder sie in etlichen Filmen sieht.
Und doch, wenn man sie genauer liest: sie sind Juwelen. Einen dieser Auferstehungsberichte möchte ich Ihnen heute (gekürzt) vorstellen:
Und siehe, am gleichen Tag waren zwei von den Jüngern auf dem Weg in ein Dorf namens Emmaus, … Sie sprachen miteinander über all das, was sich ereignet hatte. Und es geschah, während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus selbst hinzu und ging mit ihnen. Doch ihre Augen waren gehalten, sodass sie Ihn nicht erkannten. Er fragte sie: „Was sind das für Dinge, über die ihr auf eurem Weg miteinander redet?“ Da blieben sie traurig stehen und der eine von ihnen antwortete: „Bist du so fremd in Jerusalem, dass du als Einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?“ Er fragte sie: „Was denn?“ Sie antworteten Ihm: „Das mit Jesus aus Nazaret. Er war ein Prophet, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk. Doch unsere Hohepriester und Führer haben Ihn … ans Kreuz schlagen lassen. Wir aber hatten gehofft, dass Er der sei, der Israel erlösen werde. …"
Da sagte Er zu ihnen: „Ihr Unverständigen, … musste nicht der Christus das erleiden und so in Seine Herrlichkeit gelangen?“ Und Er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über Ihn geschrieben steht.
So erreichten sie das Dorf, zu dem sie unterwegs waren. … sie drängten Ihn und sagten: „Bleibe bei uns; denn es wird Abend …!“ Da ging Er mit hinein, um bei ihnen zu bleiben. Und es geschah, als Er mit ihnen bei Tisch war, nahm Er das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen.
Da wurden ihre Augen aufgetan und sie erkannten Ihn; und Er entschwand ihren Blicken.
Und sie sagten zueinander: „Brannte nicht unser Herz in uns, als Er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schriften eröffnete?“
Die Worte „Und siehe“ sind in der Bibel immer eine Art „Erkennungsmelodie“, die etwas Besonderes einläuten. Die Worte „Und es geschah“ sind in der Bibel geradezu eine Fanfare, die hundertfach vorkommt - beginnend mit dem Schöpfungsbericht. Diese "Fanfare" bedeutet: hier handelt nicht der Mensch, sondern Gott!
Der Auferstehungsbericht wird eingerahmt von „… sie erkannten Ihn nicht“ und „… sie erkannten Ihn“. Zu Anfang sind die Augen der Jünger „gehalten“, erst am Ende werden sie „aufgetan“. Und: zwar ist von "Augen" die Rede, aber nicht ein einziges Mal von „sehen“, wohl aber von „erkennen“. (Alles, was die Jünger nicht erkennen können, ist im Text oben blau)
Die beiden Jünger auf dem Weg haben das Riesenproblem, dass sie nichts von alledem verstehen, was da in den vergangenen Tagen geschehen ist: Jesus ist schmählich am Kreuz geendet, von wegen „Erlösung und Herrschaft über Israel“ – dabei hatten sie doch so klare Vorstellungen davon gehabt, wie sie mit diesem mächtigen Propheten Jesus herrschen würden. Eine solche schwere Enttäuschung kennen wahrscheinlich viele Menschen, die vor den Trümmern ihrer Vorhaben stehen. Die Jünger sprechen über all das, tauschen ihre Gedanken aus, versuchen, das Unfassbare zu fassen und dem Unverständlichen auf den Grund zu gehen, alles neu anzusehen. Dieser tote Jesus ist für sie nicht erledigt, weiß Gott nicht! – sie suchen weiter, sie grübeln, gestehen sich ihre Ratlosigkeit ein. Aber nun wird Gott der Handelnde an diesen Menschen: Jesus tritt in ihre Mitte und erklärt ihnen alles noch einmal von Grund auf. Das hatte er zwar schon drei Jahre lang ganz konkret vor Seinem Tod getan, aber da waren Seine verstörenden Worte von der Gottesherrschaft der dienenden Liebe bei den Jüngern nicht wirklich bis in ihre Herzen durchgedrungen – zu massiv waren, irgendwie verständlich, die eigenen Interessen der Männer, ihre politischen Vorstellungen und (Macht?-) Wünsche in der furchtbaren und schweren römischen Besatzungszeit.
Wie auch immer die Jünger nun Jesus in ihrer Mitte sehen, erfahren oder wahrnehmen: die Erklärungen Jesu ereignen sich als Erkenntnisvorgang in den Jüngern. Es ist Gott, der alle Gedanken in ihnen sortiert, neu ordnet, klärt; es ist Gott, der handelt und umfassendes Begreifen schenkt: „Und es geschah“!
Nicht die Jünger haben sich eine neue Theorie ausgedacht, sondern Gott schenkt Einsicht in Seine Wirklichkeit, wo alles menschliche Verstehen und Erleben aufhört.
Erst am Ende des Tages, während der Mahlgemeinschaft, wird ihnen dann schlagartig klar: Dieser Christus hat den Tod besiegt, überwunden, niedergerungen – wie immer man das jetzt auch nennen will! Jetzt erst gehen ihnen die Augen auf und sie erkennen. Und hier wird klar, dass es im Letzten gar nicht um das (biologische) Sehen mit den Augen geht; in diesem Augenblick, in dem die Jünger das existenziell Wichtige erkennen, "entschwand Jesus ihren Blicken". Es geht um die grundlegende Erkenntnis und Gewissheit:
Er ist doch da, Er ist bei ihnen, in ihrer Mitte, Er lebt! Der Tod hat Ihn nicht vernichtet! Das vermeintliche Ende ist der Anfang! Und dieser besondere Augenblick des Erkennens wird mitten im Bericht noch einmal eingeleitet mit den Worten „Und es geschah“! Das Begreifen und Erkennen der Jünger nach all ihrem Fragen, Ringen und Trauern ist Gottes Werk an ihnen.
Der Apostel Paulus schreibt das in seinem Brief an die Gemeinde in Ephesus in einem sehr schönen Bild: "Gott erleuchte die Augen eures Herzens, damit ihr versteht, zu welcher Hoffnung ihr durch Ihn berufen seid ..." (Epheserbrief Kap. 1, Vers 18)
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern diese österliche Gewissheit und Erfahrung im Herzen, dass Jesus nicht im Tod geblieben ist, sondern als der Auferstandene mit uns geht!
Karfreitag 2022 „Für mich gestorben“ – mehr als eine fromme Floskel
Es gibt erstaunlich viele Menschen, die mir in Gesprächen gesagt haben, sie hätten gar nicht gewollt, dass Jesus für ihre Sündenvergebung stirbt.
Wir kennen vom Bösen nur die sicht- und erfahrbare Seite. Wir wissen doch gar nicht, wie sehr uns die Sünde im Innern wirklich von Gott, der die unendliche Güte und Liebe ist, trennt. Und dieses absolut Gute kann nicht mit dem Bösen und Schlechten zusammenkommen – das würde also ewige Trennung bedeuten.
Wie können wir also überhaupt beurteilen, ob nicht die absolute Hingabe Jesu die einzige Möglichkeit war, uns Menschen aus der Macht des Bösen herauszureißen und für das Sein beim absolut Guten, nämlich Gott, zu befähigen?
Es gibt erstaunlich viele Menschen, die mir in Gesprächen gesagt haben, sie hätten gar nicht gewollt, dass Jesus für sie stirbt, um sie vom Tod zu erretten.
Die Tatsache, dass Jesus gestorben ist, um mich aus dem Tod zu retten, sagt sehr viel über den Tod an sich aus. Wir Menschen kennen den Tod nicht. Wir wissen nichts über seine wirkliche Macht, über seine wirkliche entsetzliche Zerstörungskraft; wir wissen doch gar nicht, in welche immense (Gott - ) Verlassenheit, in welches grauenvolle Nichts uns der Tod hineinziehen wird.
Er scheint so furchtbar zu sein, dass wir ohne die Hilfe Jesu tatsächlich verloren wären.
Wie können wir überhaupt beurteilen, ob Jesus für uns hätte sterben müssen oder nicht, wenn wir doch den Tod in seiner gesamten Komplexität gar nicht kennen!
Dass wir uns die Macht des Bösen und des Todes nicht im ganzen Ausmaß vorstellen können, bedeutet nicht, dass es „schon nicht so schlimm sein wird“.
Ob Jesus nun gekreuzigt worden ist oder anders hätte zu Tode kommen können: Sein Nicht-ausweichen vor dem Tod zur Rettung der Menschen, egal, wie, wann und wo der Gottessohn Jesus diesem Tod begegnen würde – das ist die für mich alles entscheidende Tat Seiner maß-losen Liebe!
Ich bin heil-froh und unendlich dankbar, dass Jesus das Böse und den Tod entmachtet hat, indem Er Sein Leben für mich gab – mit allem, was damit zusammenhängt: Angst, Verzweiflung, Schmerzen, Einsamkeit.
Gründonnerstag 2022 Verschenken
Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen wird der grausige Versuch vor 900 Jahren zugeschrieben: er ordnete für einen Sprachversuch an, dass Säuglinge ihren Müttern weggenommen, aber weiterhin rundum perfekt versorgt wurden. Jedoch durfte niemand mit ihnen sprechen und sie liebkosen. Alle Kinder starben.
Was für das Gedeihen von Leben notwendig ist, wissen wir heute sehr detailliert aus der Forschung: es braucht weit, weit mehr als die simple Versorgung mit Nahrung und Kleidung. An erster Stelle stehen Zuwendung, Nähe, Liebe, Bestätigung. Um diese Lebensnotwendigkeiten sicherzustellen, muss der Versorgende seine Zeit, Hingabe, Liebe, Fürsorge und dauernde Kontaktbereitschaft schenken. Das kann keine Maschine ersetzen.
Leben kann nur gedeihen, wenn Lebende (etwas von) sich selbst an andere verschenken.
Das geschieht beim Abendmahl durch Jesus. Aber was Jesus tut, sprengt jeden menschlichen und irdischen Rahmen: Seine Liebe und umfassende Hingabe schenkt allen Menschen, die an Ihn glauben wollen und Ihm vertrauen, Mahlgemeinschaft untereinander und mit Gott. Nicht gestern oder vor 2000 Jahren oder irgendwann, sondern jetzt und für immer: Teilhabe am Festmahl des Himmels!
Palmsonntag 2022 Entscheidung
Als sie sich Jerusalem näherten und nach Betfage am Ölberg kamen, schickte Jesus zwei Jünger aus und sagte zu ihnen: „Geht in das Dorf, das vor euch liegt; dort werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Fohlen bei ihr. Bindet sie los und bringt sie zu mir! Und wenn euch jemand zur Rede stellt, dann sagt: Der Herr braucht sie, er lässt sie aber bald zurückbringen …“ Die Jünger gingen und taten, wie Jesus ihnen aufgetragen hatte. Sie brachten die Eselin und das Fohlen, legten ihre Kleider auf sie und Er setzte sich darauf. Viele Menschen breiteten ihre Kleider auf dem Weg aus, andere schnitten Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Die Leute aber, die vor ihm hergingen und die ihm nachfolgten, riefen: Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei Er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe! Als Er in Jerusalem einzog, erbebte die ganze Stadt und man fragte: Wer ist dieser? Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazaret in Galiläa.
Matthäus-Evangelium Kap. 21, Verse 21 ff
So berichten die Evangelisten in der Bibel vom Einzug Jesu in Jerusalem. Man könnte direkt meinen, alles sei in schönster Ordnung. Feste sind immer gut und Feste tun in der Regel auch immer gut. Das war früher so und das ist auch heute noch so.
- Stelle ich mich der Entscheidung für oder gegen Gott mit Seinen Ansprüchen an mich?
- Erkenne ich an, dass ich der Erlösung bedarf, weil auch ich selbst in das Böse verstrickt bin?
- Erkenne ich Jesus an als meinen Retter?
- Akzeptiere ich die vielleicht unbequemen, möglicherweise harten Konsequenzen, die sich aus einem entschiedenen Weg mit Gott ergeben? Mich einzuschränken, mich in Jesu Sinn zu ändern, dem anderen zu dienen; oder benachteiligt, verlacht, bedroht oder verurteilt zu werden, wie es millionenfach Christen in vielen Ländern der Welt widerfährt – bis hin zur Ermordung?
5. Sonntag der Fastenzeit Lasst uns nicht müde werden!
- Es ist nicht der Satan, der die Hölle auf Erden für Menschen schafft. Die Entschlusskraft zur üblen Tat eines jedes Einzelnen reicht aus, dass dieser Einzelne für andere Menschen hier die Hölle produziert. Die Bergpredigt Jesu ist voll von Warnungen vor den kleinen, scheinbar unbedeutenden Anfängen im Schlechten, die zu Katastrophen führen können. (Matthäus-Evangelium, Kap. 5 ff). Der Begriff des Teufels im Griechischen ist „Diabolos“, heißt übersetzt: „der Durcheinanderbringer“. Und dieses Durcheinanderbringen von Menschen mit ihren Gedanken und Gefühlen reicht aus, dass der Mensch beschließen kann, seinem Mitmenschen die Hölle zu bereiten und sie ihm dann auch bereitet.
- Das Böse abzulehnen und ihm zu widerstehen, ist nie sinnlos! Auch dann nicht, wenn es scheinbar nichts bewirkt und scheinbar niemandem hilft. Als ich vor 40 Jahren in Wien aus einer U-Bahn-Haltestelle hochkam, stand ich innerlich völlig unvorbereitet vor buchstäblich haushohen Plakaten einer Tierschutzaktion, auf denen abgebildet war, wie Tiere gehalten, Gänse gestopft wurden usw. Ich war so schockiert, dass ich von dem Augenblick an keine Fleischwaren mehr angerührt habe. Damals sagte man mir: „Damit hilfst Du keinem Tier, dadurch ändert sich nichts.“ Dem musste ich beipflichten; aber ich wusste auch: ich ganz persönlich für mich will mit solcher Grausamkeit so wenig wie möglich, nach Möglichkeit gar nichts mehr zu tun haben. Über den Wert hinaus, den es an sich schon hat, wenn man Böses grundsätzlich ablehnt: nun hat sich doch seit damals schon so viel in der Tierhaltung und bei den Käufern zum Besseren und Guten geändert! Auch wenn noch sehr viel geschehen muss.
- Es gibt neben der verheerenden Macht des Bösen einen Jojo-Effekt des Schwachen und Schlechten, und der ist unendlich mehr zu fürchten als der Jojo-Effekt beim Körpergewicht. Der Apostel Paulus hat das in einer Abhandlung zum Thema „Sünde“ in seinem Brief an die Römer geschrieben: „Ich tue nicht das, was ich will, sondern das, was ich hasse.“ (Römerbrief, Kap. 7, Vers 15) Diesen unheilvollen Jojo-Effekt kann man leider in unserer Gesellschaft sehr schmerzlich erkennen: Je mehr wir uns vornehmen, unser Klima und damit die Erde zu retten, umso kontraproduktiver wird unser (freiwilliges) Verhalten. So hat eine Wissenschaftlerin in einer Talkshow einmal gesagt, in keinem Jahr seien mehr Flug- und Kreuzfahrschiffreisen gebucht und mehr SUV’s gekauft worden als im Jahr 2019 (ohne Pandemie wäre es wahrscheinlich das Jahr 2021 gewesen) – wir wollen das Gute und geraten immer tiefer in das Schlechte hinein. Der Charakterschwäche und dem Bösem zu widerstehen, bedeutet Kampf!
- Der Apostel Paulus hat in einem seiner Briefe ganz einfach geschrieben: „Lasst uns nicht müde werden, das Gute zu tun ..." (Galaterbrief, Kap. 6, Vers 9) Das ist kein leichter, aber immer ein lohnenswerter Grundsatz in diesem Kampf.
Und nun möchte ich Sie zur Freude anstiften:
- Schauen Sie sich um und nehmen Sie bewusst wahr, wie viele Menschen viel Gutes tun und damit das Böse bekämpfen!
- Treten Sie ganz bewusst und aktiv ein in den Kreis derer, die sich – trotz aller Irrtümer und Fehler, die sie dabei begehen – dem Guten verschrieben haben.
- Bestärken Sie sich gegenseitig, lassen Sie erkennen, wenn Sie einen „emotionalen Durchhänger“ haben und versuchen Sie, zu sehen, wenn der Mensch neben Ihnen Ihre Ermutigung braucht.
4. Sonntag der Fastenzeit Außer Konkurrenz
Am 3. Sonntag der Fastenzeit hatte ich über die Heimkehr des verlorenen Sohnes geschrieben. Die Geschichte war allerdings mit der Wendung zum Guten noch nicht zu Ende. Es gab da noch einen zweiten Sohn. Von ihm wird berichtet:
3. Sonntag der Fastenzeit Eine anstrengende Sache
Über eine solche Fülle von Erzählstoff kann man mit Sicherheit eine fünfbändige Doktorarbeit schreiben. Ich konzentriere mich jetzt mal nur auf den Sohn in dem Augenblick, in dem er beschließt, heimzugehen:
- Der Sohn denkt nach, statt einfach mal schnell irgendwem anderen die Schuld an seiner Misere zu geben: er ging in sich
- Der Sohn erkennt und benennt seine erbärmliche Situation: Jeder Tagelöhner meines Vaters hat es besser
- Er fasst einen Entschluss und setzt ihn in die Tat um: Ich will ... dann brach er auf
- Er geht heim zu seinem Vater und bekennt seine Schuld: Ich habe gesündigt
- Er ordnet schonungslos die Folgen seiner Fehler ein: Ich bin nicht mehr wert …
2. Sonntag der Fastenzeit RUHE! Es ist Sonntag …
Und nun kommt der Blick über den eigenen kulturellen Tellerrand. Die Feier eines jüdischen Sabbats (7. Tag) enthält u.a. folgende Elemente:
- In der Wohnung wird am Tag vor dem Sabbat aufgeräumt, saubergemacht, geschmückt und das Essen vorbereitet
- Der Sabbat beginnt am Abend vorher; man stimmt sich auf den Festtag ein, man „begrüßt“ ihn, die Eltern segnen ihre Kinder und der Vater spricht einen biblischen Text, in dem die Weitsicht und die Arbeit der Hausfrau gewürdigt werden
- Danach setzen sich alle zu einem festlichen Abendessen zusammen; auch alleinstehende Gäste gehören dazu, denn am Sabbat soll niemand allein sein. Es wird erzählt, gelacht und gesungen.
- Am Sabbatmorgen ist Gottesdienst in der Synagoge. Daheim schenken die Familienmitglieder dann einander Zeit, man kann auch in der Heiligen Schrift lesen oder Verwandte und Freunde besuchen – und es gibt festliches Essen
- Am Sabbatabend versammeln sich alle noch einmal, um in einer kleinen Zeremonie die Freude dieses Tages bewusst in die neue Arbeitswoche hineinzunehmen, um gehalten zu sein von Gottes Wort und guten, gepflegten Beziehungen
All diese Bestandteile sind auf eine Gemeinschaft der Menschen untereinander und auf Gemeinschaft des Menschen mit Gott ausgerichtet. Und dieses Sabbat-Erleben wird nur dadurch ermöglicht, dass sich alle Beteiligten Zeit nehmen, dass sie die Gemeinschaft für einen Tag an oberste Stelle setzen und einen kleinen Beitrag in der Vorbereitung leisten. Es ist anzunehmen, dass auch Gott am Tisch Platz nimmt.
1. Sonntag der Fastenzeit 2022 Kein leichter Weg
Die Bibel kennt unbequeme Zeitgenossen: die Propheten. Das waren Menschen, die an den Missständen der Gegenwart ablesen konnten, welches Unheil die Zukunft bringen würde. Wenn Propheten zu der Erkenntnis kamen, dass Unheil drohte, teilten sie der Gesellschaft ihre Gedanken mit. Bitte geben Sie sich nicht der Hoffnung hin, dass Propheten diese Mitteilung in freundlichen, unverbindlichen, wohlgesetzten Worten machten und vielleicht noch mit dem Satz schlossen: „Und das ist gut so.“ Das taten sie nicht. In völliger Verkennung jeder Contenance wetterten sie los und waren in ihrer Ausdrucksweise oft nicht besonders zimperlich. Sowas erzeugt natürlich Ärger und meistens den Ausruf: „Aber nicht in diesem Ton!“
Leider hatten Propheten durchaus das Talent, die bereits aufgebrachte Menge noch mehr zu verärgern, indem sie sagten, in Gottes Auftrag zu sprechen. Sowas hört man nicht gerne. Aber auch wenn die Menge es nie, zu keiner Zeit, hören wollte: die Propheten hatten recht. Sie lagen richtig mit ihrer Kritik an der Gesellschaft und am Volk Gottes. Und leider lagen sie auch oft richtig mit ihren Prognosen. Das Ausmaß des drohenden Unheils ließ keine wohlgesetzten Worte mehr zu – weil sowieso keiner darauf gehört hätte. Weil man bei netten Worten nur beifällig nickt, um dann den Karren weiter vor die Wand zu fahren wie gehabt.
Wohl selten hat es in der aktuellen Politik eine so offenliegende, hohe Kongruenz zu Inhalten der Bibel gegeben wie zurzeit. Es war einer der meistgesprochenen Sätze in der vergangenen schlimmen Woche. In der Bekenntnisform: „Wir haben das nicht kommen sehen.“ Oder in der Frageform: „Warum haben wir das nicht gesehen? Was haben wir da übersehen – über Jahre? Warum haben wir den Diktator aus Osteuropa so falsch eingeschätzt?“ Oder in der Anklageform: „Wie konnten wir uns so täuschen! Das hätten wir doch sehen müssen! Wie konnten wir so blauäugig (!) sein!“
Ehrlicherweise muss man wahrscheinlich sagen: es gab die Mahner mit ihren Warnungen. Aber man wollte nicht auf sie hören, aus welchen Gründen auch immer. Und nun ist für uns alle das Aufwachen in der Wirklichkeit brutal und verstörend. Die Umkehr muss radikal, schnell und besonnen erfolgen, wird anstrengend werden und wehtun. Viele werden jammern, schwer Tragende werden klagen und alle müssen durchhalten. Das wird kein leichter Weg.
Nichts anderes ist die christliche Fastenzeit:
- schonungslose Bestandsaufnahme dessen, was falsch ist in unserem Leben
- Bekenntnis des eigenen Versagens
- Wille zur Umkehr und Besinnung auf die Weisungen Gottes
- Nachdenken über wirklich Wesentliches
- aktive Umkehr, auch wenn es wehtut
Es war das Besondere der Propheten, dass sie nicht einfach herumnörgelten, sondern immer auch Rat wussten und tröstend ermutigten. Sie gingen ins tiefste Elend mit, begleiteten die schwersten Wegstrecken, um den Menschen immer wieder Gottes Segen zuzusprechen, ihnen Seine Gnade in Erinnerung zu halten und zu zeigen, „wie und wo es langgeht“. Dass Propheten an ihrer Berufung gelitten haben, dass viele von ihnen verfolgt wurden, dass mancher alles leid war und sterben wollte, soll hier auch gesagt werden.
Gehen wir in der Gesellschaft, in der Kirche und in unserem persönlichen Leben mutig diesen Weg der notwendigen Umkehr im Vertrauen auf Gott; achten wir auf den Menschen neben uns, dass er mitkommt und durchhält, ohne zu verzweifeln. Wir werden kostbare Erfahrungen machen mit Gott, mit den Menschen und mit uns selbst – mitten in allen Schwierigkeiten und Mühen.
27. Februar 2022 Bilder deuten
Grundsätzlich gilt: auch in der Bibel müssen Bilder gedeutet werden. Das heißt nicht, dass man die Bibel nicht ernstnimmt oder dass man sie sich ganz persönlich zurechtrückt, wie man sie gerade haben will. Sondern das heißt, zu klären, dass z. B. nicht 136 Millionen Menschen auf ca. 7000 Quadratmetern spielen.
- Garten Eden: geschützter Raum, in dem alles Lebende gedeihen kann (auch die vollkommene Harmonie zwischen Schöpfer und Geschöpf)
- Baum der Erkenntnis von Gut und Böse: Baum, dessen Früchte nicht der Ernährung dienen, sondern dem Menschen bewusst machen, dass er Wahlfreiheit und Verantwortung hat: engagiert zu handeln oder gleichgültig, liebend oder gehässig, dienend oder machtgierig, Heiliger zu werden oder Mörder
- Schlange: altertümliches Bild für „innerer Schweinehund“ – aber der todgefährlichen Sorte, der Menschen dazu bringt, sich auch für ganz Schlechtes oder gar Mörderisches zu entscheiden
20. Februar 2022 Gott – weiblich oder männlich?
Seit Jahren gibt es – forciert durch den Feminismus in der Theologie – einen Wandel des herkömmlichen Gottesbildes. Zuweilen erregt dieser Wandel die Gemüter besonders; etwa, wenn in Gottesdiensten von „Mutter Geist“ die Rede ist, oder wenn ein Glaubensbekenntnis mit den Worten begonnen werden soll: „Ich glaube an Gott, den Vater und die Mutter“. Sicher gibt es noch etliche „Aufreger“ dieser Art … Ich will in diese Diskussion jetzt nicht einsteigen. Ich will Ihnen lieber zwei Werke aus der Kunst zu diesem Thema vorstellen; beide erheblich älter als die moderne Diskussion darüber, ob Gott Mann oder Frau ist!
Das erste Kunstwerk ist ein Bild des großen niederländischen Malers Rembrandt, der von 1606 bis 1669 lebte. Er war ein Meister des gemalten Lichtes und der feinen Darstellung starker innerer Emotionen. Viele seiner Bilder sind dunkel, die Hauptpersonen jedoch taucht Rembrandt in warmes Licht; dadurch „beleuchtet“ und verstärkt er die Aussage, die er mit dem Bildthema macht.
Mit seinem Bild „Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“ erzählt Rembrandt den Augenblick, in dem ein junger Mann nach langem, selbstverschuldet-unglücklichen Irrweg voll Reue zu seinem Vater heimkehrt und ihn um Verzeihung bittet. Ein wahrhaft großes Thema, wird es doch von Jesus als Gleichnis erzählt über die Barmherzigkeit, die Gott den Menschen schenkt, die mit Schuld umkehren zu Ihm (Lukasevangelium Kap. 15, Verse 11 – 32). Diese Begegnung zwischen Vater und Sohn ist in Rembrandts Bild der wirklich leuchtende Mittelpunkt. Der Vater legt seine Hände auf die Schultern des knieenden Sohnes – und für jeden Betrachter ist klar zu erkennen, unübersehbar: das sind keine zwei gleichen Hände, das ist eine weibliche und eine männliche Hand!
Das Gemälde ist eines der letzten des großen Meisters, er schuf es in seinem Todesjahr, vor 350 Jahren. Er musste niemandem mehr Rechenschaft ablegen über sein Glaubensbekenntnis und so konnte er der Welt seine für ihn lebensabschließende Erkenntnis über Gott schenken, die über allen Disputen, Theorien und Kampfschriften steht. Die unendliche Ruhe und Abgeklärtheit des ganzen Bildes unterstreichen Rembrandts Aussage: Gottes Erbarmen und Seine Liebe zu den Menschen sind ganzheitlich und vollkommen. Gott ist dem Menschen dies alles: Vater, Mutter, Vergebung und endgültige Heimat!
https://www.bistum-essen.de/pressemenue/artikel/nah-lukas-1511-32-das-gleichnis-vom-verlorenen-sohn
Das zweite Kunstwerk, das ich Ihnen zu diesem Thema vorstellen möchte, finden Sie auf der Seite „Musikempfehlung“.
13. Februar 2022 Maria und Marta: Die Kostbarkeit des Wortes
Der Evangelist Lukas berichtet davon, dass Jesus auf seinem Weg von Galiläa nach Jerusalem mit seinen Jüngern in einem Dorf bei einer Frau namens Marta einkehrt. Diese hatte eine Schwester, die bei ihr lebte: Maria. (Lukas-Evangelium Kap. 10, Verse 38 ff)
Was nun folgt, kann man sich so richtig gut vorstellen: keine Tiefkühlung, keine Vorratswirtschaft, aber von eben auf jetzt unangemeldet etliche hungrige Gäste im Haus, für die ein Essen auf den Tisch muss – Marta hat eine Menge zu tun! Und was macht Maria dieweil? Sie „setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte Seinen Worten zu“, so steht es in der Schrift. Man kann sich vorstellen, wie begeistert Marta davon ist. Ihr wird das irgendwann zu viel und sie beklagt sich bei Jesus mit einer etwas provokanten Frage: „Herr, kümmert es Dich nicht, dass meine Schwester die Arbeit mir allein überlässt?“, um gleich noch hinterher zu schicken: „Sag ihr doch, sie soll mir helfen!“ Müsste eigentlich reichen für die Verstärkung in der Küche, oder? Aber hier nun wird die Geschichte – ich kann mir nicht helfen – unerfreulich und irgendwie ungerecht. Jesus antwortet der essenkochenden Marta ziemlich kryptisch: „Du machst dir viel Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat den guten Teil erwählt, der wird ihr nicht genommen werden.“ Ist das nicht zum Aufregen? Man hätte doch meinen können, alle gehen in die Küche und helfen beim Essen kochen und Tischdecken! Statt dessen Null Verständnis für Marta, von der übrigens gar nicht berichtet wird, ob sie weiterkocht oder das Handtuch wirft. Das ist ein Bruch in der Erzählung. Also scheint es hier – bei aller Sympathie für Marta und großem Respekt vor zahlreichen täglichen Arbeiten! – nicht ums Essenkochen zu gehen.
Die ziemlich rätselhafte Antwort Jesu und der völlig offene Schluss weisen darauf hin, dass dem Glaubenden etwas anderes, grundsätzlich Wichtiges mitgeteilt werden soll:
- Alle Sorgen und Mühen des Alltags dürfen nicht dazu führen, dass der Mensch keine Möglichkeit mehr hat, Jesu Worten zu lauschen und sich von Ihm belehren zu lassen
- Das Hören auf das Wort Gottes steht an erster Stelle und muss der Ausgangspunkt allen christlichen Handelns sein
Denn das Wort Gottes ist nicht zur netten Unterhaltung, Erbauung oder zum Zeitvertreib gedacht. Das Wort Gottes ist Licht und Lehre: mit ihm kann der Mensch erst erkennen, was wie im Sinne Jesu getan werden muss. Das Wort Gottes schenkt Lebenskraft. Und in der bewussten Annahme des Wortes Gottes gewinnt der Mensch das Leben bei Gott. Das ist der gute Teil, den einer wählt und der ihm nicht genommen werden kann.
Und vielleicht ist da jemand in unserem Umfeld, dem wir einmal von Herzen dafür danken können, dass er uns gutes Essen kocht und / oder andere Arbeiten für uns tut …
6. Februar 2022 Vom Beten
„Ich kann,“ so sprach jemand in einer Diskussion zu mir, „ich kann doch auch im Wald beten. Dafür muss ich doch nicht in die Kirche gehen.“ Viele Menschen haben mir im Laufe meiner 60 Jahre schon gesagt, dass sie zum Beten in den Wald gehen oder dorthin gehen könnten. Inzwischen habe ich schon richtig Sorge, in den Wald zu gehen. Wahrscheinlich herrscht dort Hochbetrieb: lauter betende Menschen auf ausgelatschten Waldwegen … oder doch nicht? …
Zum Beten suche man Ruhe und Sammlung. Wer beten will, findet bestimmt ein ruhiges Eckchen in der Wohnung, um eine Zeit still zu werden vor Gott und Ihm vertrauensvoll alles vorzulegen: Sorgen, Ängste, Freude, Dank, Unsicherheit, Schmerz - alles, was Kopf und Herz bewegt. Und auch die Anbetung Gottes sollte ihren Platz im täglichen Gebet haben. Man braucht nicht viele Worte machen. Aber es ist gut, sich diese Zeit jeden Tag zu nehmen, auch wenn es ein wenig Überwindung und Disziplin kostet.
Der Apostel Paulus hat in seinem Brief an die Römer geschrieben, dass der Geist Gottes uns beim Beten hilft. (Röm 8,26). Sich das immer wieder bewusst zu machen, bewahrt uns davor, in unserem Beten Gott zu sagen, was Er tun soll. Wir müssen Herz und Sinn offen halten für den Weg, den Gott mit jedem einzelnen von uns gehen will. Paulus beendet das Kapitel aus dem Römerbrief mit den zuversichtlichen Worten:
Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alles zum Guten gereicht, … Was kann uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Not oder Verfolgung, Hunger oder Kälte, Gefahr oder Schwert? …. Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Römerbrief Kapitel 8 / Verse 28, 35, 38 f
Diese Zusagen können vertrauensvoller und stärkender Abschluss des täglichen Gebetes sein – ganz egal, ob in der Wohnung, im Wald oder in der Kirche.
30. Januar 2022 Was suchst du?
Am Beginn des Johannes-Evangeliums steht der Bericht von der Berufung der ersten Jünger (Joh 1,35 – 51). Dieser Text klingt zwar nicht sehr aufregend, kann aber für Christen in der heutigen Zeit ganz anregend sein. Hier der Inhalt in Kurzform:
- Die ersten beiden Jünger werden von einem Prediger, vom Täufer Johannes, auf Jesus hingewiesen
- Die beiden Jünger sind Jesus einfach gefolgt, Jesus dreht sich um und fragt sie: „Was sucht ihr?“
- Jesus fordert sie auf, Ihm auf Seinem Weg zu folgen – die Jünger tun das
- Als einer der beiden Jünger seinen Bruder trifft, sagt er als erstes zu ihm: „Wir haben den Messias gefunden.“ Dann hat er ihn zu Jesus geführt.
- Auf dem Weg nach Galiläa trifft Jesus Philippus und sagt zu ihm: „Folge mir nach.“
- Der neugewonnene Philippus trifft Nathanael und sagt zu ihm: „Wir haben den gefunden, über den schon Mose und die Propheten geschrieben haben …“ Nathanael kam daraufhin ins Gespräch mit Jesus und sagte: „Du bist der Sohn Gottes, der König von Israel.“
Dieser Schrifttext enthält folgende Erkenntnisse und Anregungen:
- Man kann Menschen auf Gott, Jesus und den neuen Weg des Evangeliums ganz konkret hinweisen
- Gott hat eine große Frage an uns: „Was suchst du?“ Sich diese Frage im Bezug auf Gott immer wieder vorzulegen, kann den Menschen geistlich auf dem Weg halten. Religion und Gott sind keine „Wohlfühlfaktoren“, sondern immer wieder eine aktive Entscheidung
- Raum geben im Leben für den Ruf Jesu in die Nachfolge, denn Nachfolge braucht Zeit und Kraft
- Das eigene ausgesprochene Gottesbekenntnis (s. o. unter 3 + 6) ist keine Nebensächlichkeit, sondern kann im Glaubensgespräch mit anderen Menschen Ermutigung und „Gütesiegel“ sein
23. Januar 2022 Gegen die Ohnmacht (siehe auch Blog vom 21.01.2022)
Heute muss ich von Benedikt Labre erzählen, dessen scheinbar gescheitertes Leben ein Beispiel großer christlicher Eigenverantwortung und Autonomie ist. Er wurde am 26. März 1748 in Frankreich geboren. Seine Eltern hatten mehrere Kinder und führten einen Krämerladen. Benedikt war das älteste Kind und sollte Priester werden. Er war ein ruhiger Mensch, sehr lesesüchtig und wissenshungrig. Doch irgendwann gab es einen inneren Bruch in seinem Leben: er interessierte sich nicht mehr für das Rationale und brach die Priesterausbildung ab. Stattdessen wollte er in ein strenges Kloster eintreten. Arm und zu Fuß ging er also zu den Kartäusern. Doch dort wurde er wegen seiner schwachen Gesundheit abgewiesen. Als er in das Dorf seiner Eltern zurückkehrte, galt er schlichtweg als Versager. Auch seine nächsten beiden Klosterversuche scheiterten wegen zu schwacher Gesundheit. Sein Wunsch, Gott zu suchen, war hingegen nicht schwach. Weil dieser Wunsch in seinem Herzen brannte, machte sich Benedikt nun zu Fuß und allein auf den Weg. Irgendwohin. Mit Bibel und Gebetbuch. Und da, unterwegs, allein, mitten in der Welt und doch in der Einsamkeit, da ist es dann geschehen: da fand Benedikt seine Lebensbestimmung, da gewann er die Herzensgewissheit, dass er als Pilger leben sollte. Nicht abgeschieden im Kloster, sondern mitten in der Welt unter den Menschen. Fortan bezeichnete er sich selbst als Vagabund Gottes. Er schlief auf der Erde, nahm nie Vorräte mit, sondern immer nur das, was er gerade zum Leben brauchte. Dieser Mensch, der in seinem Leben Schwierigkeiten bekommen hatte wegen zu schwacher Gesundheit, pilgerte zu Fuß durch Frankreich, Deutschland, die Schweiz und Italien. Und überall, wo er hinkam, ging er in die Kirchen, um zu beten: für die Menschen und ihre vielen Nöte, für den Frieden unter den Völkern.
Am 16. April 1783 starb dieser fromme Pilger ausgerechnet in Rom. Ein Metzger holte den Sterbenden von der Straße und gab ihm ein Bett. Als Benedikt tot war, liefen die Kinder der Stadt durch die Straßen und riefen: „Der Heilige ist tot!“ Bei seinem Begräbnis folgten so viele Menschen dem Sarg, dass Soldaten helfen mussten, ein Chaos zu vermeiden.
Nicht jeder Mensch kann und soll als Pilger leben. Aber jeder Mensch, der Gott nachfolgen will, kann aus dem mainstream der Allgemeinheit heraustreten und mit großer Entschiedenheit und Klarheit auf seine Weise Gottes Botschaft bezeugen. Es ist Gottes Geist, der aus diesem Bekenntnis wachsen lässt, was für die Welt gut und heilsam ist.
Sonntag, 16. Januar 2022 NICHT VERGESSEN!
In der katholischen Kirche ist es liturgischer Brauch, am 2. Weihnachtstag des ersten Märtyrers Stephanus zu gedenken, im weiteren Sinn aller verfolgten und bedrängten Christen. Damit soll daran erinnert werden, dass es schwerwiegende Konsequenzen haben kann, diesem Jesus zu folgen und sich zu Gott zu bekennen. In der Gottesdienstfeier bedeutet das jedes Jahr, abrupt herauszutreten aus der Festfreude der Weihnacht in ein sehr dunkles Kapitel Weltgeschichte – und am Tag danach mit dem Weihnachtsjubel wieder weiterzufeiern. So sehr, wie ich das Kirchenjahr als Segen betrachte: diesen liturgischen Brauch empfinde ich jedes Jahr als „emotional sehr sportlich“ und am 2. Festtag vollkommen unnötig.
Unbedingt muss der Menschen gedacht werden, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden! Und das nah an Weihnachten zu tun, ist auch sehr sinnvoll. Ich finde es aber angemessener, dieses Gedenken ganz bewusst am ersten Sonntag nach der Weihnachtszeit zu tun. Das ist auch noch „rechtzeitig“, gibt jedoch mehr Freiraum, um sich wirklich umfassend und emotional darauf einzulassen.
Da heute der erste Sonntag nach der Weihnachtszeit ist, möchte ich diese Menschen, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden, nun in den Mittelpunkt stellen: Menschen werden gefoltert, eingesperrt und ermordet, weil man eine Bibel in ihrer Wohnung findet; weil sie in einer Kirche beten, weil sie sich öffentlich zu Gott bekennen. Und oft bringt man diese frommen Menschen in eine entsetzliche Gewissensqual, indem man wegen ihrer persönlichen Entscheidung auch ihre Familien verfolgt, ihre Eltern, Geschwister, Lebensgefährten, Kinder und andere Verwandte. Das Bekenntnis zu Gott hat für unfassbar viele Menschen auf dieser Erde einen hohen, furchtbaren Preis. Behalten wir das an jedem einzelnen Tag im Bewusstsein – und bleiben wir uns hier in unseren freien, sicheren Ländern bewusst, dass unser Glaube an Gott sehr kostbar ist und im Alltag nicht einfach nur so nebenher mitlaufen darf und dass wir ihn uns etwas kosten lassen: Zeit, Entschiedenheit und Liebe. Vergessen wir auch nicht die Menschen, die einen anderen Glauben haben und ebenso verfolgt werden! Beten wir immerzu, dass Gott Seine Engel zu den Menschen in die tiefsten Gefängnisse und Folterkammern sendet und zu den Familien, die in Angst, Entsetzen und Leid leben!
Ende der Weihnachtszeit 2022 Sich auf den Weg begeben
Es gibt Sätze in der Bibel, die nicht so leicht zu verstehen sind, z. B. der Ausspruch Jesu: „Wer hat, dem wird dazu gegeben.“ (Markus-Evangelium, Kapitel 4, Vers 25) Das hört sich nicht nur ziemlich ungerecht an, sondern geht auch gegen den allgemeinen Gerechtigkeitssinn der meisten Menschen.
Liest man diesen Satz aber nicht im Hinblick auf materielle Güter, sondern im Bezug auf geistliche Güter, so ist er keineswegs mehr ungerecht. Vielmehr tut sich eine Lebenserfahrung auf, die der ein oder andere in seinem Leben wohl schon gemacht hat: Wer sich um das Verständnis der Bibel und um sein Verhältnis zu Gott bemüht, der gewinnt mit der Zeit immer mehr an Verständnis und Einsicht; ihm wird dazugegeben. Wer Gottes Wort regelmäßig hört und liest, darüber nachdenkt, betet, mit anderen spricht und es befolgt, dem wird von Gott noch mehr Kenntnis dazu geschenkt. Jeder soll vor dem Lesen der Heiligen Schrift den Geist Gottes um Einsicht und Erkenntnis bitten. Umgekehrt heißt es in der Bibel ja auch in einem Gleichnis, das Jesus erzählt: wer mit dem Wenigen, was er besitzt, nicht arbeitet, dem wird das Wenige auch noch weggenommen. Auch hier sind nicht materielle Güter gemeint, sondern geistliche: wer sich nicht ständig um das Verständnis von Gottes Wort bemüht, der wird das Wenige, das er weiß, mit der Zeit auch noch vergessen.
Das Ende der Weihnachtszeit ist der Neubeginn eines Weges, den jeder mit Gott gehen kann; und das Kind in der Krippe ist nicht einfach eine schöne Episode, sondern der Anfang von etwas sehr Wichtigem – wenn der Mensch es denn will. Für alle, die dazu Mut fassen müssen, gilt die Jahreslosung der Herrnhuter Gemeine für das Jahr 2022: „Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Johannes-Evangelium, Kapitel 6, Vers 37)
Und für alle, die mit Gott leben wollen, gilt die Zusage Jesu: „Mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.“ (siehe Musikempfehlung)
Epiphanie 2022 Stern und Verheißung
Es gibt eine Weihnachtsgeschichte für Erwachsene, die an Sinnhaftigkeit und Sprachkunst wohl kaum zu überbieten ist. Es ist eine von Edzard Schaper erzählte russische Legende, sie heißt „Der vierte König“. Da wird erzählt, dass ein kleiner König aus dem weiten Russland einen hellen Stern sieht und weiß: der größte König aller Zeiten ist geboren worden - ganz so, wie es in uralten Schriftrollen verheißen ist. Der kleine König weiß auch: er wird aufbrechen und diesen größten König aller Zeiten suchen. Denn es soll ein gütiger und weiser Friedenskönig sein, der für jeden auf das Beste sorgt. Und deshalb wird der kleine König sein geliebtes Volk und sich selbst diesem neugeborenen größten König anvertrauen. Ausgestattet mit kostbaren Geschenken und sorglos begibt sich der kleine Herrscher also auf die Reise ins Unbekannte.
Doch die so unbesorgt begonnene Reise verläuft gänzlich anders, als der König sich das je hätte träumen lassen. Sie wird zu einer Lebensreise, die einen anderen Menschen aus ihm macht – im guten wie im schlechten Sinne. Ihm widerfahren furchtbare und wunderbare Dinge. Er macht schwere Fehler und er vollbringt Heldentaten. Er wird bitterarm und unsagbar reich. Sein Leben scheint die totale Sinnlosigkeit zu sein und erfährt doch seinen tiefsten Sinn. Man muss wohl sagen, dass das Leben des kleinen Königs auf der langen Reise mit unvorstellbarer Wucht aus den Fugen gerät.
Eines fällt in dieser Geschichte besonders auf: immer wieder leuchtet der Stern, der Wegweiser. Selbst in der finstersten Nacht seines Lebens, in der der König den Stern nicht mehr sehen kann, leuchtet dieser in seinem Herzen: er denkt an ihn. Und in seinem Herzen behält er die Erinnerung an die Verheißung vom Friedenskönig. Als alle Hoffnungen in ihm zugeschüttet und all seine Pläne vernichtet sind – der Stern und die Verheißung bleiben. Auch, als sie scheinbar bedeutungslos geworden sind.
Dann jedoch – im entscheidenden Augenblick seines Lebens – gelangt der kleine König ganz unerwartet an sein Ziel: er findet Ihn, den weisen, gütigen und größten Friedenskönig aller Zeiten, der für alle Menschen auf das Beste sorgen wird! Und diese Sehnsucht des kleinen Königs geht in Erfüllung, weil er die Verheißung von einem Friedenskönig in seinem Herzen behalten hat, die ihn im alles entscheidenden Moment das Wichtigste erkennen lässt.
Die Wegweisung – hier war es ein Stern – und die Verheißung von einem Friedenskönig sind dem Menschen von Gott mitgegeben. Wir sollten beides im Herzen behalten und nie leichtfertig wegwerfen. Denn Stern und Verheißung führen uns zu Gott. Er ist der weise, gütige und größte Friedenskönig aller Zeiten.
Wir Menschen brauchen Ihn. Dringender denn je!
Weihnachtszeit 2021 / 22 In Stein gemeißelt und zum Klingen gebracht
In der Musikempfehlung zu diesem Sonntag (siehe dort) stelle ich eine der berühmtesten Arien und einen Chorsatz aus Händels „Messias“ vor, die sehr viel über Gott aussagen.
Wie ein Hirt weidet Er Seine Herde, auf Seinen Armen sammelt Er die Lämmer, an Seiner Brust trägt Er sie, die Mutterschafe führt Er behutsam. … Jesaja, Kapitel 40, Vers 11
Diese Schriftworte drücken ein sehr sanftes, fast vorsichtiges Handeln Gottes an den Menschen aus; viele wissen wahrscheinlich, dass Jesus von sich gesagt hat, Er sei der gute Hirte.
Wie umfassend und radikal Jesu Güte zu verstehen ist, hat ein Steinmetz in der Kathedrale zu Vézelay (Frankreich) in einem Kapitell dargestellt: vor fast 1000 Jahren hat er Jesus als Hirten in Stein gemeißelt, und dieser Hirte trägt den erhängten Judas wie ein Schaf auf Seinen Schultern. (Judas, ein Jünger Jesu, hatte Jesus für Geld verraten. Nachdem Jesus umgebracht worden war, hat Judas sich aus Reue erhängt.) Was diese Szene so brisant macht: der Steinmetz hat sie in Stein gemeißelt zu einer Zeit, in der Selbstmord noch als sehr schwere Sünde galt und Menschen, die sich selbst umgebracht hatten, noch außerhalb der Stadtmauern in ungeweihtem Boden begraben wurden! Diese Figur steht so hoch oben an der Säule, dass kein irdischer Richter sie sofort sehen und den Steinmetz verurteilen konnte. (Bild siehe "Der Ernstfall des Evangeliums")
Seit fast 1000 Jahren steht diese Aussage über die unermessliche Barmherzigkeit des guten Hirten da oben. Die Güte Gottes gilt jedem, der in Not ist; sie gilt jedem, der seine Fehler zutiefst bereut; und sie gilt jedem, dessen Wunsch es ist, von Gott behütet zu werden. Wir sollten nicht bei der Weihnachtsgeschichte stehenbleiben, sondern Gott in unser Herz und in unser Leben aufnehmen.
Die Textauswahl und Musik in Händels „Messias“ kann helfen, uns diese tiefe Bedeutung des Weihnachtsfestes bewusst zu machen.
Silvester 2021 / Neujahr 2022 Mit Dankbarkeit und Zuversicht
In christlichen Gottesdiensten wird das ganze Kirchenjahr hindurch immer wieder an die Wunder erinnert, die Gott an Israel, an uns getan hat. Immer wieder wird an den Zuspruch und die Mahnungen Gottes erinnert. Die christliche Religion basiert auf diesem Erleben und ständigen Erinnern durch Hören und Weitererzählen, von Generation zu Generation. Christen sollten sich gegenseitig ermutigen, von ihrem Weg mit Gott zu sprechen. Erlebtes Leben erzählen!
In Erinnerungen zu verweilen ist zudem ein retardierendes Moment – der Mensch hält inne und macht Rast in seinem eigenen Leben. Und aus guten Erinnerungen kann man Kraft und Vertrauen für die Zukunft schöpfen. Beides – Rückblick und Ausblick – ist in Zeiten von Hast, Angst und Druck im Alltag ein Stück Lebenskunst und echter Lebensgewinn. Und die schweren Erinnerungen? Vor Gott hintragen, das vielleicht versteinerte Herz öffnen und Ihm klagen, was an Last und Schmerz zu mühsam geworden ist …
Vielleicht haben Sie persönlich heute Zeit und Muße, sich bei einer Tasse Tee oder einem Glas Wein ganz konkret daran zu erinnern, wie Gott Sie durch das vergangene Jahr geführt und begleitet hat. Vielleicht können Sie Mut fassen, um Schmerzvolles in Seine Hände zu legen; und mit Dankbarkeit, Zuversicht und Bitten in dieses Neue Jahr 2022 aufzubrechen. Immer mit Seiner Verheißung im Herzen:
Hört auf mich, Haus Jakob und der ganze Rest des Hauses Israel, mir aufgeladen vom Mutterleib, getragen vom Mutterschoß an! Bis ins Alter bin ich derselbe, bis zum grauen Haar werde ich (euch) schleppen. Ich habe es getan und ich werde (euch) tragen, ich werde (euch) schleppen und retten. (Jesaja 46,3 f)
Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich Gottes Segen für das Neue Jahr 2022!
Weihnachten 20222 Die Freude des Himmels
Die Weihnachtsgeschichte kennt fast jeder; und fast jeder kennt auch den Hinweis, dass die Botschaft von der Geburt des Kindes zuerst den Ärmsten, den Hirten, gebracht wurde. Dass Gott in der Hilflosigkeit eines Kindes zur Welt kam – vielfach ins Wort gehoben. Leisten wir uns zur Weihnacht einen Blick über Bethlehem, Palästina und den Orient hinaus.
Es gibt wunderbare Schriftworte, die zu lesen sich an jedem einzelnen Weihnachtsfest lohnt:
„Der Himmel freue sich, die Erde frohlocke, es brause das Meer und seine Fülle. Es jauchze die Flur und was auf ihr wächst! Jubeln sollen alle Bäume des Waldes vor dem Herrn, denn Er kommt …“ Psalm 96, Verse 11 ff
Nicht auszudenken, welch ein herrliches Erleben das wäre, könnten wir Menschen die Natur so hören und spüren! Dieser Aufruf an die Natur, an Himmel und Erde – das sagt viel über die wahrhaft universale Bedeutung von Weihnachten aus.
Es gibt beim Propheten Zefanja ein Schriftwort über Gott, der sich an Seinem Volk freut:
„Der Herr, dein Gott, ist in deiner Mitte, … Er freut sich und jubelt über dich, Er schweigt in Seiner Liebe, Er jubelt über dich und frohlockt, wie man frohlockt an einem Festtag …“ Zefanja Kap. 3, Vers 17
Wir verbinden mit Schweigen oft Ablehnung oder Nicht – wahr – genommen – werden, Schweigen ist meistens schwer erträglich. Die Bibel zeigt uns, dass das Schweigen Gottes aber auch Ausdruck tiefer Liebe zu uns sein kann. Das positive Schweigen Gottes ist mir als Kind vertraut geworden: ein Weihnachtslied erzählt davon, dass auch im Himmel bei der Geburt Jesu übergroße Freude ausbricht. Es steht in einer Strophe des Liedes „Menschen, die ihr wart verloren“. (Ich kann sie nur aus dem Gedächtnis zitieren, weil sie nicht mehr im Gesangbuch steht.)
„Seht, der Engel Freude weinet und die ewige Weisheit schweigt (s.o.!): niedrig in dem Stall erscheinet, dem sich Erd und Himmel neigt.“
Dieses „Schweigen der ewigen Weisheit“ ist kein nichtssagendes Schweigen, sondern vielmehr das des Schöpfergottes in Seiner innigsten Beziehung zum Menschen: in der liebenden und rettenden Menschwerdung. Weihnachten – das ist nicht die Geburt eines Sozialrevolutionärs. Weihnachten ist das Kommen Gottes auf unsere Erde – ein schwer fassbares Ereignis von kosmischer Größe zu unserem Heil!
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine gesegnete, frohmachende Weihnacht 2022!
18. Dez. 2022 4. Advent … es sieht ein großes LICHT!
Nach Trost (1. Advent), Umkehr (2. Advent) und Verheißung (3. Advent) geht es mit Riesenschritten auf Weihnachten zu; im Bibeltext allerdings erst einmal etwas anders, als wir uns das vielleicht etwas rosig ausgemalt haben:
„Denn blick auf, Finsternis deckt alle Welt, dunkle Nacht alle Völker. Doch über dir gehet auf der Herr und Seine Herrlichkeit erscheint vor dir … Das Volk, das da wandelt im Dunkel, es sieht ein großes Licht. Und die da wohnen im Schatten des Todes, ein strahlend Licht bescheinet sie.“
Jesaja Kap. 60, Vers 2 und Kap. 9, Vers 1
Diese Schriftworte enthalten doch sehr dunkle Bilder. Aber leider fällt es nun wahrlich nicht schwer, diese Dunkelheiten in der heutigen Zeit anzusiedeln: der Frieden in der Welt ist ständig extrem gefährdet und in wie vielen Ländern auch zerstört, wie unfassbar viele Menschen werden verfolgt, eingesperrt und gefoltert, wie viele Menschen sind auf der Flucht, hungern und frieren, wieviele Menschen leben untereinander in Unfrieden und wie sehr leidet die Schöpfung … Da sind die Bilder von Finsternis, dunkler Nacht und Todesschatten wirklich keine Übertreibungen. Es ist eine schonungslose Sicht auf die Welt. Und die Bibel ist immer realistisch.
Nach dieser harten Weltbeschreibung folgt nicht der „holde Knabe im lockigen Haar“. Nein, der Hauptgedanke, den der Prophet Jesaja ins Wort hebt, ist der aus dem Anfang der Welt: das LICHT, jene Himmelsmacht, die schon im Schöpfungsbericht als erstes erwähnt wird und Leben schafft, dringt durch die Finsternis zu den Menschen.
4. Advent: Weihnachten steht bevor, die Erlösung des Menschen aus dem Dunkel seines Lebens, ganz gleich, wie dieses Dunkel für jeden Einzelnen heißt. Gottes Herrlichkeit beginnt zu strahlen, jedem zur Rettung, der es denn will, sich zu Gott aufmacht oder Ihn kraftlos, aber sehnlich erwartet!
Der Komponist Georg Friedrich Händel hat den Gegensatz zwischen dem Dunkel der Welt und dem Licht, das mit der kommenden Geburt Jesu in die Welt strahlt, musikalisch sehr deutlich dargestellt.
11. Dez. 2022 3. Advent Verheißungen – Mut für den Weg
Der Advent ist die Zeit der Besinnung auf die Gebote Gottes und der neuen Hinwendung zu Ihm (siehe 2. Advent 2022). Das kann eine ziemlich anstrengende Phase sein. So mancher Mensch, wenn er sich ganz aufrichtig begegnet, kommt dabei vielleicht an den Punkt, dass er traurig oder gar mutlos wird. Aber Gott will das Leben, nicht die Traurigkeit, Mutlosigkeit oder gar Zerstörung. Immer, auch in den dunkelsten Phasen des Lebens hat Er Seinem Volk Propheten geschenkt, die den Auftrag hatten, den Menschen Mut zu machen.
Auch der Bibeltext, dessen Vertonung von Georg Friedrich Händel ich für den 3. Advent als Musikempfehlung vorstelle (siehe dort), soll Mut machen für den Weg der Besinnung und Selbsterkenntnis:
O du, die Wonne verkündet in Zion, steig empor zur Höhe der Berge. O du, die Gutes verheißet, Jerusalem, erheb dein Wort mit Macht, ruf es laut und sei getrost, verkünde den Städten des Landes: „Er kommt, dein Gott.“ O du, die Wonne verkündet in Zion, steh auf, strahle, denn dein Licht ist nah und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir. Jesaja Kap. 40, Vers 9 / Kap. 60, Vers 1
Auf dem Weg der Umkehr muss sich der Mensch vom Lieblosen, Schlechten und Bösen in seinem Leben ganz aktiv distanzieren, denn das Zerstörerische widerspricht zutiefst der schöpferischen Liebe und Güte Gottes. Aber der Mensch braucht auf diesem Weg auch Unterstützung und Ermutigung – und vor allem darf er das große Ziel, die Begegnung mit Gott, niemals aus den Augen verlieren. Denn sonst wird ein ständiges, niederdrückendes Schuldbewusstsein zur Grundstimmung des Menschen und zerstört sein Leben.
Die Bibel ist voller Verheißungen auf das Fest der Gemeinschaft mit Gott für alle, die sie ehrlichen Herzens ersehnen. Diese Verheißungen werden den Menschen in leuchtenden Bildern aus der alttestamentlichen Lebenswelt immer wieder mit auf den Weg gegeben, besonders in schwerer Zeit, wenn sie dringend der Hoffnung bedürfen. Gottes Verheißungen – einst in eine konkrete geschichtliche Situation des Volkes Israel hinein gesprochen - gelten auch uns heute!
Georg Friedrich Händel hat diese Verheißungen mit musikalischem Glanz und großer Festlichkeit vertont. So wird auch die Musik zu einem Gottesgeschenk des Trostes und der Auferbauung.
4. Dez. 2022 2. Advent Vom Wert der Besinnung
Auf der Seite „Musikempfehlung“ stelle ich zum 2. Advent eine Arie und einen Chorsatz aus Händels „Messias“ vor. Der Text zu dieser Musik ist gewöhnungsbedürftig, aber nicht so altertümlich und unaktuell, wie er auf den ersten Blick wirkt:
„Doch wer wird ertragen den Tag Seiner Ankunft, und wer besteht, wenn Er erscheinet? Denn Er entflammt wie des Läuterers Feuer. Und Er wird reinigen und läutern das Volk des Bundes …“
Aus dem Buch Maleachi, Kap. 3, Verse 3 f
Wenn man diese Worte liest, kann man sich vorstellen, wie Menschen auf den Begriff „Fegefeuer“ gekommen sind. Die Menschen im Alten Testament hatten noch keine Scheuer- und Desinfektionsmittel. Sie kannten nur Reinigungsmöglichkeiten mit Wasser und Feuer. Daher diese Bilder im Text. Was da - in starken Bildern ausgedrückt - gereinigt werden soll von allem Makel ist das Volk Gottes.
Dieses sehr ernste Prophetenwort erinnert den Menschen auch heute daran, sich seiner Unvollkommenheit bewusst zu sein (oder zu werden), sich ihr aufrichtig und ernsthaft zu stellen und sich wieder neu auf die Weisungen Gottes zu besinnen. Die ungewohnte Ernsthaftigkeit der Prophetenworte kann uns mahnen: eine solche Besinnung ist für den Glaubenden kein Hobbypunkt, wenn noch Zeit am Tag übrig ist; vielmehr geht es um sehr Großes und Wichtiges, wenn es um Gott geht. Und Großes und Wichtiges gehört in den Mittelpunkt.
Es geht aber nicht nur darum, falsches Handeln zu erkennen und wiedergutzumachen. Es geht auch sehr darum, sich im Glauben wieder um eine Annäherung an Gott zu bemühen. Da ist vielleicht so manches im hektischen Alltag auf der Strecke geblieben oder versandet.
Das ist Advent: die Aufgabe und Chance für den Menschen, mit seinem Schöpfer ins Gespräch zu kommen und zu Ihm umzukehren. Und keine Angst: Gott kommt dem, der Ihn ehrlich sucht, mit Barmherzigkeit entgegen: denn „Er reinigt und läutert Sein Volk“.
27. Nov. 2022 1. Advent Beginn eines neuen Kirchenjahres
Womit der Mensch nicht ständig umgeht und was er nicht immer vor Augen hat, das gerät ihm in seinem Gedächtnis leicht „in die hinteren Reihen“ oder gar ganz aus dem Blick; im schlechtesten Fall vergisst er es. Kluge Christen müssen das gewusst haben. Um das Wort Gottes und das Leben Jesu nicht aus den Augen zu verlieren, ordneten sie die Zeit des Jahres in Vorbereitungszeiten, Festzeiten und ganz normalen Zeiten an. Aber nicht willkürlich, wie es ihnen in den Sinn kam. Vielmehr legten sie ihrer Planung die Bibel und das Leben Jesu zugrunde. Daraus ergab sich dann die Ordnung der Zeit:
Advent: Zeit der inneren Vorbereitung auf das Kommen Jesu, Zeit der Propheten
Weihnachten: Festzeit der Geburt Jesu
Normale Zeit: Berichte aus dem Leben Jesu
Fastenzeit: 40 Tage Zeit der inneren Vorbereitung auf Ostern
Osterzeit: 50 Tage Festzeit der Auferstehung Jesu
Pfingsten: Fest der Geistbeschenkung: Gott stärkt und befähigt den Menschen, anderen seinen Glauben zu erklären und zu bekennen
Normale Zeit: weitere Berichte aus dem Leben Jesu
Abschluss des Jahres: Christkönigsfest
So gliedert sich z. B. das katholische Kirchenjahr. Bei den anderen Konfessionen sieht es etwas anders aus, beinhaltet aber ebenso alle wichtigen Bestandteile. Eines haben alle gemeinsam: das Kirchenjahr ist ein „lebbarer Kalender“.
Wer diesen Kalender bewusst mitlebt, Jahr um Jahr, der wird mit der Bibel und dem Leben Jesu vertraut. Nach und nach werden sein Denken und Handeln, ja, seine Person und sein ganzes Leben davon geformt. Denn das, was der Mensch regelmäßig bedenkt, feiert und erinnert, geht ihm allmählich „in Fleisch und Blut über“. Er vergisst auch so schnell nichts von all diesem Wesentlichen. Und im Laufe eines langen Lebens gewinnt er immer neue Aspekte und Erkenntnisse. Der Dichter Jochen Klepper hat das Kirchenjahr als "Fünftes Evangelium" bezeichnet, weil es uns mitnimmt auf den Weg Jesu und die Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen vergegenwärtigt.
So wächst und reift der Mensch am mitgelebten Kirchenjahr innerlich und kann die Zeit mit Gott immer wieder als eine erfüllte und gesegnete Zeit erfahren.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern einen gesegneten und frohen Kirchenjahresbeginn und eine besinnliche Adventzeit!